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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 22.06.2009
Aktenzeichen: 2 BvR 882/09
Rechtsgebiete: GG


Vorschriften:

GG Art. 2 Abs. 2
GG Art. 1 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
In dem Verfahren

...

durch

Schreiben des ...klinikums ...

vom 28. September 2006 -

Dr. Atm./Zs. -

hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts

durch

den Vizepräsidenten Voßkuhle,

den Richter Mellinghoff und die Richterin Lübbe-Wolff

gemäß § 32 Abs. 1 in Verbindung mit § 93d Abs. 2 BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl. I S. 1473) am 22. Juni 2009

einstimmig beschlossen:

Tenor:

Dem ...klinikum ... wird bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde, längstens für die Dauer von sechs Monaten, untersagt, die mit Bescheid vom 28. September 2006 angedrohte Zwangsbehandlung des Beschwerdeführers mit einem Neuroleptikum zu vollziehen.

Das Land Rheinland-Pfalz hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen für das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu erstatten.

Gründe:

I.

Die mit einem Eilantrag verbundene Verfassungsbeschwerde betrifft die angedrohte Zwangsbehandlung eines nicht unter Betreuung stehenden Maßregelpatienten mit einem Neuroleptikum.

1.

Der Beschwerdeführer ist seit fast zehn Jahren im Maßregelvollzug untergebracht. Er hatte im Zustand der Schuldunfähigkeit aufgrund einer wahnhaften (paranoiden) Störung mit einer Weinflasche auf seine schlafende Ehefrau eingeschlagen und versucht, diese zu ersticken. Danach hatte er mit einer weiteren Weinflasche auf seine im Bett liegende Tochter eingeschlagen. Beide Opfer erlitten Schnittverletzungen im Gesicht. Das Gericht wertete die Taten als gefährliche Körperverletzung; hinsichtlich des Versuchs der Tötung konnte ein Rücktritt nicht ausgeschlossen werden.

2.

Von Ende Dezember 1999 bis Ende Februar 2000 wurde der Beschwerdeführer mit einem atypischen Neuroleptikum (Zyprexa, 5 mg pro Tag) behandelt. Der Weiterbehandlung verweigerte er sich wegen der Nebenwirkungen (Trockenheit von Lippe und Zunge, verstärkter Speichelfluss).

3.

Im Rahmen der jährlichen Überprüfung der Fortdauer der Unterbringung stellte die externe Sachverständige Prof. Dr. N. im Jahre 2005 fest, dass die für die Anlasstat ursächliche paranoide Psychose fortbestehe; die einzige Chance, den psychischen Zustand zu verbessern, liege in einer medikamentösen Behandlung mit Neuroleptika.

4.

Wegen des unveränderten Krankheitsbildes richtete das Vormundschaftsgericht im Februar 2006 für den Beschwerdeführer zunächst eine Betreuung für den Bereich der Gesundheitsfürsorge ein. Der bestellte Betreuer beantragte im Mai 2006 die Genehmigung für eine medikamentöse Behandlung mit Neuroleptika. Das Vormundschaftsgericht genehmigte eine entsprechende Behandlung. Auf Beschwerde des Beschwerdeführers hob das Landgericht die Entscheidung mit der Begründung auf, die Behandlung sei nicht genehmigungsbedürftig im Sinne des § 1904 BGB, da die beabsichtigte Behandlung nicht den Eintritt eines schweren und länger dauernden Schadens besorgen lasse. Daraufhin lehnte das Vormundschaftsgericht eine Genehmigung der beantragten Behandlung ab. Mit weiterem Beschluss vom 30. November 2006 hob es auch die Betreuung auf, weil der mit der Betreuung verfolgte Zweck der Gesundheitsfürsorge wegen strikter Verweigerung der Zusammenarbeit seitens des Beschwerdeführers nicht erreichbar sei.

5.

Mit Schreiben vom 28. September 2006 kündigte daraufhin die Klinik dem Beschwerdeführer "die Behandlung mit einem geeigneten Neuroleptikum, das eventuell auch gegen Ihren Willen intramuskulär gespritzt wird", an. Ferner müssten während der Verabreichung in regelmäßigen Abständen Blutentnahmen durchgeführt werden, da die Medikamente unter Umständen zu Blutbildveränderungen führen oder auch den Stoffwechsel der Leber beeinträchtigen könnten. In der Verabreichung von Medikamenten sehe die Klinik die einzige Möglichkeit, die wahnhaften Überzeugungen des Beschwerdeführers zu korrigieren.

Als Rechtsgrundlage wurde auf § 6 Abs. 1 des Maßregelvollzugsgesetzes des Landes Rheinland-Pfalz (MVollzG Rh.-Pf.) verwiesen. Danach könnten Behandlungen und Untersuchungen zur Erreichung des Vollzugsziels ohne Einwilligung des untergebrachten Patienten durchgeführt werden.

6.

a)

Entsprechend der in dem Schreiben genannten Belehrung legte der - anwaltlich vertretene - Beschwerdeführer gegen die angekündigte Zwangsmedikation "Beschwerde" ein und beantragte eine externe fachärztliche Begutachtung. Die angedrohte Behandlung sei mit einer erheblichen Gefahr für die Gesundheit verbunden und deshalb nicht gegen seinen Willen zulässig. Die Gefahr ergebe sich schon aus der von der Klinik selbst angeführten Möglichkeit von Blutbildveränderungen und Funktionsbeeinträchtigungen der Leber. Darüber hinaus wirkten die Medikamente persönlichkeitsverändernd. Dem stehe nicht entgegen, dass das Vormundschaftsgericht das Vorliegen eines schweren und länger andauernden gesundheitlichen Schadens verneint habe, denn die Voraussetzungen des § 1904 BGB und des § 6 MVollzG Rh.-Pf. seien selbständig zu beurteilen. Ärztliche Eingriffe dürften zudem, auch wenn sie nicht mit einer erheblichen Gesundheitsgefahr verbunden seien, gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 MVollzG Rh.-Pf. nur bei Lebensgefahr oder schwerwiegender Gesundheitsgefahr für den Untergebrachten oder für Dritte gegen seinen Willen vorgenommen werden. Hieran fehle es. Eine Zwangsmedikation missachte ferner das Verhältnismäßigkeitsprinzip. Schon die Geeignetheit der Behandlung sei - eine psychische Erkrankung unterstellt - zweifelhaft. Eine solche Behandlung habe bereits in der Vergangenheit nicht angeschlagen. Der Gutachter Prof. G. sei in seinem Gutachten vom 12. Juni 2001 von einer alkohol- und eifersuchtsbedingten Psychose ausgegangen, welche mit Neuroleptika nicht erfolgreich behandelt werden könne. Die Behandlung sei auch nicht erforderlich. Der Beschwerdeführer nehme an Therapiesitzungen teil, halte sein Umfeld sauber und verhalte sich für einen Untergebrachten erstaunlich diszipliniert.

b)

Die Strafvollstreckungskammer wies den - als Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 138 Abs. 3, § 109 StVollzG ausgelegten - Antrag mit der Maßgabe zurück, dass eine zwangsweise medikamentöse Therapie mittels atypischer Neuroleptika für einen Zeitraum von sechs Monaten zulässig sei.

Allein die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ermächtige in Verbindung mit § 136 StVollzG nicht zur zwangsweisen Verabreichung von Neuroleptika. Die Zwangsbehandlung sei ein massiver Eingriff in die Grundrechte der Art. 2 Abs. 1 und 2 Satz 1 GG und deshalb nur zulässig, wenn ein Gesetz speziell hierzu ermächtige. Die Zwangsbehandlung von nach § 63 StGB Untergebrachten richte sich nach den einschlägigen landesgesetzlichen Bestimmungen, auf die § 138 Abs. 1 StVollzG verweise. Für Rheinland-Pfalz richte sich die Behandlung nach § 6 MVollzG Rh.-Pf. Dessen Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 (Einwilligungserfordernis für Behandlungsmaßnahmen mit wesentlichem gesundheitlichen Risiko oder Lebensgefahr) sei hier nicht einschlägig. Zutreffende Diagnose, Dosierung und Medikation vorausgesetzt, sei die Behandlung mit Neuroleptika generell nicht mit einer Lebensgefahr oder einer erheblichen Gefahr für die Gesundheit verbunden, da hierdurch eine Veränderung der Persönlichkeit im Kernbereich nicht bewirkt werde. Zu dieser Einschätzung seien auch die behandelnden Fachärzte in ihrer Stellungnahme gelangt; danach bestehe lediglich eine sehr geringe Wahrscheinlichkeit für den Eintritt von schwerwiegenden und länger dauernden Schäden.

Nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 MVollzG Rh.-Pf. seien Maßnahmen ohne jede Einwilligung nur bei besonderer - hier nicht vorliegender - Gefahrenlage erlaubt. Einschlägige Rechtsgrundlage für die Zwangsbehandlung der Anlasserkrankung sei deshalb § 6 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 MVollzG Rh.-Pf. (Behandlung "zur Erreichung des Vollzugsziels"). Die Regelung verstoße nicht gegen Art. 2 GG. Soweit nach dem Wortlaut jede Zwangsbehandlung erlaubt sei, bedürfe die Vorschrift allerdings der verfassungskonformen Auslegung: Bestimmte Voraussetzungen müssten vorliegen, um überhaupt mit der Zwangsbehandlung zu beginnen (Untergrenze); bestimmte Situationen seien andererseits strikt verboten (Obergrenze). Im konkreten Fall bestünden gegen die beabsichtigte Zwangsbehandlung keine Bedenken. Der Beschwerdeführer leide seit Jahren an einer schweren psychischen Erkrankung in Form von Wahnvorstellungen. Infolgedessen hätten ihm bislang keine Lockerungen bewilligt werden können. Vielfältige Versuche, seine Einwilligung in eine medikamentöse Therapie zu erreichen, seien gescheitert. Der Beschwerdeführer sei infolge seiner Erkrankung nicht in der Lage, die Schwere seiner Erkrankung und die Notwendigkeit von Behandlungsmaßnahmen zu beurteilen; er sei deshalb auch nicht zur Einwilligung in der Lage. Das Selbstbestimmungsrecht des Untergebrachten und eine in weniger gewichtigen Fällen grundsätzlich bestehende "Freiheit zur Krankheit" finde dort ihre Grenze, wo eine drohende gewichtige gesundheitliche Schädigung abgewendet werden müsse (unter Hinweis auf BVerfGE 58, 208 <224 ff.>). Die vorgesehene Behandlung mittels atypischer Neuroleptika minimiere eventuell eintretende Nebenwirkungen. Mögliche Nebenwirkungen könne man durch die regelmäßig geplanten Kontrollen beobachten und so schwere oder länger andauernde Schäden ausschließen.

Es bestehe kein Anlass, ein weiteres externes Sachverständigengutachten einzuholen. Seit der umfassenden Begutachtung durch die Sachverständige Prof. Dr. N. im Jahre 2005 habe sich die Behandlungssituation nicht verändert. Bei dem Beschwerdeführer bestünden weiterhin Vergiftungs- und Verschmutzungsideen, die zu konkreten Leibeshalluzinationen führten. Er sei weiterhin davon überzeugt, dass Mitpatienten die Urheber von Verschmutzungen in seinem Zimmer oder im Essen (etwa durch Pulver) seien. Zwar zeige er keinerlei Tätlichkeiten, doch drohe er mit Gewalt für den Fall, dass er Verantwortliche finde.

Die Zwangsbehandlung sei auch nicht unverhältnismäßig. Sie stelle das letztmögliche Mittel dar; die zu erwartenden Nebenwirkungen seien vergleichsweise gering. Dagegen sei mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Besserung der Anlasserkrankung zu erwarten.

Die Behandlung sei aber nach den ärztlichen Darlegungen nur für eine Dauer von sechs Monaten gerechtfertigt; danach müsse gegebenenfalls ein externer Sachverständiger hinzugezogen werden. In jedem Fall bedürfe die neue Entschließung über die Erforderlichkeit der Fortführung der Zwangsmedikation der Dokumentation sowie der Bekanntgabe an den Untergebrachten.

7.

a)

Mit seiner form- und fristgerecht eingelegten Rechtsbeschwerde rügte der Beschwerdeführer erneut, es fehle eine Rechtsgrundlage für die angekündigte Behandlung. Problematisch sei schon, dass das anzuwendende Neuroleptikum nicht genauer konkretisiert worden sei. Entgegen den Wertungen des Gerichts sei bei dem angekündigten Eingriff mit erheblichen gesundheitlichen Auswirkungen zu rechnen, so dass die Behandlung nur mit Einwilligung des Patienten zulässig sei. Auch die sogenannten atypischen Neuroleptika seien mit der Gefahr verschiedener Nebenwirkungen, wie erhebliche Gewichtszunahme, Herzrhythmusstörungen, Knochenmarkstörungen und Veränderungen des Blutbildes, tardive Psychosen und Dyskinesien, Leberschäden, Sexualstörungen, vegetative Schäden, Suizidalität und Abhängigkeit, verbunden. Mitunter erzeugten Neuroleptika auch gerade den zu verhindernden Zustand. Die Strafvollstreckungskammer habe sich nicht die Mühe gemacht, objektive Erkenntnisse über die Wirkungsweise atypischer Neuroleptika einzuholen, sondern habe nur pauschal auf die Stellungnahme der "befangenen" Ärzte der Klinik verwiesen.

Die Zwangsbehandlung sei im Übrigen unverhältnismäßig, da der Beschwerdeführer seit nunmehr fast neun Jahren seiner Unterbringung niemals gewalttätige Handlungen gezeigt habe. Im Übrigen werde der Beschwerdeführer mit dem Hinweis auf die sonst ausgeschlossene Entlassung unter Druck gesetzt.

b)

Das Oberlandesgericht verwarf die Rechtsbeschwerde als unbegründet. Die Strafvollstreckungskammer habe den Antrag des Beschwerdeführers zu Recht als zulässigen Antrag auf gerichtliche Entscheidung ausgelegt. Es habe sich um eine ausnahmsweise zulässige sogenannte vorbeugende Unterlassungsklage gehandelt. Eine solche komme in Betracht, wenn sich der Antragsteller gegen ein ihm drohendes Verhalten der Vollzugsbehörde wende, das keine Maßnahme zur Regelung einzelner Angelegenheiten im Sinne von § 109 Abs. 1 StVollzG und somit keinen "Verwaltungsakt", sondern einen bloßen Realakt darstelle. Ein solcher Fall liege hier vor. Nach § 6 Abs. 1 MVollzG Rh.-Pf. setze die Zwangsbehandlung den Erlass eines Bescheides gerade nicht voraus, sondern die Vorschrift knüpfe die tatsächliche Durchführung der Behandlung allein an das Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen. Dementsprechend sei das Schreiben vom 28. September 2006 auch nicht dahin auszulegen, dass die Klinik einen Verwaltungsakt habe erlassen wollen; vielmehr habe dem Verurteilten ermöglicht werden sollen, vor Beginn der Zwangsbehandlung in wirksamer Weise Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen.

Die rechtlichen Grundlagen der Zwangsbehandlung seien von der Strafvollstreckungskammer zutreffend dargelegt worden. Mit § 6 Abs. 1 Satz 2 MVollzG Rh.-Pf. habe der Landesgesetzgeber sicherstellen wollen, dass während der Vollziehung einer Maßregel der Besserung und Sicherung der Patient nicht nur verwahrt, sondern auch, wenn notwendig gegen seinen Willen, behandelt werde, um einerseits den Untergebrachten zu befähigen, ein in der Gemeinschaft eingegliedertes Leben zu führen, und andererseits die Allgemeinheit vor weiteren rechtswidrigen Taten zu schützen. Damit diene die Behandlung dem Ziel der Wiederherstellung der psychischen Gesundheit und damit auch der Beendigung der Unterbringung. Der Senat teile auch die Auffassung der Strafvollstreckungskammer, dass die Zwangsbehandlung nicht schrankenlos möglich, sondern nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beschränken sei. Dies ergebe sich auch aus § 6 Abs. 5 MVollzG Rh.-Pf.

Die im Falle des Beschwerdeführers vorgesehene Gabe atypischer Neuroleptika diene hier - wie es § 6 Abs. 1 Satz 2 MVollzG Rh.-Pf. voraussetze - dem Vollzugsziel, denn sie solle die Anlasserkrankung behandeln und möglichst weitgehend lindern. Nach den Feststellungen der Strafvollstreckungskammer seien auch keine Anhaltspunkte dafür gegeben, dass die Behandlung zu einer Persönlichkeitsveränderung im Kernbereich führen könnte, wie sie nach den ausdrücklichen Bestimmungen verschiedener Landesgesetze (etwa Art. 13 Abs. 3 UnterbrG Bay) einer Zwangsbehandlung entgegenstünden. Die vom Beschwerdeführer als Anlagen vorgelegten Veröffentlichungen über Neuroleptika seien nicht geeignet, eine andere Bewertung herbeizuführen. Sie spiegelten lediglich die Bandbreite der allgemeinen Diskussion über die Vor- und Nachteile dieser Medikamente, hätten aber keine Aussagekraft für den konkreten Einzelfall.

Der Entscheidung der Strafvollstreckungskammer könne auch nicht entgegengehalten werden, dass ihr Art und Dosierung der zukünftigen Behandlung nicht zu entnehmen sei. Beides sei zuerst eine medizinische Frage und daher von den behandelnden Ärzten in eigener Verantwortung zu entscheiden. Ob im konkreten Einzelfall die behandelnden Ärzte ihre Entscheidung nach den Regeln der ärztlichen Kunst treffen würden und der Nutzen einer Behandlung nicht außer Verhältnis zu den damit verbundenen Risiken und Gefahren stehe, sei nicht Gegenstand der gegenwärtigen vorbeugenden Unterlassungsklage. Diese betreffe allein die Vorfrage, ob an sich eine zwangsweise Behandlung des Beschwerdeführers mit (geeigneten) atypischen Neuroleptika zulässig sei. Diese Vorfrage habe die Strafvollstreckungskammer zutreffend beantwortet.

8.

Mit seiner Verfassungsbeschwerde, die mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 32 BVerfGG verbunden ist, wendet der Beschwerdeführer sich gegen die Entscheidungen des Landgerichts und des Oberlandesgerichts sowie gegen die Ankündigung der Zwangsmedikation.

Er rügt unter anderem eine Verletzung seiner Rechte aus Art. 2 Abs. 2 und Art. 1 Abs. 1 GG. Schon die Androhung der Zwangsmedikation stelle einen Eingriff in den Schutzbereich des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG dar. Die drohende und beabsichtigte Persönlichkeitsveränderung sei irreversibel. Für diesen Eingriff fehle es an einer Rechtsgrundlage. Es handele sich schon deshalb um eine im Sinne des § 6 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 MVollzG Rh.-Pf. gefährliche Behandlung, die nicht ohne Einwilligung vorgenommen werden dürfe, weil das konkret einzusetzende Neuroleptikum nicht angegeben und die Behandlung auch sonst nicht näher konkretisiert worden sei. Auch wenn man die von den Gerichten vorgenommene Einschränkung auf atypische Neuroleptika berücksichtige, habe die Klinik "hier einen Freibrief zur wahllosen Medikation mittels 'atypischer Neuroleptika' mit unter Umständen ganz erheblichen gesundheitlichen Schäden für den Beschwerdeführer" erhalten. Dem könne auch nicht entgegengehalten werden, dass die konkrete Art der Behandlung - Auswahl des Medikaments und Dosierung - ohnehin eine allein medizinische Frage sei. Denn von der diesbezüglichen Konkretisierung hänge die Eingriffsintensität und die Verhältnismäßigkeit ab. Entgegen der Annahme der Fachgerichte sei auch mit erheblichen gesundheitlichen Auswirkungen zu rechnen. Persönlichkeitsverändernde Wirkungen seien zu erwarten und gerade beabsichtigt. Zwar seien atypische Neuroleptika angeblich nebenwirkungsärmer; erwiesen sei das aber nicht. Das Oberlandesgericht hätte den aufgeworfenen wissenschaftlichen Zweifeln an der Wirkung der atypischen Medikamente näher nachgehen müssen. Die Ungefährlichkeit dieser Mittel ergebe sich auch nicht aus der früheren, nur über eine kurze Zeit erfolgten Behandlung. Die Zwangsmedikamentierung sei zudem unverhältnismäßig, da weder ihre Geeignetheit feststehe noch ihre Erforderlichkeit und Angemessenheit gegeben sei. Dies ergebe sich aus der mangelnden Konkretisierung von Art, Dauer, Dosis und Wirkung der vorgesehenen Medikation, aus der unzureichenden Gefährlichkeitsprognose und aus der Ungewissheit des Heilungserfolges. Zudem werde der Beschwerdeführer mit der Warnung, er könne sonst nie entlassen werden, unter Druck gesetzt. Die Fähigkeit des Beschwerdeführers, selbst die gesundheitlichen Auswirkungen seiner Behandlung abzuschätzen, werde dadurch verdeutlicht, dass er nicht unter Betreuung stehe. Kranke dürften nicht gezwungen werden, gesund zu werden; Art. 2 Abs. 1 GG schütze auch vorsätzliche Selbstschädigungen. Außerdem liege ein Verstoß gegen Art. 1 Abs. 1 GG vor. Der Beschwerdeführer werde zum Objekt gemacht.

Auch der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung sei begründet. Die drohende erhebliche und irreversible Verletzung elementarer Grund- und Menschenrechte könne nur auf diese Weise verhindert werden.

II.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, über den wegen Eilbedürftigkeit ohne Anhörung des Justizministeriums entschieden werden kann, hat Erfolg.

1.

Gemäß § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Dabei haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsakts vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, die Verfassungsbeschwerde erwiese sich als von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet. Kann letzteres nicht festgestellt werden, muss der Ausgang des Verfassungsbeschwerdeverfahrens also als offen angesehen werden, sind die Folgen, die eintreten würden, wenn die einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde später aber Erfolg hätte, gegen die Nachteile abzuwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde der Erfolg aber zu versagen wäre (vgl. BVerfGE 91, 70 <74 f.>; 105, 365 <370 f.>; stRspr).

2.

Danach ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung hier geboten. Die Verfassungsbeschwerde ist weder unzulässig (a>) noch offensichtlich unbegründet (b>). Die Folgenabwägung fällt zugunsten des Beschwerdeführers aus (c>).

a)

Die Verfassungsbeschwerde ist jedenfalls insoweit zulässig, als der Beschwerdeführer rügt, für die Maßnahme fehle es an einer ausreichenden gesetzlichen Grundlage, die Maßnahme sei unverhältnismäßig, und das Gericht habe hinsichtlich der Nebenwirkungen den Sachverhalt nicht hinreichend aufgeklärt.

Die Verfassungsbeschwerde ist insoweit ausreichend begründet. Insbesondere benennt der Beschwerdeführer die nach seiner Auffassung verletzten Grundrechte sowie die als grundrechtsverletzend angesehenen Maßnahmen, legt die angegriffenen Entscheidungen vor und setzt sich mit ihnen in einer Weise auseinander, die erkennen lässt, inwiefern er sich in den benannten Grundrechten verletzt sieht.

Ausweislich der vorgelegten Schriftsätze aus dem fachgerichtlichen Verfahren hat er auch dem Grundsatz der materiellen Subsidiarität (vgl. BVerfGE 107, 395 <414>; 112, 50 <60>) Rechnung getragen.

b)

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht offensichtlich unbegründet.

Die Fachgerichte haben zwar erkannt, dass eine Zwangsbehandlung einen schweren Eingriff in die Grundrechte des Betroffenen darstellt, und hieraus unter anderem Folgerungen für die Auslegung und Anwendung des § 6 Abs. 1 MVollzG Rh.-Pf. abgeleitet. Es bedarf jedoch der Klärung im Hauptsacheverfahren, ob die fachgerichtliche Auslegung der Vorschrift und der Inhalt, den die Norm damit gewinnt, mit den Grundrechten des Beschwerdeführers aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 und Art. 1 Abs. 1 GG vereinbar ist, und ob der fachgerichtliche Umgang mit den Rügen des Beschwerdeführers - auch hinsichtlich der Aufklärung des Sachverhalts - den Anforderungen an die Gewährung effektiven Rechtsschutzes entspricht. Dass und unter welchen materiellrechtlichen und verfahrensrechtlichen Voraussetzungen die Grundrechte des Maßregelvollzugspatienten eine Zwangsbehandlung zulassen, die unabhängig von einer Gefährdung von Rechtsgütern Dritter allein dem Ziel dient, den Betroffenen entlassungsfähig zu machen, versteht sich nicht von selbst (vgl. etwa Heide, Medizinische Zwangsbehandlung, 2001, S. 230, 235; Wagner, in: Kammeier, Maßregelvollzugsrecht, 2. Aufl. 2002, D 145, m.w.N.) und ist in der Rechtsprechung nicht abschließend geklärt (vgl. zu Fragen der - nicht maßregelvollzugsrechtlichen - Unterbringung und Behandlung eines psychisch Kranken BVerfGE 58, 208 <224 ff.>; BGHZ 166, 141 <146 ff.>; BayVerfGH, Entscheidung vom 7. Oktober 1992 - Vf. 5-VII/91 -, NJW 1993, S. 1520 <1522>; für den Maßregelvollzug KG, Beschluss vom 29. August 2007 - 2 Ws 66/07 Vollz -, RuP 2008, S. 39).

c)

Die demnach gebotene Folgenabwägung geht zugunsten des Beschwerdeführers aus. Ergeht die einstweilige Anordnung nicht, erweist sich die Verfassungsbeschwerde aber später als begründet, muss der Beschwerdeführer eine Grundrechtsverletzung von erheblichem Gewicht bis auf weiteres hinnehmen. Unabhängig von etwaigen nachteiligen Wirkungen des Medikaments, das dem Beschwerdefüher verabreicht werden soll, läge auch bereits in der zwangsweisen Verabreichung als solcher ein schwerer Eingriff. Dem steht für den hypothetischen Vergleichsfall, dass die einstweilige Anordnung ergeht, die Verfassungsbeschwerde sich aber später als nicht begründet erweist, nur eine begrenzte Verzögerung der beabsichtigten Medikation entgegen. Die angegriffenen Entscheidungen stützen sich nicht auf die Annahme, dass im Falle des Unterbleibens der beabsichtigten Behandlung irgendwelche akuten Gefahren drohen. Unter diesen Umständen überwiegen deutlich die grundrechtlichen Belange des Beschwerdeführers, die für den Erlass der einstweiligen Anordnung sprechen.

Die Entscheidung über die Erstattung der Auslagen beruht auf § 34a Abs. 3 BVerfGG.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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