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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 08.10.1998
Aktenzeichen: BVerwG 2 C 7.98
Rechtsgebiete: EV, SG, GG


Vorschriften:

EV Art. 20 Abs. 1, Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet B Abschnitt II Nr. 2 §§ 1, 2, 3, 4 Abs. 3, § 6 Abs. 2, § 7 Abs. 1
SG § 44 Abs. 7
SG § 49 Abs. 5 Satz 1
GG Art. 12 Abs. 1
Leitsätze:

1. Berufssoldaten der ehemaligen Nationalen Volksarmee haben aus Berufsförderungsverträgen mit deren Dienststellen keine Ansprüche gegen die Bundesrepublik Deutschland.

2. Für die Eingliederung nicht weiterverwendeter Berufssoldaten der ehemaligen Nationalen Volksarmee in das zivile Berufsleben gelten nach dem Einigungsvertrag die Vorschriften des Arbeitsförderungsgesetzes.

3. Nicht weiterverwendete Soldaten der ehemaligen Nationalen Volksarmee dürfen ihren früheren Dienstgrad nicht führen.

Urteil des 2. Senats vom 8. Oktober 1998 - BVerwG 2 C 7.98 -

I. VG Berlin vom 09.09.1994 - Az.: VG 5 A 185.92 - II. OVG Berlin vom 19.11.1996 - Az.: OVG 4 B 85.94 -


BUNDESVERWALTUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

BVerwG 2 C 7.98 OVG 4 B 85.94

Verkündet am 8. Oktober 1998

Rasch Justizamtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 8. Oktober 1998 durch die Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsgerichts Dr. Franke und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Silberkuhl, Dawin, Dr. Kugele und Dr. Bayer

für Recht erkannt:

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin vom 19. November 1996 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.

Gründe:

I.

Der 1959 geborene Kläger schloß als Berufssoldat der ehemaligen Nationalen Volksarmee (NVA) mit dem Dienstgrad Major am 10. September 1990 mit seiner Dienststelle, dem Wehrkreiskommando K., "in Verwirklichung der militärischen Bestimmungen zur Vorbereitung der Berufssoldaten und Zivilbeschäftigten auf Arbeitsverhältnisse außerhalb der Streitkräfte" einen Berufsförderungsvertrag. Seine darin vereinbarte Berufsförderung mit dem Ziel des Studienabschlusses "Diplom-Jurist" an der Hochschule für Recht und Verwaltung P. sollte am 1. Oktober 1990 beginnen und am 31. August 1993 enden. Das Wehrkreiskommando verpflichtete sich, den Kläger unter Fortzahlung seines Gehalts vom Dienst zu befreien. Durch Befehl des Chefs des Wehrbezirkskommandos C. vom 12. September 1990 wurde der Kläger von seiner bisherigen Dienststellung entbunden, in den Nachweis für Berufssoldaten in der Berufsförderung aufgenommen und unter Weiterzahlung seiner bisherigen Dienstbezüge zur Umschulung vom 1. Oktober 1990 bis zum 30. September 1992 an die Hochschule für Recht und Verwaltung kommandiert.

Durch Bescheid vom 12. Oktober 1990 entließ das Bundesministerium der Verteidigung den Kläger mit Ablauf des 15. Oktober 1990 aus der Bundeswehr. Der Kläger legte Beschwerde ein; er machte geltend: Seine Entlassung, die er nicht beantragt habe, sei mit dem auch die Bundeswehr bindenden Berufsförderungsvertrag unvereinbar, aufgrund dessen er Anspruch auf Fortzahlung der Dienstbezüge habe. Mit Widerspruchsbescheid vom 23. Oktober 1991 hob das Bundesministerium der Verteidigung die Entlassungsverfügung mangels eines schriftlichen Entlassungsantrages des Klägers auf.

Die daraufhin erhobene Klage, mit der der Kläger die Besoldung eines von der Bundeswehr weiterverwendeten Majors der ehemaligen NVA unter Anrechnung des ihm als Wartegeld und Übergangsgebührnisse bereits gewährten Betrages beansprucht hat, hat das Verwaltungsgericht abgewiesen. Die Berufung, mit der der Kläger zusätzlich die Feststellung begehrt hat, daß er berechtigt sei, den Dienstgrad Major zu führen, hat das Oberverwaltungsgericht mit der Begründung zurückgewiesen:

Der Kläger habe keinen Anspruch auf die begehrte Besoldung, weil sein Wehrdienstverhältnis aufgrund des Einigungsvertrages mit dem 2. April 1991 beendet worden sei. Aus dem Berufsförderungsvertrag könne er gegen die Beklagte keine Ansprüche herleiten. Der mit der Berufung geltend gemachte Schadensersatzanspruch scheitere schon daran, daß der Kläger vor Klageerhebung keine Schadensersatzforderung bei der Beklagten geltend gemacht habe. Der Kläger sei auch nicht berechtigt, den Dienstgrad Major zu führen. Dieses Recht habe mit dem Wirksamwerden des Beitritts geruht und mit dem Dienstverhältnis kraft Gesetzes geendet.

Gegen dieses Urteil, auf das wegen der Einzelheiten verwiesen wird, richtet sich die vom Bundesverwaltungsgericht zugelassene Revision des Klägers, der die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt und beantragt,

die Urteile des Oberverwaltungsgerichts Berlin vom 19. November 1996 und des Verwaltungsgerichts Berlin vom 9. September 1994 aufzuheben und

1. festzustellen, daß der Kläger mit Beginn des 3. Oktober 1990 als Berufssoldat in der Bundeswehr weiterverwendet gilt und sein Dienstverhältnis mit Ablauf des 31. Dezember 1996 geendet hat,

2. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger für den Zeitraum vom 3. Oktober 1990 bis zum 31. Dezember 1996 die Besoldung eines von der Bundeswehr weiterverwendeten Majors der NVA zuzüglich 4 v.H. ab jeweiliger Fälligkeit zu zahlen unter Anrechnung des ihm in dieser Zeit als Wartegeld und Übergangsgebührnisse bereits gewährten Betrages,

3. festzustellen, daß der Kläger berechtigt ist, den Dienstgrad Major zu führen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil.

Der Oberbundesanwalt teilt die Rechtsansicht der Beklagten und des Berufungsgerichts.

II.

Die Revision ist unbegründet.

Einen Verfahrensmangel bezeichnet die Revision nicht in einer den formellen Anforderungen des § 139 Abs. 3 Satz 4 VwGO genügenden Weise.

Die Entscheidung des Berufungsgerichts entspricht der Rechtslage. Der Kläger hat weder Anspruch auf Besoldung eines von der Bundeswehr weiterverwendeten Majors der ehemaligen NVA, noch ist er berechtigt, den Dienstgrad Major zu führen.

Nach Art. 20 Abs. 1 des Vertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands vom 23. September 1990 (BGBl II S. 885 ff.) Einigungsvertrag (EV), der nach Wirksamwerden des Beitritts Bundesrecht geblieben ist (Anlage 45 EV), gelten für die Rechtsverhältnisse der Angehörigen des öffentlichen Dienstes zum Zeitpunkt des Beitritts die in der Anlage I vereinbarten Übergangsregelungen. Nach den in Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet B Abschnitt II Nr. 2 (im folgenden: EV-Anlage) für Rechtsverhältnisse der Soldaten der ehemaligen NVA getroffenen besonderen Bestimmungen wurden die Soldaten der NVA mit dem Wirksamwerden des Beitritts der DDR Soldaten der Bundeswehr (EV-Anlage § 1Satz 1). Für Berufssoldaten galten die Dienstverhältnisse, in denen sie sich am Tage vor dem Wirksamwerden des Beitritts befanden, mit folgenden Maßgaben fort (EV-Anlage § 1 Satz 2 Nr. 2): Das Dienstverhältnis ruhte mit dem Wirksamwerden des Beitritts (EV-Anlage § 2 Abs. 1). Während des Ruhens des Dienstverhältnisses hatten Berufssoldaten der ehemaligen NVA Anspruch auf ein monatliches Wartegeld in Höhe von 70 v.H. der durchschnittlichen monatlichen Dienstbezüge der letzten sechs Monate (EV-Anlage § 2 Abs. 2 Satz 1). Wurde ein noch nicht 50 Jahre alter Berufssoldat der ehemaligen NVA nicht innerhalb von sechs Monaten weiterverwendet, endete sein Dienstverhältnis mit dem Ablauf dieser Frist (EV Anlage § 2 Abs. 3 Satz 1). So verhält es sich im Fall des Klägers.

Der Kläger wurde nicht in der Frist von sechs Monaten weiterverwendet. Die Beklagte entließ ihn vielmehr vor Ablauf der Sechsmonatsfrist aus dem ruhenden Dienstverhältnis. In der Aufhebung der Entlassungsverfügung namentlich der Adressierung und Anrede mit dem Dienstgrad Major (vorl.) kann keine Weiterverwendung des Klägers erblickt werden. Der Umstand, daß nach dem Einigungsvertrag (EV-Anlage § 7 Abs. 1) während der Frist die Entlassung eines Berufssoldaten der ehemaligen NVA möglich war, änderte nichts daran, daß es bei einer Aufhebung der Entlassungsverfügung bei der im Einigungsvertrag vorgesehenen regelmäßigen Beendigung des Dienstverhältnisses mit Ablauf der sechsmonatigen Wartezeit verblieb. Deshalb vermag auch die Zulässigkeit einer Entlassung kein schutzwürdiges Vertrauen des Entlassenen darauf zu begründen, er werde bei einer Aufhebung der Entlassung weiterverwendet werden.

Der Befehl Nr. 23/90 des Chefs des Wehrbezirkskommandos C. vom 12. September 1990 ändert daran nichts. Der Befehl entband den Kläger von seiner bisherigen Dienststellung und kommandierte ihn mit Wirkung vom 1. Oktober 1990 zur Umschulung an die Hochschule für Recht und Verwaltung. Mit dieser am Tage vor dem Wirksamwerden des Beitritts bestehenden Befehlslage hinsichtlich der Verwendung ruhte sein Dienstverhältnis bis zu dessen Beendigung. Daß in dem vom Kläger nach dem Beitritt fortgesetzten Studium an einer zivilen Hochschule keine Weiterverwendung als Berufssoldat durch die Bundeswehr erblickt werden kann, bedarf keiner Darlegung.

Das soldatische Dienstverhältnis des Klägers galt auch nicht nach § 3 EV-Anlage weiter. Ob der Bundesminister der Verteidigung im Sinne dieser Vorschrift das Fortbestehen oder die Eingliederung der ehemaligen Dienststelle des Klägers in eine Dienststelle der Bundeswehr bestimmt hat, kann auf sich beruhen. Darauf kommt es nicht an. Es gelten nämlich nur die Dienstverhältnisse der Soldaten weiter, die bei einer fortbestehenden oder eingegliederten Einheit, Dienststelle oder Einrichtung ("dort") verwendet werden (EV-Anlage § 3). Diese Verwendungsvoraussetzung erfüllt der Kläger nicht. Da er vor dem Wirksamwerden des Beitritts zu einer zivilen Einrichtung abkommandiert worden war, hätte eine erneute Verwendung bei seiner früheren Dienststelle einer Entscheidung der Beklagten bedurft. Eine solche Verwendungsentscheidung ist nicht getroffen worden.

Der am 10. September 1990 abgeschlossene Berufsförderungsvertrag des Klägers mit seiner damaligen Dienststelle der NVA begründet keine Ansprüche gegen die Beklagte, weil sie nicht Vertragspartnerin geworden ist. Der Einigungsvertrag sieht den Eintritt der Bundesrepublik Deutschland in die im Zeitpunkt des Beitritts bestehenden Dienstverhältnisse der Berufssoldaten der NVA nur nach den Maßgaben der Anlage I vor. Lediglich insoweit ist die Bundesrepublik Deutschland Rechtsnachfolgerin der ehemaligen DDR (vgl. BVerfGE 84, 133 <147>). Denn die "besonderen Bestimmungen" der Anlage I des Einigungsvertrages regeln die Rechtsverhältnisse der Soldaten der ehemaligen NVA umfassend und abschließend. Das trifft namentlich für die Berufsförderung der nicht weiterverwendeten Berufssoldaten der ehemaligen NVA zu. Für deren Eingliederung in das zivile Berufsleben gelten nach dem Einigungsvertrag die Vorschriften des Arbeitsförderungsgesetzes, insbesondere für Maßnahmen der beruflichen Ausbildung, Fortbildung und Umschulung; der Berufsförderungsdienst der Bundeswehr gewährt zusätzliche Hilfestellung (EV-Anlage § 2 Abs. 4 i.V.m. § 6 Abs. 2).

Für ein Schadensersatzbegehren des Klägers fehlt es bereits an der im Prozeß nicht nachholbaren Klagevoraussetzungen eines vor Klageerhebung an die Behörde zu stellenden Antrages (vgl. u.a. Urteil vom 10. April 1997 BVerwG 2 C 38.95 <DÖD 1998, 31-33>; Beschluß vom 1. Dezember 1993 BVerwG 2 B 115.93 <Buchholz 232 § 79 Nr. 110> m.w.N.). Davon abgesehen ist auch eine schadensverursachende rechtswidrige Handlung oder Unterlassung der Beklagten nicht erkennbar. Das Absehen von einer Weiterverwendung des Klägers war rechtmäßig. Die Regelungen des Einigungsvertrages über das Ruhen und die Beendigung der Dienstverhältnisse der Soldaten der NVA sollten wie insgesamt im öffentlichen Dienst der Beklagten ermöglichen, die aufgrund des Beitritts notwendige Umgestaltung der Organisationsstrukturen vorzunehmen und den Personalbestand am künftigen Bedarf zu orientieren (vgl. BVerfGE 84, 133 <151>; 85, 360 <375>; BVerwGE 90, 220 <222>). Soweit die Regelungen des Einigungsvertrages über das Ruhen und die Beendigung der Dienstverhältnisse der nicht weiterverwendeten Berufssoldaten der ehemaligen NVA deren Recht auf freie Wahl des Arbeitsplatzes aus Art. 12 Abs. 1 GG berührt, ist dies verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl. BVerfGE 84, 133 <151>).

Der Kläger ist nicht befugt, den Dienstgrad Major zu führen. Nach dem Einigungsvertrag endete für Soldaten der ehemaligen NVA mit deren Dienstverhältnis auch das Recht zur Führung ihrer Dienstgrade. Nach § 4 Abs. 3 EV-Anlage dürfen selbst die in der Bundeswehr weiterverwendeten Soldaten der ehemaligen NVA ihre bisherigen Dienstgrade nicht weiterführen, weil diese mit denen der Bundeswehr nicht ohne weiteres vergleichbar sind. Auf Berufssoldaten der ehemaligen NVA, deren Dienstverhältnis mangels Weiterverwendung endete, findet § 44 Abs. 7 SG keine Anwendung, weil sie nicht als Berufssoldaten der Bundeswehr in den Ruhestand getreten sind. § 49 Abs. 5 Satz 1 SG ist unanwendbar. Diese Vorschrift, nach der der Bundesminister der Verteidigung einem entlassenen Berufssoldaten die Erlaubnis erteilen kann, seinen Dienstgrad mit dem Zusatz "außer Dienst (a.D.)" zu führen, setzt die Entlassung aus einem nach den Vorschriften des Soldatengesetzes begründeten Dienstverhältnis voraus.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Beschluß

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 72 000 DM festgesetzt (§ 13 Abs. 1 Satz 2, Abs. 4 Satz 1 Buchst. a GKG).

Ende der Entscheidung

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