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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 04.05.1999
Aktenzeichen: BVerwG 1 A 2.97
Rechtsgebiete: VAG, VwGO, BAG, Richtlinie 92/49/EWG


Vorschriften:

VAG § 5 Abs. 5 Nr. 1 a
VAG § 11 a Abs. 4 Nr. 1
VAG § 12 Abs. 3
VAG § 12 b Abs. 1
VAG § 13 d
VAG § 81 Abs. 2 Satz 1
VAG § 81 Abs. 2 Satz 2
VwGO § 113 Abs. 1 Satz 4
BAG § 10 a Satz 1
Richtlinie 92/49/EWG des Rates zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Direktversicherung (Dritte Richtlinie Schadenversicherung) vom 18. Juni 1992 (ABl Nr. L 228 S. 1) Erwägung Nr. 23, Art. 6 Abs. 3, Art. 29, 54 Abs. 1 und 2
Leitsätze:

1. Hat ein Versicherungsunternehmen eine Anfechtungsklage gegen eine Anordnung des Bundesaufsichtsamtes für das Versicherungswesen erhoben, so erstreckt sich die erstinstanzliche Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts gemäß § 10 a Satz 1 BAG auch auf die Fortsetzungsfeststellungsklage (Fortentwicklung von BVerwGE 84, 306 <308 f.>).

2. In der substitutiven Krankenversicherung umfaßt die Pflicht des Versicherungsunternehmens, dem Bundesaufsichtsamt neue oder geänderte allgemeine Versicherungsbedingungen oder Grundsätze vor deren Verwendung einzureichen, neben den zur Prämienermittlung erforderlichen Rechnungsgrundlagen auch die zu ihrer Beurteilung nötigen statistischen Herleitungen und Nachweise.

Urteil des 1. Senats vom 4. Mai 1999 - BVerwG 1 A 2.97 -


BVerwG 1 A 2.97

Verkündet am 4. Mai 1999

Wichmann Justizamtsinspektorin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 4. Mai 1999 durch den Vorsitzenden Richter Meyer und die Richter Dr. Mallmann, Dr. Hahn, Groepper und Dr. Gerhardt

für Recht erkannt:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe:

I.

Die Klägerin ist ein in der Krankenversicherung tätiges Versicherungsunternehmen. Zwischen ihr und dem Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen ist streitig, ob die Klägerin verpflichtet ist, im laufenden Versicherungsgeschäft sowohl bei der Einführung neuer Tarife als auch bei einer Änderung bestehender Tarife dem Bundesaufsichtsamt neben den zur Ermittlung der Prämie eines Tarifs erforderlichen "Rechnungsgrundlagen" auch deren "Herleitungen und Nachweise" vorzulegen.

Das Bundesaufsichtsamt forderte die Klägerin mit der hier angegriffenen Verfügung vom 3. April 1996 unter Fristsetzung, Androhung eines Zwangsgeldes und Anordnung des Sofortvollzuges auf,

1. für 22 im einzelnen bezeichnete neu eingeführte Tarife und für drei Tarifstufen in zwei ebenfalls bestimmt bezeichneten Tarifen und

2. für die Prämienänderung in drei weiteren Tarifstufen

die Herleitungen und Nachweise für die verwendeten Rechnungsgrundlagen unverzüglich vorzulegen.

Die Klägerin legte gegen diese Anordnung Widerspruch ein und teilte dem Bundesaufsichtsamt mit Schreiben vom 22. April 1996 mit, es gehe ihr um die grundsätzliche Klärung des Umfangs der Vorlagepflicht und nicht darum, etwas zu verbergen. Sie werde deshalb ohne Anerkennung einer rechtlichen Verpflichtung die in Nr. 1 der Anordnung genannten Unterlagen mit Ausnahme der Unterlagen zu dem neu eingeführten Tarif "VR" zur Verfügung stellen. Die in Nr. 2 der Anordnung genannten Unterlagen befänden sich bereits im Besitz des Bundesaufsichtsamtes in seiner Eigenschaft als Treuhänder; die Klägerin sei mit der Weitergabe dieser Unterlagen an das Bundesaufsichtsamt als Aufsichtsbehörde einverstanden. Die Klägerin handelte ankündigungsgemäß.

Der Präsident des Bundesaufsichtsamtes hielt es nach einem am 22. Januar 1997 mit dem Vorstandsvorsitzenden der Klägerin geführten Telefongespräch nicht mehr für gerechtfertigt, das Beschlußkammerverfahren fortzusetzen. In einem Schreiben vom 11. Februar 1997 teilte das Bundesaufsichtsamt der Klägerin mit, mangels irgendwelcher Beanstandungen bei der Prüfung der vorgelegten Unterlagen verzichte es auf die Vorlage der noch fehlenden Unterlagen hinsichtlich des Tarifs "VR", verfolge das Beschlußkammerverfahren nicht weiter und sehe davon ab, die Vorlagepflicht im Rahmen dieses Beschlußkammerverfahrens durchzusetzen. Ein Widerruf der Vorlageanordnung vom 3. April 1996 komme allerdings nicht in Betracht, weil das Bundesaufsichtsamt weiterhin die Auffassung vertrete, daß sie zu Recht ergangen sei und daß die Vorlagepflicht auch die geforderten Herleitungen und Nachweise umfasse.

In ihrer Antwort erklärte die Klägerin, sie verstehe dieses Schreiben zumindest als Aufhebung der Anordnung der sofortigen Vollziehung und der Androhung eines Zwangsgeldes.

Im Zusammenhang mit einer nach Klageerhebung durchgeführten örtlichen Prüfung hat das Bundesaufsichtsamt auch Kenntnis von den bisher nicht vorgelegten "Herleitungen und Nachweisen" zum Tarif "VR" genommen. Beanstandungen hat es nicht erhoben.

Zur Begründung ihrer Klage trägt die Klägerin vor:

Gegenstand ihrer Klage sei allein die Anordnung, Herleitungen und Nachweise zum Tarif "VR" vorzulegen, nicht auch die hierauf bezogene Zwangsmittelandrohung. Nach § 13 d Nr. 8 i.V.m. § 5 Abs. 5 Nr. 1 a VAG sei sie lediglich verpflichtet, die Grundsätze für die Berechnung der Prämien und der mathematischen Rückstellungen einschließlich der verwendeten Rechnungsgrundlagen und der mathematischen Formeln vorzulegen. Der Begriff der Rechnungsgrundlagen umfasse nicht deren Herleitungen und Nachweise. Das Versicherungsaufsichtsgesetz habe den inhaltlich feststehenden, der Versicherungsmathematik angehörenden technischen Begriff der Rechnungsgrundlagen übernommen. Die Vorlage der Herleitungen und Nachweise sei nach der Kalkulationsverordnung nur gegenüber dem Treuhänder geboten. Das Gesetz und die genannte Verordnung trügen mit der Übertragung der eigentlichen Prüfung auf Verantwortlichen Aktuar und Treuhänder dem gemeinschaftsrechtlichen Deregulierungsgebot und dem Wegfall der Vorabkontrolle des Bundesaufsichtsamtes Rechnung. Zugleich habe das Gesetz damit ein System abgestufter Kontrolltiefe geschaffen, das die Prüfungsbefugnisse des Bundesaufsichtsamtes gegenüber dem früheren Rechtszustand wesentlich einenge. Zur Anforderung der Herleitungen und Nachweise sei das Amt danach nur noch in begründeten Einzelfällen berechtigt. Seine eingeschränkte Kontrollaufgabe könne es mit Hilfe der Informationen erfüllen, die es auf der Grundlage der Berichtspflicht des Verantwortlichen Aktuars und des Treuhänders erhalte. Auch gemeinschaftsrechtlich sei die vom Bundesaufsichtsamt behauptete Verpflichtung der Klägerin nicht haltbar. Der in der maßgeblichen Vorschrift verwendete Begriff der "technischen Grundlagen für die Beitragsberechnung" umfasse nicht die vom Bundesaufsichtsamt geforderten Herleitungen und Nachweise. Diese Frage müsse gegebenenfalls im Wege der Vorabentscheidung durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften geklärt werden.

Die Klägerin beantragt,

festzustellen, daß der Bescheid der Beklagten vom 3. April 1996, soweit er sich auf den "VR"-Tarif bezieht, rechtswidrig gewesen ist.

Die Beklagte verteidigt die angegriffene Anordnung und beantragt, die Klage abzuweisen.

Der Oberbundesanwalt hält die Anordnung der Beklagten ebenfalls für rechtmäßig.

Dem Senat haben die Verwaltungsvorgänge der Beklagten vorgelegen. Auf sie sowie den Inhalt der gewechselten Schriftsätze wird ergänzend Bezug genommen.

II.

1. Die Klage ist als Fortsetzungsfeststellungsklage zulässig. Die Beteiligten gehen zu Recht davon aus, daß nach Vorlage und Kenntnisnahme der geforderten Herleitungen und Nachweise auch für den Tarif "VR" und nach den zur Durchsetzung des Bescheides des Bundesaufsichtsamtes abgegebenen Erklärungen der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt ist. Für die Fortsetzungsfeststellungsklage, die sich auf die den "VR"-Tarif betreffende Vorlageanordnung beschränkt, hat die Klägerin ein berechtigtes Interesse (§ 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO), weil das Bundesaufsichtsamt seinen Rechtsstandpunkt aufrechterhält, daß die Klägerin weiterhin verpflichtet sei, im laufenden Versicherungsgeschäft sowohl bei der Einführung neuer Tarife als auch bei einer Änderung bestehender Tarife die "Herleitungen und Nachweise" für die Prämienberechnung vorzulegen.

Für die Entscheidung über die Fortsetzungsfeststellungsklage ist das Bundesverwaltungsgericht gemäß § 10 a Satz 1 des Gesetzes über die Errichtung eines Bundesaufsichtsamtes für das Versicherungswesen (BAG) zuständig. Seine nach dieser Bestimmung gegebene Zuständigkeit für die ursprünglich auf Aufhebung des Bescheides des Bundesaufsichtsamtes vom 3. April 1996, soweit er die Herleitungen und Nachweise zum "VR"-Tarif betrifft, gerichtete Anfechtungsklage bleibt auch nach Übergang zur Fortsetzungsfeststellungsklage bestehen. Wie der vom früheren Verfahrensrecht geprägte Wortlaut des Gesetzes verdeutlicht, ist die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts vorbehaltlich der hier nicht in Betracht kommenden Verweisungsmöglichkeit des § 10 a Satz 2 BAG jedenfalls dann gegeben, wenn sich der Kläger gegen einen Verwaltungsakt des Bundesaufsichtsamtes wendet oder den Erlaß eines Verwaltungsakts des Amtes erstrebt. Demnach fallen z.B. auch Nichtigkeitsfeststellungsklagen nach § 43 Abs. 1 VwGO unter § 10 a Satz 1 BAG (vgl. BVerwGE 84, 306 <308 f.>). Ebenso ist die als Fortsetzungsfeststellungsklage fortgeführte Anfechtungsklage im Sinne des § 10 a Satz 1 BAG eine Anfechtungsklage, zumal der Übergang von der Anfechtungsklage zur Fortsetzungsfeststellungsklage den Streitgegenstand nicht ändert und dementsprechend keine Klageänderung darstellt.

2. Die Klage ist jedoch unbegründet. Der Bescheid des Bundesaufsichtsamtes vom 3. April 1996, soweit er sich auf die "VR"-Tarife bezieht, war rechtmäßig.

a) Rechtsgrundlage des Bescheides ist § 81 Abs. 2 Satz 1 und 2 des Versicherungsaufsichtsgesetzes - VAG - in der Fassung der Bekanntmachung vom 17. Dezember 1992 (BGBl I 1993 S. 2), im hier maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Bescheides zuletzt geändert durch Art. 8 des Gesetzes vom 28. Oktober 1994 (BGBl I S. 3210). Danach kann die Aufsichtsbehörde gegenüber den Versicherungsunternehmen alle Anordnungen treffen, die geeignet und erforderlich sind, um Mißstände zu vermeiden oder zu beseitigen. Mißstand ist jedes Verhalten eines Versicherungsunternehmens, das den Aufsichtszielen des § 81 Abs. 1 VAG widerspricht. Zu diesen Aufsichtszielen gehört die ausreichende Wahrung der Belange der Versicherten und die Einhaltung der Gesetze, die für den Betrieb des Versicherungsgeschäfts gelten.

Zu den für den Betrieb des Versicherungsgeschäfts geltenden Vorschriften, deren Einhaltung im Interesse der ausreichenden Wahrung der Belange der Versicherten Gegenstand der rechtlichen Aufsicht ist, gehört auch § 13 d VAG. Die Bestimmung legt die Anzeigepflichten der Versicherungsunternehmen gegenüber der Aufsichtsbehörde fest und ist damit eine wesentliche Voraussetzung für die Ausübung einer effektiven Aufsicht im Sinne des § 81 VAG. Nach Nr. 7 und 8 der genannten Bestimmung haben die Versicherungsunternehmen für die (hier allein in Rede stehende) substitutive Krankenversicherung die beabsichtigte Verwendung neuer oder geänderter allgemeiner Versicherungsbedingungen sowie die beabsichtigte Verwendung neuer oder geänderter Grundsätze im Sinne des § 5 Abs. 5 Nr. 1 a VAG unter deren Beifügung unverzüglich anzuzeigen. Danach sind "die Grundsätze für die Berechnung der Prämien und der mathematischen Rückstellungen einschließlich der verwendeten Rechnungsgrundlagen und mathematischen Formeln" einzureichen.

b) Zu den vorzulegenden Unterlagen gehören auch die "Herleitungen und Nachweise". Hierbei handelt es sich, wie zwischen den Beteiligten nicht streitig ist, um das statistische Material zur Ermittlung der Rechnungsgrundlagen sowie die Begründung dafür, warum es dazu herangezogen werden darf. Demgegenüber sind unter den "Rechnungsgrundlagen" die weitgehend aufgrund statistischen Materials gewonnenen Daten zu verstehen, unter deren Verwendung nach versicherungsmathematischen Regeln Prämien und Alterungsrückstellungen berechnet werden (vgl. §§ 1, 2 Kalkulationsverordnung vom 18. November 1996, BGBl I S. 1783 KalV). Die nach versicherungsmathematischen Methoden und den dazu ergangenen Rechtsvorschriften zu beurteilende "Richtigkeit" einer Prämie bzw. deren Änderung läßt sich nur überprüfen, wenn alle erforderlichen Unterlagen zur Verfügung stehen; hierzu gehören auch die Herleitungen und Nachweise, weil erst sie die Eignung des statistischen Materials und damit die Berechtigung bestimmter Annahmen zu beurteilen gestatten.

Entgegen der Auffassung der Klägerin ist auch das Bundesaufsichtsamt zu einer solchen Prüfung berechtigt. Es hat daher ebenfalls Anspruch auf Vorlage aller für die Prüfung erforderlichen Unterlagen einschließlich der Herleitungen und Nachweise.

Die Klägerin entnimmt den speziell das Bundesaufsichtsamt, den Verantwortlichen Aktuar und den Treuhänder betreffenden Einzelvorschriften des Versicherungsaufsichtsgesetzes, daß die jeweils gesetzlich zugewiesene Prüfungsbefugnis ein abgestuftes System bilde, nach dem die Prüfungsbefugnis des Bundesaufsichtsamtes die geringste sei und demgemäß auch nur eine eingeschränkte Vorlagepflicht der Versicherungsunternehmen begründe. Dieser Auffassung ist nicht zu folgen.

Richtig ist, daß das Gesetz die Prüfungsbefugnisse und die damit korrespondierenden Vorlagepflichten in verschiedenen Bestimmungen regelt und sich dabei einer unterschiedlichen Terminologie bedient. Erstmals eingeführte Prämien bedürfen vorab der Prüfung durch den Verantwortlichen Aktuar (§ 12 Abs. 3 VAG). Ihm sind sämtliche Informationen zugänglich zu machen, die zur ordnungsgemäßen Erledigung seiner Aufgabe erforderlich sind (§ 11 a Abs. 4 Nr. 1 i.V.m. § 12 Abs. 3 Satz 2 VAG). Spätere Prämienänderungen bedürfen vorab der Prüfung und Zustimmung durch den Treuhänder (§ 12 b Abs. 1 Satz 1 VAG). Ihm sind sämtliche für die Prüfung, ob die Berechnung der Prämien mit den Rechtsvorschriften vereinbar ist, erforderlichen technischen Berechnungsgrundlagen einschließlich der hierfür benötigten Nachweise und Daten vorzulegen (§ 12 b Abs. 1 Satz 2 und 3 VAG). In den technischen Berechnungsgrundlagen sind die Grundsätze für die Berechnung der Prämien und Alterungsrückstellungen einschließlich der verwendeten Rechnungsgrundlagen und mathematischen Formeln vollständig darzustellen (§ 12 b Abs. 1 Satz 4 VAG). Dem Bundesaufsichtsamt sind, wie bereits erwähnt, die entsprechenden Unterlagen vor der beabsichtigten Verwendung neuer oder geänderter Grundsätze für die Berechnung der Prämien und der mathematischen Rückstellungen einschließlich der verwendeten Rechnungsgrundlagen und mathematischen Formeln vorzulegen (§ 13 d Nr. 8 i.V.m. § 5 Abs. 5 Nr. 1 a VAG).

Die hier anzuwendende Gesetzesfassung geht auf die Richtlinie 92/49/EWG des Rates zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Direktversicherung (Dritte Richtlinie Schadenversicherung) vom 18. Juni 1992 (ABl Nr. L 228 S. 1) und die darin vorgesehene Deregulierung zurück. Das gemeinschaftsrechtliche Deregulierungsgebot ist durch das Dritte Durchführungsgesetz/EWG zum VAG vom 21. Juli 1994 (BGBl I S. 1630) in nationales Recht umgesetzt worden. Es wirkt sich im Bereich der substitutiven Krankenversicherung in erster Linie dahin aus, daß an die Stelle des früheren Genehmigungserfordernisses das bereits beschriebene Prüfungssystem getreten ist. Der Verantwortliche Aktuar - ein Versicherungsmathematiker - hat sicherzustellen, daß die versicherungsmathematischen Methoden (§ 12 Abs. 1 Nr. 1 und 2 VAG) und die Regelungen der Kalkulationsverordnung eingehalten werden (§ 12 Abs. 3 VAG). Dem muß naturgemäß eine entsprechende Prüfung vorausgehen. Spätere Prämienänderungen bedürfen vor ihrer Inkraftsetzung der Zustimmung eines unabhängigen Treuhänders (§ 12 b Abs. 1 VAG). Dieser "hat zu prüfen, ob die Berechnung der Prämien mit den dafür bestehenden Rechtsvorschriften in Einklang steht".

Der Klägerin ist einzuräumen, daß die sprachliche Fassung des Gesetzes ihrer Auffassung entgegenkommt. Eine nähere Betrachtung des Gesetzeszwecks führt jedoch zum gegenteiligen Ergebnis. Dabei kann offenbleiben, ob die im Wortlaut des Gesetzes angelegten Auslegungsprobleme die - möglicherweise redaktionell nicht vollständig bewältigte - Folge der Einführung des neuen Systems ist, wie dies der Oberbundesanwalt für denkbar hält, oder ob sich der Gesetzgeber von Prämissen hat leiten lassen, die ihm als selbstverständlich und deswegen einer besonderen Verankerung im Gesetz nicht bedürftig erschienen.

c) Ziel aller in den §§ 5, 11 a, 12, 12 b und 13 d VAG geregelten Kontrollbefugnisse und Mitteilungspflichten ist es, sicherzustellen, daß die Versicherungsprämie in einer Weise kalkuliert wird, die zum einen die dauernde Erfüllbarkeit der vom Versicherungsunternehmen versprochenen Leistungen gewährleistet und zum anderen spätere Prämiensteigerungen ausschließt, soweit sie nicht auf vom Versicherungsunternehmen nicht beeinflußbaren Gründen beruhen wie etwa auf einer Verlängerung der allgemeinen Lebenserwartung oder einer überdurchschnittlichen Erhöhung der Kosten im Gesundheitswesen. Die dauernde Erfüllbarkeit der Versicherungsverträge ist das Hauptziel der Versicherungsaufsicht (vgl. auch § 81 Abs. 1 Satz 5 VAG) und im Bereich der substitutiven Krankenversicherung ein Schutzgut von erhöhter Bedeutung; dies hat auch - worauf noch zurückzukommen sein wird - den Rat der Europäischen Gemeinschaften als Richtliniengeber veranlaßt, diesen Bereich von der Liberalisierung weitgehend auszunehmen und den Mitgliedstaaten zu gestatten, an einer - wenn auch gegenüber dem bisherigen deutschen Recht modifizierten Vorabkontrolle festzuhalten. Es ist nicht zweifelhaft, daß der für die erstmalige Überprüfung der Prämien und Rückstellungen zuständige Verantwortliche Aktuar deren ordnungsgemäße Berechnung, insbesondere die gesetzmäßige Kalkulation einer Mindest-Prämie (Kaulbach, in: Fahr/Kaulbach, VAG, 2. Aufl. 1997, § 12 Rn. 6), nur sicherstellen kann, wenn ihm "sämtliche Informationen ..., die zur ordnungsgemäßen Erledigung seiner Aufgaben ... erforderlich sind" (vgl. § 12 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 11 a Abs. 4 Nr. 1 VAG), und damit auch die Herleitungen und Nachweise zur Verfügung gestellt werden.

Was für den Verantwortlichen Aktuar gilt, hat auch für den Treuhänder zu gelten. Will das Versicherungsunternehmen seine Prämien ändern, wird damit u.U. das Ziel der Prämienstabilität berührt, insbesondere in Fällen der Erhöhung. Nicht anders als der Verantwortliche Aktuar kann der Treuhänder die Berechtigung dieser Maßnahme nur beurteilen, wenn auch ihm die erforderlichen Informationen einschließlich der Herleitungen und Nachweise zugänglich gemacht werden. Dementsprechend bestimmt § 12 b Abs. 1 Satz 2 VAG, daß ihm sämtliche für die Prüfung der Prämienänderung erforderlichen technischen Berechnungsgrundlagen einschließlich der benötigten "Nachweise und Daten" vorzulegen sind (vgl. auch § 15 Abs. 2 KalV).

Die Aufgabe des Bundesaufsichtsamtes ist inhaltlich keine andere. Sie setzt lediglich später ein und endet nicht zwangsläufig mit einer Entscheidung durch Verwaltungsakt. Eine Genehmigung der Verwendung der eingereichten Unterlagen hat das Bundesaufsichtsamt nicht zu erteilen. Es hat aber ebenfalls auf die dauernde Erfüllbarkeit der Verpflichtungen aus den Versicherungen zu achten (§ 81 Abs. 1 Satz 5 VAG), ferner auf die Einhaltung der für den Betrieb des Versicherungsgeschäfts geltenden gesetzlichen Vorschriften (§ 81 Abs. 1 Satz 2 und 3 VAG). Ohne die Herleitungen und Nachweise läßt sich aus den Rechnungsgrundlagen kein zutreffendes Bild gewinnen, das eine Einschätzung erlaubt, inwieweit bei der Prämienkalkulation das eigentliche Aufsichtsziel erreicht, verfehlt oder gefährdet ist. Wie sich von selbst versteht, muß das statistische Material geeignet sein, die aus ihm abgeleiteten und der Kalkulation zugrunde gelegten Annahmen zu rechtfertigen (vgl. z.B. § 2 Abs. 2, § 6 Abs. 2 Satz 2 KalV). Folgte man der Rechtsauffassung der Klägerin, würde sich die dem Bundesaufsichtsamt obliegende Tätigkeit im wesentlichen auf eine formale Überprüfung der mathematischen Richtigkeit des vorgelegten Datenwerkes ohne inhaltliche Aussagekraft reduzieren. Diese Prüfung wäre sogar weitgehend ungeeignet, Verdachtshinweise auf Mängel in der Auswahl und Bewertung des zugrundeliegenden Ausgangsmaterials zu liefern und so zumindest Anlaß einer Einzelfallprüfung zu sein, die auch die Klägerin für zulässig hält. Eine solche reduzierte Prüfung würde damit das die Tätigkeit des Bundesaufsichtsamtes insgesamt beherrschende Aufsichtsziel verfehlen. Dies ist nicht die Absicht des Gesetzgebers gewesen. Wie sich aus der Begründung des Dritten Durchführungsgesetzes/EWG zum VAG ergibt, hat die in § 13 d VAG vorgeschriebene unverzügliche Anzeige der "Grundsätze" unter Beifügung der in § 5 Abs. 5 Nr. 1 a VAG genannten Unterlagen den Zweck, das Bundesaufsichtsamt in die Lage zu versetzen, "notfalls mit Maßnahmen nach § 81 Abs. 2 entweder die Verwendung der Prämien noch rechtzeitig zu unterbinden oder wenigstens zu verhindern, daß diese in größerem Umfang bei Abschluß neuer Versicherungsverträge zugrunde gelegt werden" (Amtl. Begr., BRDrucks 23/94, S. 2).

In der substitutiven Krankenversicherung, die der Gesetzgeber wegen ihrer hohen sozialen Bedeutung besonderen Aufsichtsregeln unterstellt, sind somit die für die Prämienberechnung herangezogenen Rechnungsgrundlagen einschließlich der Herleitungen und Nachweise nicht nur im Einzelfall, sondern systematisch dem Bundesaufsichtsamt unverzüglich und vor der beabsichtigten Verwendung zur Nachprüfung vorzulegen. In welchem Umfang das Bundesaufsichtsamt von seiner Prüfungsbefugnis Gebrauch macht, berührt den Umfang der Vorlagepflicht nicht und bedarf daher keiner näheren Erörterung.

3. Diese Auslegung des § 13 d und des § 5 Abs. 5 Nr. 1 a VAG entspricht der gemeinschaftsrechtlichen Richtlinie 92/49/EWG des Rates. Deren Erwägung Nr. 23 lautet:

Die Art und die soziale Wirkung der Krankenversicherungsverträge rechtfertigen es, daß die Behörden des Mitgliedstaats, in dem das Risiko belegen ist, eine systematische Mitteilung der allgemeinen und besonderen Versicherungsbedingungen verlangen können, um zu prüfen, ob diese Verträge ganz oder teilweise den Schutz ersetzen können, der durch das Sozialversicherungssystem gewährt wird. Eine solche Überprüfung soll aber keine Vorbedingung für den Vertrieb des Produkts sein...

Dementsprechend heißt es in Art. 6 Abs. 3:

Diese Richtlinie steht der Möglichkeit nicht entgegen, daß die Mitgliedstaaten Rechts- und Verwaltungsvorschriften einführen oder beibehalten, die die Genehmigung der Satzung und die Übermittlung aller für die ordnungsgemäße Aufsicht erforderlichen Dokumente vorschreiben.

Jedoch sehen die Mitgliedstaaten keine Vorschriften vor, in denen eine vorherige Genehmigung oder eine systematische Übermittlung der allgemeinen und besonderen Versicherungsbedingungen, der Tarife sowie der Formblätter und sonstigen Druckstücke, die das Unternehmen im Verkehr mit den Versicherungsnehmern zu verwenden beabsichtigt, verlangt wird...

Art. 29 lautet:

Die Mitgliedstaaten sehen keine Vorschriften vor, in denen eine vorherige Genehmigung oder eine systematische Übermittlung der allgemeinen und besonderen Versicherungsbedingungen, der Tarife sowie der Formblätter und sonstigen Druckstücke, die das Unternehmen im Verkehr mit den Versicherungsnehmern zu verwenden beabsichtigt, verlangt wird. Um die Einhaltung der nationalen Rechtsvorschriften über die Versicherungsverträge zu überwachen, können sie nur die nicht-systematische Übermittlung dieser Bedingungen und sonstigen Dokumente verlangen, ohne daß dies für das Unternehmen eine Voraussetzung für die Ausübung seiner Tätigkeit darstellen darf.

Die Mitgliedstaaten dürfen die vorherige Mitteilung oder die Genehmigung der vorgeschlagenen Tariferhöhungen nur als Bestandteil eines allgemeinen Preiskontrollsystems beibehalten oder einführen.

Art. 54 Abs. 1 und 2 lautet:

(1) Ungeachtet gegenteiliger Vorschriften kann ein Mitgliedstaat, in dem Verträge ... die im gesetzlichen Sozialversicherungssystem vorgesehene Krankenversicherung ganz oder teilweise ersetzen können, verlangen, daß der Vertrag den von diesem Mitgliedstaat erlassenen spezifischen Rechtsvorschriften zum Schutz des Allgemeininteresses in bezug auf diesen Versicherungszweig entspricht und daß den zuständigen Behörden dieses Mitgliedstaats die allgemeinen und besonderen Versicherungsbedingungen vor deren Verwendung mitgeteilt werden.

(2) Die Mitgliedstaaten können vorschreiben, daß die Krankenversicherung im Sinne von Absatz 1 in technischer Hinsicht nach Art der Lebensversicherung zu betreiben ist... Die Beiträge müssen entsprechend vernünftigen versicherungsmathematischen Prognosen ausreichend sein, um die Unternehmen in die Lage zu versetzen, allen ihren Verpflichtungen unter Berücksichtigung sämtlicher Aspekte ihrer Finanzlage nachzukommen. Der Herkunftsmitgliedstaat verlangt, daß der zuständigen Behörde dieses Mitgliedstaats die technische Grundlage für die Beitragsberechnung mitgeteilt wird, bevor das Versicherungsprodukt angeboten wird. Dieser Absatz gilt auch für die Änderung bestehender Verträge.

Von dem in Art. 6 Abs. 3 Satz 2 und in Art. 29 der Richtlinie verankerten Verbot, eine vorherige Genehmigung oder eine systematische Übermittlung allgemeiner und besonderer Versicherungsbedingungen und Tarife an die Versicherungsaufsichtsbehörden vorzusehen, läßt Art. 54 bei der substitutiven Krankenversicherung eine Ausnahme zu: Der nationale Gesetzgeber darf anordnen, daß die hierfür vorgesehenen Versicherungsbedingungen und die technische Grundlage für die Beitragsberechnung vor ihrer Verwendung der Versicherungsaufsichtsbehörde mitgeteilt werden müssen. Von dieser Möglichkeit hat der nationale Gesetzgeber Gebrauch gemacht, indem er in § 5 Abs. 5 Nr. 1 und 1 a VAG das Versicherungsunternehmen verpflichtet hat, neben den allgemeinen Versicherungsbedingungen auch "die Grundsätze für die Berechnung der Prämien und der mathematischen Rückstellungen einschließlich der verwendeten Rechnungsgrundlagen und mathematischen Formeln" zusätzlich einzureichen, und zwar auch bei der Verwendung neuer oder geänderter Bedingungen bzw. Grundsätze (§ 13 d Nr. 7 und 8 VAG). Es bleibt also insoweit für den Bereich der substitutiven Krankenversicherung bei der systematischen Kontrolle und nicht bei der sonst von den Richtlinien im Grundsatz angestrebten nicht-systematischen Einzelfallkontrolle. Im Ergebnis ist damit die früher gegebene Vorabkontrolle mit Erlaubnisvorbehalt für den Bereich der substitutiven Krankenversicherung nur unwesentlich abgeschwächt; an die Stelle des früheren Genehmigungsvorbehalts ist die Pflicht der Unternehmen getreten, vorab der Aufsichtsbehörde die genannten Unterlagen einzureichen, um der Behörde eine alsbaldige Prüfung und in den Fällen des § 13 d Nr. 7 und 8 VAG den Erlaß nachträglicher Aufsichtsmaßnahmen zu ermöglichen (für den Fall der Aufnahme des Geschäftsbetriebs, vgl. § 8 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, Abs. 1 Satz 3 VAG).

Art. 54 Abs. 2 der Richtlinie spricht für die hier vertretene Auslegung des Versicherungsaufsichtsgesetzes. Der Begriff der "technischen Grundlage für die Beitragsberechnung" umfaßt wie der im deutschen Recht benutzte Begriff der "verwendeten Rechnungsgrundlagen und mathematischen Formeln" auch die Herleitungen und Nachweise. Dies ergibt sich aus der Überlegung, daß die Vorschrift den Mitgliedstaaten ermöglicht, eine Prüfung vorzuschreiben, ob die Beiträge entsprechend vernünftigen versicherungsmathematischen Prognosen ausreichend sind, um die Unternehmen in die Lage zu versetzen, allen ihren Verpflichtungen unter Berücksichtigung sämtlicher Aspekte ihrer Finanzlage nachzukommen. Diese Prüfung setzt, wie ausgeführt, die Kenntnis der Herleitungen und Nachweise voraus. Da die Richtlinie das vom deutschen Gesetzgeber gewählte System der Einschaltung des Verantwortlichen Aktuars und des Treuhänders nicht vorschreibt, wäre es richtlinienkonform, diese Prüfung allein der Aufsichtsbehörde des Mitgliedstaates zu übertragen. Wäre die Vorschrift im Sinne der Klägerin auszulegen, wäre die Aufsichtsbehörde gehindert, in der substitutiven Krankenversicherung eine richtlinienkonforme, nämlich effektive und den Schutz der Versichertenbelange berücksichtigende Prüfung der Prämienkalkulation durchzuführen. Eine solche Auslegung kann daher nicht richtig sein. Der Senat sieht demgemäß keine Veranlassung, die Frage dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften zur Vorabentscheidung gemäß Art. 234 EGV vorzulegen.

4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Beschluß

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 100 000 DM festgesetzt.

Ende der Entscheidung

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