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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 21.09.2000
Aktenzeichen: BVerwG 2 C 22.99
Rechtsgebiete: BeamtVG


Vorschriften:

BeamtVG § 45 Abs. 1
BeamtVG § 45 Abs. 2
Leitsatz:

"Bemerkbar" geworden im Sinne der Fristenregelung für die Meldung eines Dienstunfalls ist eine den Anspruch auf Unfallfürsorge begründende Folge des Unfalls, wenn der Verletzte bei sorgfältiger Prüfung nach seinem Urteilsvermögen zu der Überzeugung gekommen ist oder kommen muss, dass seine Beschwerden durch den Unfall verursacht werden.

Urteil des 2. Senats vom 21. September 2000 - BVerwG 2 C 22.99 -

I. VG Oldenburg vom 03.09.1996 - Az.: VG 11 A 2539/95 - II. OVG Münster vom 13.04.1999 - Az.: OVG 5 L 6385/96 -


BUNDESVERWALTUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

BVerwG 2 C 22.99 OVG 5 L 6385/96

Verkündet am 21. September 2000

Grubert Justizamtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts am 21. September 2000 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Silberkuhl und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dawin, Dr. Kugele, Groepper und Dr. Bayer

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 13. April 1999 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.

Gründe:

I.

Die Klägerin nahm am 11. März 1991 im Rahmen der Lehrerfortbildung an einem Sportseminar teil. Bei einer Weitsprungübung landete sie in der Weichbodenmatte auf dem Gesäß. Daraufhin brach sie die Übung zwar ab, ging aber davon aus, einen Bagatellunfall erlitten zu haben. Als später Schmerzen auftraten, begab sie sich in ärztliche Behandlung. Der hinzugezogene Facharzt für Orthopädie diagnostizierte aufgrund einer Röntgenuntersuchung eine Wirbelsäulenprellung, fand jedoch für eine knöcherne Verletzung keinen Anhaltspunkt. Er empfahl unter anderem einen Entlastungsring (Sitzkissen), den die Klägerin in der Folgezeit im Unterricht benutzte. Der Schulleitung legte sie eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vor, nach der sie vier Tage arbeitsunfähig war. Das auf dem Formular vorgesehene Kästchen zur Angabe von Arbeitsunfall, Arbeitsunfallfolgen oder einer Berufskrankheit war nicht angekreuzt. Der die Klägerin behandelnde Arzt sandte eine ärztliche Unfallanzeige an den Gemeinde-Unfallversicherungsverband, der sie mit dem Bemerken zurückgab, die geltend gemachten Kosten könnten nicht übernommen werden, weil beamtenrechtliche Unfallfürsorgevorschriften maßgeblich seien. Daraufhin nahm der Arzt die Unfallanzeige bis Februar 1995 zu seinen Unterlagen.

Mit einer Unfallanzeige vom 13. September 1994 beantragte die Klägerin die Anerkennung des Unfalls als Dienstunfall und legte eine ärztliche Bescheinigung des Krankenhauses A. vom 14. September 1994 vor, in der es heißt:

"Die o. g. Patientin befindet sich derzeit in unserer stationären Behandlung. Sie gab an, am 11.03.1991 vormittags während der Teilnahme an einem Sportseminar auf den Rücken gefallen zu sein. Bei unseren Untersuchungen wurden eine knöchern konsolidierte BWK-12-Fraktur sowie eine dislozierte Steißbeinfraktur festgestellt. Da von Seiten der Patientin keine weiteren Unfälle berichtet wurden, ist ein Zusammenhang der Frakturen mit dem angegebenen Unfallereignis anzunehmen."

Mit Bescheid vom 13. Dezember 1994 und Widerspruchsbescheid vom 10. Mai 1995 lehnte die Beklagte den Antrag mit der Begründung ab, sie habe keine fristgerechte Unfallmeldung erhalten. § 45 Abs. 2 BeamtVG greife nicht, weil die anspruchsbegründende Folge des Unfalls nicht erst nach Ablauf der zweijährigen Ausschlussfrist bemerkbar geworden sei.

Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte verpflichtet, den Unfall als Dienstunfall anzuerkennen. Die Berufung der Beklagten hat das Oberverwaltungsgericht mit der Begründung zurückgewiesen: Zwar habe es die Klägerin versäumt, den Unfall innerhalb der zweijährigen Ausschlussfrist ihrem Dienstvorgesetzten zu melden, doch bestehe der geltend gemachte Anerkennungsanspruch nach § 45 Abs. 2 BeamtVG. Die Klägerin habe auch bei sorgfältiger Prüfung nach ihrem Urteilsvermögen nicht zu der Überzeugung kommen müssen, dass ihr Leiden durch den Unfall verursacht sei. Dass sie nur mit einer solchen Möglichkeit gerechnet habe, genüge nicht. Ein Beamter müsse sich vielmehr die Überzeugung von der Wahrscheinlichkeit des Kausalzusammenhangs verschafft haben oder verschafft haben können. Der Anwendung des § 45 Abs. 2 BeamtVG stehe nicht entgegen, dass sich schon früher Unfallfolgen gezeigt hätten. Das Gesetz verlange nur, dass sich "eine" Unfallfolge erst später gezeigt habe. Die Frakturen seien trotz der Behandlung durch verschiedene Ärzte für die Klägerin erst im September 1994 bemerkbar geworden. Bis zu diesem Zeitpunkt habe die Klägerin aufgrund der Diagnosen ihrer Ärzte davon ausgehen müssen, dass der Unfall lediglich zu Prellungen geführt habe und ihre Schmerzen, die für eine Prellung untypisch seien, andere, nicht unfallbedingte Ursachen hätten.

Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision macht die Beklagte die Verletzung materiellen Rechts geltend. Sie beantragt,

das Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 13. April 1999 und das Urteil des Verwaltungsgerichts Oldenburg vom 3. September 1996 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil und beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Der Oberbundesanwalt beim Bundesverwaltungsgericht meint in Übereinstimmung mit dem Bundesministerium des Innern, der Unfall habe nach Ablauf der Zweijahresfrist nicht mehr mit Erfolg als Dienstunfall gemeldet werden können.

II.

Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Das Oberverwaltungsgericht hat die Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 BeamtVG im Ergebnis zu Recht bejaht.

Nach § 45 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG sind Unfälle, aus denen Unfallfürsorgeansprüche des Beamten entstehen können, innerhalb einer Ausschlussfrist von zwei Jahren nach dem Eintritt des Unfalls bei dem Dienstvorgesetzten des Verletzten zu melden. Ob die Klägerin diese Frist versäumt hat, kann unentschieden bleiben. Darauf kommt es nicht an, weil die Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 BeamtVG gegeben sind.

Nach dieser Vorschrift wird nach Ablauf der zweijährigen Ausschlussfrist Unfallfürsorge nur gewährt, wenn seit dem Unfall noch nicht zehn Jahre vergangen sind und gleichzeitig glaubhaft gemacht wird, dass eine den Anspruch auf Unfallfürsorge begründende Folge des Unfalls erst später bemerkbar geworden ist. Die Meldung muss innerhalb von drei Monaten erfolgen (§ 45 Abs. 2 Satz 2 BeamtVG). Unschädlich ist, dass sich schon früher Unfallfolgen gezeigt haben. Denn § 45 Abs. 2 BeamtVG verlangt nur, dass "eine" anspruchsbegründende Unfallfolge erst später bemerkbar geworden ist. Ab diesem Zeitpunkt läuft die Dreimonatsfrist des § 45 Abs. 2 Satz 2 BeamtVG.

Bemerkbar geworden ist eine Unfallfolge, wenn der verletzte Beamte bei sorgfältiger Prüfung nach seinem Urteilsvermögen zu der Überzeugung gekommen ist oder kommen musste, dass sein Leiden durch den Unfall verursacht ist. Dass er nur mit einer solchen Möglichkeit rechnete oder rechnen musste, genügt nicht (vgl. RGZ 82, 224 <225 ff.>; 150, 210 <213>; BVerwGE 24, 289 <293>).

Die Klägerin kannte nach dem Dienstunfall ihre tatsächlich eingetretenen Körperschäden zunächst nicht. Sie konnte diese auch nicht erkennen. Als medizinischer Laie durfte sie aufgrund der ursprünglichen Diagnose ihres behandelnden Arztes sowie des auf einer Röntgenuntersuchung basierenden Befundes des hinzugezogenen Orthopäden davon ausgehen, sich keine ernsthafte Verletzung zugezogen, sondern lediglich einen Bagatellunfall erlitten zu haben, der weder zu einem Bruch noch zu Knochenverletzungen, sondern lediglich zu Prellungen mit vorübergehenden Schmerzen geführt habe. Mit weiteren behandlungsbedürftigen Folgen des Unfalls brauchte die Klägerin nach der sich auf eine Röntgenuntersuchung stützenden fachärztlichen Beurteilung nicht zu rechnen. Ohne Kenntnis der als unmittelbare Unfallfolge eingetretenen beiden Frakturen konnte sie auch ihre andauernden Schmerzen ebenso wenig wie die sie deshalb behandelnden Ärzte ursächlich auf den Dienstunfall zurückführen. Die einen Anspruch auf Unfallfürsorge begründende tatsächliche unmittelbare Unfallfolge erfuhr die Klägerin erst im September 1994 durch die fachärztliche Diagnose "BWK-12-Fraktur" und "dislozierte Steißbeinfraktur" im Krankenhaus A. Erst dadurch wurde für sie erkennbar, dass ihre andauernden Schmerzzustände auf dieser unmittelbaren Unfallfolge und damit auf dem Dienstunfall beruhten. Ihre Unfallanzeige vom 13. September 1994 wahrte deshalb die Dreimonatsfrist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Beschluss

Der Streitwert wird für das Revisionsverfahren auf 8 000 DM festgesetzt (§ 13 Abs. 1 Satz 2 GKG).

Ende der Entscheidung

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