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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 22.06.1999
Aktenzeichen: BVerwG 4 B 46.99
Rechtsgebiete: BauGB, BauNVO


Vorschriften:

BauGB § 30 Abs. 1
BauNVO § 8 Abs. 3 Nr. 1
Leitsätze:

Eine Wohnung für Bereitschaftspersonen muß nicht, um gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO i.V.m. § 30 Abs. 1 BauGB ausnahmsweise zugelassen werden zu können, aus betrieblichen Gründen unabdingbar sein. Es genügt, daß sie - auf der Grundlage der grundsätzlich vom Betriebsinhaber zu verantwortenden Organisation der Betriebsabläufe - aus betrieblichen Gründen objektiv sinnvoll ist (im Anschluß an BVerwG, Urteil vom 16. März 1984 - BVerwG 4 C 5.80 - NVwZ 1984, 511). Die Erreichbarkeit der Bereitschaftspersonen außerhalb der Betriebszeiten auch durch Mobiltelefon oder Anrufumleitung ist deshalb nicht allein schon ein Grund, der die (betriebliche) Erforderlichkeit der Wohnung auf dem Betriebsgrundstück ausschließt.

Beschluß des 4. Senats vom 22. Juni 1999 - BVerwG 4 B 46.99 -

I. VG Köln vom 23.01.1998 - Az.: VG 11 K 7051/94 - II. OVG Münster vom 22.02.1999 - Az.: OVG 7 A 1306/98 -


BUNDESVERWALTUNGSGERICHT BESCHLUSS

BVerwG 4 B 46.99 OVG 7 A 1306/98

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts am 22. Juni 1999 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Gaentzsch, den Richter Dr. Lemmel und die Richterin Heeren

beschlossen:

Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 22. Februar 1999 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 10 000 DM festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Klägerin unterhält einen Betrieb zur Vermietung, Bearbeitung und Lagerung von Stahlteilen sowie zur Vermietung und Wartung von Geräten für den Hoch- und Tiefbau. Die Stahlteile und Geräte werden auch außerhalb der Betriebszeiten angeliefert und abgeholt. Das Baugrundstück liegt im räumlichen Geltungsbereich eines Bebauungsplans, der das Grundstück sowie dessen umliegende Flächen als Gewerbegebiet festsetzt. Die Klägerin begehrt die Erteilung einer Baugenehmigung zur Errichtung einer Wohnung im Dachgeschoß eines Betriebsgebäudes für einen als "Technischen Betriebsleiter" bezeichneten Mitarbeiter, der indes lediglich Aufgaben des Warenein- und -ausgangs wahrnimmt.

Ihre Klage hatte im Berufungsverfahren Erfolg. Dagegen wendet sich der Beklagte mit einer auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützten Nichtzulassungsbeschwerde.

II.

Die Beschwerde ist nicht begründet. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr die Beschwerde zumißt.

Die sinngemäß aufgeworfene Frage, ob § 8 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO es heutzutage gebietet, höhere Anforderungen an die Erforderlichkeit einer Wohnung für Bereitschaftspersonal zu stellen, weil die Sicherstellung der Be- und Entladetätigkeit des Bereitschaftspersonals durch Rufbereitschaft per Telefon für die betriebliche Situation nicht nachteiliger ist als das Vorhalten einer Betriebswohnung, rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision; denn sie läßt sich nicht allgemein, sondern nur bezogen auf den jeweiligen Einzelfall beantworten.

Nach § 8 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO können Wohnungen für Aufsichts- und Bereitschaftspersonen sowie für Betriebsinhaber und Betriebsleiter, die dem Gewerbebetrieb zugeordnet und ihm gegenüber in Grundfläche und Baumasse untergeordnet sind, ausnahmsweise zugelassen werden. Bauplanungsrechtlich erforderlich ist sonach eine funktionale Zuordnung solcher Wohnungen zum jeweiligen Betrieb. Diese Zuordnung besteht, soweit es sich um Wohnungen für Aufsichts- und Bereitschaftspersonal handelt, wenn diese Personen wegen der Art des Betriebes oder zur Wartung von Betriebseinrichtungen oder aus Sicherheitsgründen ständig erreichbar sein müssen, und deswegen das Wohnen solcher Personen nahe dem Betrieb erforderlich ist. Für Betriebsleiter und Betriebsinhaber können wegen ihrer engen Bindungen an den Betrieb Wohnungen auf oder nahe dem Betriebsgrundstück auch dann zulässig sein, wenn der Betrieb ihre ständige Einsatzbereitschaft nicht zwingend erfordert; aber auch dann muß ihr Wohnen auf oder nahe dem Betriebsgrundstück mit Rücksicht auf Art und Größe des Betriebes aus betrieblichen Gründen objektiv sinnvoll sein (vgl. das vom Berufungsgericht zitierte Urteil des BVerwG vom 16. März 1984 - BVerwG 4 C 50.80 - NVwZ 1984, 511 = BRS 42 Nr. 73 = ZfBR 1984, 148).

Auf der Grundlage dieser Rechtsprechung ist davon auszugehen, daß es zunächst grundsätzlich Aufgabe des Betriebsinhabers ist, den Betrieb nach den betrieblichen Erfordernissen einschließlich seiner Betriebsabläufe zu organisieren; das schließt den Einsatz der Mitarbeiter ein. Zu Recht ist das Berufungsgericht deshalb der Auffassung, daß das Kriterium der "Erforderlichkeit" einer Bereitschaftspersonalwohnung nicht mit deren Unabdingbarkeit gleichzusetzen sei. Maßgeblich ist vielmehr, daß die Wohnung aus betrieblichen Gründen objektiv sinnvoll ist (BVerwG, Urteil vom 16. März 1984 - BVerwG 4 C 50.80 - NVwZ 1984, 511 = ZfBR 1984, 148 = BRS 42 Nr. 73). Hierfür reicht es aus, daß vernünftige, auf den konkreten Betrieb bezogene Gründe vorliegen, die eine Betriebswohnung als notwendig erscheinen lassen. Wann dies der Fall ist, läßt sich nicht allgemeinverbindlich formulieren; maßgeblich sind die Umstände des Einzelfalles. Zwar kann nicht zweifelhaft sein, daß bei der Beurteilung der Erforderlichkeit des Wohnens auf dem Betriebsgrundstück auch die gegenwärtig vorhandenen telekommunikationstechnischen Möglichkeiten zu berücksichtigen sind. Das bedeutet jedoch nicht, daß immer schon dann, wenn die Erreichbarkeit der Bereitschaftsperson auch durch Mobiltelefon oder Anrufumleitung hergestellt werden könnte, die Erforderlichkeit der Wohnung auf dem Betriebsgrundstück verneint werden müßte (vgl. in ähnlichem Sinne auch OVG Schleswig, Urteil vom 29. April 1993 - 1 L 79/91 -, veröffentlicht in juris). Erforderlich ist vielmehr eine umfassende Bewertung aller maßgeblichen Umstände.

Keine andere Auffassung vertritt der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg in seinem Urteil vom 1. September 1994 - 5 S 891/94 - (veröffentlicht in juris), auf das sich die Beschwerde beruft. Seiner Entscheidung liegt ein in tatsächlicher Hinsicht mit dem vorliegenden Fall nicht vergleicharer Sachverhalt zugrunde. Soweit der Verwaltungsgerichtshof in seiner Entscheidung Hilfstätigkeiten wie das Kehren und Schneeräumen, die Mithilfe im Betrieb, das Be- und Entladen von Material und die Entgegennahme von Sendungen bei Abwesenheit des Betriebsinhabers als allenfalls "grundstücksbezogen", aber nicht als "betriebsbezogen" gewertet und deshalb eine funktionale Zuordnung zum Gewerbebetrieb verneint hat, hat er die gebotene Einzelfallprüfung vorgenommen.

Im vorliegenden Fall hat sich das Berufungsgericht bei seiner Entscheidung an der spezifischen Eigenart des Betriebes der Klägerin und seinen typischen Betriebsabläufen orientiert. Dabei hat es auch die Möglichkeit des Einsatzes moderner Kommunikationsmittel berücksichtigt; nach seiner Wertung wäre eine lediglich telefonische Rufbereitschaft eines von anderer Stelle anreisenden Bediensteten aber "außerhalb jeder Praktikabilität". Seine Anwendung des § 8 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO entspricht damit den Anforderungen der höchstrichterlichen Rechtsprechung und gibt zu weiteren Ausführungen keinen Anlaß.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO; die Festsetzung des Streitwerts erfolgt aus § 14 Abs. 3, § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.

Ende der Entscheidung

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