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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 11.05.2004
Aktenzeichen: 2 BvR 693/04
Rechtsgebiete: NGO, BVerfGG, Nds. StGHG, GG, NV


Vorschriften:

NGO § 77 Abs. 1
BVerfGG § 13 Nr. 8a
BVerfGG § 34 Abs. 2
BVerfGG § 91
BVerfGG § 91 Satz 2
BVerfGG § 93a
BVerfGG § 93b
Nds. StGHG § 8 Nr. 10
Nds. StGHG § 36
GG Art. 28
GG Art. 28 Abs. 2
GG Art. 93 Abs. 1 Nr. 4b
NV Art. 54 Nr. 5
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 2 BvR 693/04 -

In dem Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerde

gegen a) den Beschluss des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 5. März 2004 - 10 LA 49/03 -,

b) das Urteil des Verwaltungsgerichts Lüneburg vom 12. Februar 2003 - 5 A 243/02 -,

c) mittelbar: § 77 Abs. 1 der Niedersächsischen Gemeindeordnung

hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Vizepräsidenten Hassemer, die Richterin Osterloh und den Richter Mellinghoff gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473)

am 11. Mai 2004 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Der Beschwerdeführerin wird eine Missbrauchsgebühr in Höhe von 1.000 EURO (in Worten: eintausend Euro) auferlegt.

Gründe:

I.

Die Beschwerdeführerin ist Mitgliedsgemeinde einer niedersächsischen Samtgemeinde. Auf Grund eines Beschlusses ihres Rates erklärte sie gegenüber der Samtgemeinde ihren Austritt aus der Samtgemeinde und bat diese, ihre Hauptsatzung entsprechend zu ändern. Eine solche Änderung lehnte die Samtgemeinde ab.

Die Beschwerdeführerin erhob daraufhin Klage mit dem Antrag festzustellen, dass sie nicht mehr Mitglied der Samtgemeinde sei. Das Verwaltungsgericht Lüneburg wies diese Klage ab. An der rechtmäßigen Bildung der Samtgemeinde und der ursprünglichen Mitgliedschaft der Beschwerdeführerin bestünden keine Zweifel. Eine Mitgliedsgemeinde könne ihre Zugehörigkeit zur Samtgemeinde nicht durch eine einseitige Austritts- oder Kündigungserklärung beenden. § 77 Abs. 1 NGO verlange vielmehr neben dem Einverständnis der ausscheidenden Gemeinde eine Änderung der Hauptsatzung der Samtgemeinde, die nur zulässig sei, wenn Gründe des öffentlichen Wohls nicht entgegenstünden. Die Hauptsatzung sei indes nicht geändert worden.

Den Antrag der Beschwerdeführerin auf Zulassung der Berufung lehnte das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht ab. Ein Zulassungsgrund bestehe nicht, weil der Vortrag der Beschwerdeführerin nicht geeignet sei, die Richtigkeit des angefochtenen Urteils in Zweifel zu ziehen.

II.

Mit ihrer Verfassungsbeschwerde macht die Beschwerdeführerin geltend, die Anwendung der Niedersächsischen Gemeindeordnung durch das Verwaltungsgericht und das Oberverwaltungsgericht verletze Art. 28 GG. Es verstoße gegen ihr Recht auf Selbstverwaltung und auch gegen das Demokratieprinzip, dass eine Gemeinde nicht allein über ihr Verbleiben in einer Samtgemeinde entscheiden könne, sondern von einer Entscheidung der Samtgemeinde abhängig sei. Die Vorschriften der Niedersächsischen Gemeindeordnung, die ein Ausscheiden aus einer Samtgemeinde nicht durch einseitige Erklärung der Gemeinde ermöglichten, seien mit Art. 28 Abs. 2 GG nicht vereinbar.

III.

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil ein Annahmegrund fehlt. Grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung kommt ihr nicht zu, und sie dient auch nicht der Durchsetzung der Rechte der Beschwerdeführerin aus Art. 28 GG. Die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg.

Die Verfassungsbeschwerde ist offensichtlich unzulässig. Die Beschwerdeführerin hat die Voraussetzungen, die an eine zulässige Verfassungsbeschwerde einer Gemeinde zu stellen sind, in mehrfacher Hinsicht grob verkannt.

1. Soweit sich die Beschwerdeführerin gegen die Bestimmungen der Niedersächsischen Gemeindeordnung wendet, die das Ausscheiden einer Mitgliedsgemeinde aus einer Samtgemeinde regeln, benennt sie ein Landesgesetz als tauglichen Prüfungsgegenstand einer Verfassungsbeschwerde. Die Verfassungsbeschwerde gegen ein Landesgesetz kann aber nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4b GG, § 13 Nr. 8a, § 91 Satz 2 BVerfGG zum Bundesverfassungsgericht nur dann erhoben werden, wenn eine Beschwerde wegen der Verletzung des Rechts auf Selbstverwaltung zum Landesverfassungsgericht nicht möglich ist. Die Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht ist insoweit subsidiär gegenüber einem Verfahren vor dem Landesverfassungsgericht. Daran scheitert die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführerin, denn Art. 54 Nr. 5 NV, § 8 Nr. 10, § 36 Nds. StGHG sehen eine zum Niedersächsischen Staatsgerichtshof zu erhebende Verfassungsbeschwerde von Gemeinden wegen einer Verletzung des Rechts auf Selbstverwaltung durch ein Landesgesetz vor.

2. Soweit sich die Beschwerdeführerin gegen die ergangenen gerichtlichen Entscheidungen wendet, ist ihre Verfassungsbeschwerde unzulässig, weil sich die Verfassungsbeschwerde einer Gemeinde nur gegen ein Gesetz richten kann (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4b GG, § 91 Satz 1 BVerfGG). Andere Maßnahmen öffentlicher Gewalt als Rechtsnormen können in dieser Verfahrensart nicht zur Prüfung durch das Bundesverfassungsgericht gestellt werden.

IV.

Das Auferlegen einer Missbrauchsgebühr beruht auf § 34 Abs. 2 BVerfGG. Die Beschwerdeführerin hat die Voraussetzungen der Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde, die sich aus dem klaren Wortlaut des Art. 93 Abs. 1 Nr. 4b GG und des § 91 BVerfGG ergeben, so eklatant missachtet, dass ihre Verfassungsbeschwerde als missbräuchlich zu beurteilen ist.

Es ist Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts, grundsätzliche Verfassungsfragen zu entscheiden, die für das Staatsleben und die Allgemeinheit von Bedeutung sind, und - wo nötig - die Grundrechte des Einzelnen durchzusetzen. Das Bundesverfassungsgericht ist nicht gehalten hinzunehmen, dass es in der Erfüllung dieser Aufgaben durch - wie hier - an gravierenden Zulässigkeitsmängeln leidende Verfassungsbeschwerden behindert wird (stRspr; vgl. z.B. BVerfG, NJW 1995, S. 1418, NStZ 1998, S. 363). Der Beschwerdeführerin war zuzumuten, wenigstens durch ihren anwaltlichen Vertreter vor Einlegung der Verfassungsbeschwerde die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu den Zulässigkeitsvoraussetzungen der Kommunalverfassungsbeschwerde zu ermitteln. Eine Sorgfaltspflichtverletzung ihres Verfahrensbevollmächtigten muss sich die Beschwerdeführerin zurechnen lassen. Sollte die Einlegung der Verfassungsbeschwerde auf unzulänglicher anwaltlicher Beratung beruhen, mag die Beschwerdeführerin gegebenenfalls einen Regressanspruch geltend machen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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