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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 05.10.2004
Aktenzeichen: 2 BvR 558/04
Rechtsgebiete: BVerfGG, StGB, StVollzG, StPO, GG


Vorschriften:

BVerfGG § 93a
BVerfGG § 93a Abs. 2
BVerfGG § 93b
StGB § 57 Abs. 1
StVollzG § 32
StPO § 454 Abs. 2
GG Art. 2 Abs. 2 Satz 2
GG Art. 104 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 2 BvR 558/04 -

In dem Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerde

gegen a) den Beschluss des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 16. Februar 2004 - 3 Ws 252/03 -,

b) den Beschluss des Landgerichts Mannheim vom 9. Oktober 2003 - StVK 174/03 - R -

hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Vizepräsidenten Hassemer, die Richterin Osterloh und den Richter Mellinghof gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 5. Oktober 2004 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil die Annahmevoraussetzungen gemäß § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen. Die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg.

1. a) Die Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG, Art. 104 Abs. 1 und 2 GG) darf nur aus besonders gewichtigen Gründen und unter strengen formellen Gewährleistungen eingeschränkt werden. Daraus ergeben sich für die Strafgerichte Mindesterfordernisse für eine zuverlässige Wahrheitserforschung, die auch bei den im Vollstreckungsverfahren zu treffenden Entscheidungen zu beachten sind. Die aus dem Freiheitsrecht abzuleitenden Anforderungen an die richterliche Aufklärungspflicht richten sich insbesondere an die Prognoseentscheidung. Für ihre tatsächlichen Grundlagen gilt von Verfassungs wegen das Gebot bestmöglicher Sachaufklärung (vgl. BVerfGE 70, 297 <309>). Eine positive Entscheidung gemäß § 57 Abs. 1 StGB setzt keine Gewissheit künftiger Straffreiheit voraus; dem Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit ist jedoch in angemessener Weise Rechnung zu tragen.

b) Bei der nach § 57 Abs. 1 StGB zu treffenden Entscheidung ist es jedoch zunächst Sache der Strafgerichte, das Gesetzesrecht auszulegen und anzuwenden. Das Bundesverfassungsgericht prüft nur, ob das Strafvollstreckungsgericht in objektiv unvertretbarer Weise vorgegangen ist oder die verfassungsrechtliche Bedeutung und Tragweite des durch Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG und Art. 104 Abs. 2 GG verbürgten Freiheitsrechts verkannt hat (vgl. BVerfGE 18, 85 <92 f., 96>; 72, 105 <113 ff.>).

2. Daran gemessen kann eine Verletzung von Grundrechten des Beschwerdeführers durch die angegriffenen Entscheidungen nicht festgestellt werden.

a) Es kann offen bleiben, ob die unmittelbare Verwertung des Inhalts der abgehörten Telefonate von Verfassungs wegen vertretbar gewesen wäre. Das Oberlandesgericht Karlsruhe hat - anders als die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Mannheim in der Ausgangsentscheidung und entsprechend dem vom Beschwerdeführer im fachgerichtlichen Verfahren bis zuletzt geäußerten Widerspruch gegen die Verwertung - den Gesprächsinhalt der abgehörten Telefonate nicht verwertet.

b) Von Verfassungs wegen gibt es keine festen Regeln darüber, welchen für die Entscheidung relevanten Umständen der Vorrang vor anderen einzuräumen ist. Die beachtliche Leistungsbilanz des Beschwerdeführers im Strafvollzug gebietet daher für sich genommen nicht die vom Beschwerdeführer begehrte Strafrestaussetzung. Es ist auch nicht erkennbar, dass sich das Oberlandesgericht Karlsruhe in einseitiger Weise von den die Gefährlichkeit des Beschwerdeführers in der Vergangenheit prägenden Umständen hat leiten lassen (vgl. Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 24. Oktober 1999 - 2 BvR 1538/99 -, NJW 2000, S. 502 <504>).

c) Die Auffassung des Oberlandesgerichts Karlsruhe, wonach derzeit eine bedingte Entlassung aus der Strafhaft nicht in Betracht kommt, ist unter Berücksichtigung der besonders gefährlichen Anlasstat (vgl. hierzu Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 24. Oktober 1999 - 2 BvR 1538/99 -, NJW 2000, S. 502 <504>), des vom Beschwerdeführer eingeräumten Umstands des Verstoßes gegen § 32 StVollzG und im Hinblick auf die nicht gewährten Vollzugslockerungen verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Beachtlich ist insoweit auch, dass der Beschwerdeführer die auf das Rotlichtmilieu bezogene Thematik der abgehörten Telefonate - deren Inhalt für die zu treffende Prognoseentscheidung wegen des milieubedingten Zusammenhangs der Anlasstat bedeutsam sein konnte - zugestanden hat. Das Oberlandesgericht hat aber nicht nur beanstandungsfrei auf die fehlende Mitwirkung des Beschwerdeführers an der Aufklärung der den Verstoß gegen § 32 StVollzG betreffenden Vorgänge abgestellt, sondern erkennbar und in zulässiger Weise auch dessen fehlende "Vorbewährung" im Rahmen von Vollzugslockerungen berücksichtigt.

d) Für den Richter erweitert sich die Basis der prognostischen Beurteilung, wenn dem Gefangenen Vollzugslockerungen gewährt worden sind (vgl. Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 17. Juni 1999 - 2 BvR 867/99 -, NJW 2000, S. 501 <502>). Es kann nicht festgestellt werden, dass das Oberlandesgericht Karlsruhe seine Verpflichtung, die Rechtsanwendung der Vollzugsbehörde beim Versagen von Lockerungen zu prüfen, damit Resozialisierungsbemühungen nicht an zu Unrecht versagten Lockerungen scheitern (vgl. Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 22. März 1998 - 2 BvR 77/97 -, NStZ 1998, S. 373 <375>; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 24. Oktober 1999 - 2 BvR 1538/99 -, NJW 2000, S. 502 <504>; Urteil des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 5. Februar 2004 - 2 BvR 2029/01 -, NJW 2004, S. 739 <744>), verletzt hätte. Das Oberlandesgericht Karlsruhe hat knapp begründet, weswegen die Versagung von Lockerungen nach seiner Auffassung auf einer tragfähigen Grundlage beruht hat. Auf der Grundlage des Sachvortrags des Beschwerdeführers - welcher sich insoweit nicht in substantiierter Weise mit den darauf bezogenen Umständen auseinandersetzt - ist nicht erkennbar, dass hierbei das grundrechtlich verbürgte Freiheitsrecht des Beschwerdeführers verkannt worden wäre.

e) Ein allgemeiner Anspruch des Verurteilten, dass bei der Entscheidung über die Strafrestaussetzung zur Bewährung stets ein Sachverständiger eingeschaltet werden muss, besteht von Verfassungs wegen nicht (vgl. Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 2. Mai 2002 - 2 BvR 613/02 -, NJW 2002, S. 2773). Die mit dem Wortlaut des § 454 Abs. 2 StPO übereinstimmende fachgerichtliche Auffassung, wonach ein Sachverständiger nur zwingend heranzuziehen ist, wenn eine Strafrestaussetzung in Betracht gezogen wird, ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden (vgl. - für den Fall einer Unterbringung - Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 3. Februar 2003 - 2 BvR 1512/02 -, NStZ-RR 2003, S. 251 f.). Da gegen die fachgerichtliche Annahme, eine Strafrestaussetzung nicht zu erwägen, von Verfassungs wegen nichts zu erinnern ist, war derzeit eine weitere Sachaufklärung durch Erholung eines Gutachtens nicht geboten.

Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG).

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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