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Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 31.01.2002
Aktenzeichen: BVerwG 2 C 60.00
Rechtsgebiete: BeamtVG


Vorschriften:

BeamtVG § 61 Abs. 3
Auf das wieder aufgelebte Witwengeld ist ein durch Versorgungsausgleich erworbener Rentenanspruch anzurechnen.
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

BVerwG 2 C 60.00

Verkündet am 31. Januar 2002

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 31. Januar 2002 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Silberkuhl und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dawin, Dr. Kugele, Groepper und Dr. Bayer

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision des Klägers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichthofs Baden-Württemberg vom 10. November 2000 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.

Gründe:

I.

Der Kläger wendet sich als Alleinerbe seiner während des Rechtsstreits verstorbenen Mutter, der ursprünglichen Klägerin, gegen die Anrechnung eines Rentenanspruchs auf das wieder aufgelebte Witwengeld.

Die ursprüngliche Klägerin war in erster Ehe mit einem Soldaten verheiratet, der im Zweiten Weltkrieg gefallen ist. Sie erhielt ein Witwengeld, dessen Zahlung seit ihrer Wiederverheiratung eingestellt wurde. Anlässlich der Scheidung der zweiten Ehe erhielt sie durch gesetzlichen Versorgungsausgleich ein Altersruhegeld aus der Rentenanwartschaft ihres zweiten Ehemannes bei der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte zugesprochen. Dieses Altersruhegeld rechnete der Beklagte auf das wieder aufgelebten Witwengeld nach dem Beamtenversorgungsgesetz an.

Der hiergegen gerichteten Klage hat das Verwaltungsgericht stattgegeben. Der Verwaltungsgerichtshof hat das Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat er im Wesentlichen ausgeführt:

Das wieder aufgelebte Witwengeld sei nachrangig gegenüber Versorgungsansprüchen aus einer aufgelösten späteren Ehe; es besitze lediglich Auffüllfunktion. Es solle den Unterhalt einer Witwe nicht insgesamt sichern, sondern nur gewährleisten, dass die Mittel zum Lebensunterhalt nach Auflösung einer weiteren Ehe nicht hinter den Versorgungsbezügen zurückblieben, die ihr als Witwe ohne die Wiederverheiratung zugestanden hätten. Auch Rentenansprüche, die durch gesetzlichen Versorgungsausgleich erworben worden seien, unterlägen der Anrechnung.

Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts. Er beantragt,

den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 10. November 2000 aufzuheben und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 17. September 1997 zurückzuweisen.

Der Beklagte verteidigt die Berufungsentscheidung und beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

II.

Die Revision des Klägers ist unbegründet. Der Beklagte hat das durch gesetzlichen Versorgungsausgleich der früheren Klägerin zugesprochene Altersruhegeld zu Recht auf das wieder aufgelebte Witwengeld angerechnet.

Nach § 61 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 1 BeamtVG lebt der Anspruch auf Witwengeld wieder auf, wenn eine erneute Ehe der Witwe eines Beamten aufgelöst wird. Dabei handelt es sich nicht um einen hergebrachten Grundsatz des Beamtenrechts (Art. 33 Abs. 5 GG), sondern um eine Neuerung aus der Zeit nach 1950 (BVerfGE 25, 142 <148>; BGH, Urteil vom 6. März 1980 - IX ZR 17/77 - FamRZ 1980, 564 <565>). Das Wiederaufleben des Witwengeldes ist auch nicht auf den Alimentationsgrundsatz zurückzuführen. Denn die Beamtenwitwe tritt mit der Wiederheirat in einen anderen Familienverband ein und scheidet damit aus dem Kreise der Angehörigen des verstorbenen Beamten aus, für den dem Dienstherrn die Fürsorgepflicht obliegt (BVerfGE 25, 142 <148 f.>). Der Gesetzgeber kann deshalb bei der Bemessung des wieder aufgelebten Witwengeldes - anders als bei Leistungen, die auf dem Prinzip der amtsgemäßen Versorgung beruhen - auf die Bedürfnisse der Berechtigten abstellen (BVerfGE 25, 142 <149>).

Mit dem wieder aufgelebten Witwengeld rückt die Witwe nicht uneingeschränkt in die Rechtsstellung ein, die sie vor der erneuten Eheschließung hatte. Anders als das Witwengeld, das der Witwe nach dem Tod ihres ersten Ehemanns gewährt wurde, soll das wieder aufgelebte Witwengeld nicht den gesamten Unterhaltsbedarf der Witwe sicherstellen, sondern hat lediglich Auffüllfunktion. Es soll nach Auflösung der erneuten Ehe nur gewährleisten, dass die der Witwe für ihren Lebensunterhalt zur Verfügung stehenden Mittel nicht hinter der Höhe der Versorgungsbezüge zurückbleiben, die ihr als Witwe eines versorgungsberechtigten Beamten zustanden. Der Witwe soll der Entschluss zur Wiederverheiratung dadurch erleichtert werden, dass ihr dieses Versorgungsniveau für den Fall des Scheiterns der neuen Ehe gewährleistet wird. Zugleich soll die Allgemeinheit für die Dauer der neuen Ehe von der Versorgungslast befreit werden. Ebenso wie eine Minderversorgung der Witwe nach Auflösung der zweiten Ehe soll auch eine Verbesserung ihrer späteren Gesamtversorgung durch die erneute Heirat zulasten der Allgemeinheit ausgeschlossen werden. Deswegen ist der wieder aufgelebte Witwengeldanspruch gegenüber einem infolge der Auflösung der zweiten Ehe erworbenen neuen Versorgungs-, Unterhalts- oder Rentenanspruch nachrangig. Sein Nachrang verwirklicht sich, indem die in § 61 Abs. 3 BeamtVG bezeichneten Ansprüche aus der aufgelösten zweiten Ehe auf das wieder aufgelebte Witwengeld angerechnet werden. Dementsprechend handelt es sich bei dem Begriff des "Rentenanspruchs" in § 61 Abs. 3 BeamtVG um einen "offenen Begriff", bei dem es entscheidend auf die wirtschaftliche Funktion des Anspruchs ankommt (vgl. Urteil vom 10. Juni 1981 - BVerwG 6 C 64.79 - Buchholz 232.5 § 61 BeamtVG Nr. 1 S. 1 <5> = BVerwGE 62, 289 <293> und vom 24. September 1987 - BVerwG 2 C 52.86 - BVerwGE 78, 122 <124>).

Die Anrechnung nach § 61 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 BeamtVG erstreckt sich nur auf solche Ansprüche, die die Witwe infolge der Auflösung der zweiten Ehe erlangt hat. Leistungsansprüche, die der Witwe unabhängig von diesem Ereignis zustehen, fallen nicht unter die Anrechnungsregelung. Nicht anrechenbar sind insbesondere Leistungen, die die Witwe vor Auflösung der letzten Ehe durch eigene Geld- oder geldwerte Aufwendungen erworben hat. In diesen Fällen besteht zwischen der Auflösung der letzten Ehe und der Erlangung des Leistungsanspruchs kein ursächlicher Zusammenhang.

Ein durch einen Versorgungsausgleich erlangter Versorgungsanspruch fällt unter die Anrechnungsregelung des § 61 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 BeamtVG. Würde die zweite (oder zuletzt eingegangene) Ehe einer Witwe fortbestehen, bliebe die Versorgungsanwartschaft ihres Ehemanns ungeteilt und würde sich in einen alleinigen Rentenanspruch dieses Ehemanns verwandeln. An diesem Rentenanspruch würde die Ehefrau lediglich im Rahmen ihrer ehelichen Unterhaltsansprüche gegen den Ehemann teilhaben. Ein eigener Rentenanspruch erwüchse ihr aus dieser Anwartschaft nicht. Eine durch Versorgungsausgleich erlangte Versorgungsanwartschaft ist somit infolge der Auflösung der Ehe entstanden; diese ist kausal im Sinne des § 61 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 BeamtVG.

Der gesetzliche Versorgungsausgleich hat seine Grundlage in der Versorgungsgemeinschaft der Ehegatten (BGHZ 74, 38 <47>; Beschluss vom 7. Oktober 1992 - XII ZB 4/92 - NJW-RR 1993, 194 <195>) und dient dem finanziellen Ausgleich zwischen den geschiedenen Eheleuten. Ein durch Versorgungsausgleich erlangter Rentenanspruch ist ein eigenständiger, der Existenzsicherung des ausgleichsberechtigten geschiedenen Ehepartners dienender Anspruch (BTDrucks 7/4361, S. 49; BVerfGE 53, 257 <294>; 60, 329 <339>; BGH, Beschlüsse vom 17. Oktober 1984 - IVb ZB 153/82 - NJW 1985, 315 <316> und vom 11. Juli 2001 - XII ZB 128/98 - NJW 2001, 3335 <3336>). Seine Einführung durch den Gesetzgeber beruht sowohl auf dem güterrechtlichen Prinzip der Vermögensteilung in Weiterentwicklung des Zugewinnausgleichs als auch auf unterhaltsrechtlichen Überlegungen zur Realisierung und rechtlichen Umgestaltung des Versorgungsunterhalts (BVerfG, a.a.O. sowie BVerfGE 71, 364 <386>; BGH, Beschluss vom 7. Oktober 1992, a.a.O. S. 195). Die Unterhaltspflicht des Ehemanns umfasst nicht nur den unmittelbaren Lebensbedarf, sondern auch die Alterssicherung der unterhaltsberechtigten Ehefrau (BVerfGE 53, 257 <295> mit Hinweis auf BTDrucks 7/4361, S. 18 f.; BVerfGE 60, 329 <339>). Der Gesetzgeber hat sich für den Versorgungsausgleich entschieden, weil er für den ausgleichsberechtigten Ehegatten eine eigenständige Alters- und Invaliditätssicherung begründen wollte (BVerfGE 53, 257 <295> mit Hinweis auf BTDrucks 7/650, S. 155; BVerfGE 60, 329 <339>).

Das Bundesverfassungsgericht hat den Eingriff in die durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützte rentenversicherungsrechtliche Position des Ausgleichsverpflichteten allein deswegen als eine zulässige Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums gewertet, weil der Versorgungsausgleich der Abwicklung des durch die Ehe begründeten Privatrechtsverhältnisses dient und insoweit durch Art. 6 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 2 GG gerechtfertigt wird (BVerfGE 53, 257 <295>; 80, 297 <310>). Zum Wesen der auf Lebenszeit angelegten Ehe im Sinne der Gewährleistung des Art. 6 Abs. 1 GG gehört die gleiche Berechtigung beider Partner, die auch nach Trennung und Scheidung der Ehegatten auf ihre Beziehung hinsichtlich Unterhalt und Versorgung wirkt (BVerfGE 63, 88 <109> m.w.N.). Der Versorgungsausgleich wird dementsprechend nicht mehr als zulässige Inhalts- und Schrankenbestimmung nach Art. 6 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 2 GG gerechtfertigt, wenn und soweit der ausgleichspflichtige Versorgungsempfänger ungeachtet der Kürzung seiner Versorgungsbezüge zugunsten des Ausgleichberechtigten diesem zusätzlich noch zum Unterhalt verpflichtet ist (vgl. BVerfGE 53, 257 <306, 308>; BVerwG, Urteile vom 10. März 1994 - BVerwG 2 C 4.92 - Buchholz 239.1 § 57 BeamtVG Nr. 9 S. 1 <2 f.>, vom 28. April 1994 - BVerwG 2 C 22.92 - BVerwGE 95, 375 <379> und vom 24. November 1994 - BVerwG 2 C 14.93 - BVerwGE 97, 124 <126 f.>).

Da ein durch Versorgungsausgleich erworbener Rentenanspruch somit zumindest auch Unterhaltscharakter hat, kommt die Anrechnungsregel des § 61 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 BeamtVG mit der gebotenen wirtschaftlichen Betrachtungsweise zum Zuge. Die Zweckbestimmung der Rente als Unterhaltssicherung rechtfertigt die Beschränkung des nachrangig wieder aufgelebten Witwengeldes auf die Auffüllfunktion.

Die anderweitige Auslegung vergleichbarer sozialrechtlicher Vorschriften durch das Bundessozialgericht (vgl. Urteil vom 24. November 1998 - 9/9a RV 28/87 - BSGE 64, 194) ändert daran nichts. Vergleichbare Vorschriften in verschiedenen Rechtsgebieten werden vor allem mit Blick auf Sinnzusammenhang und Zweck der jeweiligen Regelung unterschiedlich ausgelegt. Angesichts der geschilderten verfassungsrechtlichen Vorgaben für die Legitimation des Versorgungsausgleichs als Alters- und Unterhaltssicherung des ausgleichsberechtigten Ehegatten bedarf es keiner Vorlage an den Gemeinsamen Senat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Beschluss

Der Streitwert wird für das Revisionsverfahren auf 10 712 Euro (entspricht 20 952 DM) festgesetzt (§ 13 Abs. 1 Satz 1, § 17 Abs. 3, § 73 Abs. 1 Satz 1 GKG).



Ende der Entscheidung

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