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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 08.06.2000
Aktenzeichen: BVerwG 2 C 20.99
Rechtsgebiete: LBG NW, StPO, BDO


Vorschriften:

LBG NW § 51 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 (BRRG § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1)
StPO § 410 Abs. 3
BDO § 18 Abs. 1 Satz 1
Leitsatz:

Eine Verurteilung durch rechtskräftigen Strafbefehl führt nicht zur Beendigung des Beamtenverhältnisses kraft Gesetzes.

Urteil des 2. Senats vom 8. Juni 2000 - BVerwG 2 C 20.99 -

I. VG Gelsenkirchen vom 21.04.1998 - Az.: VG 12 K 3547/96 - II. OVG Münster vom 15.04.1999 - Az.: OVG 12 A 2950/98 -


BUNDESVERWALTUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

BVerwG 2 C 20.99 OVG 12 A 2950/98

Verkündet am 8. Juni 2000

Grubert Justizamtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 8. Juni 2000 durch die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Silberkuhl, Dawin, Dr. Kugele, die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Eckertz-Höfer und den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Bayer

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 15. April 1999 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.

Gründe:

I.

Der Kläger wurde als Beamter auf Lebenszeit im Dienste der Beklagten wegen mehrerer vorsätzlich begangener Straftaten durch rechtskräftigen Strafbefehl des Amtsgerichts A. zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt, die zur Bewährung ausgesetzt wurde. Mit Schreiben vom 12. April 1996 stellte die Beklagte fest, dass mit Ablauf des 29. März 1996 das Beamtenverhältnis des Klägers wegen der Verurteilung geendet habe. Den Widerspruch des Klägers wies sie mit Bescheid vom 9. Mai 1996 zurück.

Das Verwaltungsgericht hat beide Bescheide aufgehoben. Die Berufung der Beklagten hat das Oberverwaltungsgericht zurückgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Die Voraussetzungen für eine Beendigung des Beamtenverhältnisses kraft Gesetzes lägen nicht vor. Der Kläger sei nicht durch Urteil, sondern durch Strafbefehl bestraft worden. Ein Strafbefehl stehe einem strafgerichtlichen Urteil nicht gleich; ihm komme nicht dieselbe Verlässlichkeit zu. Dies gelte auch nach der Neufassung des § 410 Abs. 3 StPO durch das Strafverfahrensänderungsgesetz 1987.

Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision rügt die Beklagte die Verletzung materiellen Rechts. Sie beantragt,

das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 15. April 1999 und das Urteil des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen vom 21. April 1998 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil und beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Der Oberbundesanwalt beim Bundesverwaltungsgericht schließt sich der Auffassung des Berufungsgerichts an.

II.

Die Revision ist unbegründet. Das Berufungsgericht hat zutreffend entschieden, dass das Beamtenverhältnis des Klägers nicht beendet ist.

Schon der eindeutige Wortlaut des § 51 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 LBG NW schließt die Annahme aus, ein rechtskräftiger Strafbefehl führe zur Beendigung des Beamtenverhältnisses kraft Gesetzes. Die Vorschrift fordert ausdrücklich ein in einem ordentlichen Strafverfahren ergangenes Urteil. Der Strafbefehl ist kein im ordentlichen Strafverfahren ergehendes Urteil. Er ist eine in einem besonders geregelten summarischen Verfahren getroffene richterliche Entscheidung. Das Strafbefehlsverfahren dient vornehmlich der Vereinfachung und Beschleunigung (vgl. auch BVerfGE 65, 377 <382 f.>). Es unterscheidet sich grundlegend von dem ordentlichen Strafverfahren, in dem das Strafgericht nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung entscheidet. Der Strafbefehl ergeht ohne Hauptverhandlung und gerichtliche Beweisaufnahme und unterscheidet sich aufgrund der Art und Weise seines Erlasses grundlegend von einem Urteil. Er bietet nicht das Maß an Ergebnissicherheit, das Voraussetzung für die Beendigung des Beamtenverhältnisses kraft Gesetzes ist.

§ 410 Abs. 3 StPO in der Fassung des Strafverfahrensänderungsgesetzes 1987 (BGBl I S. 475) ändert daran nichts. Diese strafprozessuale Vorschrift legt zwar dem Strafbefehl die Wirkung eines rechtskräftigen Urteils bei, wenn gegen ihn nicht rechtzeitig Einspruch eingelegt worden ist. Hieraus folgt jedoch weder ausdrücklich noch sinngemäß, ein Strafbefehl sei ein in einem ordentlichen Strafverfahren ergangenes Urteil. Die in § 410 Abs. 3 StPO ausgesprochene Gleichstellung bestimmt lediglich den Umfang der Rechtskraft eines Strafbefehls (vgl. BTDrucks 10/1313 S. 38) und dient insoweit der prozessrechtlichen Klarstellung. Die Verschiedenheit der beiden in der Strafprozessordnung unterschiedlich geregelten Verfahrensarten (ordentliches Strafverfahren und das im Sechsten Buch "Besondere Arten des Verfahrens" geregelte "Verfahren bei Strafbefehlen") bleiben davon unberührt. Auch mit Eintritt seiner Rechtskraft wird ein Strafbefehl nicht nachträglich zu einem "Strafurteil" und das Strafbefehlsverfahren nicht zu einem "ordentlichen Strafverfahren", wie dies ausdrücklich und bewusst von § 51 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 LBG NW in Übereinstimmung mit § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BRRG gefordert wird. Dies verdeutlicht z.B. die in § 373 a StPO getroffene besondere Regelung der Wiederaufnahme eines durch rechtskräftigen Strafbefehl abgeschlossenen Verfahrens. Diese Unterscheidung des Strafprozessrechts hat das Beamtenrecht terminologisch übernommen. Für eine dem Wortsinn widersprechende Auslegung ist schon deshalb kein Raum.

Die sich bereits aus dem Gesetzeswortlaut ergebende Auslegung stimmt auch mit dem Sinn und Zweck der dem § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BRRG entsprechenden landesbeamtenrechtlichen Vorschrift des § 51 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 LBG NW überein. Diese soll ein Disziplinarverfahren vermeiden, wenn durch ein im ordentlichen Strafverfahren ergangenes Urteil ein besonders schwer wiegendes Fehlverhalten des Beamten rechtskräftig festgestellt worden ist, das als Dienstvergehen ohnehin zu einer disziplinarrechtlichen Entfernung aus dem Dienst führen müsste. Wegen der ausnahmsweise kraft Gesetzes eintretenden Beendigung des Beamtenverhältnisses darf jedoch keinerlei Raum für Zweifel an der Richtigkeit der strafrichterlichen Feststellungen bleiben. Da das summarische Strafbefehlsverfahren im Gegensatz zu dem ordentlichen Strafverfahren insoweit nicht das erforderliche Maß an Erkenntnissicherheit bietet, tritt die Rechtfolge nach § 51 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 LBG NW nur bei einem rechtskräftigen Urteil ein.

Hinzu kommt, dass der einem Strafbefehl zugrunde gelegte Sachverhalt für ein sich anschließendes sachgleiches Disziplinarverfahren nicht bindend ist. Denn ein Strafbefehl ist kein Urteil im Sinne des § 18 Abs. 1 Satz 1 BDO (BVerwGE 93, 255 <259>). Zusätzliche Feststellungen oder Würdigungen in Bezug auf die Straftat sind zulässig. Eine analoge Anwendung des § 51 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 LBG NW führt deshalb zu einer ungerechtfertigten verfahrensrechtlichen Schlechterstellung des Beamten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Beschluß

Der Streitwert wird für das Revisionsverfahren auf 51 100 DM festgesetzt (BesGr A 7 BBesO, § 13 Abs. 4 Satz 1 Buchst. a GKG).

Ende der Entscheidung

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