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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 22.02.2007
Aktenzeichen: BVerwG 5 C 4.06
Rechtsgebiete: EinigungsV, EntschG, VermG


Vorschriften:

EinigungsV Art. 21
EntschG § 3
EntschG § 4
EntschG § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3
VermG § 1 Abs. 6
VermG § 5 Abs. 1 Buchst. b
Bei der Bemessung des Abführungsbetrages an den Entschädigungsfonds nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EntschG ist für die Bestimmung des "vor der Schädigung" zuletzt festgestellten Einheitswerts abzustellen auf den Zeitpunkt der Schädigung des Grundstückes, für das ein Einheitswert festgestellt worden ist. Dies gilt auch dann, wenn es sich bei diesem Grundstück um das Betriebsgrundstück eines Unternehmens handelt, das nach den Feststellungen im vermögensrechtlichen Verfahren von einer Verfolgungsmaßnahme im Sinne des § 1 Abs. 6 VermG betroffen gewesen ist.
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

BVerwG 5 C 4.06

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts am 22. Februar 2007 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Hund und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Schmidt, Dr. Franke, Dr. Brunn und Prof. Dr. Berlit ohne mündliche Verhandlung

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 12. Dezember 2005 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.

Gründe:

I

Der Kläger wendet sich gegen die Höhe eines ihm gegenüber festgesetzten Abführungsbetrages gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 3 Entschädigungsgesetz - EntschG -.

Die Festsetzung des Abführungsbetrages erfolgte für das Grundstück L-Str./M-Str. in Berlin Mitte, ehemals verzeichnet im Grundbuch von Friedrichstadt, Band 16, BI. 1149, Flur 184, Flurstück 193 mit einer Größe von 905 m². Dieses stand bis 1939 im Eigentum der Handelsstätte L-Str. GmbH, deren Alleingesellschafter und Geschäftsführer M. S. und deren 2. Geschäftsführer A. C. jüdischer Herkunft waren. Im Mai 1933 wurde beim Amtsgericht Mitte die Bestellung eines neuen Geschäftsführers für die GmbH mit der Begründung beantragt, die beiden Geschäftsführer der Gesellschaft seien an der Ausübung ihrer Funktion verhindert, da M. S. ins Ausland geflüchtet sei und A. C. sich in Haft befinde. Zum Geschäftsführer der GmbH wurde in der Folge Herr K. P. (Ratsherr der Stadt Berlin) bestellt. Im Juni 1933 wurde weiterhin ein Abwesenheitspfleger für alle Vermögensangelegenheiten des Kaufmanns M. S. bestellt. Die Gesellschaft wurde nach rechtskräftiger Ablehnung eines Konkursantrages des Zentralfinanzamtes mangels Masse durch Beschluss vom 9. Juni 1936 aufgelöst. Am 24. Februar 1940 wurde die Firma aufgrund des Antrages des Liquidators vom 3. Februar 1940 im Handelsregister gelöscht.

Für das zum Unternehmen gehörende Grundstück L-Str./M-Str., dessen Einheitswert zum 1. Januar 1928 4 125 000 RM und zum 1. Januar 1935 1 618 500 RM betrug, bestanden bereits vor Mai 1933 im Grundbuch eingetragene Belastungen in Höhe von 4 249 999,65 RM/GM. Am 2. Mai 1933 wurde die Anordnung der Zwangsverwaltung im Grundbuch eingetragen. Nach Eintragung der Anordnung der Zwangsversteigerung am 4. Februar 1939 erhielt die B-Bank für ihr Gebot von 2 500 000 RM am 11. Juli 1939 den Zuschlag im Zwangsversteigerungsverfahren. Die Überführung des Grundstückes in Volkseigentum erfolgte auf der Grundlage des Gesetzes zur Einziehung der Vermögenswerte der Kriegsverbrecher und Naziaktivisten vom 8. Februar 1949. Das Grundstück ist heute Verkehrsfläche und dem Kläger als Verwaltungsvermögen gemäß Art. 21 Abs. 2 Einigungsvertrag zugeordnet worden.

Mit Bescheid vom 7. Dezember 1998 stellte das Landesamt zur Regelung offener Vermögensfragen zugunsten der Jewish Claims Conference - JCC - u.a. fest, dass das Unternehmen Handelsstätte L-Str. GmbH von einer Maßnahme im Sinne des § 1 Abs. 6 VermG betroffen gewesen sei und der Rückgabe des Grundstückes L-Str./M-Str. die heutige Nutzung als Verkehrsfläche entgegenstehe. Mit Bescheid vom 4. September 2001 setzte die Oberfinanzdirektion Berlin zu Lasten des Klägers den Abführungsbetrag für das streitbefangene Grundstück auf 3 732 950 DM fest.

Das Verwaltungsgericht hat auf die nach erfolglosem Widerspruchsverfahren (Widerspruchsbescheid vom 9. Januar 2002) fristgerecht erhobene Klage hin den Abführungsbescheid aufgehoben, soweit mit ihm ein über 2 104 050 DM (1 075 783,60 €) hinausgehender Abführungsbetrag festgestellt wurde. Zur Begründung hat es ausgeführt:

Der in § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EntschG in Bezug genommene, vor der Schädigung "zuletzt festgestellte Einheitswert" beziehe sich auf das Grundstück als den Vermögensgegenstand, der der Abführungsverpflichtung zugrunde liege. Die finanzierungsverpflichteten Körperschaften hätten Abführungsbeträge gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EntschG nur für Grundstücke zu erbringen. Der erst durch das Entschädigungsrechtsänderungsgesetz vom 10. Dezember 2003 (BGBI I S. 2471) zur näheren Bestimmung des maßgeblichen Einheitswertes eingefügte Begriff der Schädigung beziehe sich nach dem Wortlaut und dem Ausgleichsgedanken auf den beim vermögensrechtlich Berechtigten am Abführungsgegenstand "Grundstück" eingetretenen Eigentumsverlust. Habe nach dem tatsächlichen Geschehen ein unmittelbarer Verlust des Grundstückes stattgefunden, sei dieser für die Bestimmung des Abführungsbetrages zu berücksichtigen. Weil sich die dem vorliegenden Verfahren vorausgegangene vermögensrechtliche Entscheidung des Landesamtes zur Regelung offener Vermögensfragen zugunsten der JCC vom 7. Dezember 1998 auf die Schädigung am Unternehmen Handelsstätte L-Str. GmbH, nicht auf die des Grundstückes beziehe, bedürfe der Zeitpunkt der Schädigung für die Ermittlung des Abführungsbetrages einer gesonderten Klärung. Nach dem heranzuziehenden vermögensrechtlichen Schädigungsbegriff komme hier als Schädigung am abführungsbelasteten Grundstück L-Str./M-Str. allein eine Maßnahme gemäß § 1 Abs. 6 VermG in Gestalt eines Vermögensverlustes "auf andere Weise" in Betracht.

Entgegen der Annahme der Beklagten könne die Anordnung der Zwangsverwaltung nicht als Beginn dieser Schädigungsmaßnahme "Eigentumsverlust auf andere Weise" betrachtet werden. Da die Eigentumsschädigung voraussetze, dass der frühere Vermögensinhaber vollständig und endgültig aus seinem Eigentum verdrängt worden sei, könnten auch als Beginn einer solchen Schädigung nur die Maßnahmen betrachtet werden, die auf einen solchen Eigentumsverlust abzielten. Durch die bereits im Mai 1933 angeordnete Zwangsverwaltung des Grundstückes sei die Eigentümerposition der Handelsstätte L-Str. GmbH nicht verändert worden, so dass diese auch nicht als Beginn der erst durch die Zwangsversteigerung bewirkten Eigentumsentziehung angesehen werden könne. Durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sei auch bereits geklärt, dass bis zum Ende der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Bezug auf ein Grundstück bestehende Eigentumsbeschränkungen in der Form des Verlustes der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnisse nicht einen Vermögensverlust "auf andere Weise" im Sinne von § 1 Abs. 6 VermG bewirkten. Nichts anderes könne für eine nach allgemeinen vollstreckungsrechtlichen Bestimmungen angeordnete Zwangsverwaltung eines Grundstückes gelten, wobei im vorliegenden Fall zudem keine Anhaltspunkte bestünden, dass diese Maßnahme nicht allein aufgrund der bereits 1933 bestehenden Überschuldung des Grundstückes eingetreten, sondern verfolgungsbedingt verursacht worden sei. Das der Festsetzung des Abführungsbetrages zugrunde liegende Grundstück sei der entschädigungsberechtigten Eigentümerin erst durch die Zwangsversteigerung im Jahre 1939 entzogen worden. Dieser Vermögensverlust stelle die im vorliegenden Fall maßgebliche Schädigung dar, ohne dass für das vorliegende Verfahren festgestellt werden müsste, ob der Vermögensverlust tatsächlich verfolgungsbedingt eingetreten sei.

Mit der von dem Verwaltungsgericht zugelassenen Revision erstrebt die Beklagte weiterhin die Abweisung der Klage; sie rügt eine Verletzung des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EntschG.

Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil.

II

Die zulässige Revision der Beklagten, über die das Bundesverwaltungsgericht gemäß § 141 Satz 1 i.V.m. § 125 Abs. 1 Satz 1 und § 101 Abs. 2 VwGO im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden kann, ist nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat im Einklang mit § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EntschG (§ 137 Abs. 1 VwGO) dahin erkannt, dass für die Bemessung des vom Kläger in Bezug auf das streitbefangene Grundstück zu entrichtenden Abführungsbetrages abzustellen ist auf den vor der Schädigung des Grundstückes zuletzt festgestellten Einheitswert und maßgeblich der Zeitpunkt der Schädigung des Grundstückes, nicht der einer Schädigung des Unternehmens ist.

1. Nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 des Gesetzes über die Entschädigung nach dem Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen (Entschädigungsgesetz) vom 27. September 1994 (BGBl I S. 2624, ber. BGBl I 1995 S. 110 ) - EntschG - ist von Gebietskörperschaften der 1,3-fache Einheitswert von Grundstücken an den Entschädigungsfonds abzuführen, wenn - wie hier - ein Grundstück nach § 5 Abs. 1 Buchst. b VermG nicht restituierbar ist; dabei steht die Abführungsverpflichtung des Klägers, welchem das Grundstück nach Art. 21 Abs. 1 Einigungsvertrag als Straßengrundstück zugeordnet worden ist, zwischen den Beteiligten dem Grunde nach nicht im Streit. Da bereits nach dieser Gesetzesfassung mit "Einheitswert" der vor der Schädigung zuletzt festgestellte Einheitswert gemeint war (Beschluss vom 27. Juni 2006 - BVerwG 3 B 190.05 -), bedarf keiner Vertiefung, ob die Regelung in der erst während des Klageverfahrens in Kraft getretenen, klarstellenden (s. BTDrucks 15/1180 S. 2) Fassung anzuwenden ist, die sie durch Art. 1 Nr. 6 Buchst. a des Gesetzes vom 10. Dezember 2003 (BGBl I 2471) erhalten hat.

2. Der hiernach für die Bestimmung des heranzuziehenden Einheitswertes maßgebliche Zeitpunkt der "Schädigung" ist für die Beteiligten des vorliegenden Verfahrens nicht schon mit Bindungswirkung durch den im vermögensrechtlichen Verfahren ergangenen Bescheid vom 7. Dezember 1998 festgesetzt. Dabei ist die zwischen den Beteiligten umstrittene Frage nicht zu vertiefen, ob in diesem Bescheid überhaupt ein vor dem 1. Januar 1935 liegender Schädigungszeitpunkt festgesetzt worden ist. Denn Gegenstand dieses Bescheides war ein Begehren auf Unternehmensrestitution, nicht auf Restitution des hier streitbefangenen Grundstückes. Die Bindung des Entschädigungsverfahrens an die im vermögensrechtlichen Verfahren getroffenen Feststellungen (Beschluss vom 27. Juni 2006 - BVerwG 3 B 183.05 - ZOV 2006, 312) erstreckt sich zudem nicht auf ein Verfahren zur Festsetzung eines Abführungsbetrages nach § 10 EntschG. Für die Frage, ob ein Abführungsbetrag zu entrichten ist, weil ein Vermögensgegenstand nach §§ 4, 5 VermG nicht restituierbar ist, weil er zum Verwaltungsvermögen nach Art. 21 Einigungsvertrag gehörte, kommt es auf die Einzelheiten einer vorangegangenen Schädigung und insbesondere den genauen Schädigungszeitpunkt nicht an; der Abführungsverpflichtete ist überdies nicht Beteiligter des vorangegangenen vermögensrechtlichen Verfahrens.

3. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend entschieden, dass für die Anwendung des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EntschG maßgeblich auf den Zeitpunkt der Schädigung des Grundstückes, in Bezug auf das an den Einheitswert anzuknüpfen ist, abzustellen ist, und zwar ungeachtet dessen, dass es sich bei diesem Grundstück um ein Betriebsgrundstück eines Unternehmens handelt, das nach den Feststellungen im vermögensrechtlichen Verfahren von einer Verfolgungsmaßnahme im Sinne des § 1 Abs. 6 VermG betroffen gewesen ist.

Dass an die Schädigung des Grundstückes und nicht eines dahinter stehenden Unternehmens, das Eigentümer des Grundstückes war, abzustellen ist, folgt bereits aus dem Wortlaut des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EntschG. Zwar wird in der Regelung weder der Vermögenswert, in Bezug auf den ein Betrag an den Entschädigungsfonds abzuführen ist, noch das Objekt, auf das sich die Schädigung zu beziehen hat, ausdrücklich festgelegt. Der Bezug auf ein "Grundstück" folgt indes daraus, dass bereits nach der ursprünglichen Gesetzesfassung der Einheitswert, an den die Bemessung des Abführungsbetrages anknüpfte, allein auf Grundstücke bezogen war. Diese Verknüpfung ist durch die klarstellende Gesetzesergänzung verstärkt worden, dass Berechnungsgrundlage der "vor der Schädigung zuletzt festgestellte Einheitswert von Grundstücken" ist. Diese enge sprachliche Verknüpfung hindert eine Auslegung, welche zwar für den maßgeblichen Einheitswert an das Grundstück, für den Schädigungstatbestand und damit den Zeitpunkt der Schädigung aber an das Unternehmen, in dessen Eigentum das Grundstück steht, anknüpft.

Demgegenüber verfängt auch nicht das von der Beklagten geführte systematische Argument, das Entschädigungsgesetz unterscheide in Bezug auf die Entschädigung des Entschädigungsberechtigten in den §§ 3 bis 5a EntschG nach Vermögensarten, insbesondere zwischen reinem Grundvermögen (§ 3 EntschG) und Betriebsgrundstücken (§ 4 EntschG), wobei wegen der durchgängigen Anknüpfung an einen vor der Schädigung zuletzt festgestellten Einheitswert diese Unterscheidung auch bei der Anwendung des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EntschG Berücksichtigung finden müsse. Diese Unterscheidung, die schon im Wortlaut keinen Niederschlag gefunden hat, ist auch aus systematischen Gründen in § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EntschG nicht vorzunehmen. In den §§ 3, 4 EntschG sind für den Regelfall der Bezugspunkt des maßgeblichen Einheitswertes (§ 3 EntschG: Grundstück; § 4 EntschG: Unternehmen) und der für die Schädigung identisch; für die Anwendung des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EntschG spricht dies gegen eine Differenzierung des Bezugspunktes für den Einheitswert (Grundstück) und der Schädigung (Unternehmen). Überdies sollte durch die ausdifferenzierten Entschädigungsregelungen der §§ 3 ff. EntschG den vielfältigen Schädigungsgegenständen und -sachverhalten sowie Wertberechnungsmöglichkeiten auch hinsichtlich der Rechtsfolgen Rechnung getragen werden. Demgegenüber bezieht sich die hier anzuwendende Abführungsregelung allein auf nicht restituierte Grundstücke; mit der Festsetzung eines einheitlichen Vervielfältigers, der anders als § 3 Abs. 1 EntschG nicht auf die frühere Grundstücksnutzung abstellt, trifft sie eine vereinfachende, typisierende Regelung, die gerade nicht einzelfallbezogenen Besonderheiten des geschädigten Vermögensgegenstandes Rechnung tragen soll.

Bereits mit der Festlegung auf einen einheitlichen Multiplikator hat der Gesetzgeber seine ursprüngliche Regelungsvorstellung (BTDrucks 12/4887 S. 37) aufgegeben, nach der die Entschädigungs- und Ausgleichsleistungen ohne Zuführung von Steuermitteln aus einem anderweitig "aufgefüllten" Entschädigungsfonds gezahlt werden sollten, mithin zunächst ein "Gleichlauf zwischen der zu gewährenden Entschädigung und dem Abführungsbetrag" (Beschluss vom 27. Juni 2006 - BVerwG 3 B 190.05 - a.a.O.) vorgesehen war (so auch Beschluss vom 29. September 2000 - BVerwG 3 B 99.00 - Buchholz 428.41 § 10 EntschG Nr. 1). Nicht zu vertiefen ist daher, dass einem mit der Entstehungsgeschichte begründeten "Durchgriff" der in §§ 3, 4 EntschG getroffenen Differenzierung auf die Auslegung des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EntschG auch weitere Umstände entgegenstehen, z.B. die Berücksichtigung langfristiger Verbindlichkeiten, die zu einer ganz erheblichen Differenz von Entschädigungsbetrag und Abführungsbetrag führen kann.

4. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend auch dahin erkannt, dass für den Begriff der Schädigung im Sinne des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EntschG an den vermögensrechtlichen Schädigungsbegriff anzuknüpfen ist (§ 2 Abs. 4 i.V.m. § 1 Abs. 6 VermG) und es jedenfalls nicht vor dem 1. Januar 1935 - dem Bewertungszeitpunkt für den zeitlich letzten bekannten Einheitswert - zu einer beachtlichen Schädigung des Grundstückes gekommen ist.

4.1 In Bezug auf das Grundstück kommt hier lediglich ein Vermögensverlust auf "andere Weise" in Betracht. Dies ist nach der zutreffend vom Verwaltungsgericht herangezogenen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urteil vom 2. Dezember 1999 - BVerwG 7 C 46.98 - Buchholz 428 § 1 Abs. 6 VermG Nr. 5; Beschluss vom 17. Januar 1997 - BVerwG 7 B 298.96 - Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 100) eine Vermögensschädigung, die auf eine Verfolgung aus rassischen, politischen, religiösen oder weltanschaulichen Gründen zurückzuführen ist und die wie die vorangegangenen Alternativen des Zwangsverkaufs und der Enteignung voraussetzen, dass der Verfolgte seinen Vermögenswert infolge der Verfolgung vollständig und endgültig verloren hat, wobei über den Eintritt eines solchen Vermögensverlustes, wie im Vermögensrecht allgemein, vornehmlich nach faktischen Kriterien zu entscheiden ist.

Die am 2. Mai 1933 nach den Regeln des allgemeinen Zwangsvollstreckungsrechts angeordnete Zwangsverwaltung des Grundstückes ist hiernach keine vollendete Schädigung. Sie bewirkte keinen vollständigen und endgültigen Verlust des Eigentums an dem Grundstück, war auf eine Gläubigerbefriedigung aus den laufenden Einnahmen gerichtet und beschnitt die Einwirkungs- und Verfügungsmöglichkeiten des Eigentümers auch sonst nicht in einer Weise, dass sie in der Sache einer "kalten Enteignung" in tatsächlicher Hinsicht gleichkam.

4.2 Das Verwaltungsgericht hat im Ergebnis zutreffend auch ausgeführt, dass die Zwangsverwaltung des Grundstückes hier nicht als beachtliche erste Stufe eines "gestreckten" Schädigungsvorgangs zu bewerten war.

Die bloße Zwangsverwaltung eines Grundstückes bei fortbestehender Eigentumszuordnung scheidet als mögliche erste Stufe eines schädigenden Ereignisses im Sinne des § 1 Abs. 6 VermG allerdings nicht schon nach den von dem Verwaltungsgericht herangezogenen Grundsätzen aus, die für Zwangsverwaltungen nach der Verordnung über die Behandlung feindlichen Vermögens vom 15. Januar 1940 (RGBl I S. 191) entwickelt worden sind (s. Urteil vom 2. Dezember 1999 - BVerwG 7 C 46.98 - Buchholz 428 § 1 Abs. 6 VermG Nr. 5); sie sind auf jüdisches Eigentum ohne Auslandsbezug mangels Vergleichbarkeit der zugrunde liegenden Fallkonstellationen, etwa mit Blick auf einen möglichen Zugriff sog. "Feindstaaten" auf das Auslandsvermögen deutscher Staatsangehöriger, nicht unmittelbar übertragbar. Daraus folgt indes nicht im Umkehrschluss, dass bereits die bloße "Lockerung" des Eigentumszugriffs bei fortbestehender Eigentumszuordnung, die eine Zwangsverwaltung bewirkt, stets oder im Regelfall beachtlich wäre.

Für Zwangsverwaltungen, die in der Zeit des Nationalsozialismus in Bezug auf das Grundeigentum von Personen jüdischer Herkunft angeordnet worden sind, besteht keine Fiktion, dass ihre Anordnung bereits selbst eine verfolgungsbedingte Vermögensbeeinträchtigung bewirkte, und auch keine gesetzliche Vermutung, nach der sie einen im Sinne des § 1 Abs. 6 VermG beachtlichen verfolgungsbedingten Vermögensverlust einleiteten. Der Gesetzgeber hat selbst für eine - hier erst im Jahre 1939 erfolgte - Zwangsversteigerung bewusst davon abgesehen, die gesetzliche Vermutung eines verfolgungsbedingten Eigentumsverlusts (§ 1 Abs. 6 Satz 2 VermG i.V.m. Art. 3 REAO) auf Zwangsversteigerungen von im Eigentum Verfolgter stehenden Grundstücken zu erstrecken (Beschluss vom 14. Juli 2005 - BVerwG 7 B 17.05 - ZOV 2005, 371 f.; s.a. Beschlüsse vom 22. Juni 2005 - BVerwG 7 B 51.05 - und vom 14. November 1996 - BVerwG 7 B 286.96 - Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 95). Nach dieser Rechtsprechung ist ein Eigentumsverlust durch Zwangsversteigerung in der NS-Zeit dann verfolgungsbedingt, wenn der verfolgte Eigentümer nicht in der Lage war, die Zwangsversteigerung durch freie und ungehinderte Ausübung von Rechten abzuwenden, die einem nicht verfolgten Eigentümer zur Verfügung gestanden hätten (Urteil vom 27. Juni 2002 - BVerwG 7 C 28.01 - Buchholz 428 § 1 Abs. 6 VermG Nr. 16); selbst der Erwerb durch einen Nationalsozialisten im Wege der Zwangsversteigerung erfüllte den Tatbestand eines verfolgungsbedingten Vermögensverlustes aber dann nicht, wenn das Grundstück aus bereits vor dem 30. Januar 1933 eingetretenen Gründen derart überschuldet war, dass auch ein Nichtverfolgter den Verlust des Eigentums durch dessen Zwangsversteigerung nicht hätte abwenden können oder wollen (Beschluss vom 22. Juni 2005 - BVerwG 7 B 51.05 -).

Auf der Grundlage der insoweit hinreichend getroffenen tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts fehlen tragfähige Anhaltspunkte für die Annahme, mit der Anordnung der Zwangsverwaltung sei bereits ein in der Zwangsversteigerung endender, verfolgungsbedingter Schädigungsvorgang eingeleitet worden. Auf einen verfolgungsbedingten, an die jüdische Herkunft des Alleingesellschafters der Gesellschaft anknüpfenden Zugriff weisen die exponierte Lage des Grundstückes, die zeitnah zum 30. Januar 1933 erfolgte Anordnung der Zwangsverwaltung, der (nahezu) zeitgleiche Antrag auf Bestellung eines neuen Geschäftsführers der Gesellschaft sowie die Besetzung dieser Funktion durch einen Ratsherrn. Durchgreifend dagegen sprechen aber die hohe Belastung des Grundstückes, die den von den seinerzeitigen Eigentümern mit dem Widerspruch als zu hoch angegriffenen Einheitswert noch übersteigt und ca. das 1,7-fache des Wertes der Baustelle betrug, der Umstand, dass zwischen der Anordnung der Zwangsverwaltung und der Zwangsversteigerung fast sechs Jahre lagen, auch nach Auflösung der Gesellschaft noch knapp drei Jahre ins Land gingen und keine Besonderheiten des Zwangsversteigerungsverfahrens (z.B. ein unangemessen niedriger Verwertungserlös oder Besonderheiten in der Person des Ersteigerers) festgestellt oder ersichtlich sind. Das Verwaltungsgericht hat denn auch mit Bezug auf die Zwangsverwaltung ausgeführt, es bestünden keine Anhaltspunkte, dass diese Maßnahme nicht allein aufgrund der bereits 1933 bestehenden Überschuldung des Grundstückes eingetreten war. Dann aber fehlen hier auch hinreichende Anhaltspunkte für einen bereits im Zeitpunkt der Anordnung der Zwangsverwaltung bestehenden "Gesamtplan", nach dem durch die zwangsverwaltungsbedingte "Lockerung" der Einwirkungsmöglichkeiten der Grundstückseigentümer der Prozess ihrer Verdrängung auch aus der Eigentümerstellung eingeleitet werden sollte, bereits die Zwangsverwaltung also die "erste Stufe" eines gestreckten Entziehungsvorgangs bilden sollte. Die Zwangsverwaltung eines Grundstückes ist auch nicht mit der Zwangsbeteiligung an einem Unternehmensträger vergleichbar, die regelmäßig den ersten Schritt einer Unternehmensschädigung, die durch die Überleitung der verbliebenen privaten Anteile in Volkseigentum vollendet wurde, bildete (Urteil vom 5. Oktober 2000 - BVerwG 7 C 95.99 - Buchholz 428 § 6 VermG Nr. 40).

4.3 Die Bestellung des neuen Geschäftsführers für die Gesellschaft, in deren Eigentum das Grundstück stand, im Mai 1933 und die Bestellung eines Abwesenheitspflegers im Juni 1933 sind ebenfalls nicht als entscheidungserhebliche Schädigungen des Grundstückes zu werten. Diese Maßnahmen sind auf das Unternehmen und nicht auf das Grundstück bezogen und schon deswegen auch bei Betriebsgrundstücken solcher Unternehmen, deren Zweck in der Verwaltung oder Nutzung eines Grundstückes liegt, grundsätzlich nicht geeignet, den für § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EntschG maßgeblichen Zeitpunkt der Schädigung des Grundstückes zu bezeichnen. Keiner abschließenden Entscheidung bedarf, ob und unter welchen Voraussetzungen eine andere Beurteilung ausnahmsweise dann in Betracht kommt, wenn auf die Geschäftsführung des Unternehmens bezogene Maßnahmen bestimmt und geeignet waren, den dann auch bewirkten verfolgungsbedingten Zugriff auf das Eigentum an einem Betriebsgrundstück ins Werk zu setzen. Denn mit der Anordnung der Zwangsverwaltung in Bezug auf das Grundstück lagen in Bezug auf diesen - für das Unternehmen wesentlichen - Vermögensgegenstand die Verwaltungsrechte bei dem bestellten Zwangsverwalter, so dass der neue Geschäftsführer bzw. der Abwesenheitspfleger keine zusätzliche "Vermögensentziehungsfunktion" haben konnten; die durch die Zwangsverwaltung bedingten Beschlagnahme bewirkte auch ein Veräußerungsverbot (§§ 146, 148 i.V.m. § 23 Abs. 1 ZVG <in der seinerzeit geltend, mit dem heutigen Recht insoweit inhaltsgleichen Fassung>). Es fehlt hier auch jeder Anhaltspunkt dafür, dass der neue Geschäftsführer oder der Abwesenheitspfleger auf die Zwangsversteigerung des Grundstückes eingewirkt oder abzuverlangende Maßnahmen unterlassen hätten, die Zwangsversteigerung abzuwenden.

5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Beschluss

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 832 843,34 € festgesetzt (§ 47 Abs. 1 i.V.m. § 52 Abs. 3 GKG). § 52 Abs. 4 GKG ist auf Streitigkeiten in Bezug auf den Abführungsbetrag nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EntschG weder unmittelbar noch analog anzuwenden.



Ende der Entscheidung

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