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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 13.07.2000
Aktenzeichen: BVerwG 2 C 17.99
Rechtsgebiete: LBG NW, LVO NW


Vorschriften:

LBG NW § 15
LVO NW § 6 Abs. 1
LVO NW § 52 Abs. 1
LVO NW § 84 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
Leitsätze:

Die zulässige Überschreitung des in Nordrhein-Westfalen geltenden Höchstalters für die Einstellung als Beamter auf Probe wegen Kinderbetreuung erfordert, dass die Geburt oder die Betreuung des Kindes für die Verzögerung der Einstellung, nicht lediglich die Bewerbung ursächlich war.

Die materielle Beweislast für den Ursachenzusammenhang zwischen Kinderbetreuung und Einstellungsverzögerung trägt grundsätzlich der Einstellungsbewerber.

Hat der Dienstherr die Unterlagen über seine damalige Auswahlentscheidung vernichtet, trägt er die materielle Beweislast dafür, dass der Bewerber ungeachtet der Kinderbetreuung zu einem früheren Zeitpunkt nicht ausgewählt worden wäre (wie Urteil vom 20. Januar 2000 - BVerwG 2 C 13.99 -).

Urteil des 2. Senats vom 13. Juli 2000 - BVerwG 2 C 17.99 -

I. VG Gelsenkirchen vom 23.02.1996 - Az.: VG 1 K 6122/95 - II. OVG Münster vom 09.03.1999 - Az.: OVG 6 A 1539/96 -


BUNDESVERWALTUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

BVerwG 2 C 17.99 OVG 6 A 1539/96

Verkündet am 13. Juli 2000

Grubert Justizamtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 13. Juli 2000 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Silberkuhl und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dawin, Dr. Kugele, Groepper und Dr. Bayer

für Recht erkannt:

Tenor:

Der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 9. März 1999 wird aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen zurückverwiesen.

Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

Gründe:

I.

Die am 8. Juli 1959 geborene Klägerin erlangte nach einer Ausbildung zur Bankkauffrau und entsprechender Berufstätigkeit im Dezember 1982 die Allgemeine Hochschulreife und begann im Oktober 1983 mit dem Studium für die Lehrämter der Sekundarstufe I und II mit der Fächerkombination Französisch/Deutsch. Am 5. September 1989 wurde ihr Sohn geboren. Im Mai 1991 bestand die Klägerin die Erste Staatsprüfung für die bezeichneten Lehrämter und wurde zum 15. Dezember 1991 als Lehramtsanwärterin in den Schuldienst eingestellt. Die Zweite Staatsprüfung legte sie am 14. Dezember 1993 ab.

Einen Antrag der Klägerin auf Einstellung in das Beamtenverhältnis auf Probe zum Beginn des Schuljahres 1994/95 lehnte der Beklagte mit bestandskräftigem Bescheid ab. Im August 1995 wurde sie als Lehrerin in ein unbefristetes Angestelltenverhältnis übernommen.

Ihren Antrag auf Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Probe vom 18. Juni 1995 lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 5. Juli 1995 ab.

Das Verwaltungsgericht hat die nach erfolglosem Widerspruch erhobene Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin hat das Oberverwaltungsgericht zurückgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Das Einstellungsbegehren der Klägerin zum Schuljahresbeginn 1994/95 sei bestandskräftig abgelehnt worden. Ihre Klage sei jedoch auch dann unbegründet, wenn unterstellt werde, dass die Betreuung ihres Kindes die Ablegung ihrer Zweiten Staatsprüfung in einem Umfang verzögert habe, der eine Bewerbung um Einstellung in den Schuldienst bereits zum Beginn der Schuljahre 1992/93 und 1993/94 ausgeschlossen habe. Denn infolge der Vernichtung der Einstellungsunterlagen sei nicht mehr festzustellen, ob die Klägerin nach dem Ergebnis ihrer Staatsprüfungen zu diesen Einstellungsterminen einen ausreichenden Rangplatz erzielt hätte. Dies gehe zu ihren Lasten. Im Wege einer Ausnahmeentscheidung gemäß § 84 LVO NW könne die Klägerin nicht eingestellt werden, weil hierfür kein dienstliches Bedürfnis bestehe.

Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts und beantragt,

den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 9. März 1999 und das Urteil des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen vom 23. Februar 1996 sowie die Bescheide des Beklagten vom 5. Juli und 28. August 1995 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, die Klägerin zur Beamtin auf Probe zu ernennen.

Der Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er verteidigt den angefochtenen Beschluss.

II.

Die Revision der Klägerin ist mit dem Ergebnis der Zurückverweisung begründet. Der angefochtene Beschluss verletzt revisibles Recht. Zur abschließenden Entscheidung bedarf es weiterer tatsächlicher Feststellungen. Das zwingt zur Zurückverweisung.

Nach §§ 49, 52 Abs. 1, § 6 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Laufbahnen der Beamten im Lande Nordrhein-Westfalen (Laufbahnverordnung - LVO) i.d.F. der Bekanntmachung vom 23. November 1995 (GV NW 1996 S. 1), geändert durch Art. I Nr. 12 Buchst. b der Verordnung vom 11. November 1997 (GV NW S. 396), darf als Laufbahnbewerber in das Beamtenverhältnis auf Probe eingestellt werden, wer das 35. Lebensjahr noch nicht vollendet hat. Die Klägerin ist Laufbahnbewerberin nach § 5 Abs. 1 Buchst. a LVO NW F. 1997. Sie hat das 35. Lebensjahr am 8. Juli 1994 vollendet. Die Bestimmung der Höchstaltersgrenze durch Rechtsverordnung auf der Grundlage des § 15 LBG NW steht im Einklang mit höherrangigem Recht (vgl. Urteile vom 18. Juni 1998 - BVerwG 2 C 20.97 und BVerwG 2 C 6.98 - <Buchholz 237.7 § 15 Nr. 2 und Nr. 3 jeweils m.w.N.>).

Nach §§ 49, 6 Abs. 1 Satz 3 LVO NW F. 1997 darf bei einem Bewerber, dessen Einstellung oder Übernahme in ein Beamtenverhältnis auf Probe sich wegen der Geburt eines Kindes oder der tatsächlichen Betreuung eines Kindes unter 18 Jahren verzögert hat, die Höchstaltersgrenze im Umfang der Verzögerung, höchstens um drei, bei mehreren Kindern um höchstens sechs Jahre überschritten werden. Das auf diese Ausnahmevorschrift gestützte Klagebegehren scheitert nicht bereits daran, dass inzwischen nicht nur das Einstellungshöchstalter von 35 Jahren, sondern auch der maximale Verzögerungszeitraum nach § 6 Abs. 1 Satz 3 LVO NW F. 1997 deutlich überschritten ist. Stand der Klägerin der geltend gemachte Anspruch seinerzeit zu, könnte dem auf der Grundlage der Ausnahmeregelung des § 84 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 LVO NW F. 1997 Rechnung getragen werden (vgl. Urteile vom 18. Juni 1998 - BVerwG 2 C 20.97 und BVerwG 2 C 6.98 - <a.a.O.> und vom 20. Januar 2000 - BVerwG 2 C 13.99 - <DVBl 2000, 1129 = NWVBl 2000, 297>).

§ 6 Abs. 1 Satz 3 LVO NW F. 1997 fordert die Ursächlichkeit von Geburt und Kinderbetreuung für die Verzögerung der Einstellung. Es genügt nicht, dass Geburt und Kinderbetreuung lediglich zu einer Verzögerung der Bewerbung oder zu einem zeitweiligen Absehen von ihr geführt haben. Darin unterscheidet sich § 6 Abs. 1 Satz 3 LVO NW F. 1997 von anderen Vorschriften mit ähnlicher Zielsetzung, nach denen die Verursachung lediglich einer Verzögerung der Bewerbung ausreicht. Die Ausnahmevorschrift setzt nicht nur voraus, dass die Geburt oder die Betreuung von Kindern die Bewerbung verzögert hat. Sie verlangt darüber hinaus die Feststellung, dass eine ohne die Kinderbetreuung mögliche frühere Bewerbung um Einstellung hätte Erfolg haben können (vgl. Urteile vom 18. Juni 1998 - BVerwG 2 C 6.98 - <a.a.O.> und vom 20. Januar 2000 - BVerwG 2 C 13.99 - <a.a.O.>).

Zu Recht hat das Berufungsgericht der Klägerin entgegengehalten, dass ihr Antrag auf Einstellung zum Schuljahresbeginn 1994/95 bestandskräftig abgelehnt worden ist. Die Behauptung der Klägerin, sie hätte sich ohne die Geburt ihres Kindes bereits zu den Schuljahren 1992/93 und 1993/94 um Einstellung bewerben können, hat es als richtig unterstellt. Ob eine Bewerbung zu diesen Einstellungsterminen erfolgreich gewesen wäre, hat das Berufungsgericht nicht festgestellt. Es hat vielmehr unter Verletzung revisiblen Rechts angenommen, es gehe zu Lasten der Klägerin, dass der Nachweis nicht geführt worden sei, ob sie zu diesen Terminen hätte eingestellt werden können.

Zwar trägt grundsätzlich der Einstellungsbewerber die materielle Beweislast für den Ursachenzusammenhang zwischen Kinderbetreuung und Einstellungsverzögerung. Hat jedoch der Dienstherr die Unterlagen über seine damaligen Auswahlentscheidungen vernichtet, trifft ihn die materielle Beweislast für die rechtsvernichtende Tatsache, dass der Bewerber zu einem früheren Zeitpunkt auch ohne die Kinderbetreuung wegen seines unzureichenden Ranglistenplatzes nicht eingestellt worden wäre. Das hat der Senat in dem den Beteiligten bekannten Urteil vom 20. Januar 2000 - BVerwG 2 C 13.99 - (a.a.O.) im Einzelnen dargelegt. Daran ist festzuhalten.

Abgesehen von der unrichtigen Beweislastverteilung hat das Berufungsgericht auch nicht beachtet, dass in Anwendung der Regeln über die materielle Beweislast überhaupt nur entschieden werden darf, wenn zuvor der Sachverhalt erschöpfend aufgeklärt worden ist (BVerwGE 85, 92 <94>; 88, 122 <129>). Das Tatsachengericht muss zunächst alle einschlägigen Umstände des Prozessstoffs einer Würdigung unterziehen und auch darauf überprüfen, ob sie Anlass zu weiteren Ermittlungen geben. Dem hat das Berufungsgericht nicht entsprochen. Es hat nicht versucht zu ermitteln, welchen Ranglistenplatz die Klägerin 1992/93 und 1993/94 innegehabt und ob dieser Platz zu einer Einstellung geführt hätte. Es hat allein aus den Ausführungen des Beklagten, es existierten keine Unterlagen über die Einstellungsverfahren 1992/93 und 1993/94 mehr, geschlossen, eine Aufklärung, ob die Klägerin angesichts der Ergebnisse ihrer beiden Staatsprüfungen eingestellt worden wäre, sei nicht möglich. Das trifft nicht zu. Das Berufungsgericht hätte den Beklagten zur Angabe der Daten derjenigen Bewerber auffordern müssen, die 1992/93 und 1993/94 als Lehrer für die Sekundarstufen I und II mit der Fächerkombination der Klägerin in den Schuldienst des beklagten Landes eingestellt worden sind.

Die Klägerin hat schließlich - abgesehen von der durch das Verwaltungs- und Gerichtsverfahren entstandenen Verzögerung - keinen Anspruch auf eine Ausnahme von dem Höchstalter für die Einstellung gemäß § 84 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 LVO. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts bestand hierfür kein erhebliches dienstliches Bedürfnis. Wegen der Betreuung ihres Kindes kann die Klägerin die Ausnahmebestimmung des § 84 LVO im Übrigen schon deshalb nicht für sich in Anspruch nehmen, weil sie die normative Altersgrenze aus Gründen überschritten hat, die in der Laufbahnverordnung selbst berücksichtigt sind (Urteil vom 18. Juni 1998 - BVerwG 2 C 20.97 - <Buchholz 237.7 § 15 Nr. 2 S. 3>).

Beschluss

Der Streitwert wird für das Revisionsverfahren auf 40 800 DM festgesetzt (§ 13 Abs. 4 Satz 1 b GKG; pauschalierter Halbjahresbetrag der Dienstbezüge nach der Besoldungsgruppe A 12 BBesG).



Ende der Entscheidung

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