Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 25.11.1999
Aktenzeichen: BVerwG 4 CN 17.98
Rechtsgebiete: VwGO, BauGB, BauNVO 1990


Vorschriften:

VwGO § 47 Abs. 5 Satz 2
VwGO § 121 Nr. 1
BauGB § 1 Abs. 3
BauNVO 1990 § 17 Abs. 1
BauNVO 1990 § 17 Abs. 3
Leitsätze:

Hat das Normenkontrollgericht die Nichtigkeit eines Bebauungsplans festgestellt, und erläßt daraufhin die Gemeinde einen neuen Bebauungsplan, so hindert bei gleicher Sach- und Rechtslage jedenfalls die Rechtskraft der Normenkontrollentscheidung das Gericht, in einem von demselben Antragsteller beantragten Normenkontrollverfahren in eine neue sachliche Bewertung der Gründe einzutreten, die die Feststellung der Nichtigkeit der vorangegangen Norm tragen.

Städtebauliche Gründe, die im Sinne des § 17 Abs. 3 BauNVO 1990 eine Überschreitung der Obergrenzen für das Maß der baulichen Nutzung (hier GFZ 3,0 in Kerngebieten; § 17 Abs. 1 BauNVO 1990) erfordern, können sich auch aus der in informellen Planungen konkretisierten Konzeption der Gemeinde für die städtebauliche Entwicklung und Ordnung (§ 1 Abs. 3 BauGB) ergeben.

§ 17 Abs. 3 BauNVO 1990 setzt für die - ausnahmsweise - zulässige Überschreitung der Obergrenzen für das Maß der baulichen Nutzung eine städtebauliche Ausnahmesituation voraus.

Urteil des 4. Senats vom 25. November 1999 - BVerwG 4 CN 17.98 -

I. VGH Baden-Württemberg vom 24. November 1997 - Az.: VGH 8 S 891/97 -


BUNDESVERWALTUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

BVerwG 4 CN 17.98 VGH 8 S 891/97

Verkündet am 25. November 1999

Schulz Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

In der Normenkontrollsache

hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 25. November 1999 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Gaentzsch, den Richter Prof. Dr. Dr. Berkemann, die Richterin Heeren und die Richter Halama und Prof. Dr. Rojahn

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision der Antragsgegnerin gegen den Beschluß des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 24. November 1997 wird zurückgewiesen.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin wendet sich gegen den von der Antragsgegnerin 1996 beschlossenen Bebauungsplan "Rosenstein/Rümelinstraße (I) Stuttgart 960 A". Sie ist Eigentümerin eines mit einem viergeschossigen Verwaltungsgebäude bebauten Grundstücks im Plangebiet.

Der angegriffene Bebauungsplan setzt ein Kerngebiet, überbaubare Grundstücksflächen sowie als Maß der baulichen Nutzung Grundflächenzahlen und die zulässigen Höhen der baulichen Anlagen fest. Bei vollständiger Ausschöpfung der Festsetzungen ergeben sich unter Zugrundelegung der Landesbauordnung von 1995 in Teilbereichen des Plangebiets rechnerisch Geschoßflächenzahlen von 3,76, 4,33 und 4,29.

Der angegriffene Bebauungsplan ersetzt zusammen mit einem weiteren Plan einen bereits 1994 beschlossenen Bebauungsplan. Dieser Plan war auf Antrag der Antragstellerin vom Normenkontrollgericht mit Beschluß vom 28. Dezember 1995 wegen eines Verstoßes gegen die Maßvorschriften des § 17 Abs. 1 und 3 BauNVO (1990) für nichtig erklärt worden. Die Entscheidung ist nach Zurückweisung einer Nichtvorlagebeschwerde durch Beschluß des erkennenden Senats vom 23. Januar 1997 - BVerwG 4 NB 7.96 - (DÖV 1996, 701 = Buchholz 406.12 § 17 BauNVO Nr. 7) rechtskräftig. Der für nichtig erklärte Plan enthielt im wesentlichen die gleichen Festsetzungen, in Teilbereichen allerdings geringfügig höhere Grundflächenzahlen sowie teilweise andere zulässige Gebäudehöhen. Unter Zugrundelegung der Landesbauordnung von 1983 ergaben sich in Teilbereichen des Plangebiets rechnerisch Geschoßflächenzahlen von 3,56 und 4,25.

Die Antragstellerin befürchtet, daß mit der Realisierung des Plans die Nutzung ihres Grundstücks beeinträchtigt wird. Sie rügt vor allem, städtebauliche Gründe, die im Sinne des § 17 Abs. 3 BauNVO 1990 die Überschreitung der Obergrenze von 3,0 für die zulässige Geschoßflächenzahl im Kerngebiet erforderten, lägen auch für den erneut beschlossenen Bebauungsplan nicht vor.

Die Antragstellerin hat beantragt,

den Bebauungsplan "Rosenstein/Rümelinstraße (I) Stuttgart 960 A" vom 24. Juli 1996 für nichtig zu erklären.

Die Antragsgegnerin hat beantragt,

den Antrag abzuweisen.

Sie hat vor allem die Unterschiede in den Festsetzungen des neuen gegenüber denen des vorangegangenen Bebauungsplans betont. Damit seien die Nachverdichtungswirkungen der neugefaßten Landesbauordnung ausgeglichen worden. Im Sinne der vom Bundesverwaltungsgericht im Beschluß vom 23. Januar 1997 gegebenen Klarstellung erforderten städtebauliche Gründe die Maßüberschreitung. Die Gründe seien aktualisiert worden. Sie ergäben sich vor allem aus einem Verkehr und Städtebau integrierenden "Synergiekonzept Stuttgart 21" und dem "Hochhauskonzept". Diese informellen Planungen würden im Rahmen der derzeit betriebenen Flächennutzungsplanung konkretisiert und umgesetzt.

Das Normenkontrollgericht hat den Bebauungsplan mit der Begründung für nichtig erklärt, er sei mit dem für nichtig erklärten (Vorgänger-)Plan im wesentlichen inhaltsgleich und verstoße damit gegen die dem vorangegangenen Normenkontrollbeschluß zukommende Bindungswirkung und das daraus folgende Normwiederholungsverbot bei gleicher Sach- und Rechtslage. Ob städtebauliche Gründe für die Maßüberschreitung vorliegen, habe jedoch das Normenkontrollgericht im vorangegangenen Normenkontrollverfahren ohne Beschränkung auf die in der Planbegründung und in den Unterlagen zum Planaufstellungsverfahren genannten Gründe umfassend geprüft und verneint. Die Aktualisierung der Gründe stelle keine Änderung der Sachlage dar.

Mit der vom erkennenden Senat zugelassenen Revision rügt die Antragsgegnerin sowohl Verfahrensfehler wie auch die Verletzung materiellen Rechts. Sie trägt vor allem vor: Ein Normwiederholungsverbot betreffe inhaltsgleiche, aber nicht - wie hier - inhaltsähnliche Neuregelungen. Außerdem habe sich durch die Neufassung der Landesbauordnung die Rechtslage und durch Aktualisierung, Konkretisierung und Ergänzung der städtebaulichen Ziele im Rahmen der Weiterentwicklung der städtebaulichen Konzepte und der vorbereitenden Bauleitplanung die Sachlage geändert.

Die Antragstellerin verteidigt die Normenkontrollentscheidung.

Der sich am Verfahren beteiligende Oberbundesanwalt meint, bei der Frage, ob städtebauliche Gründe die Abweichung erfordern, komme es entscheidend auf die planerische Konzeption der Gemeinde und damit auf die mit der Planung verfolgten Ziele an. Erforderlichkeit im Sinne des § 17 Abs. 3 BauNVO sei gegeben, wenn für die städtebauliche Planung auch aus der Perspektive eines objektiven Dritten überwiegende Gründe sprächen. Die planerische Konzeption und die von der Gemeinde im Einzelfall durch rechtsfehlerfreie planerische Abwägung konkretisierten städtebaulichen Gründe für eine Maßüberschreitung seien einer Fortentwicklung zugänglich. Für die Beantwortung der Frage, ob die Sach- und Rechtslage sich geändert habe, so daß die Bindungswirkung einer Normenkontrollentscheidung eine Normwiederholung nicht ausschließe, sei deshalb entscheidend, ob die Gemeinde in eine neue Abwägung eingetreten sei und nicht nur das seinerzeit vollzogene Abwägungsprogramm nachvollzogen habe. Die Planungshoheit der Gemeinde gebiete, die Normwiederholung für die Zukunft offen zu halten, wenn in einem früheren Zeitpunkt ausreichende Gründe nicht vorgelegen hätten.

II.

Die Revision der Antragsgegnerin ist gemäß § 144 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen. Sie ist zulässig, aber nicht begründet. Die Normenkontrollentscheidung verletzt Bundesrecht nicht.

1. Der Einwand der Revision gegen die Zulässigkeit des Normenkontrollantrags ist nicht begründet. An der Antragsbefugnis gemäß § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO bestehen keine Zweifel. Die Antragstellerin macht geltend, durch den Bebauungsplan und seine Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein. Ihr Grundstück liegt im Geltungsbereich des angegriffenen Plans. Dessen Festsetzungen bestimmen, soweit es um die bebauungsrechtlich zulässige Nutzung geht, Inhalt und Schranken des Eigentums an ihrem Grundstück (vgl. BVerwG, Beschluß vom 17. Dezember 1992 - BVerwG 4 N 2.91 - BVerwGE 91, 318; Beschluß vom 7. Juli 1997 - BVerwG 4 BN 11.97 - DÖV 1998, 76; Urteil vom 10. März 1998 - BVerwG 4 CN 6.97 - NVwZ 1998, 732). Zwar wendet sich die Antragstellerin nicht gegen die ihr eigenes Grundstück betreffenden, sondern gegen die eine hohe Ausnutzbarkeit des Nachbargrundstücks ermöglichenden Festsetzungen. Insoweit macht sie indes zumindest geltend, daß die Antragsgegnerin die daraus folgenden Nachteile für die Nutzbarkeit ihres, der Antragstellerin Grundstück nicht genügend berücksichtigt und damit ihr Recht auf gerechte Abwägung verletzt habe (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. September 1998 - BVerwG 4 CN 2.98 - DVBl 1999, 100 = NJW 1999, 592).

2. Die Antragsgegnerin durfte den Bebauungsplan mit der Festsetzung einer in Teilbereichen des Plangebiets die Obergrenze des § 17 Abs. 1 BauNVO 1990 erheblich überschreitenden GFZ nicht erneut erlassen, nachdem das Normenkontrollgericht mit rechtskräftigem Beschluß vom 28. Dezember 1995 entschieden hatte, städtebauliche Gründe, die eine Überschreitung der Obergrenze erforderten, lägen nicht vor.

2.1 Der angegriffene Bebauungsplan hält - ebenso wie der vom Normenkontrollgericht für nichtig erklärte Vorgänger-Plan - die Obergrenzen des § 17 Abs. 1 BauNVO 1990 für das zulässige Maß der baulichen Nutzung, nämlich eine Geschoßflächenzahl (GFZ) von 3,0, nicht ein.

Nach § 17 Abs. 1 BauNVO darf in Kerngebieten die genannte Obergrenze auch dann nicht überschritten werden, wenn - wie hier - die GFZ selbst ausdrücklich nicht festgesetzt wird. Ob diese Obergrenze überschritten wird, ist bei nicht ausdrücklich festgesetzter GFZ auf der Grundlage des § 20 Abs. 2 bis 4 BauNVO anhand der übrigen Festsetzungen des Bebauungsplans und sonstiger einschlägiger baurechtlicher Vorschriften, insbesondere derjenigen des Landesbaurechts, zu ermitteln.

Die Revision bestreitet nicht, daß durch die Festsetzungen des angegriffenen Bebauungsplans die GFZ 3,0 erheblich überschritten wird. Sie wendet ein, es handele sich um eine rechnerische Überschreitung, die in diesem Ausmaß tatsächlich nicht erreicht werde. Tatsächlich könnten die Festsetzungen des Bebauungsplans und die landesrechtlichen Abstandsflächen nicht vollständig ausgeschöpft werden; insbesondere führe der Umstand, daß die der Berechnung zugrundeliegende Geschoßhöhe von 3,5 m voraussichtlich überschritten werde, dazu, daß eine geringere Gesamt-Geschoßfläche und damit auch eine geringere GFZ erreicht werde. Dem ist indes entgegenzuhalten, daß es allein darauf ankommt, ob die Festsetzungen des angegriffenen Plans Gewähr dafür bieten, daß eine GFZ von 3,0 tatsächlich eingehalten wird. Hätte die Antragsgegnerin dies gewährleisten wollen, dann hätte sie es in der Hand gehabt, eine den § 17 Abs. 1 BauNVO wahrende GFZ festzusetzen. Das hat sie offenbar nicht gewollt.

2.2 Nach § 17 Abs. 3 BauNVO 1990 darf die Gemeinde im Bebauungsplan Festsetzungen treffen, die zu einer Überschreitung der Obergrenzen des § 17 Abs. 1 BauNVO führen, wenn - neben weiteren Voraussetzungen - städtebauliche Gründe dies erfordern.

Das Normenkontrollgericht hat sich durch die Rechtskraft seiner Normenkontrollentscheidung zum vorangegangenen Bebauungsplan gehindert gesehen, erneut die Frage zu prüfen und zu entscheiden, ob städtebauliche Gründe das Überschreiten einer GFZ von 3,0 erfordern. Es hat dazu ausgeführt, die in einem Normenkontrollverfahren getroffene Entscheidung sei gemäß § 121 VwGO der Rechtskraft fähig. Die Beteiligten seien bei unveränderter Sach- und Rechtslage in allen anderen von ihnen betriebenen Verfahren gebunden. Das gelte auch für ein neues Normenkontrollverfahren. Die von einer Normenkontrollentscheidung ausgehende Bindungswirkung umfasse für den Normgeber auch ein Verbot, ohne Änderung der Sach- und Rechtslage eine Rechtsvorschrift gleichen oder ähnlichen Inhalts zu erlassen.

Diese Auffassung läßt eine Verletzung von Bundesrecht nicht erkennen. Unter den Beteiligten eines Normenkontrollverfahrens gilt die Bindungswirkung des § 121 VwGO. Das ist bislang nur in Fällen entschieden worden, in denen der gestellte Normenkontrollantrag abgelehnt wurde (vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Januar 1984 - BVerwG 3 C 88.82 - BVerwGE 68, 306; Beschluß vom 16. Juli 1990 - BVerwG 4 NB 20.90 - Buchholz 310 § 121 VwGO Nr. 60 = NVwZ-RR 1991, 54; Beschluß vom 3. November 1993 - BVerwG 4 NB 33.93 - Buchholz 310 § 121 VwGO Nr. 66 = DVBl 1994, 344 = NVwZ 1994, 236; Beschluß vom 10. Mai 1995 - BVerwG 8 B 32.95 - Buchholz 310 § 121 VwGO Nr. 71). In Fällen, in denen einem Normenkontrollantrag stattgegeben wurde, hat sich die Frage nach den Bindungswirkungen dem Bundesverwaltungsgericht bislang nicht gestellt. Ein Verbot der Normwiederholung läßt sich möglicherweise bereits aus der Funktion der Allgemeinverbindlichkeit der Nichtigerklärung ableiten. Das bedarf hier keiner abschließenden Entscheidung. Soweit das Bundesverfassungsgericht ein Normwiederholungsverbot für ein als verfassungswidrig erklärtes formelles Gesetz verneint (Beschluß vom 6. Oktober 1987 - 1 BvR 1086/82 u.a. - (BVerfGE 77, 84, <103 f.>), läßt sich seine Entscheidung nicht ohne weiteres auf eine Normenkontrollentscheidung nach § 47 Abs. 5 VwGO übertragen (anders VGH Kassel, Urteil vom 8. Dezember 1992 - 11 N 2041/91 - NVwZ-RR 1993, 294 <296>). Dies bedarf hier indes keiner weiteren Vertiefung. Es steht nämlich nichts entgegen, § 121 VwGO auch im Falle eines stattgebenden Normenkontrollantrags anzuwenden. Für die festgestellte Nichtigkeit einer Norm bestehen - unabhängig von der gleichzeitigen Allgemeinverbindlichkeit - insoweit keine Besonderheiten. Das Verbot der inhaltsgleichen Neuregelung bei unveränderter Sach- und Rechtslage folgt auch hier aus dem Sinn und Zweck der materiellen Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung.

2.3 Gegen die Annahme des Normenkontrollgerichts, in bezug auf die Frage, ob städtebauliche Gründe im Sinne des § 17 Abs. 3 BauNVO die Überschreitung der Obergrenze für die zulässige GFZ erfordern, habe sich die Sach- und Rechtslage gegenüber der Normenkontrollentscheidung vom 28. Dezember 1995 nicht geändert, ist revisionsrechtlich nichts einzuwenden.

2.3.1 Zu Recht sieht das Normenkontrollgericht in der Änderung der Landesbauordnung keine für die Anwendung des § 17 Abs. 3 BauNVO im hier streitigen Fall maßgebliche Rechtsänderung. Zwar spielen die geänderten Abstandsflächen eine Rolle für die - rechnerische - Ermittlung der im Geltungsbereich des Bebauungsplans (höchst-)erreichbaren GFZ. Jedoch führt auch die geänderte Landesbauordnung dazu, daß die Obergrenze von 3,0 für die zulässige GFZ in drei Teilbereichen des Plangebiets erheblich überschritten wird, obwohl im Bebauungsplan die Grundflächenzahl gegenüber der im Vorgänger-Plan herabgesetzt worden ist. Die Überschreitungen sind sogar höher als im Vorgänger-Plan. Das beruht auf der vom Landesgesetzgeber mit der Änderung der Abstandsflächenvorschriften beabsichtigten "Verdichtungswirkung". Auf sie hat die Antragsgegnerin durch teilweise Herabsetzung der zulässigen Grundflächenzahl reagiert, ohne jedoch dabei auch die aufgrund der Festsetzungen des Bebauungsplans unter Geltung der neuen Landesbauordnung erreichbare GFZ gegenüber dem Vorgängerplan herabzusetzen.

2.3.2 Nach den gemäß § 137 Abs. 2 VwGO bindenden Feststellungen des Normenkontrollgerichts hat sich auch nicht die für die Anwendung des § 17 Abs. 3 BauNVO im hier streitigen Fall maßgebliche Sachlage geändert.

Das Normenkontrollgericht hat festgestellt, es habe im vorangegangenen Normenkontrollverfahren die Frage, ob städtebauliche Gründe die Maßüberschreitung erfordern, nicht nur anhand der Planbegründung geprüft, sondern umfassend unter Einbeziehung des gesamten - auch des schriftsätzlichen - Vorbringens der Antragsgegnerin. Die von der Antragsgegnerin angeführte "Aktualisierung" der städtebaulichen Gründe stelle keine neue Sachlage dar, weil die damit angesprochenen informellen Planungen, nämlich das sog. Synergiekonzept Stuttgart 21 und das Hochhauskonzept, schon im vorangegangenen Normenkontrollverfahren angeführt und vom Normenkontrollgericht als nicht ausreichende Gründe angesehen worden seien, die eine Maßüberschreitung in dem ermittelten Umfang erfordern. Das wird übrigens durch die Gründe der Normenkontrollentscheidung vom 28. Dezember 1995 bestätigt.

a) Die Revision rügt als Aufklärungsmangel, das Normenkontrollgericht habe übersehen, daß in der Begründung des (neuen) Bebauungsplans Gründe für die städtebauliche Erforderlichkeit der Maßüberschreitung genannt seien, die für den Vorgängerplan nicht angeführt worden seien und die das Gericht in seiner vorangegangenen Entscheidung nicht geprüft habe. Diese Rüge trifft nicht zu. Das Normenkontrollgericht hat die "Aktualisierung" der Gründe gesehen, sie jedoch nicht als neue Gründe angesehen, weil sie in dem Synergiekonzept Stuttgart 21 und dem Hochhauskonzept bereits angelegt gewesen seien.

Zwar verletzt die Annahme des Normenkontrollgerichts, bei den genannten informellen Planungen handele es sich (auch) schon deshalb um keine geeigneten, eine Maßüberschreitung erfordernden städtebaulichen Gründe, weil sie als Planungen ihrerseits an die Maßvorschriften des § 17 BauNVO gebunden seien, Bundesrecht.

Zu Recht führt der Oberbundesanwalt aus, städtebauliche Gründe, die eine Maßüberschreitung erfordern könnten, ergäben sich gerade aus der von der Gemeinde verfolgten städtebaulichen Konzeption. Maßgebliche Bedeutung erhielten die Gründe überhaupt erst durch die von der Gemeinde verfolgten Ziele. Das bedeutet, daß städtebauliche Gründe im Sinne des § 17 Abs. 3 BauNVO sich auch aus der in informellen Planungen konkretisierten städtebaulichen Konzeption der Gemeinde ergeben können, wie hier aus dem Ziel einer Konzentration der Bebauung auf Siedlungsschwerpunkte und an Standorten mit gutem Anschluß an den Schienenfern- und öffentlichen Nahverkehr sowie einer baulichen Verdichtung an diesen Standorten vor allem in Innenstadtnähe und im Zusammenhang mit Maßnahmen der Stadterneuerung.

§ 17 Abs. 3 BauNVO, der die Gemeinde - ausnahmsweise - von der Beachtung der ihr in § 17 Abs. 1 BauNVO gesetzten Obergrenzen für die Bestimmung des Maßes der baulichen Nutzung freistellt, ist systematisch in den Zusammenhang des § 1 Abs. 3 BauGB einzuordnen. Danach haben die Gemeinden Bauleitpläne aufzustellen, sobald und soweit es für die städtebauliche Entwicklung und Ordnung erforderlich ist. Was die städtebauliche Entwicklung und Ordnung im Sinne des § 1 Abs. 3 BauGB erfordert, ist nicht allein aus räumlichen Vorgegebenheiten sowie aus allgemeinen Grundsätzen oder sonstigen abstrakten Vorgaben zu bestimmen. Vielmehr bestimmt die Gemeinde kraft ihrer Planungshoheit und planerischen Gestaltungsfreiheit selbst, welche städtebauliche Entwicklung und Ordnung mit der Planung verfolgt wird. Der erkennende Senat hat stets die Ausfüllungsbedürftigkeit des Begriffs der "städtebaulichen Entwicklung und Ordnung" bzw. der "geordneten städtebaulichen Entwicklung" durch (politische) Willensentscheidungen der Gemeinde betont (vgl. Urteil vom 29. April 1964 - BVerwG 1 C 30.62 - BVerwGE 18, 247 <252>; Urteil vom 7. Mai 1971 - BVerwG 4 C 76.68 - DVBl 1971, 759).

Der Erforderlichkeitsmaßstab des § 1 Abs. 3 BauGB gilt nicht nur für den Anlaß und den Zeitpunkt der Planung, sondern ganz allgemein, insbesondere auch für den Umfang und Inhalt der planerischen Darstellungen und Festsetzungen. Jede einzelne Darstellung oder Festsetzung ist an diesem Maßstab zu messen. § 17 Abs. 3 BauNVO betont mit dem ausdrücklichen Hinweis auf die Erforderlichkeit aus städtebaulichen Gründen den Zusammenhang gerade auch der Ausnahme mit § 1 Abs. 3 BauGB. Restriktionen für eine Überschreitung der Obergrenzen ergeben sich weniger aus diesem Merkmal als solchem denn daraus, daß § 17 Abs. 3 BauNVO eine Ausnahme zuläßt und damit auch städtebauliche Ausnahmegründe für die Abweichung von § 17 Abs. 1 BauNVO voraussetzt. Die Einhaltung der Maße des § 17 Abs. 1 BauNVO ist der städtebauliche Regelfall. Die Maßüberschreitung setzt eine - städtebauliche - Situation und eine durch den Bebauungsplan zu lösende Problematik voraus, die nicht alltäglich und nicht in beliebiger örtlicher Lage anzutreffen ist. Mit dem Hinweis auf die Erforderlichkeit aus städtebaulichen Gründen stellt § 17 Abs. 3 BauNVO klar, daß auch die Ausnahme nur aus Gründen gestattet ist, die sich einer Erforderlichkeit für die städtebauliche Entwicklung und Ordnung im Sinne des § 1 Abs. 3 BauGB zuordnen lassen. Es muß sich um eine städtebauliche Ausnahmesituation handeln. Reguläre städtebauliche Gründe in einer Standardsituation reichen nicht aus.

Daß das Normenkontrollgericht informellen Planungen als Konkretisierungen städtebaulicher Konzeptionen jegliche Bedeutung im Rahmen des § 17 Abs. 3 BauNVO abspricht, ist jedoch im Sinne des § 144 Abs. 4 VwGO für das Ergebnis der Entscheidung nicht erheblich. Das Normenkontrollgericht hat, wie schon ausgeführt, in erster Linie darauf abgestellt, daß die informellen Planungen nicht neu seien und daß die mit ihnen verfolgten Ziele im vorangegangenen Normenkontrollverfahren geprüft worden seien.

b) Die Antragsgegnerin greift zwar die Feststellung des Normenkontrollgerichts an, es habe auch die "aktualisierten" Gründe bereits geprüft. Sie rügt, das Normenkontrollgericht beziehe sich insoweit auf die im vorangegangenen Normenkontrollverfahren mit "Schriftsätzen vom 21. Juni und 7. Dezember 1995 'nachgeschobenen' und in der mündlichen Verhandlung nochmals erläuterten und bekräftigten Gründe". Die Annahme, die "nachgeschobenen" Gründe seien in der mündlichen Verhandlung "nochmals" erläutert und bekräftigt worden, sei denkgesetzlich unmöglich, weil die mündliche Verhandlung bereits am 22. Juni 1995, also vor Eingang des ausdrücklich in Bezug genommenen Schriftsatzes vom 7. Dezember 1995, stattgefunden habe. Die Rüge ist jedoch nicht begründet. Ob mit ihr ein Verfahrensfehler oder ein materieller (Begründungs-)Fehler (vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Januar 1990 - BVerwG 4 C 28.89 - BVerwGE 84, 271) geltend gemacht wird, kann offenbleiben.

In der Annahme, ein noch nicht vorliegender Schriftsatz sei als solcher Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen, liegt zwar ein Verstoß gegen die Denkgesetze. Jedoch stellt das Normenkontrollgericht entscheidungstragend darauf ab, ob es die Gründe geprüft hat, und nicht darauf, wann sie schriftsätzlich umfassend benannt worden sind. Die angegriffene Formulierung des Normenkontrollgerichts stellt lediglich einen sprachlichen Fehlgriff dar. Zum einen können Gründe, die in einem nachgereichten Schriftsatz enthalten sind, bereits in der mündlichen Verhandlung erörtert worden sein. Zum anderen - und das ist entscheidend - hat das Normenkontrollgericht ausgeführt, es habe bei seiner umfassenden Prüfung der Gründe für die Maßüberschreitung im vorangegangenen Normenkontrollverfahren "auch" die mit Schriftsätzen vom 21. Juni und 7. Dezember 1995 "nachgeschobenen" und in der mündlichen Verhandlung "nochmals erläuterten und bekräftigten Gründe berücksichtigt". Die zentrale Aussage ist, daß die "nachgeschobenen" Gründe vom Gericht, nämlich in seiner nach Eingang des Schriftsatzes vom 7. Dezember 1995 ergangenen Normenkontrollentscheidung vom 28. Dezember 1995, berücksichtigt worden sind. Das Normenkontrollgericht hat seine Entscheidung gerade nicht (allein) aufgrund mündlicher Verhandlung erlassen, sondern nach der zunächst durchgeführten mündlichen Verhandlung die Antragsgegnerin um schriftsätzliche Konkretisierung der Gründe gebeten, die aus der Sicht der Antragsgegnerin die Maßüberschreitung erfordern. Es hat deshalb, weil es nach der entsprechenden Äußerung der Antragsgegnerin im Schriftsatz vom 7. Dezember 1995 eine (weitere) mündliche Verhandlung nicht für erforderlich gehalten hat, gemäß § 47 Abs. 6 Satz 1 VwGO durch Beschluß entschieden. Daß die Gründe in der mündlichen Verhandlung erläutert und bekräftigt worden sind, ist eine beiläufige Bemerkung und hat keine entscheidungserhebliche Bedeutung. Das gilt auch für die Aussage, daß dies "nochmals" geschehen sei.

c) Die Antragsgegnerin rügt, das Normenkontrollgericht hätte sehen müssen, daß in der Begründung des angegriffenen Bebauungsplans über die im Schriftsatz vom 7. Dezember 1995 hinaus genannten Gründe hinaus einige weitere Gründe für die Maßüberschreitung angegeben seien. Das Normenkontrollgericht habe seine Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) verletzt, weil es dem nicht weiter nachgegangen sei.

Die Rüge ist nicht begründet. Das Normenkontrollgericht hat die in der Planbegründung für die Maßüberschreitung aufgeführten Gründe gesehen, sie jedoch nicht als neue Gründe bewertet. Es hat in ihnen lediglich ergänzende Erwägungen zu den im Schriftsatz vom 7. Dezember 1995 genannten städtebaulichen Gründen gesehen. Sie lassen sich nach Meinung des Normenkontrollgerichts im Kern auf das Ziel einer baulichen Verdichtung an bestimmten Standorten zurückführen, die auf der Grundlage eines Verkehr und Städtebau integrierenden und den beengten großstädtischen Siedlungsraum berücksichtigenden Konzepts (Synergiekonzept Stuttgart 21 und Hochhauskonzept) ausgewählt werden. Die Revision hat dem nichts entgegengehalten, was weiter hätte aufgeklärt werden können oder gar müssen. Der erkennende Senat sieht in den ergänzenden Erwägungen der Planbegründung auch keine Anhaltspunkte, aufgrund derer sich dem Normenkontrollgericht eine weitere Aufklärung hinsichtlich neuer Gründe für die Maßüberschreitung hätten aufdrängen müssen. Die ergänzenden Erwägungen sind sehr allgemein: Ansiedlung arbeitsplatzintensiver Gewerbebetriebe (Projekt Media-Forum), Offenhalten eines Spielraums für die Projektrealisierung, flächensparendes Bauen, großzügiges Erschließungskonzept, Umsetzung eines öffentlich geförderten Erneuerungsprogramms mit Blockentkernungen, dringender Wohnbedarf, bereits vorhandene Maßüberschreitungen im Bestand. Sie lassen ohne Bezug zu dem - bereits im vorangegangenen Normenkontrollverfahren geprüften - konkreten Ziel einer baulichen Verdichtung an einem unter verkehrlichen und städtebaulichen Gesichtspunkten ausgewählten Standort innerhalb eines großstädtischen Raumes mit bestimmten topographischen Gegebenheiten keine spezifischen städtebaulichen Gründe erkennen, die eine Abweichung von den Obergrenzen des § 17 Abs. 3 BauNVO erfordern. Mit ihnen wird keine "Ausnahmesituation" in dem oben genannten Sinne dargetan, sondern es werden Gesichtspunkte benannt, die nahezu für jede beliebige großstädtische Planung angeführt werden könnten. § 17 Abs. 1 BauNVO beansprucht indes auch im großstädtischen Raum Geltung für den städtebaulichen Regelfall.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Beschluß

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 40 000 DM festgesetzt.

Ende der Entscheidung

Zurück