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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 26.08.2008
Aktenzeichen: 2 BvR 679/07
Rechtsgebiete: GG


Vorschriften:

GG Art. 1 Abs. 1
GG Art. 1 Abs. 2
GG Art. 2 Abs. 2
GG Art. 19 Abs. 4
GG Art. 20 Abs. 3
GG Art. 104 Abs. 1
GG Art. 104 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES

- 2 BvR 679/07 -

In dem Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerde

gegen

a) den Beschluss des Oberlandesgerichts Hamm vom 8. Februar 2007 - 1 Vollz (Ws) 62/07 -,

b) den Beschluss des Landgerichts Bochum vom 6. Dezember 2006 - Vollz E 395/06 -

hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Richter Mellinghoff, die Richterin Lübbe-Wolff und den Richter Gerhardt am 26. August 2008 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Der Beschluss des Landgerichts Bochum vom 6. Dezember 2006 - Vollz E 395/06 - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz aus Artikel 19 Absatz 4 des Grundgesetzes. Die Entscheidung wird aufgehoben. Die Sache wird an das Landgericht Bochum zurückverwiesen. Der Beschluss des Oberlandesgerichts Hamm vom 8. Februar 2007 - 1 Vollz (Ws) 62/07 - wird damit gegenstandslos.

Das Land Nordrhein-Westfalen hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Gewährung effektiven Rechtsschutzes im Zusammenhang mit der Verlegung eines Strafgefangenen in eine andere Justizvollzugsanstalt.

1. Der Beschwerdeführer ist aufgrund verschiedener Verurteilungen seit 1982 in Strafhaft. Seit November 1998 befand er sich in der Justizvollzugsanstalt Bochum. Im Oktober 2005 wurde er in die Justizvollzugsanstalt Werl verlegt. Als Begründung wurde seinem Verfahrensbevollmächtigten am gleichen Tag telefonisch von dem damaligen Abteilungsleiter der Justizvollzugsanstalt Bochum, Herrn F., mitgeteilt, der Beschwerdeführer habe versucht, seine - des Herrn F. - Privatadresse an einen Mithäftling zu verkaufen. Diese Privatadresse habe der Beschwerdeführer dadurch erfahren können, dass er früher in der Druckerei der Justizvollzugsanstalt Bochum gearbeitet habe, wo die privaten Visitenkarten des Herrn F. gedruckt worden seien.

2. Gegen die Verlegung legte der Beschwerdeführer Widerspruch ein. Er bestritt, jemals einem Mitgefangenen die Privatadresse des Herrn F. angeboten oder verkauft zu haben. Er bestritt zudem, die Adresse überhaupt gekannt zu haben. Er sei lediglich im Jahre 2002 disziplinarisch belangt worden, weil er versucht habe, die private Telefonnummer des Herrn F. an seinen ehrenamtlichen Betreuer, Herrn W., zu übergeben. Dieser Vorgang sei aktenkundig. Zugleich beantragte der Beschwerdeführer, die angebliche Aussage des Mitgefangenen vorzulegen.

3. Der Präsident des Landesjustizvollzugsamtes Nordrhein-Westfalen wies den Widerspruch zurück: Die Justizvollzugsanstalt Werl sei die nach dem Vollstreckungsplan und der Einweisungsentschließung der Justizvollzugsanstalt Hagen vom 6. Januar 1983 für den Beschwerdeführer zuständige Anstalt. Unter dem Aspekt der Verbesserung der Besuchsmöglichkeiten für seine in Bochum lebenden Eltern und zwecks berufserhaltenden Einsatzes in der Druckerei sei er 1998 in die Justizvollzugsanstalt Bochum verlegt worden. Diese Gründe für eine abweichende Unterbringung seien entfallen. Seine Eltern könnten ihn aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr besuchen; er müsse Ausführungen zu ihnen erhalten. Der Beschwerdeführer sei inzwischen auch nicht mehr in der Druckerei, sondern in der Küche tätig. Bereits im Jahre 2003 sei dem Beschwerdeführer im legalprognostischen Gutachten des Diplom-Psychologen M. die Verlegung empfohlen worden, um ihm einen Neuanfang zu ermöglichen. Konkreter Anlass für die Verlegung sei indes die Aussage eines Mitgefangenen, wonach der Beschwerdeführer versucht habe, die Adresse des Herrn F. zu verkaufen. Um diese Absicht zu vereiteln, sei die Verlegung geboten gewesen. Ein wesentlicher Nachteil für den Beschwerdeführer sei nicht erkennbar.

4. Der Beschwerdeführer stellte gemäß § 109 StVollzG Antrag auf gerichtliche Entscheidung. Ihm entstünden sehr wohl wesentliche Nachteile. Der Kontakt zu seinem ehrenamtlichen Betreuer, Herrn W., werde ebenso erschwert wie der Kontakt zu seinem Anwalt. In Werl werde keinerlei therapeutische Arbeit mehr durchgeführt; die Einzeltherapie sei ausgesetzt worden. Kontakte zur Familie beschränkten sich auf Post und zwei Telefonate im Monat. Lockerungen in Form von Ausführungen oder Ausgängen fänden nicht statt. Vor allem aber sei die Behauptung, der Beschwerdeführer habe die Adresse des Herrn F. zu veräußern versucht, unrichtig. Richtig sei, dass er lediglich im September 2002 seinen ehrenamtlichen Betreuer brieflich gebeten habe, sich mit Herrn F. wegen nicht eingehaltener Zusagen im Zusammenhang mit Ausführungen in Verbindung zu setzen; deshalb habe er diesem gegenüber die private Telefonnummer des Herrn F. genannt. Für dieses Verhalten sei er disziplinarisch belangt worden. Falls die Anstalt schon wegen der Weitergabe der privaten Telefonnummer des Herrn F. überzeugt gewesen wäre, dass der Beschwerdeführer über dessen Anschrift verfüge, hätte sie damals die Verlegung veranlassen können. Dies sei aber nicht geschehen. Die nun erhobenen Vorwürfe träfen nicht zu. Offenbar suche man nach einem Grund, ihn als unbequemen Antragsteller loszuwerden.

Die Justizvollzugsanstalt Bochum entgegnete mit Stellungnahme vom 13. April 2006, die Verlegung sei nach dem Vorfall aus Sicherheitsgründen unumgänglich gewesen. Sie trage auch dem querulatorischen Verhalten des Gefangenen in der Vergangenheit Rechnung, der sich immer wieder abfällig über Bedienstete der Justizvollzugsanstalt Bochum geäußert habe. Zu ihren Sachverhaltsannahmen sei die Justizvollzugsanstalt durch die glaubhafte Aussage eines Mitgefangenen gelangt, der als glaubwürdig eingeschätzt werde. Dieser Zeuge habe angegeben, der Beschwerdeführer habe ihn am 16. Oktober 2005 gefragt, "ob er jemanden kenne, der Hass auf den Abteilungsleiter F. habe". Er habe dann behauptet, im Besitz der Privatadresse zu sein und diese verkaufen zu wollen. Wegen befürchteter Repressalien durch den Beschwerdeführer bitte der Zeuge um Geheimhaltung seines Namens. Für den Fall, dass das Gericht eine Beweisaufnahme für erforderlich halte, würden vier namentlich benannte Mitarbeiter der Justizvollzugsanstalt als Zeugen benannt. Dass der Beschwerdeführer die privaten Visitenkarten des Herrn F. im Jahre 2002 gedruckt habe, räume er selbst ein. Es sei lebensfremd, anzunehmen, dass er sich dabei nicht auch die Anschrift gemerkt habe. Der Hass des Beschwerdeführers auf die Vollzugsbediensteten sei durch "eine Vielzahl von Notizen über seinen Briefverkehr, die der Unterzeichner angefertigt (habe), belegt". Des Weiteren werde auf eine Meldung von Oberregierungsrätin G. zu Tötungsphantasien des Beschwerdeführers verwiesen, die Anlass für eine Verlegung innerhalb der Anstalt - Wegverlegung von Abteilung 17 - gewesen sei.

Der Beschwerdeführer bat in einer Erwiderung nochmals um Zuleitung der angeblichen Zeugenaussage; dies sei "ein Gebot des fairen Verfahrens". Der Hinweis auf Repressalien erscheine vorgeschoben, denn der Beschwerdeführer habe keinen Kontakt mehr zu ehemaligen Mitgefangenen aus Bochum. Es sei auch nicht lebensfremd, dass er sich damals nur die Telefonnummer gemerkt habe, denn hierbei sei es ihm um die Vermittlung eines Kontakts mit seinem Betreuer, Herrn W., gegangen, nicht aber um Rache. Im Laufe des Disziplinarverfahrens habe man bei der damaligen Zellendurchsuchung auch keine notierte Anschrift gefunden; hierzu könne der Ermittlungsbeamte K. befragt werden. Die Behauptungen im Zusammenhang mit der Verlegung aus Abteilung 17, die im Jahr 2001 erfolgt sei, träfen ebenfalls nicht zu. Der Vorfall mit Frau G. stamme aus dem Jahr 2003; er habe bereits damals die behaupteten Tötungsphantasien bestritten. Das Gericht möge die entsprechenden Akten aus dem Gerichtsverfahren beiziehen. In der damaligen Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt sei vermerkt, dass die Psychologinnen "keine aggressiven Tendenzen beim Antragsteller (hätten) feststellen" können. Daher sei auch die jetzige Behauptung, er hasse das Vollzugspersonal, falsch. Dass er sich in mehreren Schreiben über das Personal beschwert habe, hänge mit der mangelnden Unterstützung bei Lockerungen zusammen.

In einer weiteren Stellungnahme wies die Justizvollzugsanstalt Bochum darauf hin, der maßgebliche Zeuge sei weiterhin inhaftiert. Die Annahme, dass ein weiterer Zeuge das Gespräch mitgehört haben könne, habe sich nach weiterer Überprüfung nicht bestätigt. Die Angabe, der Beschwerdeführer habe keine Kontakte mehr zu ehemaligen Mitgefangenen in der Justizvollzugsanstalt Bochum, treffe so nicht zu. Der Beschwerdeführer habe auch nach seiner Verlegung noch Briefkontakt zu einem Mitgefangenen aus seiner früheren Abteilung unterhalten, so dass Kontakte zu weiteren Gefangenen nicht hinreichend sicher ausgeschlossen werden könnten. Deshalb könne es nicht verantwortet werden, die dem Zeugen zu seinem Schutz zugesagte Vertraulichkeit aufzuheben.

Hierauf erwiderte der Beschwerdeführer, es sei merkwürdig, dass der Informant nicht genannt werde, obwohl er der einzige Zeuge des Gesprächs sein solle. Hätte es das Gespräch wirklich gegeben, müsste der Beschwerdeführer wissen, mit wem er gesprochen und wem er angeblich die Adresse zum Kauf angeboten habe; folglich bestünde die Möglichkeit, sich an dem betreffenden Mitgefangenen zu rächen, ohnedies. Seit Ende 2005 habe er keinerlei Briefkontakt mehr mit Gefangenen der Justizvollzugsanstalt Bochum. Es dränge sich der Verdacht auf, dass ein Mitgefangener durch Versprechungen zu einer belastenden Aussage bewegt worden sei. Ihm lägen zwei Schreiben ehemaliger Mitgefangener aus der Justizvollzugsanstalt Bochum vom September 2004 vor, in denen diese angäben, ihnen seien seitens des Leiters der Justizvollzugsanstalt Bochum vollzugliche Lockerungen versprochen worden, wenn sie auf den Beschwerdeführer Einfluss nähmen, weil dieser immer so viel "Scheiße labern" würde. Hierüber habe der Prozessbevollmächtigte des Beschwerdeführers den Leiter der Justizvollzugsanstalt schriftlich informiert, jedoch keine Reaktion erhalten.

Der Leiter der Justizvollzugsanstalt entgegnete schließlich unter dem 14. August 2006, er habe in den 27 Jahren seiner Tätigkeit im Vollzug noch nie einem Gefangenen vollzugliche Lockerungen oder ähnliches versprochen, um an eine Aussage zu gelangen.

In zwei weiteren Schreiben an das Gericht benannte der Beschwerdeführer mehrere Zeugen dafür, dass er keinerlei Hassgefühle gegen Bedienstete der Justizvollzugsanstalt gehegt habe; er habe sich sogar an einer Kranzspende für einen verstorbenen Beamten beteiligt. Außerdem habe er nun von einem Bediensteten der Justizvollzugsanstalt Bochum erfahren, dass zum Zeitpunkt der Verlegung dort allgemein bekannt gewesen sei, dass Herr F. nach Norddeutschland versetzt werde. Folglich habe für diesen keinerlei Gefahr bestanden. Dies bestärke das Bild, dass der angegebene Grund für die Verlegung nur vorgeschoben sei.

5. Das Landgericht Bochum wies den Antrag mit angegriffenem Beschluss vom 6. Dezember 2006 zurück. Die Verlegung sei rechts- und ermessensfehlerfrei erfolgt. Die Justizvollzugsanstalt W. sei die für den Beschwerdeführer zuständige Anstalt; die Gründe für die von der Einweisungsentschließung abweichende Unterbringung in der Justizvollzugsanstalt Bochum seien entfallen. Es sei rechtlich nicht zu beanstanden, dass die Justizvollzugsanstalt die Angaben eines als vertrauens- und glaubwürdig eingeschätzten Mitgefangenen als Anlass für die Verlegung genommen habe. Ein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln, bestehe nicht. Dass die fragliche Adresse nicht gefunden worden sei, beweise nichts, da es der allgemeinen Lebenserfahrung entspreche, dass nicht jedes Versteck bei Kontrollen entdeckt werde. Nicht zu beanstanden sei auch die Vorenthaltung der Zeugenaussage, da diesem die Vertraulichkeit zugesagt worden sei. Eine andere Maßnahme als die Verlegung sei nicht in Betracht gekommen, zumal der Belastungszeuge in der Justizvollzugsanstalt Bochum verblieben sei.

6. Gegen diese Entscheidung erhob der Beschwerdeführer mit Anwaltsschreiben vom 13. Januar 2007 Rechtsbeschwerde beim Oberlandesgericht. Er machte vor allem geltend, das Landgericht habe den Sachvortrag der Behörde ungeprüft seiner - der Sache nach auf § 85 StVollzG gestützten - Entscheidung zugrundegelegt.

Die von der Gegenseite angeführte Stellungnahme der zuständigen Sozialarbeiterin, die die Glaubwürdigkeit des Belastungszeugen habe belegen sollen, sei im Verfahren nicht vorgelegt worden. Dennoch beziehe sich das Gericht hierauf. Obwohl er die Behauptungen der Justizvollzugsanstalt im Einzelnen bestritten habe, sei kein Beweis erhoben worden. Auch die schwerwiegenden mit der Verlegung verbundenen Beeinträchtigungen seien nicht hinreichend gewürdigt worden, so dass die Ermessensüberprüfung fehlerhaft sei.

7. Das Oberlandesgericht Hamm verwarf die Rechtsbeschwerde durch ebenfalls angegriffenen Beschluss vom 8. Februar 2007 als unzulässig, da die Voraussetzungen des § 116 Abs. 1 StVollzG nicht vorlägen.

Die Verfahrensakte - LG Bochum Vollz E 395/06 - hat der Kammer vorgelegen.

II.

1. Mit seiner Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen den Beschluss des Landgerichts und des Oberlandesgerichts. Er rügt eine Verletzung seiner Rechte aus Art. 1 Abs. 1 und 2, Art. 2 Abs. 2, Art. 19 Abs. 4, Art. 20 Abs. 3 und Art. 104 Abs. 1 und 2 GG. Im Wesentlichen beanstandet er, das Landgericht habe die Sachverhaltsdarstellung der Justizvollzugsanstalt ungeprüft als wahr übernommen; richtigerweise hätte es eine Beweisaufnahme durchführen müssen. Auch habe es die mit der Verlegung für den Beschwerdeführer verbundenen Beeinträchtigungen nicht zutreffend gewürdigt.

2. Das Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen hatte Gelegenheit zur Stellungnahme.

III.

Die Verfassungsbeschwerde wird gemäß § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG zur Entscheidung angenommen, weil dies zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers angezeigt ist. Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung liegen vor (§ 93c Abs. 1 BVerfGG).

Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig und in einer die Entscheidungszuständigkeit der Kammer begründenden Weise offensichtlich begründet (§ 93c Abs. 1 BVerfGG). Der Beschluss des Landgerichts Bochum verstößt gegen Art. 19 Abs. 4 GG, weil er auf unzureichender Aufklärung des entscheidungserheblichen Sachverhalts beruht.

1. Die Verlegung eines Strafgefangenen in eine andere Justizvollzugsanstalt greift, wenn sie ohne seinen Willen erfolgt, in das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG ein und kann für ihn mit schwerwiegenden Beeinträchtigungen verbunden sein (vgl. BVerfGK 6, 260 <264>; 8, 307 <309>). Die fachgerichtliche Überprüfung grundrechtseingreifender Maßnahmen kann die rechtsstaatlich gebotene Beachtung des geltenden Rechts und den effektiven Schutz der berührten materiellen Rechte nur gewährleisten, wenn sie auf zureichender Aufklärung des jeweiligen Sachverhalts beruht (vgl. BVerfGE 101, 275 <294 f.>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 19. Oktober 2004 - 2 BvR 779/04 -, EuGRZ 2004, S. 656 <659>). Dies gilt auch für die gerichtliche Überprüfung eingreifender Maßnahmen im Strafvollzug. Das Rechtsstaatsprinzip, die materiell berührten Grundrechte und das Grundrecht aus Art. 19 Abs. 4 GG sind verletzt, wenn grundrechtseingreifende Maßnahmen im Strafvollzug von den Gerichten ohne zureichende Sachverhaltsaufklärung als rechtmäßig bestätigt werden (vgl. BVerfG, Beschlüsse der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 13. April 1999 - 2 BvR 827/98 -, NStZ 1999, S. 428 <429>, vom 12. November 1997 - 2 BvR 615/97 -, NStZ-RR 1998, S. 121 <122>, vom 24. Oktober 2006 - 2 BvR 30/06 -, juris, und vom 30. November 2006 - 2 BvR 1418/05 -, NStZ-RR 2007, S. 92 <93>).

2. Die daraus sich ergebenden Anforderungen hat das Landgericht verkannt.

a) Die der Verlegung zugrundeliegenden Umstände hat es nicht näher aufgeklärt, obwohl diese zwischen den Beteiligten in wesentlichen Punkten streitig waren und nähere Sachverhaltsfeststellungen geboten gewesen wären.

Gemäß § 85 StVollzG kann ein Gefangener in eine Anstalt verlegt werden, die zu seiner sicheren Unterbringung besser geeignet ist, wenn in erhöhtem Maße Fluchtgefahr gegeben ist oder sonst sein Verhalten oder sein Zustand eine Gefahr für die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt darstellt (vgl. auch BVerfGK 6, 260 <265>).

Ohne sich auf diese Bestimmung ausdrücklich zu beziehen und das Vorliegen ihrer tatbestandlichen Voraussetzungen ausdrücklich zu prüfen, hat das Gericht sich darauf beschränkt, die behördlicherseits angeführten Tatsachen und daraus gezogenen Schlussfolgerungen mit der Erklärung zu übernehmen, ein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln, sei nicht ersichtlich, und die vertrauliche Behandlung der Aussage des Mitgefangenen sei im Hinblick auf die entsprechende, dem Mitgefangenen zu seinem Schutz gegebene Zusicherung nicht zu beanstanden. Damit hat das Gericht den Sachverhalt nicht in dem gebotenen Umfang aufgeklärt. Zwar kann - bei Unaufklärbarkeit des Sachverhalts oder als vorläufige Maßnahme während noch laufender Sachverhaltsaufklärung - im Interesse wirksamer Gefahrenabwehr eine Verlegung auch auf der Grundlage bloßer Verdachtsgründe nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zulässig sein (vgl. zur Ablösung aus dem offenen Vollzug BVerfGK 2, 318 <322>). Dies bedeutet aber nicht, dass das mit der Prüfung der Rechtmäßigkeit einer Verlegung befasste Gericht sich der rechtsstaatlichen Pflicht, den entscheidungserheblichen Sachverhalt mit den verfügbaren Mitteln aufzuklären (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 24. Januar 2008 - 2 BvR 1661/06 -, www.bverfg.de, m.w.N.), entziehen dürfte.

Von den relevanten Tatsachenfeststellungen, auf die die Justizbehörden sich gestützt hatten, war jedoch nur die in einem früheren Disziplinarverfahren festgestellte Weitergabe der Telefonnummer des Herrn F. an den ehrenamtlichen Betreuer des Beschwerdeführers unstreitig. Dass diese - wenn auch unberechtigte - Weitergabe für sich allein auf eine Gefährdung des Abteilungsleiters hindeute und eine Verlegung rechtfertige, ist im Verfahren zu keinem Zeitpunkt angenommen worden und liegt nach den geschilderten Umständen auch fern.

Alles Weitere war demgegenüber streitig: Der Beschwerdeführer hatte den Vorfall, den der Mitgefangene geschildert haben soll, stets abgestritten; ebenso hatte er Hassgefühle auf die Vollzugsbediensteten und Gewaltphantasien in Abrede gestellt. Die Anstalt hat den Mitgefangenen, auf dessen belastende Aussage sie sich stützt, nicht namentlich benannt und dessen Aussage nicht wörtlich, sondern lediglich indirekt wiedergegeben. Die Einschätzung seiner Glaubwürdigkeit durch die Anstaltspsychologin wurde ebenfalls nicht näher belegt. Ebensowenig wurden Einzelheiten zu dem behaupteten Hass auf den Abteilungsleiter F. und zu den behaupteten Tötungsphantasien des Beschwerdeführers geschildert. Dem Beschwerdeführer standen demgegenüber keine weitergehenden Verteidigungsmöglichkeiten als die zu Gebote, die er genutzt beziehungsweise zu nutzen verlangt hat.

Schon von den unbestritten bestehenden Möglichkeiten zu weiterer Aufklärung - Heranziehung des Disziplinarvorgangs und der dem Landesjustizvollzugsamt vorliegenden Dokumentation der Glaubwürdigkeitseinschätzung durch die Psychologin, Anhörung der beiderseits benannten Zeugen - hat das Landgericht keinen Gebrauch gemacht. Auch mit dem Vortrag, bereits zum Zeitpunkt der Verlegungsentscheidung habe festgestanden, dass der Abteilungsleiter das Bundesland verlassen werde und somit eine Gefährdung auszuschließen sei, hat das Gericht sich nicht auseinandergesetzt.

Das Landgericht hat sich zudem nicht mit den Abwägungsfragen auseinandergesetzt, die - auch unter Berücksichtigung des in Strafvollzugssachen nach §§ 109 ff. StVollzG geltenden Freibeweisverfahrens - im Hinblick auf den jedem Rechtsschutzsuchenden zustehenden Anspruch auf ein faires Verfahren (vgl. BVerfGE 110, 339 <342>; 118, 212 <231> - stRspr) dadurch aufgeworfen werden, dass die Justizvollzugsanstalt nicht bereit war, den Namen des Informanten zu nennen, auf dessen Aussage sie sich stützte (vgl. für den Strafprozess BVerfG, Beschluss vom 26. Mai 1981 - 2 BvR 215/81 -, NJW 1981, S. 1719 <1721 ff.>). Nutzbarkeit und Beweiswert von Mitteilungen über Aussagen, die einem Gericht nur in dieser mittelbaren Weise zugänglich gemacht werden, bedürfen besonderer, kritischer Prüfung und Begründung (vgl. BVerfG, a.a.O. S. 1722; speziell für das Verfahren in Strafvollzugssachen OLG Frankfurt, Beschluss vom 11. Juli 1980, NStZ 1981, S. 117). Dem trägt der Beschluss des Landgerichts nicht Rechnung.

b) Die unzureichende Sachverhaltsermittlung ist nicht deshalb im Ergebnis belanglos, weil das Landgericht, auch insoweit dem Widerspruchsbescheid folgend, neben Sicherheitsgründen zur Rechtfertigung der Verlegung angeführt hat, dass die Justizvollzugsanstalt Werl die nach dem Vollstreckungsplan für den Beschwerdeführer zuständige Anstalt sei und dass die Gründe für die frühere Abweichung von der Einweisungsentschließung entfallen seien.

Gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 2 StVollzG kann der Gefangene abweichend vom Vollstreckungsplan in eine andere für den Vollzug der Freiheitsstrafe zuständige Anstalt verlegt werden, wenn dies entweder aus Gründen der Vollzugsorganisation oder aus anderen Gründen erforderlich ist. Die hier verfügte Verlegung des Beschwerdeführers in die nach dem Vollstreckungsplan zuständige Anstalt ist von der Vorschrift nicht ausdrücklich erfasst. Da die in § 8 Abs. 1 StVollzG aufgeführten Gründe sogar eine Verlegung in Abweichung vom Vollstreckungsplan zulassen, erscheint eine Auslegung, der zufolge diese Gründe in entsprechender Anwendung erst recht für eine Verlegung des zunächst abweichend vom Vollstreckungsplan Untergebrachten in die eigentlich zuständige Anstalt gelten, zwar vertretbar. Entfällt später der Grund für die Verlegung in die eigentlich unzuständige Justizvollzugsanstalt, kann aber angesichts des Gewichts der durch eine Verlegung betroffenen grundrechtlichen Belange des Gefangenen (vgl. BVerfGK 6, 260 <264>; 8, 307 <309>) dieser Umstand allein nicht ohne weiteres als ein "wichtiger Grund" gelten, der die Rückverlegung in die nach dem Vollstreckungsplan vorgesehene Anstalt rechtfertigt (vgl. OLG Bremen, Beschluss vom 24. Juli 1995, ZfStrVO 1996, S. 310). Die ergänzend angeführte Einschätzung des Anstaltspsychologen hat das Gericht ebenfalls ohne Prüfung der Einwände des Beschwerdeführers übernommen.

c) Ob durch die angegriffene Entscheidung weitere Grundrechte des Beschwerdeführers verletzt sind, kann angesichts des festgestellten Verstoßes gegen Art. 19 Abs. 4 GG offenbleiben.

d) Die Entscheidung beruht auf dem festgestellten Grundrechtsverstoß. Sie ist daher gemäß § 93c Abs. 2, § 95 Abs. 2 BVerfGG aufzuheben und die Sache ist zur Entscheidung an das Landgericht zurückzuverweisen (§ 93c Abs. 2, § 95 Abs. 2 BVerfGG). Der Beschluss des Oberlandesgerichts Hamm wird damit gegenstandslos.

Das Landgericht wird bei erneuter Entscheidung zu bedenken haben, dass der Beschwerdeführer einen Anspruch nicht nur auf Einhaltung der tatbestandlichen gesetzlichen Verlegungsvoraussetzungen, sondern auch auf eine fehlerfreie Ermessensausübung hat, die dem verfassungsrechtlichen Gewicht des Resozialisierungsziels und den für die Erreichbarkeit dieses Ziels maßgeblichen Umständen Rechnung trägt. Explizite Ermessenserwägungen der Justizvollzugsanstalt hierzu fehlen; der Widerspruchsbescheid beschränkt sich auf die Aussage, ein wesentlicher Nachteil für den Beschwerdeführer sei nicht erkennbar. Der Beschwerdeführer ist dem in seinem Antrag auf gerichtliche Entscheidung entgegengetreten und hat auf den erschwerten Kontakt mit seinem ehrenamtlichen Betreuer, seinem Anwalt und seiner Familie, auf den Wegfall von Lockerungen in Form von Ausführungen oder Ausgängen und auf den Abbruch von Therapiemaßnahmen hingewiesen. Die verschiedenen im gerichtlichen Verfahren abgegebenen Stellungnahmen der Justizvollzugsanstalt sind auf diese Gesichtspunkte bislang nicht eingegangen.

Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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