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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 18.02.2002
Aktenzeichen: 2 BvR 863/01
Rechtsgebiete: BVerfGG, BtMG, GG


Vorschriften:

BVerfGG § 93c
BVerfGG § 93a
BVerfGG § 93b
BVerfGG § 34a Abs. 2
BtMG § 29a
BtMG § 29a Abs. 1 Nr. 2
GG Art. 13
GG Art. 20 Abs. 3
GG Art. 13 Abs. 1
GG Art. 19 Abs. 4
GG Art. 13 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 2 BvR 863/01 -

IM NAMEN DES VOLKES

In dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde

gegen

a) den Beschluss des Landgerichts Cottbus vom 9. April 2001 - 26 Qs 31/01 -,

b) den Beschluss des Amtsgerichts Lübben vom 9. November 2000 - 40 Gs 73/00 -

hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch die Richterin Präsidentin Limbach und die Richter Hassemer, Mellinghoff gemäß § 93c in Verbindung mit §§ 93a, 93b BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473)

am 18. Februar 2002 einstimmig beschlossen:

Tenor:

1. Die Beschlüsse des Landgerichts Cottbus vom 9. April 2001 - 26 Qs 31/01 - und des Amtsgerichts Lübben vom 9. November 2000 - 40 Gs 73/00 - verletzen den Beschwerdeführer in seinen Grundrechten aus Artikel 13 Absatz 1, Absatz 2 in Verbindung mit Artikel 19 Absatz 4 des Grundgesetzes. Sie werden aufgehoben.

Die Sache wird an das Amtsgericht Lübben zurückverwiesen.

2. Das Land Brandenburg hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.

Gründe:

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Anordnung einer Durchsuchung im Strafverfahren.

I.

Das Amtsgericht ordnete die Durchsuchung von Person, Wohn- und Nebenräumen sowie Kraftfahrzeugen des Beschwerdeführers an. Er sei "nach dem bisherigen Ergebnis der Ermittlungen verdächtig, mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge Handel zu treiben (§ 29a BtmG)." Bei der Schwere der Taten und der Stärke des Tatverdachts sei die Maßnahme verhältnismäßig.

Das Landgericht verwarf nach erfolgloser Durchführung der Durchsuchung die gegen die Anordnung der Maßnahme gerichtete Beschwerde als unbegründet. Zur Begründung führte es aus:

"Nach der Aktenlage besteht gegen den Beschuldigten ein Anfangsverdacht wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge.

Die Durchsuchungsanordnung war auch nicht unverhältnismäßig. Der Grundrechtseingriff war auf Grund der Schwere der Tat, derer der Beschuldigte verdächtigt wird, gerechtfertigt."

II.

Der Beschwerdeführer sieht sich in seinen Rechten aus Art. 13, 19 Abs. 4, 20 Abs. 3 GG verletzt. Die angegriffenen Entscheidungen enthielten keine nachvollziehbare Begründung.

III.

Die Regierung des Landes Brandenburg hatte Gelegenheit zur Stellungnahme. Sie hat sich nicht geäußert.

IV.

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung der Rechte des Beschwerdeführers angezeigt ist; ihm entstünde durch die Versagung der Entscheidung ein besonders schwerer Nachteil (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung liegen vor (§ 93c Abs. 1 BVerfGG). Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen Fragen hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden (vgl. BVerfGE 42, 212 <220>; 44, 353 <371 f.>; 59, 95 <97>; 71, 64 <65>; 96, 27 <39 ff.>; 103, 142 <150 ff.>). Die angegriffenen Beschlüsse verletzen den Beschwerdeführer offensichtlich in seinen Rechten aus Art. 13 Abs. 1 und 2 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG.

Der Richtervorbehalt nach Art. 13 Abs. 2 GG erfüllt eine präventive Rechtsschutzfunktion, zumal wenn die Anordnung - wie regelmäßig - ohne vorherige Anhörung des Betroffenen ergeht. Es ist Aufgabe des Richters, die Voraussetzungen für die Anordnung der Durchsuchung eigenverantwortlich zu prüfen (BVerfGE 103, 142 <151>) und dann, wenn er diese Voraussetzungen bejaht, für eine angemessene Begrenzung der Durchführung der angeordneten Zwangsmaßnahme Sorge zu tragen. Ein Durchsuchungsbefehl, der keinerlei tatsächliche Angaben über den Inhalt des Tatvorwurfs enthält und keine Beweisgründe nennt, lässt bereits besorgen, dass es an einer eigenverantwortlichen Prüfung der Voraussetzungen für die Anordnung der Durchsuchung fehlt. Er gestattet es dem Beschuldigten auch nicht, sich sachgerecht gegen den Deliktsvorwurf zu verteidigen und die Durchsuchung seinerseits zu kontrollieren sowie etwaigen Ausuferungen bei ihrer Vollziehung im Rahmen seiner rechtlichen Möglichkeiten von vornherein entgegenzutreten (vgl. BVerfGE 42, 212 <220 f.>; 103, 142 <151 f.>). Die Umschreibung des Tatvorwurfs in der angegriffenen Durchsuchungsanordnung des Amtsgerichts nur mit dem Rechtsbegriff des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge ohne Tatsachenangaben reicht dazu nicht aus (vgl. BVerfGE 44, 353 <371 f.>). Bei dieser Sachlage kann auch die beispielhafte und allgemein gehaltene Umschreibung der Beweis- und Einziehungsgegenstände, denen die Durchsuchung gelten sollte, im angegriffenen Beschluss des Amtsgerichts nicht dazu beitragen, dass die ermittlungsrichterliche Durchsuchungsentscheidung ihre Rechtsschutzfunktion erfüllt.

Umstände, die ausnahmsweise geeignet sein könnten, die rechtsstaatlichen Funktionen zu übernehmen, die in der Regel der schriftliche Durchsuchungsbeschluss zu erfüllen hat (vgl. BVerfGE 44, 353 <372>), sind nicht ersichtlich. Dass Angaben zur Art und Weise der Tatbegehung und zu den Beweisgrundlagen des diesbezüglichen Verdachts aus ermittlungstaktischen Gründen nicht möglich gewesen wären, wurde weder in der erstinstanzlichen Entscheidung noch in der Beschwerdeentscheidung erklärt.

Mangels jeglicher auf den konkreten Einzelfall bezogener Ausführungen kann auch nicht nachvollzogen werden, worauf sich die Behauptung der Verhältnismäßigkeit des Grundrechtseingriffs stützt. Der Hinweis auf den Verbrechenstatbestand des § 29a BtMG allein ermöglicht dies nicht, zumal unklar bleibt, woraus sich die Annahme des Verdachts eines Verbrechens nach § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG ergibt und welche Beweisbedeutung der Durchsuchung zum Auffinden von Sachbeweisen im Rahmen des bisherigen Beweisbildes zukommt.

Deshalb verstößt die ermittlungsrichterliche Entscheidung gegen Art. 13 Abs. 1 und 2 i.V.m. Art. 19 Abs. 4 GG. Die Rechtsmittelentscheidung, die gleichfalls keine auf den Einzelfall bezogene Begründung nennt, lässt den Rechtsschutz des Beschwerdeführers leer laufen (vgl. BVerfGE 96, 27 <39>) und verletzt damit ihrerseits die genannten Rechte des Beschwerdeführers.

V.

Die Beschlüsse des Amtsgerichts und des Landgerichts sind deshalb aufzuheben; die Sache ist an das Amtsgericht zurückzuverweisen (§ 95 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BVerfGG).

Gemäß § 34a Abs. 2 BVerfGG sind dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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