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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 04.07.2002
Aktenzeichen: BVerwG 2 C 13.01
Rechtsgebiete: VwGO


Vorschriften:

VwGO § 40 Abs. 1
VwGO § 47
BBesG § 49 Abs. 3
1. Der Streit um die Verpflichtung der Exekutive zum Erlass oder zur Änderung untergesetzlicher Rechtsnormen ist nichtverfassungsrechtlicher Art (wie bish. Rspr.).

2. § 47 VwGO schließt Klagen nicht aus, mit denen ein Anspruch auf Erlass oder Änderung einer untergesetzlichen Rechtsnorm geltend gemacht wird (wie bish. Rspr.).

3. § 49 Abs. 3 BBesG enthält nicht nur eine Ermächtigung zum Verordnungserlass, sondern verpflichtet den Dienstherrn zur regelmäßigen Entschädigung der angefallenen notwendigen Kosten eines Gerichtsvollzieherbüros.


BUNDESVERWALTUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

BVerwG 2 C 13.01

Verkündet am 4. Juli 2002

In den Verwaltungsstreitsachen

hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 4. Juli 2002 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Silberkuhl und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dawin, Dr. Kugele, Groepper und Dr. Bayer

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Beschlüsse des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 4. Oktober 2000 werden aufgehoben.

Die Sachen werden zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen.

Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

Gründe:

I.

Die Kläger sind als Gerichtsvollzieher an verschiedenen Amtsgerichten des Beklagten eingesetzt. Mit Schreiben an den Direktor des jeweiligen Amtsgerichts beantragten sie die Erhöhung des Sachkostenanteils der durch Landesverordnung geregelten Bürokostenentschädigung um jährlich mindestens 12 000 DM. Zur Begründung verwiesen sie auf die seit Jahren erheblich gestiegenen Kosten eines Geschäftszimmers, zu dessen Unterhaltung sie verpflichtet seien.

Die Präsidentin des Oberlandesgerichts M. wies die an sie weitergeleiteten Anträge zurück. Zur Begründung führte sie aus, dass die zur Deckung der Bürokosten bestimmten Gebührenanteile der Gerichtsvollzieher jährlich festgesetzt würden. Dadurch sei gewährleistet, dass die Gerichtsvollzieher im Durchschnitt einen ausreichenden Ersatz der notwendigen Bürokosten erhielten. Da die Kläger keine Angaben über ihre konkreten Kosten gemacht hätten, seien von Amts wegen keine Ermittlungen zur Kostenstruktur des Gerichtsvollzieherbüros veranlasst.

Das Verwaltungsgericht hat den Klagen teilweise stattgegeben. Auf die Berufungen des Beklagten wurden die Klagen in vollem Umfang abgewiesen; die Berufungen der Kläger wurden zurückgewiesen. Zur Begründung hat das Berufungsgericht ausgeführt:

Für die Anträge auf Aufhebung der Bescheide der Präsidentin des Oberlandesgerichts bestehe kein Rechtsschutzinteresse. Da eine für die Änderung der Gerichtsvollzieherentschädigungsverordnung nicht zuständige Behörde entschieden habe, hätten die angefochtenen Bescheide gegenüber dem Feststellungsbegehren der Kläger keine Bindungswirkung. Auch die Feststellungsanträge seien unzulässig. Denn die Kläger hätten es unterlassen, vor Klageerhebung entsprechende Anträge auf Änderung der Verordnung an das zuständige Bayerische Staatsministerium der Justiz zu richten. Zwar hätten die Kläger auch dort jeweils Widerspruch eingelegt, diesen jedoch zurückgenommen. Somit fehle eine unabdingbare Klagevoraussetzung.

Mit den vom Bundesverwaltungsgericht zugelassenen und zu gemeinsamer Verhandlung und Entscheidung verbundenen Revisionen rügen die Kläger die Verletzung formellen und materiellen Rechts.

Sie beantragen,

die Beschlüsse des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 4. Oktober 2000 und die Urteile des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 6. August 1996 sowie die Bescheide der Präsidentin des Oberlandesgerichts München vom 8. September und 25. November 1994 aufzuheben

und festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, die in den §§ 2 und 3 der Verordnung zur Abgeltung der Bürokosten der Gerichtsvollzieher festgesetzten Gebührenanteile und Höchstbeträge der Bürokostenentschädigung zu erhöhen.

Der Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

II.

Die Revisionen sind mit dem Ergebnis der Zurückverweisung der Sache begründet. Sie rügen zu Recht, dass das Berufungsgericht die Klagen als unzulässig abgewiesen hat. Die fehlerhafte Verneinung des Vorliegens einer Sachurteilsvoraussetzung begründet einen Verfahrensmangel (stRspr; vgl. u.a. Beschlüsse vom 9. August 2000 - BVerwG 8 B 72.00 - Buchholz 310 § 121 VwGO Nr. 80 S. 5 m.w.N.). Auf diesem Mangel beruhen die angefochtenen Beschlüsse. Die Entscheidung des Berufungsgerichts stellt sich nicht aus anderen Gründen im Ergebnis als richtig dar. Zur abschließenden Beurteilung des Klagebegehrens bedarf es tatsächlicher Feststellungen. Das zwingt zur Zurückverweisung.

Der Sache nach (§ 88 VwGO) begehren die Kläger eine Änderung der allgemeinen Entschädigungsregelung nach § 3 Abs. 3 und 4 der Bayerischen Verordnung zur Abgeltung der Bürokosten der Gerichtsvollzieher (Gerichtsvollzieherentschädigungsverordnung - GVEntschV - in der Fassung vom 26. September 1975, GVBl S. 338 und folgende Fassungen). Für dieses Rechtsschutzbegehren ist nach § 40 Abs. 1 VwGO der Verwaltungsrechtsweg eröffnet. Gegenstand des Klagebegehrens ist die Änderung einer Rechtsnorm im Range unterhalb eines förmlichen Gesetzes. Die gerichtliche Kontrolle der Verwaltung, auch soweit diese - wie beim Erlass einer Rechtsverordnung - Recht setzend tätig wird, obliegt den Verwaltungsgerichten (vgl. BVerfGE 68, 319 <325 f.>; BVerfGE 71, 305 <343>). Diese dürfen untergesetzliche Rechtsnormen, auf deren Gültigkeit es für die Entscheidung über ein Klagebegehren ankommt, als ungültig verwerfen. Der Streit um die Verpflichtung der Exekutive zum Erlass oder zur Änderung solcher Rechtsnormen ist nicht verfassungsrechtlicher, sondern lediglich verwaltungsrechtlicher Art (vgl. Urteile vom 3. November 1988 - BVerwG 7 C 115.86 - BVerwGE 80, 355 <357 f.> und vom 7. September 1989 - BVerwG 7 C 4.89 - Buchholz 415.1 AllgKommR Nr. 93 S. 54 f.).

Die untergesetzliche Rechtsnorm, deren Änderung die Kläger begehren, wird zwar als abstrakt generelle Regelung im Interesse der Allgemeinheit erlassen. Das schließt jedoch nicht aus, dass der einzelne durch die Norm begünstigte Bürger einen Anspruch auf ihren Erlass oder ihre Änderung haben kann. Ein solcher Anspruch kann sich aus höherrangigem Recht ergeben. Besteht ein Anspruch auf Erlass oder Änderung einer Verordnung, kann er auch gerichtlich durchgesetzt werden. Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistet Rechtsschutz nicht nur gegen höherrangiges Recht verletzende Rechtssetzungsakte, sondern auch gegen ein mit höherrangigem Recht unvereinbares Unterlassen des Verordnungsgebers (vgl. Urteile vom 3. November 1988 - BVerwG 7 C 115.86 - a.a.O. S. 361 und vom 7. September 1989 - BVerwG 7 C 4.89 - a.a.O. S. 54). § 47 VwGO schließt die Zulässigkeit solcher Klagen nicht aus (vgl. Urteil vom 3. November 1988 - BVerwG 7 C 115.86 - a.a.O. S. 362).

Die von den Klägern erhobene Feststellungsklage (§ 43 VwGO) ist die statthafte Klageart. Ein der Klärung im Wege der Feststellungsklage zugängliches konkretes Rechtsverhältnis (§ 43 Abs. 1 VwGO) der Kläger zu dem beklagten Land ist gegeben. Klärungsfähig und klärungsbedürftig ist die zwischen den Parteien streitige Frage, ob die Kläger eine generelle Erhöhung der in der Verordnung vorgesehenen Bürokostenentschädigung verlangen können und ob das Bayerische Staatsministerium der Justiz durch das Unterlassen einer Anpassung der Verordnung an geänderte tatsächliche Verhältnisse Rechte der Kläger verletzt hat.

Die Subsidiarität (§ 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO) steht dem Feststellungsbegehren nicht entgegen. Eine Verpflichtungsklage scheidet schon deswegen aus, weil die Kläger nicht den Erlass eines Verwaltungsakts begehren. Ob die Kläger anstelle des Feststellungsbegehrens auch eine allgemeine Leistungsklage, gerichtet auf Normerlass in Gestalt einer die Kläger begünstigenden Änderung der Entschädigungsverordnung, erheben könnten, mag auf sich beruhen. Darauf kommt es nicht an. Die Möglichkeit der Erhebung einer allgemeinen Leistungsklage schließt das Feststellungsbegehren jedenfalls nicht aus. § 43 Abs. 2 VwGO ist seinem Zweck entsprechend einschränkend auszulegen. Die angeordnete Subsidiarität der Feststellungsklage gegenüber einer Leistungsklage gilt bei Klagen gegen den Staat nur, wenn - anders als im vorliegenden Fall - die Sonderregelungen über Fristen und Vorverfahren für Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen unterlaufen würden (stRspr; vgl. u.a. Urteile vom 6. Juli 1994 - BVerwG 11 C 12.93 - Buchholz 310 § 40 VwGO Nr. 271 S. 12 m.w.N., vom 29. April 1997 - BVerwG 1 C 2.95 - Buchholz 310 § 43 VwGO Nr. 127 S. 9 m.w.N. und vom 25. Januar 2001 - BVerwG 2 A 4.00 - Buchholz 232 § 26 BBG Nr. 39 S. 2).

Die Verfolgung des Klagebegehrens durch eine Feststellungsklage trägt im Übrigen eher als eine Leistungsklage dem Gewaltenteilungsprinzip Rechnung, weil auf die Entscheidungsfreiheit des rechtsetzenden Organs gerichtlich nur in den für den Rechtsschutz des Bürgers unumgänglichen Umfang eingewirkt wird (vgl. Urteil vom 7. September 1989 - BVerwG 7 C 4.89 - a.a.O. S. 56). Die Entscheidung, in welcher Weise eine festzustellende Rechtsverletzung zu beheben ist, bleibt dem Normgeber überlassen.

Der Klageantrag auf Aufhebung der Bescheide der Präsidentin des Oberlandesgerichts M. vom 8. September und 25. November 1994 hat keine selbständige Bedeutung. Über diesen Antrag kann nicht isoliert entschieden werden. Eine bloße gerichtliche Aufhebung der Bescheide brächte die Kläger ihrem Rechtsschutzziel nicht näher. Dieses erreichen sie nur durch die begehrte Feststellung. Die Aufhebung des Ablehnungsbescheids und des Widerspruchsbescheids stellt jedenfalls sicher, dass der der Feststellung formell entgegenstehende Verwaltungsakt auch keinerlei Rechtsscheinswirkung mehr hat.

Dem Erfordernis des Vorverfahrens (§ 126 Abs. 3 BRRG) ist genügt. Die Kläger haben in zulässiger Weise (vgl. Urteil vom 28. Juni 2001 - BVerwG 2 C 48.00 - Buchholz 230 § 126 BRRG Nr. 21 S. 2 ff.) Widerspruch dagegen erhoben, dass die nach ihrer Auffassung unzureichende Entschädigungsregelung bisher nicht zu ihren Gunsten angepasst worden ist. Ihre schriftlichen Anträge, mit denen sie die normgeberische Festsetzung einer höheren als der ihnen tatsächlich gewährten Bürokostenentschädigung begehrt haben, genügt den sich aus § 126 Abs. 3 BRRG ergebenden inhaltlichen Anforderungen an einen Widerspruch. Auf dessen Bezeichnung durch den Erklärenden kommt es nicht an (vgl. Urteil vom 28. Juni 2001 - BVerwG 2 C 48.00 - a.a.O. S. 5). Dass die Anträge der Kläger nicht an das Bayerische Staatsministerium der Justiz als Verordnungsgeber gerichtet waren, ist unschädlich. Die Kläger haben mit ihren Schreiben an die Direktoren der Amtsgerichte um Weiterleitung an die zuständige Stelle gebeten. Das Justizministerium hat sich auf Veranlassung der Präsidentin des Oberlandesgerichts mit dem Begehren der Kläger und mit dem Sachverhalt eingehend befasst, die Rechtmäßigkeit der Entschädigungsregelung bejaht und deren Änderung abgelehnt.

Das Bundesverwaltungsgericht hat im Übrigen in ständiger Rechtsprechung aus Gründen der Prozessökonomie ein Vorverfahren für entbehrlich gehalten, wenn sich der auch für die Widerspruchsentscheidung zuständige Beklagte auf die Klage einlässt und deren Abweisung beantragt (vgl. u.a. Urteil vom 22. Juli 1999 - BVerwG 2 C 14.98 - Buchholz 237.2 § 12 BlnLBG Nr. 3 S. 3 f. m.w.N.). Auch diese Voraussetzung liegt vor.

Die Entscheidung des Berufungsgerichts stellt sich nicht aus anderen Gründen im Ergebnis als richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO). Das Prozessurteil lässt sich auch nicht als Sachurteil aufrechterhalten.

§ 49 Abs. 3 BBesG ermächtigt die Landesregierungen, durch Rechtsverordnung die Abgeltung der den Gerichtsvollziehern durch die Einrichtung und Unterhaltung eines Büros entstehenden Kosten zu regeln. Diese Bestimmung ist nicht nur bloße Ermächtigungsnorm, sondern verpflichtet zugleich den Dienstherrn zum regelmäßigen Ersatz der angefallenen Bürokosten. Diese Verpflichtung ergibt sich zudem aus dem Gebot amtsangemessener Alimentation. Den Gerichtsvollziehern wird nicht zugemutet, Kosten, die ihnen zwangsläufig aufgrund dienstlicher Verpflichtung entstehen, selbst zu tragen. Aus Gründen der verfassungsrechtlich geschützten Alimentationspflicht (Art. 33 Abs. 5 GG) sollen die Gerichtsvollzieher nicht mit dienstlich veranlassten Aufwendungen belastet werden, die andere Beamte gleichen Amtes nicht zu tragen haben. Deshalb ist die Entschädigung an den angefallenen notwendigen Sach- und Personalkosten auszurichten und realitätsnah festzusetzen. Allerdings ist der Dienstherr zur Pauschalierung und Typisierung, im Falle gravierender regionaler Unterschiede auch zu Staffelungen befugt oder gar verpflichtet. Ein bestimmtes Entschädigungsmodell, wie dies den Klägern offenbar vorschwebt, sieht § 49 Abs. 3 BBesG nicht vor (vgl. Beschluss vom 10. April 1996 - BVerwG 2 B 48.96 -).

Ob die streitige Entschädigungsregelung im Zuständigkeitsbereich des Beklagten den Gerichtsvollziehern während der in Rede stehenden Zeiträume die im Durchschnitt tatsächlich entstandenen Bürokosten angemessen abgegolten hat, kann der Senat im Revisionsverfahren mangels tatsächlicher Feststellungen des Berufungsgerichts nicht beurteilen.

Auf die Möglichkeit nach § 3 Abs. 6 (Abs. 7) GVEntschV in den jeweiligen Fassungen, von der Entschädigungsregelung in besonderen Fällen abzuweichen, können die Kläger nicht verwiesen werden. Diese Ausnahme setzt das Vorliegen eines "besonderen Falles" voraus. Ein solcher Fall wird durch atypische Umstände gekennzeichnet, die ihn von der Menge gleichliegender "Normalfälle" unterscheiden und die so bedeutsam und gewichtig sind, dass sie die normative Regel ausnahmsweise zurücktreten lassen. Um eine solche Atypik als Voraussetzung einer Ausnahme von der normativen Regel geht es hier nicht. Die Kläger machen vielmehr geltend, die Entschädigungsregelung sei wegen der allgemeinen Erhöhung der Bürokosten für die große Zahl der Regelfälle generell unzureichend. Trifft dies zu, kann dem nicht in der Weise begegnet werden, dass die normative Ausnahmeregelung ohne eine normgeberische Entscheidung auf Regelfälle angewendet wird.

Beschluss

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 24 542 € (entspricht 48 000 DM) festgesetzt (§ 13 Abs. 1 Satz 1, § 73 Abs. 1 GKG, § 173 VwGO i.V.m. § 5 ZPO).

Ende der Entscheidung

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