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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 12.02.2009
Aktenzeichen: BVerwG 4 B 5/09
Rechtsgebiete: BauGB


Vorschriften:

BauGB § 1 Abs. 6
BauGB § 34 Abs. 3
Die Gemeinde kann einen tatsächlich vorhandenen zentralen Versorgungsbereich durch ein städtebauliches Entwicklungskonzept nicht mit Wirkung für § 34 Abs. 3 BauGB räumlich eingrenzen, wenn die von ihr gezogene Grenze in der Örtlichkeit keine Bestätigung findet und dadurch Grundstücke von dem zentralen Versorgungsbereich abgetrennt werden, die mit diesem durch die vorhandenen Nutzungen unmittelbar verknüpft sind.
In der Verwaltungsstreitsache

...

hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts

am 12. Februar 2009

durch

den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Rubel,

den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Jannasch und

die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Philipp

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 6. November 2008 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 60 075 EUR festgesetzt.

Gründe:

Die auf die Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 2 VwGO gestützte Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Daher kann offen bleiben, ob dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand stattzugeben wäre.

1.

Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), die ihr die Beschwerde beimisst.

1.1

Die Beschwerde hält für rechtsgrundsätzlich klärungsbedürftig,

welche Bedeutung einem von der Gemeindevertretung beschlossenen städtebaulichen Konzept zukommt, insbesondere ob einem solchen Konzept bei der räumlichen Abgrenzung eines zentralen Versorgungsbereichs präjudizierende Wirkung zukommt (Frage 1) und

welche Prüfungskompetenz Verwaltungsgerichte über von einer Gemeindevertretung beschlossene städtebauliche Konzepte ausüben dürfen (Frage 2).

Diese Fragen bedürfen, soweit sie entscheidungserheblich wären, nicht der Klärung in einem Revisionsverfahren.

Das Oberverwaltungsgericht hat den Beklagten verpflichtet, der Klägerin den beantragten bauplanungsrechtlichen Vorbescheid für die Erweiterung ihres Lebensmittelmarktes mit 958 qm Verkaufsfläche um eine zusätzliche Verkaufsfläche von 534,71 qm zu erteilen, weil das Vorhaben die Voraussetzungen des § 34 Abs. 1 BauGB erfülle und ihm § 34 Abs. 3 BauGB nicht entgegenstehe (UA S. 11). Schädliche Auswirkungen auf den zentralen Versorgungsbereich Wickrath-Mitte seien schon deshalb nicht zu erwarten, weil das Vorhabengrundstück diesem Versorgungsbereich noch zuzurechnen sei (UA S. 14). Die räumliche Abgrenzung eines zentralen Versorgungsbereiches unterliege der vollen gerichtlichen Kontrolle und richte sich nach den tatsächlich vorhandenen Gegebenheiten (UA S. 16). Insgesamt betrachtet erstrecke sich der zentrale Versorgungsbereich Wickrath-Mitte ohne wesentliche Unterbrechungen mit einer breiten Palette von Einzelhandels- und Dienstleistungsangeboten von der Poststraße über die Quadtstraße und den Wickrather Markt entlang der Beckrather Straße bis zum Aldi-Markt. Die im Nahversorgungs- und Zentrenkonzept dargestellte Zäsur zwischen dem B-Zentrum Wickrath-Mitte und dem "nicht zentralen Versorgungsstandort Lederfabrik Wickrath" mit einem Abstand von lediglich 50 m finde in der Örtlichkeit keine Bestätigung. Vielmehr bestehe durch die vorhandenen Nutzungen eine unmittelbare Verknüpfung (UA S. 19).

Das Oberverwaltungsgericht hat mithin nicht in Abrede gestellt, dass sich in Wickrath-Mitte ein zentraler Versorgungsbereich befindet. Die in der Literatur umstrittene Frage, ob ein räumlich abgrenzbarer Bereich des Gemeindegebiets auch dann ein zentraler Versorgungsbereich im Sinne des § 34 Abs. 3 BauGB sein kann, wenn er aufgrund der bislang vorhandenen Einzelhandelsnutzungen, Dienstleistungs- und gastronomischen Angebote eine Versorgungsfunktion über den unmittelbaren Nahbereich hinaus nicht oder nur eingeschränkt erfüllen kann, die Gemeinde aber in einem städtebaulichen Entwicklungskonzept gemäß § 1 Abs. 6 Nr. 11 BauGB beschlossen hat, diesen Bereich zu einem zentralen Versorgungsbereich weiterzuentwickeln und aufzuwerten (bejahend: Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 34 Rn. 85; Krautzberger, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 10. Aufl. 2007, § 34 Rn. 55; Rieger, in: Schrödter, BauGB, 7. Aufl. 2006 § 34 Rn. 74; a.A.: Bracher, in: Gelzer/ Bracher/Reidt, Bauplanungsrecht, 7. Aufl. 2004, Rn. 2068; Dürr, in: Brügelmann, BauGB, § 34 Rn. 106e), würde sich mithin in einem Revisionsverfahren nicht stellen. Im vorliegenden Verfahren geht es allein um die Frage, ob und inwieweit die Gemeinde einen tatsächlich vorhandenen zentralen Versorgungsbereich durch ein städtebauliches Entwicklungskonzept mit Wirkung für § 34 Abs. 3 BauGB räumlich eingrenzen kann. Dass informelle Planungen die aus den tatsächlichen Gegebenheiten ableitbaren Schlussfolgerungen bestätigen und ggf. präzisieren können, hat das Oberverwaltungsgericht nicht in Frage gestellt (UA S. 16). Entscheidungserheblich ist mithin lediglich, ob eine Gemeinde einen vorhandenen zentralen Versorgungsbereich eingrenzen kann, auch wenn die von ihr gezogene Grenze in der Örtlichkeit keine Bestätigung findet und dadurch Grundstücke von dem zentralen Versorgungsbereich abgetrennt werden, die mit diesem durch die vorhandenen Nutzungen unmittelbar verknüpft sind. Denn an die tatsächlichen Feststellungen zu den örtlichen Gegebenheiten und ihre tatrichterliche Würdigung ist der Senat gemäß § 137 Abs. 2 VwGO gebunden.

Dass die genannte Frage mit dem Oberverwaltungsgericht zu verneinen ist, ergibt sich ohne Weiteres aus dem Gesetz. Gemäß § 34 Abs. 3 BauGB dürfen von einem Vorhaben nach Abs. 1 oder 2 keine schädlichen Auswirkungen auf zentrale Versorgungsbereiche in der Gemeinde oder in anderen Gemeinden zu erwarten sein. Ist ein Vorhaben bauplanungsrechtlich zulässig, weil es sich in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt (§ 34 Abs. 1 BauGB), nach der tatsächlich vorhandenen Stadtstruktur innerhalb eines zentralen Versorgungsbereiches liegt und auch auf andere zentrale Versorgungsbereiche keine schädlichen Auswirkungen hat (§ 34 Abs. 3 BauGB), kann ein städtebauliches Entwicklungskonzept hieran nichts ändern. Denn ein solches Konzept enthält - anders als ein Bebauungsplan z.B. mit Festsetzungen auf der Grundlage von § 9 Abs. 2a BauGB - keine rechtsverbindlichen Festsetzungen (vgl. § 8 Abs. 1 BauGB). Selbst wenn der Schutz zentraler Versorgungsbereiche ein öffentlicher Belang sein sollte, der in gewissen Grenzen einer Konkretisierung durch städtebauliche Entwicklungskonzepte zugänglich ist, wären diese Grenzen jedenfalls überschritten, wenn die Gemeinde - wie nach den tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts hier - einen vorhandenen zentralen Versorgungsbereich in einer Weise eingrenzt, die in den tatsächlichen Gegebenheiten keine Entsprechung findet (vgl. auch Uechtritz, NVwZ 2004, 1025 <1030>; Reichelt, Baurecht 2006, 38 <42>). Jedenfalls ob diese Grenzen überschritten sind, haben die Verwaltungsgerichte zu prüfen (Frage 2).

1.2

Die Frage,

ob wegen einer Beschränkung der Prüfungskompetenz der Verwaltungsgerichte eine analoge Anwendung des § 47 VwGO erforderlich ist,

würde sich in einem Revisionsverfahren nicht stellen. Denn nach der Rechtsauffassung des Oberverwaltungsgerichts kommt dem Einzelhandelskonzept des Beklagten bei der Abgrenzung des hier in Rede stehenden zentralen Versorgungsbereichs im Rahmen der Anwendung des § 34 Abs. 3 BauGB keine bindende Rechtswirkung zu.

2.

Die Rüge, das angefochtene Urteil weiche im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO von dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. Oktober 2007 - BVerwG 4 C 7.07 - (BVerwGE 129, 307) ab, ist nicht in zulässiger Weise erhoben.

Die Beschwerde bezeichnet nicht - wie dies erforderlich wäre (Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - NJW 1997, 3328) - einen die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz, mit dem die Vorinstanz einem ebensolchen Rechtssatz des Bundesverwaltungsgerichts widersprochen haben sollte. Im Übrigen trifft es nicht zu, dass das Oberverwaltungsgericht eine unmittelbare Verknüpfung des klägerischen Grundstücks mit dem im Einzelhandelskonzept dargestellten Versorgungsbereich allein aufgrund von Dienstleistungsnutzungen bejaht hat. Nach seinen Feststellungen befindet sich in einer Entfernung von lediglich ca. 60 m von der im Einzelhandelskonzept als Grenze bezeichneten Kirchstraße ein Takko-Modemarkt (UA S. 18). Unmittelbar südlich des Parkplatzes des Modemarktes befinden sich auf der anderen Seite der Wickrathberger Straße der Gastronomiebetrieb "Brauhaus" sowie die Einfahrt zum Parkplatz des Lebensmittelmarktes der Klägerin (UA S. 19).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.

Ende der Entscheidung

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