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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 08.04.2004
Aktenzeichen: 2 BvR 743/03
Rechtsgebiete: GG


Vorschriften:

GG Art. 103 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

IM NAMEN DES VOLKES

- 2 BvR 743/03 -

In dem Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerde

gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 25. März 2003 - 64 S 289/02 -

hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Vizepräsidenten Hassemer, die Richterin Osterloh und den Richter Mellinghoff gemäß § 93c in Verbindung mit §§ 93a, 93b BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473)am 8. April 2004 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Das Urteil des Landgerichts Berlin vom 25. März 2003 - 64 S 289/02 - verletzt die Beschwerdeführerinnen in ihrem grundrechtsgleichen Recht aus Artikel 103 Absatz 1 des Grundgesetzes. Das Urteil wird aufgehoben. Die Sache wird an das Landgericht zurückverwiesen.

Das Land Berlin hat den Beschwerdeführerinnen die ihnen im Verfassungsbeschwerde-Verfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu erstatten.

Der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit wird auf 4.000 € (in Worten: viertausend Euro) festgesetzt.

Gründe:

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör wegen Nichtberücksichtung eines erheblichen Beweisantritts.

I.

1. Der Kläger des Ausgangsverfahrens verlangte von den Beschwerdeführerinnen u.a. restliche Mietzahlungen, nachdem die Beschwerdeführerinnen vor Ablauf der Kündigungsfrist ausgezogen waren und die Schlüssel dem Bruder des Klägers übergeben hatten. Die Beschwerdeführerinnen machten geltend, sie hätten mit dem Kläger eine Mietaufhebungsvereinbarung geschlossen.

Das Amtsgericht Spandau wies die Klage ohne Beweisaufnahme ab, da ein Mietzinsanspruch für die verbleibende Mietzeit nach § 537 Abs. 2 BGB n.F. wegen Überlassens der Mietsache an den Bruder des Klägers ausgeschlossen sei.

Auf die Berufung des Klägers bestimmte das Landgericht mit Verfügung vom 14. Januar 2003 Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 25. Februar 2003. Zugleich wurde den Beschwerdeführerinnen aufgegeben, bis 11. Februar 2003 unter Beweisantritt auf die Berufungsbegründung zu erwidern. In der mündlichen Verhandlung schlossen die Parteien einen Vergleich, der in der Folge von den Beschwerdeführerinnen widerrufen wurde.

Mit der angefochtenen Entscheidung hob das Landgericht die erstinstanzliche Entscheidung hinsichtlich der Klagabweisung auf und verurteilte die Beschwerdeführerinnen zur Zahlung von € 1.188,75. Entgegen dem Amtsgericht sah es die Voraussetzungen des § 537 Abs. 2 BGB als nicht gegeben an. Eine Mietaufhebungsvereinbarung hätten die Beschwerdeführerinnen nicht nachgewiesen. Zwar hätten sie ihre streitige Behauptung unter Benennung von drei Zeugen unter Beweis gestellt, aber trotz Fristsetzung gemäß § 379 Satz 1 ZPO durch die Verfügung vom 14. Januar 2003 weder Auslagenvorschüsse eingezahlt noch Gebührenverzichtserklärungen beigebracht, so dass die Ladung gemäß § 379 ZPO unterblieben sei und die Beweismittel zwecks Vermeidung einer Verfahrensverzögerung nicht mehr benutzt werden könnten, § 356 ZPO.

2. Mit ihrer fristgemäß erhobenen Verfassungsbeschwerde rügen die Beschwerdeführerinnen die Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG.

Das Landgericht habe ihnen nie, auch nicht mit der Verfügung vom 14. Januar 2003, eine Frist zur Zahlung eines Kostenvorschusses gesetzt. Die Nichtzahlung des Kostenvorschusses führe im Übrigen auch nicht zum Ausschluss der Beweismittel. Das Gericht könne den Beweisantrag vielmehr nur unter den Voraussetzungen des § 296 Abs. 2 ZPO zurückweisen, d.h. wenn die Verspätung auf grober Nachlässigkeit beruhe. Soweit sich das Landgericht auf § 356 ZPO stütze, übersehe es, dass auch diese Vorschrift eine Fristsetzung als zwingende Voraussetzung vorsehe. Das Landgericht habe sich mit den einschlägigen zivilprozessualen Vorschriften in keiner Weise auseinandergesetzt.

3. Der Senatsverwaltung für Justiz Berlin und dem Kläger des Ausgangsverfahrens wurde Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.

II.

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung des Anspruchs der Beschwerdeführerinnen auf Gewährung rechtlichen Gehörs angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Auch die weiteren Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung nach § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG liegen vor.

1. Das angegriffene Urteil verletzt die Beschwerdeführerinnen in ihrem grundrechtsgleichen Recht aus Art. 103 Abs. 1 GG.

a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verpflichtet Art. 103 Abs. 1 GG das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Dabei soll das Gebot des rechtlichen Gehörs als Prozessgrundrecht sicherstellen, dass die von den Fachgerichten zu treffende Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, welche ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Parteien haben. In diesem Sinne gebietet Art. 103 Abs. 1 GG in Verbindung mit den Grundsätzen der Zivilprozessordnung die Berücksichtigung erheblicher Beweisanträge. Zwar gewährt Art. 103 Abs. 1 GG keinen Schutz dagegen, dass das Gericht das Vorbringen der Beteiligten aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts ganz oder teilweise unberücksichtigt lässt. Die Nichtberücksichtigung eines von den Fachgerichten als erheblich angesehenen Beweisangebots verstößt aber dann gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze mehr findet (BVerfGE 69, 141 <143 f.>).

Gemessen an diesen Grundsätzen hält die angegriffene Entscheidung einer verfassungsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Das Landgericht hat die unter Beweis gestellte Behauptung der Beschwerdeführerinnen zur vereinbarten Vertragsaufhebung für erheblich angesehen, die Durchführung der Beweisaufnahme aber aus Gründen abgelehnt, die im Prozessrecht keine Stütze mehr finden.

§ 379 Satz 1 ZPO eröffnet die Möglichkeit, die Ladung eines Zeugen von der Zahlung eines Vorschusses abhängig zu machen. Wird dieser Vorschuss nicht innerhalb der vom Gericht gesetzten Frist bezahlt, unterbleibt die Ladung des Zeugen (§ 379 Satz 2 1. Halbsatz ZPO), ohne dass es einer Androhung dieser Folge bedürfte (§ 231 Abs. 1 ZPO; BGH, NJW 1998, S. 761 f.). Das Beweismittel ist jedoch nicht präkludiert. Die Partei ist nicht gehindert, den Zeugen im Termin zu stellen oder bis zur letzten mündlichen Verhandlung den Antrag auf Zeugenvernehmung aufrecht zu erhalten (BGH, NJW 1998, S. 761 <762>; NJW 1980, S. 343 <344>; NJW 1982, S. 2559). Das Gericht kann, wenn es dem Beweisantrag nicht stattgeben will, diesen nur unter den Voraussetzungen des § 296 Abs. 2 ZPO zurückweisen, d.h. wenn die Verspätung auf grober Nachlässigkeit beruht (vgl. BVerfGE 69, 145 <149 f.>; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 17. September 1999 - 1 BvR 47/99 -, NJW 2000, S. 1327).

Soweit die Nichtzahlung des Vorschusses auch als Hindernis im Sinne des § 356 ZPO angesehen wird (vgl. Greger, in: Zöller, ZPO, 24. Aufl. 2004, § 356 Rn. 2), besteht die Möglichkeit einer Zurückweisung nach § 356 ZPO, ohne dass es einer zweiten Fristsetzung bedarf (BGH, NJW 1998, S. 761 <762>). Notwendige Voraussetzung der Nichterhebung des Beweises ist jedoch sowohl bei Anwendung von § 379 ZPO als auch von § 356 ZPO die Anordnung der Vorschusszahlung unter Fristsetzung.

Das Landgericht hat sich in dem angegriffenen Urteil hinsichtlich der Nichtdurchführung der Beweisaufnahme auf diese Vorschriften berufen. Der Vorsitzende Richter hat die Zeugenladung und Vorschussanforderung auch handschriftlich unter Fristsetzung angeordnet. Die davon angefertigte Leseabschrift ist jedoch unvollständig und umfasst gerade nicht die Vorschussanforderung unter Fristsetzung. Zwar sollte nach der Verfügung der Geschäftsstelle beiden Prozessbevollmächtigten mit der Terminsladung auch Ziffer 3 der richterlichen Verfügung vom 14. Januar 2003, d.h. die Vorschussanforderung, gegen Empfangsbescheinigung zugestellt werden. Der durch die Beschwerdeführerinnen vorgelegten Verfügung, die mit der Leseabschrift identisch ist, lässt sich aber weder eine Vorschussanforderung noch auch nur die Absicht einer Zeugenladung entnehmen. Die gesetzte Frist betraf allein die Berufungserwiderung.

Auch wenn die Übersendung der unvollständigen richterlichen Verfügung auf einem Versehen beruhte, waren die Voraussetzungen der §§ 379, 356 ZPO damit nicht erfüllt. Die nunmehr mit einer Beweisaufnahme verbundene Verfahrensverzögerung, auf die das Landgericht abgestellt hat, genügt allein nicht für eine Zurückweisung des Beweismittels. Sonstige Ausschlussgründe, insbesondere eine Präklusion der Beweismittel, wurden vom Landgericht nicht geprüft und vermögen die Nichterhebung des Zeugenbeweises damit nicht zu begründen.

b) Das angegriffene Urteil beruht auf der dargelegten Rechtsverletzung. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Landgericht anders entschieden hätte, wenn es die von den Beschwerdeführerinnen benannten Zeugen vernommen hätte.

2. Da das angegriffene Urteil schon wegen der Nichterhebung der angebotenen Beweise gegen Art. 103 Abs. 1 GG verstößt und keinen Bestand hat, braucht nicht entschieden zu werden, ob das Landgericht darüber hinaus eine Überraschungsentscheidung getroffen hat.

III.

Die Festsetzung des Gegenstandswerts ergibt sich aus § 113 Abs. 2 Satz 3 BRAGO (vgl. BVerfGE 79, 365 <366 ff.>).

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.



Ende der Entscheidung

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