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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 09.11.2001
Aktenzeichen: 2 BvR 609/01
Rechtsgebiete: BVerfGG, StVollzG


Vorschriften:

BVerfGG § 93b
BVerfGG § 93a
BVerfGG § 93a Abs. 2
StVollzG § 70
StVollzG § 70 Abs. 1
StVollzG § 70 Abs. 2
StVollzG § 116 Abs. 1
StVollzG § 70 Abs. 2 Nr. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 2 BvR 609/01 -

In dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde

gegen

a) den Beschluss des Oberlandesgerichts München vom 7. März 2001 - 3 Ws 178, 179/01 -,

b) den Beschluss des Landgerichts Augsburg vom 10. Januar 2001 - 2 NöStVK 671/00 -,

c) den Bescheid der Justizvollzugsanstalt Kaisheim vom 24. Oktober 2000 - 10e - 69/2000 -

hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch die Richterin Präsidentin Limbach und die Richter Hassemer, Mellinghoff gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473)

am 9. November 2001 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe:

Die Verfassungsbeschwerde betrifft den Besitz eines Telespielgeräts in der Strafhaft.

1. Der Beschwerdeführer ist Strafgefangener im geschlossenen Strafvollzug. Er begehrte die Erlaubnis der Justizvollzugsanstalt zum Besitz einer "Sony-Playstation". Die Justizvollzugsanstalt lehnte dies in Anwendung von § 70 Abs. 2 Nr. 2 StVollzG ab. Es bestünden zunächst allgemeine Sicherheitsbedenken, zumal die Anstalt für den Vollzug längerer Freiheitsstrafen mit höchster Sicherheitsstufe zuständig sei. Das begehrte Telespielgerät eigne sich zum Verstecken von Gegenständen. Auch eine Verplombung sei im Blick auf den Kontrollaufwand keine geeignete Alternative zur Versagung der Besitzerlaubnis. Zudem seien der Wert des Geräts und der Spiele geeignet, Neid unter den Mitgefangenen zu wecken, die sich solche Unterhaltungselektronik nicht leisten könnten. Telespielgeräte seien auch begehrte Objekte für subkulturelle Geschäfte und Glücksspiele. Die Kontrolle des Inhalts der bisweilen pornographischen oder gewaltverherrlichenden Software sei zu aufwendig. Der Beschwerdeführer sei in einer Gemeinschaftschaftszelle untergebracht, die mit Fernsehgeräten ausgestattet sei. Ein zusätzlich eingebrachtes Telespielgerät müsse gegebenenfalls an ein Fernsehgerät angeschlossen werden, was zu Unverträglichkeiten mit den Mitgefangenen führen könne.

Das Landgericht wies den Antrag des Beschwerdeführers auf gerichtliche Entscheidung mit im Wesentlichen gleicher Argumentation als unbegründet zurück und lehnte einen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts ab.

Das Oberlandesgericht verwarf die hiergegen gerichtete Rechtsbeschwerde als unzulässig im Sinne des § 116 Abs. 1 StVollzG. Abweichende oberlandesgerichtliche Entscheidungen (OLG Celle, StV 1994, S. 437 und OLG Dresden, NStZ-RR 2000, S. 222), die die generelle Ungefährlichkeit von Telespielgeräten angenommen hätten, stünden dem nicht entgegen. Diesen Entscheidungen sei nicht zu entnehmen, dass sie sich ausnahmslos auf alle Fallgestaltungen bezögen.

2. Der Beschwerdeführer sieht sich in seinen Rechten aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3, Art. 2 Abs. 2 Satz 2 und Art. 103 Abs. 1 GG verletzt. Sicherheitsrelevante Gründe für die Versagung des Besitzes des Telespielgeräts bestünden nicht; dies gehe auch aus der divergierenden Rechtsprechung hervor. Notfalls könnten Sicherheitsbedenken durch Verplombung des Gehäuses des Geräts ausgeräumt werden. Die inhaltliche Übernahme der Ablehnungsbegründung der Justizvollzugsanstalt in den angegriffenen Gerichtsentscheidungen verstoße gegen seinen Anspruch auf rechtliches Gehör. Die Ablehnung von Prozesskostenhilfe sei unangemessen.

3. Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil ein Annahmegrund gemäß § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegt. Spezifisches Verfassungsrecht wurde durch die angegriffenen Entscheidungen nicht verletzt (vgl. BVerfGE 95, 96 <128>).

a) Die Handlungsfreiheit gemäß Art. 2 Abs. 1 GG wird durch § 70 StVollzG eingeschränkt. Danach besteht das Recht zum Besitz von Gegenständen zur Freizeitgestaltung nur in angemessenem Umfang (§ 70 Abs. 1 StVollzG); zudem gelten die Ausnahmetatbestände des § 70 Abs. 2 StVollzG. Die Auslegung und Anwendung dieser Regeln ist zuvörderst Sache der Fachgerichte (vgl. Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 28. Februar 1994 - 2 BvR 2731/93 -, NStZ 1994, S. 453). Die auf eine generelle Gefährlichkeit des Gerätebesitzes für die Sicherheit und Ordnung in der Anstalt, aber auch auf Umstände des Einzelfalls abstellende Begründung der Behördenentscheidung ist nachvollziehbar. Deren Billigung durch die Fachgerichte begegnet deshalb keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.

Auch der bei der Einschränkung der Handlungsfreiheit zu beachtende Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist nicht verletzt, da die angegriffenen Entscheidungen unter anderem auf die Situation der Unterbringung des Beschwerdeführers in einer Gemeinschaftszelle mit Fernsehausstattung ausgerichtet sind.

b) Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG liegt nicht vor, da die Entscheidungen unter Berücksichtigung des Vorbringens des Beschwerdeführers begründet wurden.

c) Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Willkürverbot ist nicht verletzt. Allein aus einer abweichenden Bewertung von Telespielgeräten in der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte ergibt sich nicht, dass das Rechtsbeschwerdegericht hier willkürlich entschieden hätte, selbst wenn es in der Bewertung der generellen Gefährlichkeit von Telespielgeräten für die Sicherheit und Ordnung in Justizvollzugsanstalten von den Entscheidungen der Oberlandesgerichte Celle (StV 1994, S. 437) und Dresden (StV 2001, S. 41 f.) abgewichen ist. Das Oberlandesgericht Karlsruhe nahm in einem Beschluss vom 27. Juni 2000 - 2 Ws 179/99 - (BlStVKunde 2001, Nr. 2, S. 5 ff.) ebenfalls an, dass die Frage, ob der Besitz eines Gegenstands die Sicherheit und Ordnung der Anstalt gefährde, überwiegend tatsächlicher Natur sei. Das Oberlandesgericht Hamm, ZfStrVo 2001, S. 185 f. hat im Einzelfall in einem Begründungsdefizit des Bescheides einer Justizvollzugsanstalt einen Aufhebungsgrund gesehen. Wenn vor diesem Hintergrund in der angegriffenen Rechtsbeschwerde-Entscheidung angenommen wurde, die Nachprüfung sei nicht zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten (§ 116 Abs. 1 StVollzG), so ist dadurch Art. 3 Abs. 1 GG nicht verletzt; denn die Ausgangsentscheidung der Justizvollzugsanstalt bezog sich auch auf die Umstände des Einzelfalls.

d) Schließlich ist das Gebot der Gewährung effektiven Rechtsschutzes gemäß Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG nicht verletzt; denn das Oberlandesgericht hat das Rechtsmittel durch Anwendung des § 116 Abs. 1 StVollzG bei der gegebenen Sachlage nicht leer laufen lassen (vgl. BVerfGE 96, 27 <39>).

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

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