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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 29.11.2005
Aktenzeichen: BVerwG 4 B 72.05
Rechtsgebiete: BauGB, BauNVO


Vorschriften:

BauGB § 29 Abs. 1
BauGB § 31 Abs. 2
BauNVO § 11 Abs. 3
Es kommt weder für das Eingreifen der Regelvermutung nach § 11 Abs. 3 Satz 3 BauNVO noch für deren Widerlegung darauf an, ob der Einzelhandelsbetrieb von vornherein in der nun zu beurteilenden Größe errichtet oder ob ein bestehender Betrieb nachträglich erweitert werden soll.
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT BESCHLUSS

BVerwG 4 B 72.05

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts am 29. November 2005 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Paetow, den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Jannasch und die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Philipp

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 12. August 2005 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 39 900 € festgesetzt.

Gründe:

Die auf den Zulassungsgrund des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr die Beschwerde beimisst.

1. Die Beschwerde möchte in dem erstrebten Revisionsverfahren rechtsgrundsätzlich geklärt wissen, ob die Regelvermutung des § 11 Abs. 3 Satz 3 BauNVO gemäß § 11 Abs. 3 Satz 4 BauNVO bei der bauplanungsrechtlichen Beurteilung eines im Zuge eines Erweiterungsvorhabens in einem Gewerbegebiet nach § 8 BauNVO entstehenden Einzelhandelsbetriebes widerlegt wird, wenn bereits der bestehende und zu erweiternde Einzelhandelsbetrieb seinerseits großflächig ist und die Regelvermutung des Satzes 3 aufgrund seiner Geschossfläche von über 1 200 m² ausgelöst hatte.

Diese Frage bedarf nicht der Klärung in einem Revisionsverfahren. Sie ist, soweit sie sich in dem erstrebten Revisionsverfahren stellen würde, auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung des Senats ohne weiteres zu verneinen.

Wird ein bestehender Einzelhandelsbetrieb erweitert und wird dadurch - wie hier - das Maß der baulichen Nutzung des Grundstücks erhöht, stellt die Erweiterung schon deswegen ein Vorhaben im Sinne des § 29 Abs. 1 BauGB dar, für das die §§ 30 bis 37 BauGB gelten (vgl. BVerwG, Urteil vom 14. April 2000 - BVerwG 4 C 5.99 - Buchholz 406.11 § 35 BauGB Nr. 342). Liegt das Baugrundstück im Geltungsbereich eines Bebauungsplans, hat sich die Prüfung der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit des Vorhabens auch auf § 11 Abs. 3 BauNVO zu erstrecken, wenn die Frage der Vereinbarkeit des Vorhabens mit dieser Vorschrift durch die Erweiterung des Betriebes neu aufgeworfen wird (vgl. BVerwG, Beschluss vom 4. Februar 2000 - BVerwG 4 B 106.99 - Buchholz 406.11 § 29 BauGB Nr. 64 = NVwZ 2000, 1047). Veränderungen der für Verkaufszwecke zur Verfügung stehenden Fläche eines Einzelhandelsbetriebes sind geeignet, städtebauliche Belange neu zu berühren; denn die Größe der Verkaufsfläche trägt zur Kapazität, Wettbewerbskraft und Attraktivität eines Handelsbetriebes bei und wirkt sich von daher auf eine geordnete städtebauliche Entwicklung, insbesondere auf die Struktur des Handels und die Versorgung in dem betreffenden Gebiet aus (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. April 1990 - BVerwG 4 C 36.87 - Buchholz 406.12 § 11 BauNVO Nr. 17 = BRS 50 Nr. 68). § 11 Abs. 3 BauNVO ist deshalb nicht nur neu zu prüfen, wenn durch die Vergrößerung der Verkaufsfläche erstmals ein großflächiger Einzelhandelsbetrieb entsteht oder erstmals die für das Eingreifen der Regelvermutung maßgebende Geschossfläche überschritten wird, sondern auch, wenn aufgrund der Erweiterung der Verkaufsfläche eines bestehenden großflächigen, die Regelvermutung des § 11 Abs. 3 Satz 3 BauNVO bereits auslösenden Einzelhandelsbetriebes die städtebaulichen Auswirkungen des Vorhabens neu zu beurteilen sind. Letzteres hat der Verwaltungsgerichtshof bei einer Vergrößerung der Verkaufsfläche von 748 m2 auf etwa 1 000 m2 bejaht (vgl. UA S. 9). Insoweit macht die Beschwerde Gründe für die Zulassung der Revision nicht geltend.

Handelt es sich bei der Erweiterung des Betriebes nicht um ein selbständiges, abtrennbares Vorhaben, sondern - wie hier - um die Änderung einer baulichen Anlage, kann die Erweiterung nicht isoliert beurteilt werden. Bei der Änderung einer baulichen Anlage muss das Gesamtvorhaben in seiner durch die Erweiterung geänderten Gestalt geprüft werden; das vom Bauherrn angestrebte Ergebnis der Baumaßnahme muss den zu prüfenden bauplanungsrechtlichen Vorschriften entsprechen (vgl. BVerwG, Urteile vom 17. Juni 1993 - BVerwG 4 C 17.91 - Buchholz 406.11 § 34 BauGB Nr. 158 = BRS 55 Nr. 72 und vom 15. Mai 1997 - BVerwG 4 C 23.95 - Buchholz 406.11 § 35 BauGB Nr. 329 = BRS 59 Nr. 90; Beschluss vom 4. Februar 2000 - BVerwG 4 B 106.99 - Buchholz 406.11 § 29 BauGB Nr. 64 = BRS 63 Nr. 172). Das gilt bei der Erweiterung eines großflächigen Einzelhandelsbetriebes auch im Hinblick auf dessen Auswirkungen im Sinne des § 11 Abs. 3 Satz 2 BauNVO und das Eingreifen der Regelvermutung nach § 11 Abs. 3 Satz 3 und 4 BauNVO. Gemäß § 11 Abs. 3 Satz 3 BauNVO sind Auswirkungen im Sinne des Satzes 2 in der Regel anzunehmen, wenn die Geschossfläche 1 200 m² überschreitet. Maßgebend ist bei der Erweiterung eines bestehenden Einzelhandelsbetriebes die Geschossfläche des Gesamtvorhabens. Gemäß § 11 Abs. 3 Satz 4 BauNVO gilt die Regel des Satzes 3 nicht, u.a. wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass Auswirkungen bei mehr als 1 200 m² Geschossfläche nicht vorliegen. Entscheidend ist, ob der Betrieb - und zwar auch insoweit der Betrieb in seiner durch die Erweiterung geänderten Gestalt - über den Nahbereich hinauswirkt und dadurch, dass er unter Gefährdung funktionsgerecht gewachsener städtebaulicher Strukturen weiträumig Kaufkraft abzieht, auch in weiter entfernten Wohngebieten die Gefahr heraufbeschwört, dass Geschäfte schließen, auf die insbesondere nicht motorisierte Bevölkerungsgruppen angewiesen sind. Je deutlicher die Regelgrenze von 1 200 m² Geschossfläche überschritten ist, mit desto größerem Gewicht kommt die Vermutungswirkung des § 11 Abs. 3 Satz 3 BauNVO zum Tragen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 22. Juli 2004 - BVerwG 4 B 29.04 - Buchholz 406.12 § 11 BauNVO Nr. 28 = DVBl 2004, 1308). Da maßgebend die Auswirkungen des Gesamtvorhabens sind, kommt es weder für das Eingreifen der Regelvermutung noch für deren Widerlegung darauf an, ob der Einzelhandelsbetrieb von vornherein in der nun zu beurteilenden Größe errichtet oder ob ein bestehender Betrieb nachträglich erweitert werden soll.

2. Die Frage, ob ein großflächiger Einzelhandelsbetrieb mit über 1 200 m² Geschossfläche von der Festsetzung des § 11 Abs. 3 BauNVO, die über die Ausweisung eines Gewerbegebiets nach § 8 BauNVO Eingang in einen Bebauungsplan gefunden hat, gemäß § 31 Abs. 2 BauGB befreit werden kann, oder ob dies zwingend die Grundsätze der Planung berührt, bedarf ebenfalls nicht der Klärung in einem Revisionsverfahren. Dass von der Vorschrift des § 11 Abs. 3 BauNVO nicht gemäß § 31 Abs. 2 BauGB befreit werden kann, ergibt sich unmittelbar aus dem Gesetz. Gemäß § 31 Abs. 2 BauGB kann nur von Festsetzungen eines Bebauungsplans befreit werden. § 11 Abs. 3 BauNVO bestimmt unabhängig davon, welche Festsetzungen der Bebauungsplan trifft, dass die dort bezeichneten großflächigen Betriebe nur in Kerngebieten oder in für sie festgesetzten Sondergebieten zulässig sind. Eine Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans kann die Geltung des § 11 Abs. 3 BauNVO somit nicht suspendieren. Die Möglichkeit, die in § 11 Abs. 3 BauNVO genannten großflächigen Betriebe zu verwirklichen, wird dadurch nicht übermäßig beschränkt. Denn § 11 Abs. 3 BauNVO enthält für den vom Regelfall abweichenden Einzelfall eine eigene Korrekturmöglichkeit (vgl. BVerwG, Urteil vom 3. Februar 1984 - BVerwG 4 C 54.80 - BVerwGE 68, 342 <348>). Die Regel des § 11 Abs. 3 Satz 3 BauNVO, dass nachteilige Auswirkungen im Sinne des Satzes 2 bei großflächigen Einzelhandelsbetrieben, deren Geschossfläche 1 200 m2 überschreitet, anzunehmen sind, gilt nach Satz 4 nicht, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass Auswirkungen bei mehr als 1 200 m2 nicht vorliegen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1, § 72 Nr. 1 GKG.

Ende der Entscheidung

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