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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 04.10.1999
Aktenzeichen: BVerwG 1 B 55.99
Rechtsgebiete: FlHG, VwGO


Vorschriften:

FlHG § 24 Abs. 2
VwGO § 70 Abs. 1
Leitsätze:

Die sog. Emmott'sche Fristenhemmung (EuGH, Slg. 1991 I S. 4269) berührt nicht den Lauf der Widerspruchsfrist, wenn eine gemeinschaftsrechtliche Richtlinie über die Bemessung von Gebühren für Hygieneuntersuchungen von Fleisch bereits vor Erlaß des angefochtenen Gebührenbescheids durch Bundesrecht zum Maßstab der landesrechtlichen Regelung der Gebühren gemacht worden ist, das Landesrecht aber eine entsprechende Umsetzung vermissen läßt.

Beschluß des 1. Senats vom 4. Oktober 1999 - BVerwG 1 B 55.99 -

I. VG Greifswald vom 18.02.1998 - Az.: VG 3 A 1196/97 - II. OVG Greifswald vom 28.05.1999 - Az.: OVG 1 L 111/98 -


BUNDESVERWALTUNGSGERICHT BESCHLUSS

BVerwG 1 B 55.99 OVG 1 L 111/98

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts am 4. Oktober 1999 durch den Vorsitzenden Richter Meyer und die Richter Dr. Hahn und Groepper

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 28. Mai 1999 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 94 216 DM festgesetzt.

Gründe:

Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg.

Nach § 132 Abs. 2 VwGO kann die Revision nur zugelassen werden, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder das Berufungsurteil von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem das Berufungsurteil beruhen kann. Wird wie hier die Nichtzulassung der Revision mit der Beschwerde angefochten, muß in der Beschwerdebegründung die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder die Entscheidung, von der das Berufungsurteil abweicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO). Die Prüfung des beschließenden Senats ist demgemäß auf fristgerecht geltend gemachte Beschwerdegründe im Sinne des § 132 Abs. 2 VwGO beschränkt. Diese rechtfertigen nicht die Zulassung der Revision.

1. Die Beschwerde wird auf den Revisionszulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Sache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) gestützt. Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache nur zu, wenn sie eine für die erstrebte Revisionsentscheidung erhebliche Rechtsfrage des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheit oder der Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf. Das Darlegungserfordernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO verlangt die Bezeichnung einer konkreten Rechtsfrage, die für die Revisionsentscheidung erheblich sein wird, und einen Hinweis auf den Grund, der ihre Anerkennung als grundsätzlich bedeutsam rechtfertigen soll. Die Beschwerde muß daher erläutern, daß und inwiefern die Revisionsentscheidung zur Klärung einer bisher revisionsgerichtlich nicht beantworteten fallübergreifenden Rechtsfrage des revisiblen Rechts führen kann. Die von der Beschwerde aufgeworfenen Fragen verleihen der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung.

a) Die Klägerin führt zunächst aus, das Oberverwaltungsgericht sei sachwidrig davon ausgegangen, der Antrag auf Feststellung der Nichtigkeit des Gebührenbescheides des Beklagten sei im Berufungsverfahren nicht mehr verfolgt worden. Mit diesem Vorbringen wird schon nicht deutlich, welcher Zulassungsgrund des § 132 Abs. 2 VwGO insoweit überhaupt geltend gemacht werden soll. Soweit die Ausführungen der Klägerin auf den Zulassungsgrund des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO führen sollen, zeigen sie auch nicht ansatzweise eine Rechtsfrage des revisiblen Rechts und ihre Klärungsbedürftigkeit auf.

Mit dem genannten Vorbringen wird übrigens auch kein Verfahrensfehler im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO des Inhalts dargelegt, daß der Antrag der Klägerin übergangen worden sei. Das Berufungsgericht hat mit Recht den Antrag auf Feststellung der Nichtigkeit des Gebührenbescheides nicht als selbständigen Gegenstand des Berufungsverfahrens angesehen. Das Verwaltungsgericht hat nämlich den Antrag auf Feststellung der Nichtigkeit des Bescheides, den die Klägerin als Hauptantrag gestellt hatte, abgewiesen, wie sich zwar nicht ausdrücklich aus der Urteilsformel, aber doch eindeutig aus den Entscheidungsgründen (S. 8 und 9 des Urteilsabdrucks) ergibt. Auf den Antrag des Beklagten hin hat das Oberverwaltungsgericht die Berufung gegen die den Bescheid aufhebende Entscheidung des Verwaltungsgerichts zugelassen. Das Antragsverfahren des Beklagten wurde demgemäß nach § 124 a Abs. 2 Satz 4 VwGO als Berufungsverfahren fortgesetzt. Die Klägerin dagegen hat weder einen Berufungszulassungsantrag gestellt, soweit ihre Klage abgewiesen worden war, noch gemäß § 127 VwGO Anschlußberufung eingelegt. Deswegen war im Berufungsverfahren das Feststellungsbegehren nicht zu prüfen. Die Klagen auf Feststellung der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts und auf dessen Aufhebung verfolgen allerdings im wesentlichen das gleiche Ziel. Für sie gelten aber unterschiedliche Zulässigkeitsvoraussetzungen. Demgemäß kann eine Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt unzulässig sein, während die auf Feststellung seiner Nichtigkeit gerichtete Feststellungsklage zulässig ist (vgl. auch Urteil vom 30. Januar 1990 - BVerwG 1 A 36.86 - BVerwGE 84, 306 <309, 314>). Ein Kläger, dessen auf Feststellung der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts gerichteter Hauptantrag abgewiesen worden ist, muß danach, wenn er mit seinem Hilfsantrag auf Aufhebung des Verwaltungsakts durchgedrungen ist und der Beklagte sich dagegen mit der Berufung wendet, weil er wie im vorliegenden Falle den Anfechtungsantrag mangels rechtzeitigen Widerspruchs für unzulässig hält, sein Feststellungsbegehren ebenfalls mit einer Berufung weiter verfolgen, will er nicht die vollständige Klageabweisung riskieren.

Unter diesen Umständen zeigt die Beschwerde auch nicht auf, daß die von ihr für grundsätzlich klärungsbedürftig angesehene, in Abschnitt II 3.2.1 der Beschwerdebegründung mehrfach unterschiedlich formulierte Frage, "ob der ständige Verstoß gegen europäisches Gemeinschaftsrecht oder die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs nicht nur zur Nichtigkeit der Ermächtigungsgrundlage führt, sondern eben auch die Nichtigkeit des auf nichtiger Ermächtigungsgrundlage basierenden Verwaltungsakts erzeugt", in einem Revisionsverfahren geklärt werden könnte.

b) Die Klägerin hält (Abschnitt II 3.2.2.2 der Beschwerdebegründung) für klärungsbedürftig, ob der Ablauf nationaler Verfahrensfristen wie der Widerspruchs- und Klagefrist nach den vom Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in dem Urteil vom 25. Juli 1991 - Rs C-208/90 - (Slg. 1991 I S. 4269) entwickelten Grundsätzen gehemmt ist (sog. Emmott'sche Fristenhemmung), "wenn der nationale Verwaltungsakt im Widerspruch zum europäischen Gemeinschaftsrecht ergeht und dies zu einem Zeitpunkt, zu dem trotz Ablaufs der Umsetzungsfrist der Mitgliedstaat den Gemeinschaftsrechtsakt nicht ordnungsgemäß in nationales Recht transformiert hat". Diese Frage führt jedoch nicht auf eine noch zu klärende Problematik. Denn die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften geht von dem Grundsatz aus, daß das Gemeinschaftsrecht es vor einer Harmonisierung von Bestimmungen über die Verfahrensgrundsätze nicht verbietet, einem Bürger, der vor einem innerstaatlichen Gericht die Entscheidung einer innerstaatlichen Stelle wegen Verstoßes gegen das Gemeinschaftsrecht anficht, den Ablauf der im innerstaatlichen Recht vorgesehenen Fristen für die Rechtsverfolgung entgegenzuhalten (Urteil vom 16. Dezember 1976 - Rs 33/76 - Slg. 1976 S. 1989 = NJW 1977, 495 <496>). Dieser Auffassung entspricht auch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 26. August 1977 - BVerwG 7 C 71.74 - Buchholz 451.90 EWG-Recht Nr. 20 = NJW 1978, 508). Das von der Klägerin herangezogene Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften betraf zusätzliche Leistungen zur sozialen Sicherheit auf der Grundlage einer Richtlinie zum Verbot von Diskriminierungen, die in dem betreffenden Mitgliedstaat nicht rechtzeitig umgesetzt worden war. In diesem Zusammenhang hat das Gericht entschieden, daß ein Staat, der die Richtlinien nicht ordnungsgemäß in seine interne Rechtsordnung umgesetzt hat, durch das Gemeinschaftsrecht gehindert ist, sich auf die nationalen Verfahrensvorschriften über Klagefristen gegenüber einer Klage zu berufen, die ein einzelner vor den nationalen Gerichten zum Schutz der durch die Richtlinie unmittelbar verliehenen Rechte erhoben hat. Der Gerichtshof hat in seinem Urteil vom 2. Dezember 1997 - Rs C-188/95 - (Slg. 1997 I S. 6783) betont, daß diese Entscheidung durch die besonderen Umstände jenes Falles gerechtfertigt war, in denen dem Betroffenen durch den Ablauf der Klagefrist jede Möglichkeit genommen war, seinen Anspruch auf Gleichbehandlung geltend zu machen (Rn. 51). Der Gerichtshof hat demgegenüber in dem vorbezeichneten Urteil entschieden, daß das Gemeinschaftsrecht es bei seinem gegenwärtigen Stand einem Mitgliedstaat nicht verwehrt, sich gegenüber Klagen auf Erstattung richtlinienwidrig erhobener Abgaben auf eine nationale Verjährungsfrist, die vom Zeitpunkt der Fälligkeit der betreffenden Forderungen an läuft, zu berufen, sofern diese Frist für die Geltendmachung auf Gemeinschaftsrecht gestützter Ansprüche nicht ungünstiger ist als für die Geltendmachung auf nationales Recht gestützter Ansprüche und die Ausübung der durch die Gemeinschaftsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich macht oder übermäßig erschwert. Daraus folgt, daß der Gerichtshof den in dem Verfahren "Emmott" entwickelten Rechtsgrundsatz auf Fallkonstellationen der dort gegebenen Art beschränkt wissen will. Nichts spricht dafür, daß im Zeitpunkt der Beitragsfestsetzung 1994 durch die Widerspruchsfrist für die Klägerin die Durchsetzung von Rechten aus dem Gemeinschaftsrecht praktisch unmöglich gemacht oder übermäßig erschwert worden sein könnte. Zum damaligen Zeitpunkt verwies § 24 FlHG bereits auf das Gemeinschaftsrecht als Maßstab der Gebührenerhebung und setzte damit insoweit das Gemeinschaftsrecht um. Die Klägerin war unter diesen Umständen nicht gehindert, gegen den Gebührenbescheid Widerspruch einzulegen und sich auf einen Verstoß des Landesrechts gegen Bundes- oder Gemeinschaftsrecht zu berufen. Es hat deshalb hinsichtlich des Laufs der Widerspruchsfrist mit den Ausführungen des Gerichtshofs in dem Urteil vom 16. Dezember 1976 (a.a.O.) sein Bewenden. Diese liegen auch der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 26. August 1977, a.a.O.) zugrunde. Unter diesen Umständen macht die Beschwerde nicht deutlich, daß ein Revisionsverfahren zu einer weiteren Klärung der Problematik des Laufs von Widerspruchs- und Klagefristen beitragen könnte. Angesichts der dazu vorliegenden Rechtsprechung des Gerichtshofs besteht auch kein Anlaß, die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen, um im Revisionsverfahren eine Vorabentscheidung zu der aufgeworfenen Frage einzuholen. Sollte die Klägerin in diesem Zusammenhang als Verfahrensfehler rügen wollen, daß das Oberverwaltungsgericht das Verfahren nicht ausgesetzt und eine Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften eingeholt hat, wäre danach auch ein solcher Vorwurf ungerechtfertigt. Im übrigen ist die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision ein Rechtsmittel des innerstaatlichen Rechts im Sinne des Art. 177 Abs. 3 EGV (a.F.), das eine Pflicht des Berufungsgerichts zur Einholung einer Vorabentscheidung ausschließt (Beschluß vom 23. August 1995 - BVerwG 1 B 46.95 - Buchholz 451.20 § 33 a GewO Nr. 8).

2. Die Beschwerde rügt eine Abweichung von der Rechtsprechung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO. Eine die Zulassung der Revision rechtfertigende Divergenz im Sinne der genannten Vorschrift liegt nur vor, wenn das Berufungsgericht mit einem seine Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz von einem in der Rechtsprechung der in § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO genannten Gerichte aufgestellten ebensolchen Rechtssatz abgerückt ist. Dabei müssen sich die Rechtssätze grundsätzlich auf dasselbe Gesetz beziehen. Das Darlegungserfordernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO verlangt in diesem Zusammenhang, daß in der Beschwerdebegründung ausgeführt wird, daß und inwiefern das Berufungsgericht seine Entscheidung auf einen in der genannten Weise widersprechenden Rechtssatz gestützt hat. Daran fehlt es. Die Klägerin verweist in Abschnitt II 3.1 der Beschwerdebegründung auf die Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts vom 29. August 1996 - BVerwG 3 C 7.95 - (BVerwGE 102, 39) und vom 12. März 1997 - BVerwG 3 NB 3.94 - (Buchholz 418.5 Fleischbeschau Nr. 17) und leitet daraus ab, daß der "Verstoß gegen Bundesrecht (§ 24 Abs. 2 FlHG) über die Bestimmung von Art. 31 GG zur Nichtigkeit der Ermächtigungsgrundlage" führe. Sie führt aus, die Rechtsprechung des Berufungsgerichts verstoße gegen diesen Rechtsgrundsatz. Sie zeigt aber nicht auf, daß das Oberverwaltungsgericht mit abstrakten Rechtssätzen von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts abgewichen ist. Das ist auch nicht der Fall. Das Berufungsgericht geht vielmehr davon aus (Abschnitt II 1 der Entscheidungsgründe), daß der bestandskräftig gewordene Gebührenbescheid wegen fehlender Rechtsgrundlage rechtswidrig sei.

3. Auch das weitere Vorbringen der Klägerin führt nicht auf einen Revisionszulassungsgrund.

4. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Wertes des Streitgegenstandes folgt aus § 13 Abs. 2 GKG.

Ende der Entscheidung

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