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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 12.07.2001
Aktenzeichen: BVerwG 5 C 30.00
Rechtsgebiete: BVFG, GG


Vorschriften:

BVFG § 15
BVFG § 26 ff.
GG Art. 116 Abs. 1
Dem Anspruch des Abkömmlings eines Spätaussiedlers auf Erteilung einer Bescheinigung nach § 15 Abs. 2 Satz 1 BVFG steht nicht entgegen, dass die Aufnahme des Betreffenden nicht auf Grund seiner Abkömmlingseigenschaft im Wege der Einbeziehung nach § 27 Abs. 1 Satz 2 BVFG, sondern auf Grund eigenen Aufnahmebescheids nach § 27 Abs. 1 Satz 1 BVFG erfolgt ist.
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

BVerwG 5 C 30.00

Verkündet am 12. Juli 2001

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 12. Juli 2001 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Säcker und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Schmidt, Dr. Rothkegel, Prof. Dr. Rojahn und Dr. Franke

für Recht erkannt:

Tenor:

Unter Aufhebung des Urteils des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 10. Juli 2000 insoweit wird der Beklagte verpflichtet, dem Kläger eine Spätaussiedlerbescheinigung nach § 15 Abs. 2 i.V.m. § 7 Abs. 2 BVFG mit Wirkung vom 29. April 2000 zu erteilen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Revisionsverfahrens. Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen der Kläger und der Beklagte je zur Hälfte.

Gründe:

I.

Der 1971 in der ehemaligen Sowjetunion geborene Kläger reiste am 6. August 1997 mit Aufnahmebescheid vom 2. April 1997 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Am 21. August 1997 beantragte er die Ausstellung einer Spätaussiedlerbescheinigung. Dieser Antrag wurde mit der Begründung abgelehnt, dem Kläger sei die deutsche Sprache nicht in ausreichendem Maße vermittelt worden.

Das Verwaltungsgericht hat den Beklagten verpflichtet, dem Kläger eine Spätaussiedlerbescheinigung auszustellen. Im Verfahren auf die Berufung des Beklagten hat der Kläger "rein vorsorglich" beantragt, ihm und seinen Kindern eine Spätaussiedlerbescheinigung gemäß § 15 Abs. 2 BVFG nach seinem am 29. April 2000 nach Deutschland ausgesiedelten und unter dem 4. Juli 2000 als Spätaussiedler anerkannten Großvater G. J. zu erteilen. Der Verwaltungsgerichtshof hat das Urteil des Verwaltungsgerichts aufgehoben und die Klage abgewiesen. Dies ist im Wesentlichen wie folgt begründet:

Der Kläger könne eine Spätaussiedlerbescheinigung nach § 15 Abs. 1 BVFG nicht beanspruchen; auch seinem Hilfsantrag auf Erteilung einer Bescheinigung nach § 15 Abs. 2 BVFG sei nicht zu entsprechen. Der Kläger sei nicht in den Aufnahmebescheid seines Großvaters einbezogen, er habe vielmehr einen Aufnahmebescheid aus vermeintlich eigenem Recht und gerade nicht als Abkömmling eines Spätaussiedlers erhalten. Es fehle deshalb an dem notwendigen Kausalzusammenhang zwischen der Aufnahme im Bundesgebiet und der Abkömmlingseigenschaft, wie ihn das Bundesverwaltungsgericht in ständiger Rechtsprechung zu Art. 116 GG verlange, der ebenfalls von der Aufnahme als Abkömmling spreche.

Der Kläger hat gegen dieses Urteil, beschränkt auf den Anspruch nach § 15 Abs. 2 BVFG, Revision eingelegt.

Der Beklagte stützt das angegriffene Urteil.

Der Oberbundesanwalt beim Bundesverwaltungsgericht hat insoweit nicht Stellung genommen.

II.

Die Revision ist begründet.

Der Kläger verfolgt mit der Revision sein Begehren weiter, als Abkömmling eines Spätaussiedlers eine Bescheinigung nach § 15 Abs. 2 Satz 1 BVFG zu erhalten (soweit er gleiches für seine Kinder beantragt hat, ist dies nicht Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits geworden). Die Auffassung des Berufungsgerichts, ein solcher Anspruch setze voraus, dass zwischen der Aufnahme des Abkömmlings eines Spätaussiedlers und seiner Eigenschaft als Abkömmling Kausalität besteht, dass die Aufnahme also aufgrund der Abkömmlingseigenschaft erfolgt ist, widerspricht dem Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Das Berufungsurteil, soweit es mit der Revision angegriffen ist, kann deshalb keinen Bestand haben.

Der Verwaltungsgerichtshof stützt seinen Rechtsstandpunkt zu Unrecht auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu Art. 116 Abs. 1 GG, wonach eine Aufnahme "als Abkömmling" eines Vertriebenen deutscher Volkszugehörigkeit voraussetzt, dass ein "kausaler Zusammenhang zwischen der Eigenschaft als Abkömmling eines vertriebenen Volksdeutschen und der Aufnahme im Bundesgebiet" besteht (BVerwGE 90, 173 <176>). Diese Rechtsprechung, die sich auf den Wortlaut des Art. 116 Abs. 1 GG ("... als Abkömmling ... Aufnahme gefunden") sowie Sinn und Zweck dieser Regelung stützt, "das aufgrund der Folgen des Zweiten Weltkrieges ungewisse staatsangehörigkeitsrechtliche Schicksal vertriebener Volksdeutscher einschließlich ihrer Familienangehörigen aufzufangen", indem ihnen "familieneinheitlich ein angemessener, ihre Eingliederung ermöglichender Status verschafft wird, der sie den deutschen Staatsangehörigen weitgehend gleichstellt und sie zu einem Teil des deutschen Staatsvolkes macht" (BVerwGE 90, 173 <174 f.> mit weiteren Nachweisen), und daraus herleitet, dass die nichtdeutschen Familienangehörigen vertriebener Volksdeutscher "mit ihnen" in Deutschland Aufnahme gefunden haben müssen, was bedeute, dass ihre Aufnahme "in Zusammenhang mit der des vertriebenen Volksdeutschen erfolgt" sein müsse (BVerwG, a.a.O. S. 179 unter Bezugnahme auf BVerwGE 68, 220 <235>), lässt sich auf § 15 Abs. 2 i.V.m. § 7 Abs. 2 BVFG nicht übertragen.

Schon im Wortlaut weichen beide Bestimmungen hinsichtlich der tatbestandlichen Voraussetzungen erheblich voneinander ab. Während Art. 116 Abs. 1 GG voraussetzt, dass eine Person "als ... Abkömmling ... Aufnahme gefunden" hat, fehlt in § 7 Abs. 2 BVFG eine entsprechende Verknüpfung zwischen Aufnahme und Eigenschaft als Abkömmling; vielmehr erfordert diese Bestimmung lediglich, dass der Ehegatte und die Abkömmlinge "die Aussiedlungsgebiete im Wege des Aufnahmeverfahrens verlassen haben", ohne zwischen Personen, die selbst einen Aufnahmebescheid nach § 27 Abs. 1 Satz 1 BVFG erhalten haben, und solchen, die nach § 27 Abs. 1 Satz 2 BVFG einbezogen worden sind, zu differenzieren und die Vergünstigungsregelung auf letztere zu beschränken. Eine an Art. 116 Abs. 1 GG anknüpfende "Verbindung zwischen den Aufnahmeverfahren des Klägers und seines Großvaters" wird demzufolge entgegen der Auffassung des Beklagten von den Regelungen des Aufnahmeverfahrens in §§ 26 ff. BVFG und den für das Bescheinigungsverfahren geltenden Vorschriften des § 15 Abs. 2 i.V.m. § 7 Abs. 2 BVFG nicht vorausgesetzt, vielmehr umfasst der Begriff des Verlassens der Aussiedlungsgebiete "im Wege des Aufnahmeverfahrens" alle nach § 27 BVFG möglichen Verfahrensgestaltungen. Die Ansicht des Beklagten, der Spätaussiedler und seine Angehörigen müssten sich schon im Aufnahmeverfahren "endgültig entscheiden, ob sie gemeinsam nach Deutschland gehen wollen oder nicht", findet im Gesetzeswortlaut keine Stütze.

Das Aufnahmeverfahren der §§ 26 ff. BVFG hat gegenüber dem Bescheinigungsverfahren nach § 15 BVFG eigenständige Bedeutung und präjudiziert letzteres nicht, so dass Bewertungen im Aufnahmeverfahren einerseits und im Bescheinigungsverfahren andererseits - etwa hinsichtlich des Vorliegens der Spätaussiedlereigenschaft im konkreten Fall - unterschiedlich ausfallen können. Indem das Gesetz in § 7 Abs. 2 BVFG an die erfolgreiche Durchführung des Aufnahmeverfahrens ("... die Aussiedlungsgebiete im Wege des Aufnahmeverfahrens verlassen") anknüpft, misst es dem Vorliegen eines Aufnahmebescheides im Rahmen des Bescheinigungsverfahrens nach § 15 Abs. 2 BVFG Tatbestandswirkung bei, ohne aber darüber hinaus auch an die materiellen Voraussetzungen der Aufnahme anzuknüpfen. Der Grund für die Aufnahme ist darum nach der Gesetzessystematik für die Erteilung einer Bescheinigung nach § 15 BVFG bedeutungslos, der Aufnahmegrund legt nicht auch schon den allein möglichen Bescheinigungsgrund fest. Ebenso wenig wie der Wortlaut verknüpft die Systematik des Gesetzes Aufnahme und Bescheinigung derart, dass eine Bescheinigung nach § 15 Abs. 2, § 7 Abs. 2 BVFG eine Aufnahme "als" Ehegatte oder Abkömmling voraussetzt.

Auch Sinn und Zweck des Aufnahmeverfahrens einerseits und des Bescheinigungsverfahrens andererseits rechtfertigen eine solche Verknüpfung nicht. Im Aufnahmeverfahren nach §§ 26 ff. BVFG soll der Zustrom von Ausreisewilligen aus den Aussiedlungsgebieten, der durch die dort eingetretenen politischen Veränderungen ausgelöst worden ist, durch eine jedenfalls vorläufige Prüfung der damals Aussiedler- bzw. jetzt Spätaussiedlereigenschaft in geordnete Bahnen gelenkt werden (vgl. BTDrucks 11/6937, S. 6; BVerwGE 95, 311 <317>). Diese Aufgabe, seinen Ordnungszweck, hat das Aufnahmeverfahren erfüllt, wenn es erfolgreich durchlaufen wurde, gleichgültig, ob dies bezogen auf die (vermeintliche) Eigenschaft als Spätaussiedler nach § 27 Abs. 1 Satz 1 BVFG oder bezogen auf die Eigenschaft als Ehegatte oder Abkömmling eines Spätaussiedlers nach § 27 Abs. 1 Satz 2 BVFG erfolgt ist. Demgegenüber dienen die Regelung des § 15 Abs. 2 BVFG und die Vergünstigungsregelung des § 7 Abs. 2 BVFG der Eingliederung des Ehegatten und der Abkömmlinge des Spätaussiedlers und damit auch des Spätaussiedlers selbst; denn blieben die Angehörigen ohne jede Hilfe, würde dies die Eingliederung des Spätaussiedlers über Gebühr erschweren (vgl. BTDrucks 12/3212, S. 24, zu § 7 Abs. 2 BVFG). Dieses Eingliederingsinteresse hängt aber nicht davon ab, aufgrund welcher der vom Gesetz vorgesehenen Alternativen die Aufnahme der Angehörigen stattgefunden hat (nach BTDrucks 12/3212 a.a.O. ist insofern nur erforderlich, "dass die Betroffenen im Aufnahmeverfahren nach § 26 die Aussiedlungsgebiete verlassen haben"). Der Regelungszweck von § 15 Abs. 2, § 7 Abs. 2 BVFG wird folglich nicht dadurch berührt, dass das Aufnahmeverfahren für den Angehörigen nicht durch dessen Einbeziehung des Betreffenden in den Aufnahmebescheid einer Bezugsperson nach § 27 Abs. 1 Satz 2 BVFG, sondern auf der Grundlage von § 27 Abs. 1 Satz 1 BVFG durchgeführt worden ist.

Es trifft auch nicht zu, dass der Inhaber eines Aufnahmebescheides, der die Möglichkeit nicht genutzt hat, als Abkömmling in den Aufnahmebescheid einer Bezugsperson einbezogen zu werden, dann aber im Bescheinigungsverfahren seine deutsche Volkszugehörigkeit nicht nachweisen kann, bei Erteilung einer Bescheinigung nach § 15 Abs. 2 BVFG in den Genuss von - wie der Beklagte meint - "ungerechtfertigten Vorteilen" käme: Das Aufnahmeverfahren hat in diesem Falle seinen Zweck einer vorläufigen Prüfung der Spätaussiedlereigenschaft - mit einem positiven Ergebnis - erfüllt; als Folge der Vorläufigkeit dieses Ergebnisses hat es der Gesetzgeber in Kauf genommen, dass damit Personen in Deutschland aufgenommen werden, deren Spätaussiedlereigenschaft der Überprüfung im Bescheinigungsverfahren nach § 15 BVFG nicht standhält.

Allerdings sind die Rechte der Abkömmlinge vom Spätaussiedlerstatus der Bezugsperson rechtlich abhängig. Diese Abhängigkeit zeigt sich auch darin, dass der Abkömmling seinen abgeleiteten Status frühestens in dem Zeitpunkt erlangen kann, in dem die Bezugsperson ihren Spätaussiedlerstatus erwirbt. Dies ist der Zeitpunkt der Einreise der Bezugsperson in die Bundesrepublik Deutschland (vgl. auch Nr. 3.1 der Vorläufigen Richtlinie zu § 7 BVFG n.F.). Bezogen auf den vorliegenden Fall bedeutet dies, dass der (im August 1997 aus seiner Heimat ausgereiste, in der Bundesrepublik Deutschland aufgenommene) Kläger eine Bescheinigung nach § 15 Abs. 2 BVFG (erst) ab Einreise seines Großvaters G. J. in das Bundesgebiet am 29. April 2000 beanspruchen kann.

Mit dieser Maßgabe ist daher der Revision des Klägers stattzugeben. Die Kostenentscheidung hinsichtlich der Kosten des Revisionsverfahrens folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO; die Aufteilung der Kosten des Berufungsverfahrens, in dem der Kläger mit seinem Antrag auf Erteilung einer Spätaussiedlerbescheinigung nach § 15 Abs. 1 BVFG - rechtskräftig - unterlegen ist, beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

Beschluss

Der Streitwert wird für das Revisionsverfahren auf 8 000 DM festgesetzt.

Ende der Entscheidung

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