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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 30.10.2002
Aktenzeichen: BVerwG 2 C 23.01
Rechtsgebiete: GG, WRV, VwGO


Vorschriften:

GG Art. 140
WRV Art. 137 Abs. 3
VwGO § 40
Für die Klage eines evangelischen Geistlichen, die sein Pfarrerdienstverhältnis betrifft (hier: Klage gegen die Versetzung in den Ruhestand), ist der Rechtsweg zu den staatlichen Gerichten nicht eröffnet (Bestätigung der stRspr, zuletzt im Urteil vom 28. April 1994 - BVerwG 2 C 23.92 - BVerwGE 95, 379 <381 ff.>).
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

BVerwG 2 C 23.01

Verkündet am 30. Oktober 2002

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 30. Oktober 2002 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Silberkuhl und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dawin, Dr. Kugele, Groepper und Dr. Bayer

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 1. Juni 2001 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.

Gründe:

I.

Der Kläger, ein 1995 in den Wartestand versetzter evangelischer Pfarrer, wurde durch Bescheid der Beklagten vom 17. Dezember 1998 in den Ruhestand versetzt. Die Klage hiergegen hat das kirchliche Verfassungs- und Verwaltungsgericht abgewiesen. Die Klage, die der Kläger im Verwaltungsrechtsweg erhoben hat, hatte in erster und zweiter Instanz keinen Erfolg. Das Oberverwaltungsgericht hat ausgeführt: Die Klage sei zulässig. Der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten sei eröffnet. Die Pflicht des Staates zur Justizgewährung sei umfassend, soweit staatliche Normen den Maßstab des zu beurteilenden Lebenssachverhalts bildeten. Die staatliche Regelungskompetenz sei zwar gegenüber der Rechtsmaterie "Religionsgesellschaften" gemäß Art. 137 Abs. 3 der Weimarer Reichsverfassung und Art. 140 GG zurückgenommen, soweit die Religionsgesellschaften ihre eigenen Angelegenheiten aus eigener Rechtsmacht ordnen und verwalten könnten. Dieses Selbstbestimmungsrecht der Religionsgesellschaften stehe seinerseits jedoch unter dem Vorbehalt der Schranken des für alle geltenden Gesetzes. Zu den danach als fundamentale Rechtssätze des staatlichen Rechts auch die Kirchen bindenden Normen gehörten u.a. das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs, die Grundsätze eines fairen Verfahrens und das Willkürverbot, deren Verletzung der Kläger geltend mache. Die Klage sei aber unbegründet. Die Beklagte habe gegen keinen dieser Rechtsgrundsätze verstoßen.

Mit seiner vom Oberverwaltungsgericht zugelassenen Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts.

Er stellt den Antrag,

die Urteile des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 1. Juni 2001 und des Verwaltungsgerichts Mainz vom 24. Mai 2000 aufzuheben und festzustellen, dass der Bescheid der Kirchenleitung der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau vom 17. Dezember 1998 unter Verletzung fundamentaler Grundsätze der staatlichen Rechtsordnung ergangen ist.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Ihrer Ansicht nach sind die staatlichen Gerichte nicht befugt, die Versetzung eines Pfarrers in den Ruhestand zu überprüfen.

II.

Die zulässige Revision ist unbegründet. Die Entscheidungs-gründe des angefochtenen Urteils ergeben zwar eine Verletzung von Bundesrecht, das Urteil erweist sich aber im Ergebnis als zutreffend (§ 144 Abs. 4 VwGO). Die Berufung des Klägers war zurückzuweisen, weil das Verwaltungsgericht die Klage gegen die Versetzung des Klägers in den Ruhestand zu Recht als unzulässig abgewiesen hat. Die Maßnahme unterliegt nicht der Kontrolle durch die staatliche Gerichtsbarkeit (Art. 19 Abs. 4 GG, § 40 VwGO).

Nach Art. 137 Abs. 3 der Weimarer Reichsverfassung (WRV), der aufgrund des Art. 140 GG Bestandteil des Grundgesetzes ist, ordnet und verwaltet jede Religionsgesellschaft ihre Ange-legenheiten selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes. Sie verleiht ihre Ämter ohne Mitwirkung des Staates oder der bürgerlichen Gemeinde. Hierdurch wird den Kirchen das Recht zur eigenständigen Ordnung und Gestaltung ihrer inneren Angelegenheiten verfassungsrechtlich gewährleistet. Diese Gewährleistung fügt der Religionsfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG) die für diese freie Betätigung unerlässliche - weitere - Freiheit der Kirchen zur Bestimmung über Organisation, Normsetzung und Verwaltung hinzu (BVerfGE 70, 138 <164> m.w.N, 72, 278 <289>). Das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften ist neben der Religionsfreiheit und der Trennung von Staat und Kirche (Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 1 WRV) Grundprinzip der staatskirchenrechtlichen Ordnung des Grundgesetzes. Es gilt für alle Religionsgesellschaften unabhängig davon, ob sie - wie die Beklagte - Körperschaften des öffentlichen Rechts oder privatrechtliche Vereine sind oder der Rechtsfähigkeit überhaupt ermangeln.

Dort, wo die Kirchen über das Recht zur Selbstbestimmung verfügen, unterliegen sie auch nicht der staatlichen Gerichtsbarkeit. Dem stehen Art. 19 Abs. 4 GG und § 40 VwGO nicht entgegen. Beide Vorschriften eröffnen die Möglichkeit des Rechtsschutzes gegen Akte staatlicher Gewalt (BVerfGE 18, 385 <387>; BVerwG, Urteil vom 25. November 1982 - BVerwG 2 C 21.78 - BVerwGE 66, 241 <242>). Kirchliche Gewalt ist infolge der öffentlichen Rechtsstellung und öffentlichen Wirksamkeit der Kirchen, die sie aus ihrem besonderen Auftrag herleiten und durch die sie sich von anderen gesellschaftlichen Gebilden prinzipiell unterscheiden, zwar öffentliche, aber nicht staatliche Gewalt (BVerfGE a.a.O.; BVerwG, Urteil vom 25. November 1982, a.a.O.). Streitigkeiten wegen Maßnahmen, welche die Kirche in Ausübung des ihr verfassungsrechtlich garantierten Selbstbestimmungsrechts getroffen hat, sind auch dann keine öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten im Sinne des § 40 VwGO, wenn die Religionsgesellschaft den Status einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft (Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 5 WRV) besitzt. Dieser Status ist Mittel zur Entfaltung der Religionsfreiheit; er soll die Eigenständigkeit und die Unabhängigkeit der Religionsgemeinschaft unterstützen (vgl. BVerfGE 102, 370 <387>), sie aber nicht bei der Ordnung ihrer inneren Angelegenheiten zu einem Handeln in den Formen und mit den Mitteln des öffentlichen Rechts befähigen.

Ein vor jeder staatlichen Einflussnahme geschütztes Selbstbestimmungsrecht steht den Religionsgesellschaften bei rein "innerkirchlichen" Maßnahmen zu. Das sind Maßnahmen, die materiell, der Natur der Sache oder Zweckbeziehung nach als eigene Angelegenheiten der Kirchen oder Religionsgemeinschaften anzusehen sind (BVerfGE 18, 385 <387>; 42, 312 <334>; BVerfG, Beschluss vom 6. April 1979 - 2 BvR 356/79 - NJW 1980, 1041). Auch wenn die Maßnahme "hinübergreift" in den Bereich des Öffentlichen, des Gesellschaftspolitischen und dort mittelbar wirkt, beseitigt das nicht ihren Charakter als kircheninterne Maßnahme. Erst für kirchliche Maßnahmen, die unmittelbare Wirkung in dem vom Staat zu ordnenden Bereich haben, gilt das uneingeschränkte Selbstbestimmungsrecht der Kirchen nicht (BVerfGE 42, 312 <334>).

Durch den Zusatz in Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WRV "innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes" ist die Garantie der kirchlichen Selbstverwaltung nicht unter einen allgemeinen Gesetzesvorbehalt gestellt. Es handelt sich bei der Formel nicht um einen Gesetzesvorbehalt (BVerfGE 42, 312 <333>; 53, 366 <404>; 66, 1 <20>; 72, 278 <289>). Gesetze, die für alle und damit auch für die Religionsgesellschaften bei der Ordnung ihrer eigenen Angelegenheiten gelten, sind nur solche Rechtsnormen, die für die Kirche dieselbe Bedeutung haben wie für jedermann (BVerfGE 42, 312 <332 f., 334> m.w.N.; 66, 1 <20>). Trifft das Gesetz die Kirche in ihrer Besonderheit als Kirche, weil nämlich ihr Selbstverständnis, insbesondere ihren geistlich-religiösen Auftrag beschränkend, und damit anders als den normalen Adressaten, bildet es insoweit keine Schranke (vgl. BVerfGE 42, 312 <334>; 72, 278 <289 ff.>; BVerwG, Urteil vom 18. Juli 1996 - BVerwG 6 C 10.94 - BVerwGE 101, 309 <314>).

Jede den kircheninternen Bereich ergreifende Reglementierung durch staatliches Gesetz hat diese Wirkung. Eine solche Regelung trifft die Kirche in ihrer ureigenen Funktion, den Glauben zu verkünden, Seelsorge zu betreiben und karitativ tätig zu sein. Die Art und Weise, wie die Kirche diesen geistig-religiösen Auftrag auffasst und erfüllt, ist staatlicher Reglementierung nicht zugänglich (vgl. BVerfGE 18, 385 <386>; 42, 312 <334>; 72, 278 <289>). Dies gilt auch für die durch Art. 137 Abs. 3 Satz 2 WRV, Art. 140 GG garantierte Autonomie, die Ämter im Bereich der Seelsorge zu verleihen und zu entziehen. Das Dienstrecht der Geistlichen gehört zum Kernbereich der innergemeinschaftlichen Angelegenheiten der Kirchen (BVerfGE 18, 385 <387>; BVerfG, Beschluss vom 30. Oktober 1984 - 2 BvR 1318/84 - NVwZ 1989, 452; BVerwG, Urteile vom 27. Oktober 1966 - BVerwG 2 C 98.64 - BVerwGE 25, 226 <230>, vom 15. Dezember 1967 - BVerwG 6 C 68.67 -BVerwGE 28, 345 <349> und vom 25. November 1982, a.a.O., S. 243). Die Entscheidungen der Kirchen und Kirchengerichte hierzu sind von den staatlichen Gerichten hinzunehmen.

Die Exemtion von der staatlichen Gerichtsbarkeit bezieht sich auch auf die Einhaltung der "fundamentalen Grundsätze der staatlichen Rechtsordnung" durch die kirchlichen Stellen, die die Entscheidung getroffen haben.

Auch aus der staatlichen Justizgewährungspflicht (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip, Art. 92 GG) ergibt sich nicht die Befugnis der staatlichen Gerichte, über kircheninterne Maßnahmen zu entscheiden. Aufgrund der Justizgewährungspflicht sind zwar die Gerichte zur Entscheidung aller Rechtsfragen berufen, deren Beantwortung sich nach staatlichem Recht richtet (BVerfG, Beschluss vom 18. September 1998 - 2 BvR 1476/94 - NJW 1999, 349 <350>; BVerwG, Urteil vom 28. Februar 2002 - BVerwG 7 C 7.01 - Buchholz 11 Art. 140 GG Nr. 67 S. 10; BGH, Urteil vom 11. Februar 2000 - V ZR 271/99 - NJW 2000, 1555). Im Bereich der eigenen Angelegenheiten der Kirche ist jedoch kein staatliches Recht zulässig, das die Selbstbestimmung der Religionsgemeinschaften einschränkt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Beschluss:

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 4 090 € (entspricht 8 000 DM) festgesetzt (§ 13 Abs. 1 Satz 2, § 73 Abs. 1 Satz 1 GKG).

Ende der Entscheidung

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