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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 05.06.1998
Aktenzeichen: BVerwG 6 B 38.98
Rechtsgebiete: GG, WPflG


Vorschriften:

GG Art. 12 a
GG Art. 87 a
WPflG § 8 a
Leitsatz:

Die zum 1. Januar 1995 erfolgte Einführung des Verwendungsgrades "verwendungsfähig für bestimmte Tätigkeiten des Grundwehrdienstes unter Freistellung von der Grundausbildung" begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.

Beschluß des 6. Senats vom 5. Juni 1998 - BVerwG 6 B 38.98 -

I. VG München vom 14.11.1997 - Az.: VG M 4 K 96.1622 -


BUNDESVERWALTUNGSGERICHT BESCHLUSS

BVerwG 6 B 38.98 VG M 4 K 96.1622

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts am 5. Juni 1998 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Niehues und die Richter Albers und Büge

beschlossen:

Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 14. November 1997 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 8 000 DM festgesetzt.

Gründe:

Die allein auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision hat keinen Erfolg. Der vorliegenden Rechtssache kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu.

1. In der Beschwerdebegründung wird primär die Frage danach aufgeworfen, ob § 8 a WPflG in der Fassung des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Wehrpflichtgesetzes und des Zivildienstgesetzes vom 21. Juni 1994, BGBl I, S. 1286, verfassungsgemäß ist, wonach Wehrpflichtige auch dann wehrdienstfähig sind, wenn sie nach Maßgabe des ärztlichen Urteils lediglich verwendungsfähig für bestimmte Tätigkeiten des Grundwehrdienstes unter Freistellung von der Grundausbildung sind. Diese Frage ist jedoch ohne weiteres zu bejahen; einer Klärung in einem Revisionsverfahren bedarf es nicht.

Daß der Gesetzgeber verfassungsrechtlich unbedenklich zur Herbeiführung eines größeren Maßes an Wehrgerechtigkeit den Kreis der zum Wehrdienst heranziehbaren Wehrpflichtigen durch Einführung eines die Grundausbildung insgesamt aussparenden Verwendungsgrades erweitern durfte, hat das Bundesverwaltungsgericht bereits zum Ausdruck gebracht (Beschluß vom 19. August 1996 - BVerwG 8 B 86.96 - Buchholz 448.0 § 8 a WPflG Nr. 58; vgl. zu den Intentionen des Gesetzgebers: Raap, Zur Novellierung des Wehrpflichtgesetzes, NVwZ 1994, 978). Die verfassungsrechtlichen Bedenken des Klägers gehen fehl. Auf die diesbezüglichen zutreffenden Ausführungen in der Beschwerdeerwiderung wird zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen. Ergänzend sei lediglich folgendes ausgeführt:

Die Wehrpflicht bezieht sich nach der verfassungsrechtlichen Ermächtigung in Art. 12 a Abs. 1 GG auf den Dienst in den Streitkräften, deren primäre Aufgabe nach Art. 87 a Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 GG die Verteidigung ist. Den vorgenannten verfassungsrechtlichen Bestimmungen kann nicht entnommen werden, daß der vom Wehrpflichtigen abzuleistende Wehrdienst zwingend solche Tätigkeiten umfassen muß, die herkömmlich zum unverzichtbaren Bestandteil der Grundausbildung zählten. Wenn das Bundesverwaltungsgericht in der Vergangenheit in ständiger Rechtsprechung den ministeriellen "Tätigkeitskatalog" als sachverständige Konkretisierung der an die Grundausbildung zu stellenden Anforderungen bezeichnet hat (vgl. Urteil vom 25. Januar 1985 - BVerwG 8 C 10.83 u.a. - Buchholz 448.0 § 8 a WPflG Nr. 38), so geschah dies vor dem Hintergrund der bis zum 31. Dezember 1994 geltenden einfachgesetzlichen Rechtslage, wonach die Wehrdienstfähigkeit die zumindest eingeschränkte Verwendbarkeit des Wehrpflichtigen in der Grundausbildung voraussetzte. Damit war jedoch nicht gesagt, daß dieser Rechtszustand von Verfassungs wegen vorgegeben war, der Gesetzgeber mithin auf alle Zeit gehindert sein sollte, auch solche Wehrpflichtigen zum Wehrdienst heranzuziehen, deren Gesundheitszustand zwar den Anforderungen der Grundausbildung nicht genügt, im übrigen aber die Wahrnehmung militärisch sinnvoller Funktionen noch erlaubt. Damit bleibt der in Art. 87 a Abs. 1 GG angesprochene Verteidigungsauftrag nicht unberücksichtigt. Die Erfordernisse des Verteidigungsfalles, soweit sie sich voraussehen lassen, werden vielmehr weiterhin in die Ausgestaltung des Grundwehrdienstes und die dort zu stellenden Anforderungen auch der von der Grundausbildung freigestellten Wehrpflichtigen einfließen. Darauf, daß jeder Wehrpflichtige "im Kampfeinsatz" verwendbar sein müsse, kommt es nicht an (Urteil vom 16. Oktober 1980 - BVerwG 8 C 58.79 - Buchholz 448.0 § 33 WPflG Nr. 26 S. 29).

Die in der Beschwerdebegründung im Zusammenhang mit Art. 12 a Abs. 4 Satz 2 GG angestellten völkerrechtlichen Überlegungen geben für eine abweichende Beurteilung keinen Anhalt. Wie in dem vom Kläger zitierten Beschluß des Bundesverwaltungsgerichts vom 30. Januar 1996 - BVerwG 1 WB 89.95 - (BVerwGE 103, 301, 304) dargelegt wird, sind nach den einschlägigen völkerrechtlichen Bestimmungen Kombattanten grundsätzlich alle Angehörigen der Streitkräfte einer am Konflikt beteiligten Partei mit Ausnahme des Sanitäts- und Seelsorgepersonals. Es unterliegt daher keinen Zweifeln, daß auch solche Wehrpflichtigen den Kombattantenstatus besitzen, die unter Freistellung von der Grundausbildung Wehrdienst leisten. Da das Völkerrecht auf körperliche oder waffentechnische Fähigkeiten nicht abstellt, ergeben sich keine Konflikte zum nationalen deutschen Recht.

Wird somit die Heranziehung von Wehrpflichtigen, die wegen gesundheitlicher Einschränkungen von der Grundausbildung freizustellen sind, von der verfassungsrechtlichen Ermächtigung in Art. 12 a Abs. 1 GG gedeckt, so ist für die Annahme des Klägers, es handele sich insoweit um einen nach Art. 12 Abs. 2 GG unzulässigen Arbeitsdienst, kein Raum.

2. Daß die Übergangsvorschrift des Art. 4 § 1 Abs. 2 des obengenannten Änderungsgesetzes vom 21. Juni 1994 rechtsstaatlichen Anforderungen genügt, ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bereits geklärt. Danach kommt Wehrpflichtigen ein Vertrauensschutz gegenüber späteren Gesetzesänderungen selbst dann nicht zu, wenn in einem früheren Musterungsbescheid ausdrücklich bestimmt war, daß der Wehrpflichtige nicht für den Grundwehrdienst zur Verfügung steht. Mit Blick auf das vom Gesetzgeber angestrebte Ziel eines größeren Maßes an Wehrgerechtigkeit gilt dies auch dann, wenn das Musterungsverfahren noch unter der früheren Rechtslage eingeleitet, jedoch erst nach Inkrafttreten der Neufassung des § 8 a WPflG abgeschlossen worden ist (Beschluß vom 19. August 1996, a.a.O.).

Der Fall des Klägers gibt keinen Anlaß für eine abweichende Beurteilung. Aufgrund des Musterungsbescheides vom 18. April 1994, durch welchen er als vorübergehend nicht wehrdienstfähig eingestuft worden war, verfügte er jedenfalls nach Ablauf der Zurückstellungsfrist am 18. April 1995 über keine Rechtsposition, in die der Gesetzgeber im Sinne einer "unechten Rückwirkung" durch die genannte Novelle nachträglich entwertend eingegriffen hätte (vgl. zum Begriff und zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der unechten Rückwirkung: BVerfG, Beschluß vom 23. März 1971 - 2 BvL 17/69 - BVerfGE 30, 392, 402 f.; Urteil vom 16. Juli 1985 - 1 BvL 5/80 u.a. - BVerfGE 69, 272, 309 f.; Beschluß vom 5. Mai 1987 - 1 BvR 724/81 u.a. - BVerfGE 75, 246, 279 f.; Beschluß vom 11. Oktober 1988 - 1 BvR 743/86 u.a - BVerfGE 79, 29, 45 f.). Soweit der Kläger darauf vertraut hat, er werde nach Ablauf des Zurückstellungszeitraums bei unverändertem Gesundheitszustand weiterhin als nicht wehrdienstfähig behandelt werden, war er vor einer Enttäuschung mit Rücksicht auf das Ziel des Gesetzgebers, die Wehrgerechtigkeit zu erhöhen, nicht geschützt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des Streitwertes für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 13 Abs. 1 Satz 2, § 14 Abs. 1 und 3 GKG.

Ende der Entscheidung

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