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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 26.10.2009
Aktenzeichen: BVerwG 10 B 16.09
Rechtsgebiete: AufenthG, VwGO


Vorschriften:

AufenthG § 60
VwGO § 88
VwGO § 129
VwGO § 133 Abs. 6
Beruht das Berufungsurteil auf einem Verstoß gegen § 129 VwGO, kann es auf die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision durch Beschluss nach § 133 Abs. 6 VwGO insoweit aufgehoben werden.
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT BESCHLUSS

BVerwG 10 B 16.09

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 10. Senat des Bundesverwaltungsgerichts am 26. Oktober 2009 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Mallmann, den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Dörig und die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Fricke

beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde der Beklagten wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts vom 30. April 2009 insoweit aufgehoben, als es die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG betrifft.

Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens je zur Hälfte.

Gründe:

Die Beklagte wendet sich mit ihrer Beschwerde ausschließlich gegen die Verpflichtung zur Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG durch das Berufungsgericht. Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere ist nach den glaubhaften Angaben der Beklagten und den bei den Akten befindlichen Aktenvermerken davon auszugehen, dass sie ordnungsgemäß eingelegt worden ist, auch wenn die Beschwerdeschrift im Original nicht vollständig zu den Akten gelangt ist. Die Beschwerde ist auch begründet. Das Berufungsurteil beruht auf dem von der Beklagten gerügten Verfahrensmangel (1.). Auf die Beschwerde der Beklagten ist es daher hinsichtlich der Verpflichtung zur Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG aufzuheben (2.).

1. Die Beschwerde rügt zu Recht, das Berufungsurteil verstoße mit seiner Verpflichtung zur Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG gegen § 129 VwGO. Nach dieser Vorschrift gilt die Dispositionsmaxime auch im Berufungsverfahren. Damit darf das Berufungsgericht das Urteil des Verwaltungsgerichts nur insoweit abändern, als eine Änderung beantragt ist. Dabei ist wie im erstinstanzlichen Verfahren (vgl. § 88 VwGO) das Rechtsschutzbegehren entscheidend und nicht der Wortlaut der Anträge; letztere sind anhand des erkennbaren Begehrens auszulegen (vgl. Urteil vom 17. Dezember 1996 - BVerwG 9 C 42.96 - Buchholz 310 § 129 VwGO Nr. 5). Danach durfte das Berufungsgericht über die Begehren der Kläger nur entscheiden, soweit das Verwaltungsgericht den Klagen stattgegeben und die Beklagte hiergegen mit Erfolg Antrag auf Zulassung der Berufung gestellt hat. Soweit das Verwaltungsgericht die Klagen abgewiesen hat, ist das Urteil des Verwaltungsgerichts hingegen in Rechtskraft erwachsen, nachdem die Kläger ihrerseits kein Rechtsmittel eingelegt haben. Damit war Gegenstand des Berufungsverfahrens nur die im Bescheid des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (jetzt: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt -) vom 13. Mai 2003 verfügte Abschiebungsandrohung, soweit darin Aserbaidschan als Zielstaat einer Abschiebung der Kläger bezeichnet ist. Nur insoweit hat das Verwaltungsgericht den Klagen stattgegeben. Hiergegen wandte sich die Beklagte mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung. Entsprechend erfasst auch der Zulassungsbeschluss des Berufungsgerichts vom 17. August 2005 nur die Aufhebung der Abschiebungsandrohung nach Aserbaidschan durch das Verwaltungsgericht. Dem Berufungsgericht war es daher verwehrt, die Beklagte im Berufungsverfahren zur Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in Bezug auf Aserbaidschan zu verpflichten.

Soweit die Klagen auf die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG gerichtet waren, wurden sie vom Verwaltungsgericht rechtskräftig abgewiesen. Die Kläger hatten vor dem Verwaltungsgericht beantragt, die Beklagte zu verpflichten, festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG (jetzt: § 60 Abs. 1 AufenthG) vorliegen, hilfsweise festzustellen, dass Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG (jetzt: § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG) vorliegen und den ablehnenden Bescheid des Bundesamts hinsichtlich der Ziffern 2 bis 4 aufzuheben. Das Verwaltungsgericht hat daraufhin die Zielstaatsbezeichnung "Aserbaidschan" in Ziffer 4 des Bescheids des Bundesamts aufgehoben und die Klagen im Übrigen abgewiesen. Den Urteilsgründen ist zu entnehmen, dass die Klagen, soweit sie sich im Hauptantrag auf die Verpflichtung zur Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG (Ziff. 2 des Bescheids) richteten, als unbegründet abgewiesen worden sind. Insoweit ist das Urteil des Verwaltungsgerichts in Rechtskraft erwachsen, da die Kläger kein Rechtsmittel eingelegt haben. Hinsichtlich des Hilfsantrags auf Verpflichtung zur Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG (Ziff. 3 des Bescheids) und Aufhebung der Abschiebungsandrohung (Ziff. 4 des Bescheids) ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass die "Zielstaatsbestimmung Aserbaidschan" in der Abschiebungsandrohung aufzuheben sei, weil gegenwärtig nicht erkennbar sei, dass eine Abschiebung dorthin in absehbarer Zeit möglich sei. Zugleich hat es festgestellt, dass damit die Entscheidung über das Nichtvorliegen eines ausländerrechtlichen Abschiebungsverbots (Ziff. 3 des Bescheids) gegenstandlos geworden sei und es nicht verfahrensökonomisch sei, die schwierige Frage, ob bei den Klägern ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 AufenthG vorliege, zu klären. Damit hat das Verwaltungsgericht hinsichtlich der Hilfsanträge auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG keine Sachentscheidung getroffen, sondern die Klagen auch insoweit im Hinblick auf seine stattgebende Entscheidung hinsichtlich der Zielstaatsbezeichnung in der Abschiebungsandrohung - allerdings nicht als unbegründet, sondern mangels Rechtsschutzinteresses als unzulässig - abgewiesen. Auch hiergegen haben die Kläger kein Rechtsmittel eingelegt. Damit ist das Urteil des Verwaltungsgerichts auch insoweit in Rechtskraft erwachsen. Das Berufungsgericht ist folglich zu Unrecht davon ausgegangen, dass der klageabweisende Urteilstenor des Verwaltungsgerichts die (Nicht-) Feststellung von Abschiebungsverboten i.S.d. § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG bezogen auf das völkerrechtlich der Republik Aserbaidschan zuzurechnende Gebiet Berg-Karabach nicht umfasse und der "unbeschieden" gebliebene Hilfsantrag der Kläger auf Feststellung von Abschiebungsverboten deshalb in der Berufungsinstanz wieder angefallen sei (UA S. 10). Angesichts der besonderen Umstände des Falles war es dem Berufungsgericht verwehrt, die Beklagte zur Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu verpflichten. Das angegriffene Urteil beruht insoweit auch auf dem von der Beschwerde gerügten Verfahrensmangel. Das Berufungsgericht hätte die Beklagte nicht zur Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG verpflichten dürfen.

Insoweit unterscheidet sich der Fall von der dem Urteil des 9. Senats vom 15. April 1997 - BVerwG 9 C 19.96 - (BVerwGE 104, 260) zugrunde liegenden Fallkonstellation. Im dortigen Verfahren brauchte das Verwaltungsgericht über die auf Feststellung eines ausländerrechtlichen Abschiebungsverbots gerichteten Hilfsanträge nicht zu entscheiden, weil es bereits dem Hauptantrag stattgegeben hat. In diesem Fall ist anerkannt, dass durch das Rechtsmittel der Beklagten gegen ihre Verurteilung nach dem Hauptantrag auch die Hilfsanträge in der Rechtsmittelinstanz anfallen und das Berufungsgericht bei Abweisung der Klage mit dem Hauptantrag über die in erster Instanz gestellten Hilfsanträge zu entscheiden hat.

2. Der Senat nimmt den Verfahrensmangel zum Anlass, das Berufungsurteil hinsichtlich der Verpflichtung zur Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG aufzuheben. § 133 Abs. 6 VwGO ermächtigt seinem Wortlaut nach das Bundesverwaltungsgericht zwar nur dazu, den Rechtsstreit nach Aufhebung des angefochtenen Urteils zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Eine solche Zurückverweisung widerspräche hier aber in hohem Maße dem Gedanken der Prozessökonomie, der § 133 Abs. 6 VwGO zugrunde liegt. Denn bei einer über § 129 VwGO hinausgehenden Änderung durch das Berufungsgericht kommt als abschließende Entscheidung nur eine entsprechende (Teil-) Aufhebung der Vorentscheidung in Betracht. Daher bedarf es in Fällen dieser Art ausnahmsweise keiner Zurückverweisung (vgl. Pietzner, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Stand 2008, § 133, Rn. 87; vgl. auch Beschlüsse vom 25. Februar 1999 - BVerwG 7 B 281.98 - Buchholz 310 § 133 <n.R.> VwGO Nr. 42 zur Verletzung des in § 88 VwGO bestimmten Gebots, über das Klagebegehren nicht hinauszugehen, vom 2. Juni 1999 - BVerwG 4 B 30.99 - Buchholz 310 § 120 VwGO Nr. 10 zur Aufhebung eines unzulässigen Ergänzungsurteils, vom 2. April 1996 - BVerwG 7 B 48.96 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 22 zur Aufhebung bei zwangsläufiger Unzulässigkeit der Klage, vom 24. Oktober 2006 - BVerwG 6 B 61.06 - Buchholz 310 § 113 Abs. 1 VwGO Nr. 24 zur Aufhebung bei zwangsläufiger Zurückweisung der Berufung und vom 26. März 2004 - BVerwG 1 B 79.03 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 71 zur Änderung bei Verstoß gegen § 144 Abs. 6 VwGO).

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1, § 159 Satz 1 VwGO i.V.m. § 100 Abs. 1 ZPO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 RVG.

Ende der Entscheidung

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