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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 05.09.2000
Aktenzeichen: BVerwG 4 B 56.00
Rechtsgebiete: BauGB, BauNVO


Vorschriften:

BauGB § 35 Abs. 1 Nr. 1
BauNVO § 5 Abs. 1 Satz 2
Leitsatz:

Vorhaben im Außenbereich müssen auf das Interesse eines Landwirts, seinen Betrieb in den Außenbereich hinein zu erweitern, jedenfalls dann keine Rücksicht nehmen, wenn das Erweiterungsinteresse vage und unrealistisch ist.

Beschluss des 4. Senats vom 5. September 2000 - BVerwG 4 B 56.00 -

I. VG Regensburg vom 05.07.1995 - Az.: VG RO 14 K 94.2575 - II. VGH München vom 17.05.2000 - Az.: VGH 2 B 95.2590 -


BUNDESVERWALTUNGSGERICHT BESCHLUSS

BVerwG 4 B 56.00 VGH 2 B 95.2590

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts am 5. September 2000 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Gaentzsch und die Richter Dr. Lemmel und Halama

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Beigeladenen gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 17. Mai 2000 wird zurückgewiesen.

Die Beigeladenen tragen als Gesamtschuldner die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 10 000 DM festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Beigeladenen wenden sich gegen eine den Klägern erteilte Baugenehmigung für ein Wohnhaus im Außenbereich. Sie selbst sind Inhaber einer landwirtschaftlichen Nebenerwerbsstelle am Ortsrand in der Nachbarschaft; das Berufungsgericht hat offen gelassen, ob ihr Betriebsgrundstück im unbeplanten Innen- oder im Außenbereich liegt. Die Beigeladenen befürchten Einschränkungen für ihren landwirtschaftlichen Betrieb, insbesondere ihrer betrieblichen Erweiterungsmöglichkeiten. Hierzu machen sie geltend, sie wollten auf ihrem an die Hofstelle angrenzenden Grundstück (im Außenbereich) einen Schweinestall für 300 Mastschweine errichten; ein entsprechender Bauantrag ist eingereicht. Der Widerspruch der Beigeladenen war zunächst erfolgreich. Im Klageverfahren wurde der Widerspruchsbescheid jedoch aufgehoben. Zur Begründung hat das Berufungsgericht ausgeführt, auf Grund der örtlichen Verhältnisse sei die derzeit betriebene Rinderhaltung mit der genehmigten Wohnnutzung der Kläger vereinbar. Die geplante Errichtung eines Mastschweinestalls vermittele den Beigeladenen kein Abwehrrecht; sie sei als Erweiterung des bestehenden Betriebs weder betriebswirtschaftlich sinnvoll noch sonst realisiert.

Gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts, die Revision nicht zuzulassen, richtet sich die Beschwerde der Beigeladenen.

II.

Die auf die rechtsgrundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) gestützte Beschwerde bleibt erfolglos. Dabei kann offen bleiben, ob die Beschwerdebegründung mit den formulierten Rechtsfragen den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO an die Darlegung des geltend gemachten Zulassungsgrundes genügt. Zur Klärung der in der Beschwerde angesprochenen Rechtsfragen bedarf es, soweit dies zur Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits erforderlich ist, nicht erst der Durchführung eines Revisionsverfahrens.

Gemeinsamer Kern der Grundsatzrügen der Beschwerde ist die Frage, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang sich ein Landwirt mit der Nachbarklage gegen ein Wohnbauvorhaben im Außenbereich auf sein Interesse, seinen Betrieb zu erweitern, stützen kann.

Geklärt ist zwar, dass ein im Außenbereich gemäß § 35 Abs. 1 BauGB privilegierter Betrieb einen Abwehranspruch gegen ein im Außenbereich unzulässiges Nachbarvorhaben dann haben kann, wenn das in § 35 Abs. 3 BauGB enthaltene drittschützende Rücksichtnahmegebot verletzt ist; auf die Unzulässigkeit eines Vorhabens im Außenbereich, das schädlichen Umwelteinwirkungen ausgesetzt ist (§ 35 Abs. 3 Nr. 3 BauGB), kann sich nach Maßgabe der in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zum Rücksichtnahmegebot auch der Landwirt berufen, von dessen vorhandenem Betrieb Immissionen ausgehen (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. Februar 1977 - BVerwG 4 C 22.75 - BVerwGE 52, 122; Urteil vom 10. Dezember 1982 - BVerwG 4 C 28.81 - DVBl 1983, 349 - Buchholz 406.11 § 34 BBauG Nr. 89).

In der Rechtsprechung der Oberverwaltungsgerichte sowie in der Literatur ist jedoch umstritten, ob auch das Erweiterungsinteresse des Landwirts durch das Rücksichtnahmegebot geschützt ist. Während das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen annimmt, dass jedes betriebswirtschaftlich sinnvolle und auch sonst realistische Erweiterungsinteresse eines im Außenbereich privilegierten Vorhabens einen Abwehranspruch nach dem Gebot der Rücksichtnahme gegen ein rechtswidriges Wohnbauvorhaben vermittelt (Urteil vom 21. Oktober 1987 - BVerwG 11 A 1090/84 - NVwZ 1988, 377; ähnlich Hess. VGH, Beschluss vom 2. September 1980 - IV TG 52/80 - BRS 36 Nr. 83 und <für das Dorfgebiet> Beschluss vom 9. August 1991 - 3 TH 1488/91 - BRS 52 Nr. 185; ferner Mampel, Nachbarschutz im öffentlichen Baurecht, 1994, Rn. 915), muss eine heranrückende Wohnbebauung nach der Rechtsauffassung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts auf rein theoretische Entwicklungsmöglichkeiten eines landwirtschaftlichen Betriebes keine Rücksicht nehmen (Beschluss vom 10. März 1993 - 6 M 531/93 - BRS 55 Nr. 82) Schmaltz (in: Schrödter, BauGB, 6. Aufl. 1998, § 35 Rn. 170) und Dürr (in: Brügelmann, BauGB, § 35 Rn. 187) meinen sogar, dass sich das aus dem Rücksichtnahmegebot ergebende Abwehrrecht auf die vorhandenen Gebäude und deren ausgeübte Nutzung beschränke; Erweiterungsabsichten würden nicht geschützt.

Das Bundesverwaltungsgericht hat zu der Frage, ob auch das Interesse eines Landwirts, seinen Betrieb in den Außenbereich hinein zu erweitern, einen Abwehranspruch vermitteln kann, noch nicht Stellung genommen. Es hat aber bereits für ein dörflich geprägtes Gebiet im unbeplanten Innenbereich entschieden, dass künftige Entwicklungen nur insofern berücksichtigt werden könnten, wie sie im vorhandenen baulichen Bestand bereits ihren Niederschlag gefunden haben (BVerwG, Urteil vom 14. Januar 1993 - BVerwG 4 C 19.90 - DVBl 1993, 652). Nur in diesem Fall kann das Abwehrinteresse des Nachbarn zu einem Abwehrrecht erstarken. Ob dieser Grundsatz auch für den Außenbereich gilt, mag offen bleiben. Gewisse Zweifel mögen bestehen, weil gemäß § 34 Abs. 1 BauGB im Innenbereich die Eigenart der näheren Umgebung und damit die tatsächlich vorhandene Bebauung und die tatsächlich ausgeübte Nutzung den Maßstab für die Zulässigkeit neuer Vorhaben bildet. Aber auch im Außenbereich kann nicht von den tatsächlichen Verhältnissen abgesehen werden. Aus dem Umstand, dass nach § 35 Abs. 1 BauGB privilegierte bauliche Nutzungen generell dem Außenbereich zugewiesen sind, folgt nicht, dass ein entsprechender Nutzungswunsch eines Landwirts allein schon die Qualität eines Rechts besitzt und deshalb eine mit ihm unvereinbare andere bauliche Nutzung ausschließt. Gegenteilige Schlüsse lässt auch § 5 Abs. 1 Satz 2 BauNVO nicht zu, wonach in einem Dorfgebiet auf die Belange landwirtschaftlicher Betriebe einschließlich ihrer Entwicklungsmöglichkeiten vorrangig Rücksicht zu nehmen ist. Freilich ähnelt die Stellung, die der Normgeber landwirtschaftlichen Betrieben in dieser Vorschrift einräumt, dem Privilegierungstatbestand des § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB. Denn außer dem Dorfgebiet gibt es kein sonstiges Gebiet, dem solche Betriebe in spezifischer Weise planerisch zugewiesen sind. Unter die Privilegierung des § 35 Abs. 1 BauGB fällt indes nicht jedes beliebige Erweiterungsinteresse. Einschränkungen ergeben sich vielmehr daraus, dass das Vorhaben den Anforderungen genügen muss, die sich aus dem Tatbestandsmerkmal des "Dienens" und aus dem Gebot ergeben, nach Möglichkeit Nutzungskonflikte zu vermeiden (vgl. BVerwG, Urteile vom 3. November 1972 - BVerwG 4 C 9.70 - BVerwGE 41, 138 und vom 25. Februar 1977 - BVerwG 4 C 22.75 - BVerwGE 52, 122). Ein Vergleich mit der Bauleitplanung bestätigt diesen allgemeinen Befund. Bei der Aufstellung eines Bebauungsplans sind nicht nur subjektive Rechte, sondern auch private Interessen zu berücksichtigen. Diese müssen aber ein gewisses Gewicht haben; sie müssen insbesondere objektiv mehr als geringfügig und zudem schutzwürdig sein (BVerwG, Beschluss vom 9. November 1979 - BVerwG 4 N 1.78, 4 N 2-4.79 - BVerwGE 59, 87 <102>). Bei der Bauleitplanung abwägungsbeachtlich ist deshalb zwar das Bedürfnis nach einer künftigen Betriebsausweitung im Rahmen einer normalen Betriebsentwicklung, nicht jedoch eine unklare oder unverbindliche Absichtserklärung hinsichtlich der Entwicklung eines landwirtschaftlichen Betriebes (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. April 1971 - BVerwG 4 C 66.67 - DVBl 1971, 746; Beschluss vom 10. November 1998 - BVerwG 4 BN 44.98 - NVwZ-RR 1999, 423). Erst recht braucht bei der Zulassung eines Vorhabens im Außenbereich nicht schon auf vage Erweiterungsinteressen eines Landwirts Rücksicht genommen zu werden.

Daraus folgt, dass im vorliegenden Fall Rechte der Beigeladenen durch die Zulassung des Wohnhauses der Kläger nicht verletzt sein können. Selbst wenn auch das Interesse eines Landwirts, seinen Betrieb zu erweitern, grundsätzlich einen Abwehranspruch gegen ein Wohnbauvorhaben im Außenbereich rechtfertigen könnte, müsste er hier verneint werden. Denn unter Zugrundelegung der tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts besitzt das Erweiterungsinteresse der Beigeladenen nicht einmal die Qualität eines abwägungserheblichen privaten Belanges. Nach der Wertung des Berufungsgerichts geht es den Beigeladenen nicht um die Sicherung oder Erweiterung ihres bestehenden landwirtschaftlichen Betriebes durch bauliche Modernisierungsmaßnahmen oder Aufstockung des vorhandenen Tierbestandes, sondern um eine grundlegende betriebliche Umstellung, deren Realisierung aus betriebswirtschaftlichen Gründen - zu geringe landwirtschaftliche Nutzfläche, hohe Baukosten u.s.w. - völlig ungewiss ist.

Im Übrigen wendet sich die Beschwerde sinngemäß nur gegen die Würdigung des Sachverhalts durch das Berufungsgericht; über den vorliegenden Fall hinausführende Fragen von grundsätzlicher Bedeutung lassen sich der Beschwerdebegründung nicht entnehmen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 159 Satz 2 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts auf § 14 Abs. 3, § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.



Ende der Entscheidung

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