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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 12.12.2000
Aktenzeichen: BVerwG 11 B 76.00
Rechtsgebiete: VwGO, FlurbG


Vorschriften:

VwGO § 132 Abs. 2 Nr. 1
VwGO § 132 Abs. 3 Satz 3
FlurbG §§ 138 ff.
Leitsätze:

Allein eine überlange Verfahrensdauer rechtfertigt noch nicht eine der gesetzlichen Regelung widersprechende Beweislastverteilung.

Nur eine schuldhafte Beweisvereitelung seitens der beklagten Behörde kann zu einer Beweislastumkehr zugunsten des Klägers führen. Sonst ist der Beweisnot des Klägers im Rahmen der prozessualen Darlegungs- und Mitwirkungslast Rechnung zu tragen.

Beschluss des 11. Senats vom 12. Dezember 2000 - BVerwG 11 B 76.00 -

I. OVG Münster vom 15.08.2000 - Az.: OVG 9 a D 72/98.G -


BUNDESVERWALTUNGSGERICHT BESCHLUSS

BVerwG 11 B 76.00 VG 9a D 72/98.G

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 11 Senat des Bundesverwaltungsgerichts am 12. Dezember 2000 durch den Vizepräsidenten des Bundesverwaltungsgerichts Hien und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Vallendar und Prof. Dr. Rubel

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen (Flurbereinigungsgericht) vom 15. August 2000 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme etwaiger Kosten der Beigeladenen, die nicht erstattungsfähig sind.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 1 300 000 DM festgesetzt.

Gründe:

Die auf die Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 Nrn. 1 und 3 VwGO (i.V.m. § 138 Abs. 1 Satz 2 FlurbG) gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg. Das Beschwerdevorbringen rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht.

1. Die Rechtssache hat entgegen der Auffassung der Beschwerde keine grundsätzliche Bedeutung i.S. des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.

Grundsätzlich bedeutsam ist eine Rechtssache nur dann, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zugrunde liegenden Einzelfall hinausgehenden klärungsbedürftigen Frage des revisiblen Rechts zu erwarten ist. Daran fehlt es hier.

Dies gilt zunächst für die folgenden von der Beschwerde aufgeworfenen Fragen:

"1. Ist ein Verfahren mit einer Verfahrensdauer von über 30 Jahren, durch das in eigentumsrechtlich geschützte Positionen eingegriffen wird, mit rechtsstaatlichen Grundsätzen vereinbar?

2. Kann eine Entscheidung bezüglich der Schätzung und Wertermittlung von Grundstücken auf der Grundlage des Flurbereinigungsgesetzes überhaupt noch erfolgen und sachgerecht sein, wenn das Verfahren über 30 Jahre andauert und die tatsächlichen Grundlagen nicht mehr zuverlässig und umfassend zu ermitteln sind? Muss der Bewertungsmaßstab des Flurbereinigungsgesetzes zugunsten einer Abfindung nach Verkehrswerten "verlassen" werden?

3. Gebieten rechtsstaatliche Grundsätze bei einer solch langen Verfahrensdauer, dass die Darlegungs- und Beweislast des Klägers aufgrund der von ihm nicht verschuldeten Verfahrensdauer erleichtert wird, insbesondere dem Kläger Beweiserleichterungen bis hin zur Beweislastumkehr eingeräumt werden müssen?"

Mit ihrer Rüge einer überlangen Verfahresdauer bezieht die Beschwerde sich auf den Umstand, dass das Flurbereinigungsverfahren durch Beschluss vom 30. April 1969 eingeleitet und die Bewertung der Flächen in der Örtlichkeit bereits vom 2. August bis 7. Oktober 1971 durchgeführt worden ist. Als maßgeblichen Zeitpunkt für die Wertgleichheit hat des Flurbereingungsgericht allerdings die Anordnung der vorläufigen Besitzeinweisung angesehen, die vom 16. August 1976 datiert. Die Berücksichtigung etwaiger werterhöhender späterer Entwicklungen hat das Flurbereinigungsgericht unter Hinweis auf § 44 Abs. 1 Sätze 3 und 4 FlurbG abgelehnt (UA S. 34 f.). Es bedarf nicht der Durchführung eines Revisionsverfahrens um zu klären, ob das Flurbereinigungsgericht an die im Flurbereinigungsgesetz für maßgeblich erklärte Stichtagsregelung gebunden ist. Die Gesetzesbindung der Gerichte ist ein ausdrücklich normiertes Verfassungsprinzip (vgl. Art. 20 Abs. 3, Art. 97 Abs. 1 GG). Ausnahmen hiervon sind auch nicht durch eine überlange Verfahrensdauer zu rechtfertigen.

Soweit die Beschwerde rügen möchte, die Gesetzesanwendung durch das Flurbereinigungsgericht führe zu verfassungswidrigen Ergebnissen, genügt sie nicht den Darlegungserfordernissen des § 132 Abs. 3 Satz 3 VwGO. Denn mit bloßen Angriffen gegen die Rechtsauffassung der Vorinstanz kann die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache auch dann nicht dargelegt werden, wenn der Beschwerdeführer für seine abweichende Ansicht verfassungsrechtliche Erwägungen anführt (vgl. z.B. BVerwG, Beschluss vom 21. Februar 1990 - BVerwG 5 B 94.89 - Buchholz 424.01 § 1 FlurbG Nr. 9). Im vorliegenden Fall begnügt sich die Beschwerde mit der Behauptung, dass die überlange Verfahrensdauer nicht vom Kläger verschuldet sei, ohne sich insoweit auf nähere Tatsachenangaben zu stützen oder sich sonst mit den möglichen Gründen der Verfahrensverzögerung auseinander zu setzen. Dabei muss die Beschwerde sich entgegenhalten lassen, dass sich aus Art. 19 Abs. 4 GG, auf den sie sich ebenso wie auf Art. 2 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3 und Art. 103 Abs. 1 GG beruft, kein Gebot einer von vornherein bestimmten höchstzulässigen Verfahrensdauer ableiten lässt (vgl. BVerfGE 55, 349 <369>). Ob das aus diesen Verfassungsvorschriften folgende Gebot, Rechtsschutz innerhalb angemessener Zeit zu gewähren, verletzt ist, bestimmt sich nach den besonderen Umständen des einzelnen Falles. Hierzu enthält die Beschwerdebegründung keine Ausführungen. Auch die Frage, auf welchem Wege bei einer überlangen Verfahrensdauer, die - wie unterstellt werden mag - nicht vom Kläger zu vertreten ist, dem Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz Rechnung zu tragen wäre, wird von der Beschwerde nicht näher diskutiert. So wird beispielsweise nicht erkennbar, ob und gegebenenfalls welche Regelung des Flurbereinigungsgesetzes die Beschwerde für verfassungswidrig hält.

In diesem Zusammenhang führt auch der Hinweis der Beschwerde auf "Beweiserleichterungen bis hin zur Beweislastumkehr" nicht weiter. Denn die Frage, wie einer Beweisnot Rechnung zu tragen ist, wenn es um die Beurteilung entscheidungserheblicher Sachverhalte geht, die Jahrzehnte zurückliegen, ist nicht klärungsbedürftig. Hierzu liegt eine gefestigte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vor, die besagt, dass allein eine überlange Dauer des Verwaltungsverfahrens noch nicht eine der gesetzlichen Regelung widersprechende Beweislastverteilung rechtfertigt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 22. Oktober 1992 - BVerwG 3 B 26.92 - Buchholz 427.207 § 1 7. FeststellungsDV Nr. 61). Vielmehr kann nur eine schuldhafte Beweisvereitelung seitens der beklagten Behörde zu einer Beweislastumkehr zugunsten des Klägers führen (vgl. BVerwGE 78, 367 <370>; BVerwG, Beschluss vom 22. Oktober 1992, a.a.O.). Sonst ist der Beweisnot des Klägers im Rahmen der prozessualen Darlegungs- und Mitwirkungslast Rechnung zu tragen (vgl. BVerwG, Urteil vom 12. April 1988 - BVerwG 3 C 37.87 - Buchholz 427.6 § 15 BFG Nr. 28). Es ist nicht dargelegt, dass das Flurbereinigungsgericht von diesen Grundsätzen abgewichen ist.

Nicht in einem Revisionsverfahren klärungsbedürftig ist schließlich auch die von der Beschwerde aufgeworfene Frage,

ob unter Berücksichtigung der Verfahrensdauer und der sich daraus ergebenden Nachteile für den Kläger die vom Flurbereinigungsgericht vorgenommene Festsetzung der Gerichtsgebühr von der Regelung des § 147 FlurbG gedeckt ist.

Auch unter Berücksichtigung des - zutreffenden - Hinweises, dass eine "Bestrafungsgebühr" unzulässig ist, wird eine fallübergreifende Bedeutung dieser Fragestellung nicht deutlich. Die Festsetzung der Gebühr steht nach § 147 Abs. 1 Satz 2 FlurbG im Ermessen des Gerichts. Die Gründe für die Festsetzung der Gebühr dürfen sich jedoch nicht aus der Person des Klägers oder seinem Verhalten ergeben (vgl. BVerwGE 4, 202 f.). Das Flurbereinigungsgericht hat seine Ermessensentscheidung im vorliegenden Fall zwar nicht begründet. Anhaltspunkte für einen Ermessensfehlgebrauch liegen dennoch nicht vor. Denn angesichts des besonderen Umfangs des vom Kläger zur Entscheidung gestellten Prozessstoffs und der dadurch ausgelösten Ermittlungen des Gerichts erscheint eine Gebührenfestsetzung nahe liegend. Die Höhe der Gebühr resultiert letztlich aus dem Streitwert, den das Flurbereinigungsgericht aber ermittelt hat, ohne dass die Beschwerde insoweit Einwände erhebt.

2. Auch die Verfahrensrügen greifen nicht durch.

Soweit die Beschwerde die - aus ihrer Sicht - "eigenmächtige" Weitergabe der Entscheidungskompetenz von der Spruchstelle auf den Beklagten beanstandet, bezeichnet sie keinen Verfahrensmangel i.S. des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO. Denn die Rüge betrifft ein Verhalten der Verwaltungsbehörden, durch das sich der Kläger beschwert sieht. § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO meint aber nur Verstöße gegen Vorschriften des gerichtlichen Verfahrens (vgl. BVerwGE 10, 37 <43>). Die Vorschriften der §§ 138 ff. VwGO bestimmen insoweit nichts Abweichendes.

Die von der Beschwerde erhobene Rüge mangelnder Sachaufklärung ist unbegründet. Auf der Grundlage der für den Umfang der Aufklärungspflicht maßgeblichen materiellrechtlichen Auffassung des Flurbereinigungsgerichts kam eine Beweisaufnahme durch Vernehmung des Zeugen K. nicht in Betracht. Das Flurbereinigungsgericht hat die Vernehmung dieses Zeugen zu der Frage, ob ab 1961 Verhandlungen über den Verkauf bestimmter Flächen stattgefunden haben und ob diese Flächen im Gemeinderat als Bauerwartungsland betrachtet wurden, als nicht entscheidungserheblich abgelehnt. Die ebenfalls in das Wissen des Zeugen gestellte Tatsache, ob es den Entwurf eines Flächennutzungsplans gegeben hat, in dem diese Flächen als Bauflächen ausgewiesen werden sollten, hat das Flurbereinigungsgericht als wahr unterstellt und mit dieser Begründung auch insoweit die Zeugenvernehmung abgelehnt. Zur Begründung hat es im angefochtenen Urteil ausgeführt, Tatsache sei, dass der Entwurf nicht umgesetzt und die Verkaufsverhandlungen - aus welchen Gründen auch immer - für den maßgeblichen Zeitpunkt nachweislich zu keinem Ergebnis geführt hätten. Vielmehr habe die Gemeinde ihre hier rechtlich beachtlichen Planungsabsichten in einem Flächennutzungsplan kundgetan, der für die streitigen Flächen keine Wohnbebauung vorgesehen habe (UA S. 39). Wenn die Beschwerde dies mit dem Hinweis auf die lange Verfahrensdauer beanstandet, wird damit eine Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht nicht dargetan. Eine vollständige und umfassende Sachaufklärung bezieht sich nicht auf Tatsachen, die das Gericht als wahr unterstellt oder aus sonstigen Gründen entsprechend seiner materiellrechtlichen Auffassung als nicht entscheidungserheblich ansieht.

Schließlich geht auch die von der Beschwerde erhobene Gehörsrüge fehl. Die Gehörsrüge erfordert regelmäßig - so auch hier - die substantiierte Darlegung dessen, was der Beschwerdeführer noch vorgetragen hätte, wenn die vermeintliche Verletzung des rechtlichen Gehörs unterblieben wäre (vgl. z.B. BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 VwGO Nr. 26). Ist ein angeblich dem Beschwerdeführer vorenthaltenes Erkenntnismittel ihm auch nach Urteilserlass nicht ohne weiteres zugänglich, muss er es innerhalb der Beschwerdefrist anfordern, überprüfen und dann im Einzelnen darlegen, was er dazu vorgetragen hätte (vgl. BVerwG, Beschluss vom 13. Januar 1999 - BVerwG 9 B 90.98 - Buchholz 310 § 133 VwGO Nr. 36). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerde nicht, wenn sie nur darauf verweist, eine umfassende Auswertung der gesamten Akten hätte den Kläger in die Lage versetzt, durch neuen Vortrag seine Sachdarstellung zu bestätigen und damit eine günstigere Entscheidungsgrundlage zu schaffen.

Voraussetzung für eine begründete Rüge der Versagung rechtlichen Gehörs ist ferner, dass der Beschwerdeführer - erfolglos - sämtliche verfahrensrechtlich eröffneten und nach Lage der Dinge tauglichen Möglichkeiten ausgeschöpft hat, um sich rechtliches Gehör zu verschaffen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 7. April 1999 - BVerwG 9 B 999.98 - Buchholz 11 Art. 103 Abs. 1 GG Nr. 55). Davon kann im vorliegenden Fall nicht ausgegangen werden. Der klägerische Prozessbevollmächtigte hat zwar vor dem Termin der mündlichen Verhandlung unter dem 8. August 2000 schriftsätzlich mitgeteilt, dass ihm die angebotene Akteneinsicht auf der Geschäftsstelle als Terminsvorbereitung unzureichend erscheine. Die Senatsvorsitzende hat ihm daraufhin mit Verfügung vom gleichen Tage aber anheim gestellt, die Akteneinsicht auf der Geschäftsstelle, die am nächsten Tage stattfand, noch bis zum Termin am 15. August 2000 auszudehnen. Im Übrigen hat die Senatsvorsitzende den klägerischen Prozessbevollmächtigten auf die Erörterung des gesamten Komplexes unter Auswertung der Unterlagen in der mündlichen Verhandlung verwiesen. Ausweislich der Niederschrift über diese mündliche Verhandlung hat der klägerische Prozessbevollmächtigte dort aber nicht - wie er in seinem Schriftsatz vom 8. August 2000 angekündigt hatte - eine angemessene Frist zur Stellungnahme nach Akteneinsicht beantragt. Nach Lage der Dinge brauchte sich dem Flurbereinigungsgericht hiernach nicht der Gedanke aufzudrängen, dass dem Kläger nicht ausreichend Gelegenheit zu einem sachgerechten Vortrag geboten worden sei.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 14 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.

Ende der Entscheidung

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