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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 08.09.2000
Aktenzeichen: BVerwG 11 B 50.00
Rechtsgebiete: VwGO


Vorschriften:

VwGO § 58
VwGO § 124 a Abs. 3
VwGO § 132 Abs. 2 Nr. 1
Leitsätze:

Ein vor Zustellung des Zulassungsbeschlusses an das Berufungsgericht übermittelter Schriftsatz, mit dem der Rechtsmittelführer auf einen gegnerischen Schriftsatz erwidert, um seinen Zulassungsantrag zu verteidigen, stellt keine Berufungsbegründung i.S.v. § 124 a Abs. 3 Satz 1 VwGO dar. Dies gilt auch dann, wenn das Berufungsgericht bei Eingang des Schriftsatzes den Beschluss über die Zulassung der Berufung bereits gefasst hatte.

Beschluss des 11. Senats vom 8. September 2000 - BVerwG 11 B 50.00 -

I. VG Trier vom 18.06.1999 - Az.: VG 4 K 1806/98 - II. OVG Koblenz vom 04.05.2000 - Az.: OVG 7 A 12122/99 -


BUNDESVERWALTUNGSGERICHT BESCHLUSS

BVerwG 11 B 50.00 OVG 7 A 12122/99

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 11. Senat des Bundesverwaltungsgerichts am 8. September 2000 durch den Vizepräsidenten des Bundesverwaltungsgerichts Hien und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Vallendar und Prof. Dr. Rubel

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 4. Mai 2000 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme etwaiger außergerichtlicher Kosten des Beigeladenen, die dieser selbst trägt, fallen den Klägern zu 1 und zu 2 zu je einem Viertel und dem Kläger zu 3 zur Hälfte zur Last.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 60 000 DM festgesetzt.

Gründe:

Die Beschwerde ist unbegründet. Die für die Zulassung der Revision allein geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung i.S.v. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO kommt der Rechtssache nicht zu.

Grundsätzlich bedeutsam ist eine Rechtssache nur dann, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zugrunde liegenden Einzelfall hinausgehenden klärungsbedürftigen Frage des revisiblen Rechts zu erwarten ist. Daran fehlt es hier.

1. Die Beschwerde bezeichnet zunächst die Frage als klärungsbedürftig, ob der klägerische Schriftsatz vom 8. November 1999 "als gesonderter Schriftsatz" nach Zulassung der Berufung gelten kann. Sie hält die gegenteilige Auffassung des Berufungsgerichts für unzutreffend, weil sie sich zu Unrecht auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 30. Juni 1998 - BVerwG 9 C 6.98 - (BVerwGE 107, 117) stütze. Dieses Urteil sei nicht einschlägig, weil der Schriftsatz vom 8. November 1999 erst am 11. November 1999 und somit nach der Beschlussfassung über die Berufungszulassung am 8. November 1999 beim Oberverwaltungsgericht eingegangen sei.

Mit diesem Vortrag wird eine grundsätzlich bedeutsame Frage nicht aufgezeigt. Die vom Berufungsgericht angeführte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. auch Urteil vom 4. Oktober 1999 - BVerwG 6 C 31.98 - BVerwGE 109, 336) lässt nämlich die von der Beschwerde vertretene Auslegung des § 124 a Abs. 3 Satz 1 VwGO eindeutig nicht zu. Wenn es in den genannten Entscheidungen heißt, der Rechtsmittelführer müsse nach Zulassung der Berufung einen gesonderten Schriftsatz zur Berufungsbegründung einreichen, ist damit nicht ein Schriftsatz gemeint, den der Rechtsmittelführer - wie hier -, noch ohne dass der Beschluss über die Berufungszulassung zugestellt ist, in Erwiderung auf einen gegnerischen Schriftsatz an das Berufungsgericht übermittelt hat, um seinen Zulassungsantrag zu verteidigen. Dem steht entgegen, dass das Konzept der Zulassungsberufung zweistufig angelegt ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Oktober 1999 - BVerwG 6 C 31.98 - a.a.O., S. 344): Der erstinstanzlich Unterlegene muss zunächst innerhalb eines Monats nach Zustellung des angefochtenen Urteils den Antrag auf Zulassung der Berufung stellen und begründen (§ 124 a Abs. 1 VwGO; erste Stufe). Er muss dann nach Zustellung des zulassenden Beschlusses innerhalb eines Monats die Berufung begründen (§ 124 a Abs. 3 VwGO; zweite Stufe). Durch das in § 124 a Abs. 3 Sätze 1 und 2 VwGO enthaltene Erfordernis einer fristgebundenen Berufungsbegründungsschrift soll gewährleistet werden, dass für das Berufungsgericht und alle Beteiligten zuverlässig feststeht, ob der Berufungskläger nach wie vor - nämlich nach Zulassung seiner Berufung - die Durchführung des Berufungsverfahrens erstrebt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 7. März 2000 - BVerwG 4 B 79.99 - NVwZ 2000, 912). Dem Anliegen, insoweit Rechtsunsicherheit zu vermeiden, würde eine Auslegung nicht gerecht, die - entgegen dem Wortlaut des § 124 a Abs. 3 Satz 1 VwGO - einen vor Zustellung des Zulassungsbeschlusses übermittelten Schriftsatz des Rechtsmittelführers als Berufungsbegründung zu werten. Im vorliegenden Fall ist die Zustellung des Zulassungsbeschlusses ausweislich des Empfangsbekenntnisses des klägerischen Prozessbevollmächtigten erst am 22. November 1999 bewirkt worden.

2. Die Beschwerde wirft weiter die Frage auf, ob die dem Zulassungsbeschluss beigefügte Rechtsmittelbelehrung den Anforderungen nach § 58 Abs. 1, § 124 Abs. 3 VwGO genüge. Auch mit dieser Frage lässt sich die Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht begründen.

Es ist durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt, dass der Beschluss über die Zulassung der Berufung zur Notwendigkeit und zur Fristgebundenheit der Berufungsbegründung eine Rechtsmittelbelehrung enthalten muss. Insofern sind die für das Revisionsrecht von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze über die Notwendigkeit einer Belehrung nach § 58 VwGO auch hier maßgebend (vgl. Urteil vom 30. Juni 1998 - BVerwG 9 C 6.98 - a.a.O., S. 122 f.; Urteil vom 4. Oktober 1999 - BVerwG 6 C 31.98 - a.a.O., S. 339 f.). Die dem Beschluss über die Berufungszulassung beigefügte Rechtsmittelbelehrung genügt diesen Anforderungen. Sie enthält nicht - wie die Beschwerde geltend macht - den bloßen Hinweis auf die gesetzliche Norm, sondern gibt den Inhalt von § 124 a Abs. 3 Satz 1 VwGO nahezu wörtlich wieder. Der Zusatz, dass die Berufung "nach Maßgabe des § 124 a Abs. 3 VwGO" zu begründen sei, ist zunächst als Hinweis zu verstehen, dass bei der Berufungsbegründung Formerfordernisse zu beachten sind (vgl. § 124 a Abs. 3 Sätze 2 und 4 VwGO). Die Frage, ob über Formerfordernisse eines Rechtsmittels zu belehren ist, hat das Bundesverwaltungsgericht bereits wiederholt verneint (vgl. Urteil vom 27. Februar 1976 - BVerwG 4 C 74.74 - BVerwGE 50, 248 <250 ff.>; Urteil vom 27. April 1990 - BVerwG 8 C 70.88 - Buchholz 310 § 74 VwGO Nr. 9, S. 3; Beschluss vom 27. August 1997 - BVerwG 1 B 145.97 - Buchholz 310 § 58 VwGO Nr. 67, S. 5). Eine Belehrung darüber, dass die Berufungsbegründungsfrist verlängert werden kann (vgl. § 124 a Abs. 3 Satz 3 VwGO), war ebenso wenig erforderlich, weil es sich nicht um ein Rechtsmittel oder einen anderen Rechtsbehelf i.S.v. § 58 VwGO handelt. Auch insoweit erscheint der in der Rechtsmittelbelehrung enthaltene Hinweis auf die gesetzliche Fundstelle der einschlägigen Regelung daher zweckmäßig, ohne dass eine weitere textliche Erläuterung zwingend geboten war.

Soweit die Beschwerde in diesem Zusammenhang auch die Rechtsmittelbelehrung des Verwaltungsgerichts als fehlerhaft bezeichnet, ist ihr entgegenzuhalten, dass das erstinstanzliche Urteil keinen Hinweis auf die Regelung des § 124 a Abs. 3 Satz 1 VwGO enthalten muss. Da die Rechtsmittelbelehrung über das Erfordernis der Berufungsbegründung in dem die Zulassung der Berufung aussprechenden Beschluss zu erfolgen hat (vgl. Urteil vom 4. Oktober 1999 - BVerwG 6 C 31.98 - a.a.O., S. 191 f.), ist ein erstinstanzliches Urteil, das - wie hier - in seiner Rechtsmittelbelehrung über die zweite Verfahrensstufe schweigt, nicht zu beanstanden.

Entgegen der Meinung der Beschwerde bestand auch im Hinblick auf den klägerischen Schriftsatz vom 8. November 1999 keine Verpflichtung des Berufungsgerichts zu einem rechtlichen Hinweis, dass dieser Schriftsatz nicht als Berufungsbegründung zu werten war. Der ihnen erteilten Rechtsmittelbelehrung konnten die anwaltlich vertretenen Kläger entnehmen, dass die Berufung "nach Zustellung" des Beschlusses vom 8. November 1999 fristwahrend begründet werden musste. Da diese Zustellung erst am 22. November 1999 bewirkt worden ist, konnte kein Zweifel daran bestehen, dass der Schriftsatz vom 8. November 1999 nicht den Anforderungen genügen konnte, die aus § 124 a Abs. 3 Satz 1 VwGO herzuleiten sind. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund der zuvor (oben 1.) angeführten höchstrichterlichen Rechtsprechung, die - soweit sie bereits damals veröffentlicht war - hinreichend erkennen ließ, dass nur ein "gesonderter Schriftsatz" dem Begründungserfordernis genügen konnte.

Wenn die Beschwerde in diesem Zusammenhang auf die Anhörungspflicht aus § 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO verweist, liegt dies neben der Sache. Die nach dieser Vorschrift gebotene Anhörung ist vor Erlass des angefochtenen Verwerfungsbeschlusses durch die Vorsitzendenverfügung vom 29. Dezember 1999 erfolgt. Für eine Verpflichtung des Berufungsgerichts, diese Anhörung vor Ablauf der Frist zur Berufungsbegründung durchzuführen, gibt die Prozessordnung nichts her.

3. Schließlich möchte die Beschwerde die grundsätzliche Bedeutung der Sache aus Fragen zur EG-Richtlinie 337/85 (UVP-Richtlinie) herleiten. Diese Fragen könnten sich in einem Revisionsverfahren jedoch nicht stellen und rechtfertigen deswegen die Revisionszulassung ebenfalls nicht. Wenn es - wie hier (oben 1. und 2.) - dabei bleibt, dass die Berufung unzulässig ist, weil die gegen den Verwerfungsbeschluss erhobenen Grundsatzrügen nicht durchgreifen, erwächst das erstinstanzliche Urteil, mit dem die Klage abgewiesen worden ist, in Rechtskraft (vgl. § 121 VwGO). Eine Überprüfung in der Sache, wie sie die Beschwerde mit ihrer Grundsatzrüge zur UVP-Richtlinie anstrebt, ist damit ausgeschlossen.

4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 159 Satz 1, § 162 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 100 Abs. 1 ZPO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG, § 5 ZPO und der dazu vom Senat entwickelten Spruchpraxis, die anknüpfend an den Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NVwZ 1996, 563 = DVBl 1996, 606 = GewArch 1996, 462) den Wert einer auf Abwehr von Immissionen gerichteten Klage bezogen auf ein eigengenutztes Wohnanwesen - unabhängig von der Zahl der Bewohner - in der Regel pauschalierend mit 30 000 DM ansetzt. Letzteres führt im vorliegenden Fall zu folgenden Teilstreitwerten:

Klägerin zu 1 15 000 DM Kläger zu 2 15 000 DM Klägerin zu 3 30 000 DM

Daraus ergeben sich der Gesamtstreitwert von 60 000 DM und die auf die einzelnen Kläger entfallenden Kostenanteile.



Ende der Entscheidung

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