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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 12.03.2002
Aktenzeichen: BVerwG 5 C 45.01
Rechtsgebiete: BVFG


Vorschriften:

BVFG § 4
BVFG § 5
BVFG § 15
Eine Bescheinigung nach § 15 Abs. 1 BVFG steht nur dem zu, der in dem für die Ausstellung der Bescheinigung maßgeblichen Zeitpunkt Spätaussiedler ist.

Für den Erwerb der Spätaussiedlereigenschaft ist nach § 4 BVFG grundsätzlich der Zeitpunkt maßgeblich, in dem der Einreisende in Deutschland seinen ständigen Aufenthalt nimmt.

§ 5 BVFG schließt aber den Erwerb der Rechtsstellung als Spätaussiedler aus; deshalb sind nur Ausschlussgründe relevant, die vorliegen, wenn der Einreisende in Deutschland seinen ständigen Aufenthalt nimmt.


BUNDESVERWALTUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

BVerwG 5 C 45.01

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts am 12. März 2002 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Säcker und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Pietzner, Schmidt, Dr. Rothkegel und Dr. Franke

ohne mündliche Verhandlung für Recht erkannt:

Tenor:

Das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 5. Februar 2000 wird aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen.

Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

Gründe:

I.

Die Kläger zu 1, 4 und 5 kamen im Januar 1997 und die Kläger zu 2 und 3 im März 1997 im Wege des Aufnahmeverfahrens nach Deutschland. Ihre Anträge auf Ausstellung von Bescheinigungen nach § 15 BVFG lehnte der Beklagte mit Bescheiden vom 11. August 1998 ab.

Den gegen die Ablehnung erhobenen Klagen mit dem Antrag, den Beklagten zu verurteilen, den Klägern zu 1, 2, 4 und 5 je eine Spätaussiedlerbescheinigung sowie der Klägerin zu 3 eine Bescheinigung als Ehegattin eines Spätaussiedlers auszustellen, hat das Verwaltungsgericht stattgegeben. Auf die Berufung des Beklagten hat der Verwaltungsgerichtshof das Urteil des Verwaltungsgerichts aufgehoben und die Klagen abgewiesen mit der Begründung, dass die Kläger zu 1, 2, 4 und 5 nach § 5 Nr. 2 Buchstabe b und c BVFG, der hier in seiner neuen durch Art. 6 Nr. 1 HSanG vom 22. Dezember 1999 (BGBl I S. 2534) geänderten und seit 1. Januar 2000 geltenden Fassung anwendbar sei, nicht die Rechtsstellung als Spätaussiedler erworben hätten.

Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision beantragen die Kläger, das Berufungsurteil aufzuheben und die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zurückzuweisen. Sie rügen, das Berufungsgericht habe der Prüfung ihrer Ansprüche auf Ausstellung von Bescheinigungen nach § 15 BVFG zu Unrecht § 5 BVFG in seiner neuen Fassung zugrunde gelegt.

Der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen. Zwar habe die Bescheinigung nach § 15 BVFG nur deklaratorischen Charakter, der Gesetzgeber habe ihr aber in § 15 Abs. 1 Satz 2 BVFG Wirkungen beigemessen, die sich stark an eine konstitutive Bescheinigung annäherten. Zudem bedeute die Änderung des § 5 BVFG keinen Eingriff in eine Rechtsposition, die auf gesicherter materiellrechtlicher Grundlage erlangt worden sei, sondern lediglich auf einer formellen Vorschrift der Beweislastverteilung beruhe.

II.

Die Revision ist begründet.Die Entscheidung des Berufungsgerichts, die Ansprüche der Kläger auf Ausstellung von Bescheinigungen nach § 15 BVFG seien nicht begründet, weil auf die Kläger zu 1, 2, 4 und 5 § 5 Nr. 2 BVFG in seiner neuen, seit dem 1. Januar 2000 geltenden Fassung (Art. 6 Nr. 1 Buchstabe b HSanG vom 22. Dezember 1999 <BGBl I S. 2534>) anwendbar sei und sie danach keine Spätaussiedler seien, Bundesrecht verletzt.

Zutreffend geht das Berufungsgericht allerdings davon aus, dass ein Verpflichtungsbegehren - wie hier das Begehren der Kläger, den Beklagten zur Ausstellung einer Bescheinigung nach § 15 BVFG zu verpflichten - grundsätzlich nach der im Entscheidungszeitpunkt geltenden materiellen Rechtslage zu beurteilen ist. Auch nach Erlass des Berufungsurteils eingetretene einschlägige Rechtsänderungen sind im Revisionsverfahren zu beachten. Denn für die revisionsgerichtliche Beurteilung ist die Rechtslage maßgeblich, auf die die Vorinstanz abzustellen hätte, wenn sie anstelle des Revisionsgerichts jetzt zu entscheiden hätte (vgl. BVerwGE 90, 57; 100, 346 <348>).

Zutreffend legt das Berufungsgericht auch dar, dass § 5 BVFG in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. Juni 1993 (BGBl I S. 829) durch Art. 6 Nr. 1, Art. 27 Abs. 1 HSanG vom 22. Dezember 1999 (BGBl I S. 2534) mit Wirkung vom 1. Januar 2000 geändert worden ist und es keine Übergangsvorschrift gibt, die eine Fortgeltung des § 5 BVFG a.F. über den 31. Dezember 1999 hinaus bestimmt (vgl. zur Geltung des § 5 BVFG n.F. für noch nicht abgeschlossene Aufnahmeverfahren BVerwG, Urteil vom 29. März 2001 - BVerwG 5 C 17.00 - <Buchholz 412.3 § 5 BVFG Nr. 2>).

Zu Unrecht aber ist das Berufungsgericht der Auffassung, für die Entscheidung über die Ausstellung einer Spätaussiedlerbescheinigung nach § 15 BVFG sei § 5 Nr. 2 BVFG in seiner neuen, ab 1. Januar 2000 geltenden Fassung auch dann anzuwenden, wenn - wie im streitgegenständlichen Verfahren - die Person, auf deren Spätaussiedlereigenschaft es für die Bescheinigung nach § 15 BVFG ankommt, bereits vor dem 1. Januar 2000 die Aussiedlungsgebiete im Wege des Aufnahmeverfahrens verlassen und in Deutschland ihren ständigen Aufenthalt genommen hat.

Für die Verpflichtung auf Ausstellung einer Bescheinigung nach § 15 BVFG kommt es auf die aktuellen Voraussetzungen nach dieser Vorschrift an. Die Bescheinigung nach § 15 Abs. 1 BVFG dient dem Antragsteller zum Nachweis seiner Spätaussiedler-eigenschaft. Sie bescheinigt die Spätaussiedlereigenschaft, setzt diese also voraus. Eine Bescheinigung nach § 15 Abs. 1 BVFG steht demnach nur dem zu, der in dem für die Ausstellung der Bescheinigung maßgeblichen Zeitpunkt die Spätaussiedler-eigenschaft besitzt, d.h. Spätaussiedler ist. Die Bescheinigung nach § 15 Abs. 2 BVFG dient dem Antragsteller zum Nachweis, dass er Ehegatte bzw. Abkömmling eines Spätaussiedlers ist. Sie setzt also Spätaussiedlereigenschaft der Bezugsperson voraus. Eine Bescheinigung nach § 15 Abs. 2 BVFG steht demnach nur dem Ehegatten oder Abkömmling zu, dessen Bezugsperson in dem für die Ausstellung der Bescheinigung maßgeblichen Zeitpunkt die Spätaussiedlereigenschaft besitzt, d.h. Spätaussiedler ist.

Wer Spätaussiedler ist, d.h. die Spätaussiedlereigenschaft besitzt, ist maßgeblich und insofern seit 1993 unverändert in § 4 Abs. 1 und 2 BVFG geregelt. Danach ist - abgesehen von weiteren, im Streitfall aber nicht bedeutsamen Voraussetzungen - Spätaussiedler "ein deutscher Volkszugehöriger, der die (Aussiedlungsgebiete) nach dem 31. Dezember 1992 im Wege des Aufnahmeverfahrens verlassen und innerhalb von sechs Monaten im Geltungsbereich des Gesetzes seinen ständigen Aufenthalt genommen hat". Daraus ergibt sich, dass die Spätaussiedler-eigenschaft dann entsteht bzw. entstanden ist, wenn der aus den Aussiedlungsgebieten Kommende in Deutschland seinen ständigen Aufenthalt nimmt bzw. genommen hat und zu dieser Zeit auch alle übrigen Voraussetzungen für die Spätaussiedlereigenschaft vorliegen (zum maßgeblichen Zeitpunkt für den Erwerb des Status als Vertriebener <Aussiedler> und Spätaussiedler vgl. BVerwGE 99, 133 <138 f.>). § 4 Abs. 1 und 2 BVFG bestimmt also sowohl Voraussetzungen für den Erwerb des Spätaussiedlerstatus als auch den Zeitpunkt, zu dem die Erwerbsvoraussetzungen vorliegen müssen, nämlich zu der Zeit, zu der der Einreisende in Deutschland seinen ständigen Aufenthalt nimmt. Nach der Rechtslage in diesem Zeitpunkt entscheidet sich, ob jemand Spätaussiedler geworden ist (zu der Besonderheit in Bezug auf das Tatbestandsmerkmal "deutscher Volkszugehöriger" durch § 100 a BVFG in der Fassung des Spätaussiedlerstatusgesetzes - SpStatG - vom 30. August 2001 <BGBl I S. 2266> vgl. Senatsurteile vom heutigen Tag - BVerwG 5 C 2.01 und 5 C 28.01).

Solange das Gesetz kein Ende der Spätaussiedlereigenschaft oder Gründe für deren Aufhebung bestimmt, besteht die einmal begründete Spätaussiedlereigenschaft nach § 4 BVFG fort. Für den Fortbestand der Spätaussiedlereigenschaft ist es dagegen weder erforderlich noch überhaupt möglich, dass (einmal erfüllte) Voraussetzungen für den Erwerb der Spätaussiedlereigenschaft immer weiter fortbestehen bzw. immer wieder erfüllt werden.

§ 5 BVFG in seiner alten wie in seiner neuen Fassung regelt nicht allgemein einen Ausschluss von der Spätaussiedlereigenschaft, etwa auch im Sinne eines erst nachträglichen Ausschlusses. Vielmehr schließt § 5 BVFG allein den Erwerb der Spätaussiedlereigenschaft aus, indem er bestimmt: "Die Rechtsstellung nach § 4 Abs. 1 oder 2 BVFG erwirbt nicht, wer ... ." Bezieht sich der Ausschluss nach § 5 BVFG aber allein auf den Erwerb der Spätaussiedlereigenschaft, so treten die in § 5 BVFG genannten Rechtsfolgen nur dann ein, wenn ihre Voraussetzungen in dem für den Erwerb der Spätaussiedlereigenschaft maßgeblichen Zeitpunkt, also dann erfüllt sind, wenn der aus den Aussiedlungsgebieten Kommende in Deutschland seinen ständigen Aufenthalt genommen hat. Anders als zu § 6 Abs. 2 BVFG, den der Gesetzgeber mit § 100 a BVFG miterfassen wollte (vgl. dazu o.g. Urteile vom heutigen Tag) kann § 100 a BVFG nicht in Bezug auf die in § 5 BVFG ab 1. Januar 2000 geänderten Ausschlussgründe dahin verstanden werden, dass sie nun auch für bereits in der Vergangenheit liegende Statuserwerbszeiten maßgeblich sein sollten. Vielmehr entspricht es § 100 a BVFG, dass Anträge nach § 15 BVFG nach geltendem Recht zu bescheiden sind, es also für § 5 BVFG allein auf den Ausschluss des Erwerbs der Rechtsstellung nach § 4 Abs. 1 oder 2 BVFG ankommt und der maßgebliche Zeitpunkt für den Erwerb der Spätaussiedlereigenschaft der Zeitpunkt der Aufnahme ständigen Aufenthalts in Deutschland ist.

Demnach hat das Berufungsgericht die Frage, ob der Erwerb der Spätaussiedlereigenschaft der Kläger zu 1, 2, 4 und 5 nach § 5 BVFG ausgeschlossen war, zu Unrecht nach § 5 BVFG in dessen vom 1. Januar 2000 an und nicht in dessen 1997 geltenden Fassung entschieden. Das bedingt die Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung.

Beschluss

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 20 451 € (entspricht 40 000 DM) festgesetzt.

Ende der Entscheidung

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