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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 13.08.2003
Aktenzeichen: BVerwG 5 C 49.01
Rechtsgebiete: WoBindG F. bis 2001


Vorschriften:

WoBindG F. bis 2001 § 5
Asylbewerber, die nicht (mehr) verpflichtet sind, in einer Aufnahmeeinrichtung oder einer Gemeinschaftsunterkunft zu wohnen, sind nach der bis zum 31. Dezember 2001 geltenden Rechtslage antragsberechtigt für einen Wohnberechtigungsschein für eine Wohnung im räumlichen Geltungsbereich ihrer Aufenthaltsgestattung.
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

BVerwG 5 C 49.01

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts ohne mündliche Verhandlung am 13. August 2003 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Säcker und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Schmidt, Dr. Rothkegel, Dr. Franke und Prof. Dr. Berlit

für Recht erkannt:

Tenor:

Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin vom 30. März 2000 wird aufgehoben. Ferner werden das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 18. August 1998, der Bescheid des Bezirksamts Neukölln von Berlin vom 4. November 1997 und dessen Widerspruchsbescheid vom 17. März 1998 aufgehoben.

Der Beklagte wird verpflichtetet, den Klägern einen Wohnberechtigungsschein zu erteilen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe:

I.

Die Kläger sind Asylbewerber mit Aufenthaltsgestattung zur Durchführung des Asylverfahrens. Nach Ablehnung ihrer Asylanträge durch das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge hatte die Klage des Klägers in erster Instanz Erfolg. Die Kläger erhielten für sich und ihre fünf Kinder laufende Leistungen zunächst nach dem Asylbewerberleistungsgesetz und dann, nachdem sie nach dem Erfolg des Klägers im Asylrechtsstreit vor dem Verwaltungsgericht nicht mehr in einer Gemeinschaftsunterkunft wohnen mussten und eine eigene Wohnung bezogen hatten, nach dem Bundessozialhilfegesetz.

Ihren Antrag auf Ausstellung eines Wohnberechtigungsscheines lehnte der Beklagte ab. Nach erfolglosem Widerspruch hat das Verwaltungsgericht die Klage, den Beklagten zu verpflichten, den Klägern einen Wohnberechtigungsschein zu erteilen, abgewiesen. Die Berufung der Kläger hat das Berufungsgericht mit im Wesentlichen folgender Begründung zurückgewiesen: Wohnungssuchender im Sinne von § 5 Abs. 1 Satz 1 WoBindG sei nur, wer tatsächlich und rechtlich seinen Willen verwirklichen könne, für längere Zeit im Geltungsbereich des Wohnungsbindungsgesetzes seinen Wohnsitz als Mittelpunkt der Lebensbeziehungen für sich und gegebenenfalls seine Familie zu begründen. Den Klägern fehle aber aufgrund ihrer aufenthaltsrechtlichen Situation während der Dauer des Asylverfahrens grundsätzlich die Möglichkeit der längeren Wohnsitzbegründung. Die Aufenthaltsgestattung zur Durchführung des Asylverfahrens knüpfe an einen vorübergehenden Zweck an und solle gerade keinen Aufenthalt auf Dauer möglich machen.

Mit ihrer Revision verfolgen die Kläger ihr Klagebegehren weiter. Sie rügen die Verletzung des § 5 WoBindG.

Der Beklagte verteidigt das Berufungsurteil.

Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht unterstützt das Berufungsurteil.

Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.

II.

Die Revision der Kläger, über die das Bundesverwaltungsgericht gemäß § 141 Satz 1 i.V.m. § 125 Abs. 1 Satz 1 und § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entscheiden kann, ist begründet. Das Berufungsgericht verletzt Bundesrecht, weil es § 5 Abs. 1 WoBindG in dessen bis zum 31. Dezember 2001 geltenden Fassung zu Unrecht dahin auslegt, Asylbewerber seien auch dann keine Wohnungssuchenden im Sinne dieser Vorschrift, wenn sie, wie die Kläger, nicht (mehr) verpflichtet sind, in einer Aufnahmeeinrichtung oder einer Gemeinschaftsunterkunft zu wohnen.

Zwar ist § 5 WoBindG durch das Gesetz zur Reform des Wohnungsbaurechts vom 13. September 2001 (BGBl I S. 2376) mit Wirkung vom 1. Januar 2002 dahin geändert worden, dass die Bescheinigung über die Wohnberechtigung (Wohnberechtigungsschein) in entsprechender Anwendung des § 27 Abs. 1 bis 5 des Wohnraumförderungsgesetzes erteilt wird, und bestimmt das durch das genannte Gesetz zur Reform des Wohnungsbaurechts mit Wirkung vom 1. Januar 2002 an neu geschaffene Wohnraumförderungsgesetz in seinem § 27 Abs. 2 Satz 2 zur Antragsberechtigung: "Antragsberechtigt sind Wohnungssuchende, die sich nicht nur vorübergehend im Geltungsbereich dieses Gesetzes aufhalten und die rechtlich und tatsächlich in der Lage sind, für sich und ihre Haushaltsangehörigen nach § 18 auf längere Dauer einen Wohnsitz als Mittelpunkt der Lebensbeziehungen zu begründen und dabei einen selbstständigen Haushalt zu führen". Diese neue, ab dem 1. Januar 2002 geltende Rechtslage ist aber auf den vorliegenden Streitfall nicht anzuwenden. Denn nach § 50 Abs. 2 WoFG ist der Streitfall noch nach § 5 WoBindG in seiner bis zum 31. Dezember 2001 geltenden Fassung zu entscheiden.

Anders als § 5 WoBindG i.V.m. § 27 WoFG in der ab dem 1. Januar 2002 geltenden Fassung, die die Antragsberechtigung nicht generell Wohnungssuchenden, sondern nur den Wohnungssuchenden zuspricht, die die dort genannten weiteren Voraussetzungen erfüllen, bestimmt § 5 WoBindG in seiner für den Streitfall maßgeblichen Fassung in Absatz 1 Satz 1 zur Antragsberechtigung: "Die Bescheinigung über die Wohnungsberechtigung ist einem Wohnungssuchenden auf Antrag von der zuständigen Stelle zu erteilen, wenn das Gesamteinkommen die sich aus § 25 Abs. 2 des Zweiten Wohnungsbaugesetzes ergebende Einkommensgrenze nicht übersteigt." Nach dieser Gesetzesfassung ist die Bescheinigung "einem Wohnungssuchenden", also ohne Einschränkung auf eine Untergruppe von Wohnungssuchenden, zu erteilen. "Wohnungssuchender" ist hiernach aber jeder, der eine Wohnung sucht.

Zu Unrecht folgert das Berufungsgericht aus den Zielen des öffentlich geförderten sozialen Wohnungsbaus, "Wohnungen 'für die breiten Schichten des Volkes' zu schaffen (§ 1 Abs. 1 II. WoBauG)", Wohnungssuchender sei "danach, wer tatsächlich und rechtlich seinen Willen verwirklichen kann, für längere Zeit im Geltungsbereich des Wohnungsbindungsgesetzes seinen Wohnsitz als Mittelpunkt der Lebensbeziehungen für sich und gegebenenfalls seine Familie zu begründen".

Die in § 1 II. WoBauG genannten und vom Berufungsgericht angeführten Ziele der Wohnungsbauförderung, die in Absatz 2 Satz 2 weiter dahin beschrieben sind, die Förderung solle "eine ausreichende Wohnungsversorgung aller Bevölkerungsschichten entsprechend den unterschiedlichen Wohnbedürfnissen ermöglichen und dies namentlich für diejenigen Wohnungssuchenden sicherstellen, die hierzu selbst nicht in der Lage sind", führen nicht zu der vom Berufungsgericht (ebenso OVG Hamburg, Beschluss vom 8. März 1989 - Bs II 62 und 63/88 <DWW 1989, 369>; OVG Münster, Urteil vom 26. Januar 1996 - 14 A 436.93 <WuM 1997, 563>; Bellinger in Fischer-Dieskau/Pergande/Schwender § 5 WoBindG Anm. 3.1.6 S. 26 b und insbesondere Anm. 3.1.12 S. 26 i, 26 j und 27 <Stand November 1999>) zu § 5 WoBindG a.F. vertretenen Einengung auf Wohnungssuchende, die einen Wohnsitz für längere Zeit begründen können. Die Förderung soll denjenigen helfen, die zum Leben eine Wohnung brauchen und deshalb eine Wohnung suchen. Folglich ist es gerechtfertigt, als Wohnung im Sinne des § 5 Abs. 1 WoBindG a.F. nur solche Wohnungen zu verstehen, die tatsächlich der Nutzung als Mittelpunkt der Lebensbeziehungen dienen sollen, also nicht Ferienwohnungen oder andere nur zu kurzem oder gelegentlichem Aufenthalt bestimmte Wohnungen. Dagegen ergibt sich aus den Förderungszielen nicht zwingend - nur das könnte eine teleologische Reduktion rechtfertigen -, die Wohnung müsse der Begründung eines Wohnsitzes auf längere Dauer dienen.

Zwar trifft es zu, dass die Aufenthaltsgestattung ihrer Funktion nach nicht auf einen Daueraufenthalt gerichtet ist, sondern dem Asylbewerber zur Durchführung des Asylverfahrens im Bundesgebiet zusteht (§ 55 AsylVfG). Das schließt es aber nicht aus, dass ein Asylbewerber einen gewöhnlichen Aufenthalt begründen kann, nämlich dann, wenn er sich an einem Ort unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt (§ 10a Abs. 3 AsylbLG). Von dieser Möglichkeit geht der Gesetzgeber aus (vgl. § 10a Abs. 2 AsylbLG).

Ein Asylbewerber kann auch einen Wohnsitz begründen, indem er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten und benutzen wird (vgl. § 30 Abs. 3 Satz 1 SGB I). Das kann er rechtmäßig allerdings nur, wenn er nicht (mehr) verpflichtet ist, in einer Aufnahmeeinrichtung oder einer Gemeinschaftsunterkunft zu wohnen, und wenn die Wohnung im räumlichen Geltungsbereich seiner Aufenthaltsgestattung liegt. Diese Voraussetzungen liegen bei den Klägern unstreitig vor. Sie beantragen einen Wohnberechtigungsschein im räumlichen Geltungsbereich ihrer Aufenthaltsgestattung.

Da die Kläger Wohnungssuchende im Sinne des § 5 WoBindG in der hier maßgeblichen alten Fassung sind - über die Antragsberechtigung nach neuem Recht war, wie oben ausgeführt, nicht zu entscheiden -, hängt ihr Anspruch auf einen Wohnberechtigungsschein allein davon ab, dass ihr Gesamteinkommen die Einkommensgrenze (§ 25 Abs. 2 II. WoBauG) nicht übersteigt. Maßgebend sind die Verhältnisse im Zeitpunkt der Antragstellung (§ 5 Abs. 1 Satz 3 WoBindG). Wer im Zeitpunkt der Antragstellung die Einkommensvoraussetzungen erfüllt, "gehört dann zu den materiell nutzungsberechtigten Wohnungsbewerbern; es wäre ungerechtfertigt, ihn die Folgen einer etwaigen rechtswidrigen Versagung der Bescheinigung tragen zu lassen, wenn sich später seine Einkommensverhältnisse verändern mit der Folge, dass er nunmehr keine Wohnberechtigungsbescheinigung mehr beanspruchen kann" (BVerwG, Urteil vom 28. Februar 1979 - BVerwG 8 C 39.78 - <Buchholz 454.31 § 5 WoBindG Nr. 3>). Dagegen kann aus der Geltungsdauer einer erteilten Bescheinigung von einem Jahr (§ 5 Abs. 4 WoBindG) nicht darauf geschlossen werden, dass abweichend von § 5 Abs. 1 Satz 3 WoBindG nicht auf den Zeitpunkt der Antragstellung, sondern auf einen Zeitpunkt nicht älter als ein Jahr vor der Entscheidung abzustellen sei. Zwischen den Beteiligten ist nicht streitig, dass das Einkommen der Kläger im Zeitpunkt der Antragstellung (am 4. November 1997) die Einkommensgrenze nicht überstieg. Die dem Beklagten vor seiner Ablehnung am 4. November 1997 vorliegende Bescheinigung des Landesamtes für Zentrale Soziale Aufgaben Berlin vom 30. Oktober 1997 bescheinigt zur Vorlage beim Wohnungsamt: Die Kläger und ihre Kinder "erhalten hier laufend Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz bzw. Bundessozialhilfegesetz in Höhe von 2 177,45 DM monatlich zuzüglich der Kosten für Unterkunft". Auch hat das Berufungsgericht im Berufungsurteil - von den Beteiligten nicht bestritten - festgestellt: "Die Kläger erhalten für sich und ihre fünf minderjährigen Kinder laufende Leistungen zum Lebensunterhalt - zunächst nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, jetzt, nachdem sie wegen des Erfolges des Klägers im Asylrechtsstreit beim Verwaltungsgericht nicht mehr in einer Gemeinschaftsunterkunft wohnen müssen und eine eigene Wohnung bezogen haben, - nach dem Bundessozialhilfegesetz."

Danach ist der Beklagte verpflichtet, den Klägern einen Wohnberechtigungsschein zu erteilen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Beschluss

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 4 090 € (entspricht 8 000 DM) festgesetzt.

Ende der Entscheidung

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