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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 05.02.2001
Aktenzeichen: BVerwG 6 B 8.01
Rechtsgebiete: GG, EuGVÜ


Vorschriften:

GVG § 17 a
EuGVÜ Art. 21
Leitsätze:

Ist der beschrittene Rechtsweg unzulässig, entscheidet das angerufene Gericht nicht, ob die Klage wegen der Anrufung des unzuständigen Gerichts rechtsmissbräuchlich und daher unzulässig ist. Das gilt auch, wenn das Übereinkommen der Europäischen Gemeinschaft über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen zur Anwendung kommen kann.

Beschluss des 6. Senats vom 5. Februar 2001 - BVerwG 6 B 8.01 -

I. VG Düsseldorf vom 14.08.2000 - Az.: VG 3 K 1391/00 - II. OVG Münster vom 21.12.2000 - Az.: OVG 4 E 820/00 -


BUNDESVERWALTUNGSGERICHT BESCHLUSS

BVerwG 6 B 8.01 OVG 4 E 820/00

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts am 5. Februar 2001 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Bardenhewer und die Richter Dr. Hahn und Dr. Graulich

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Beklagten gegen Nr. 1 des Beschlusses des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 21. Dezember 2000 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 10 000 DM festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Klägerin hat am 2. März 2000 vor dem Verwaltungsgericht Klage gegen die in Italien geschäftsansässige Beklagte wegen einer behaupteten Patentrechtsverletzung erhoben. Das Verwaltungsgericht hat mit Beschluss vom 14. August 2000 den Verwaltungsrechtsweg für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das Landgericht Düsseldorf verwiesen. Die hiergegen von der Beklagten u.a. mit der Begründung eingelegte Beschwerde, das Verwaltungsgericht hätte den Rechtsstreit nicht an das Landgericht verweisen, sondern die Klage wegen rechtsmissbräuchlicher Anrufung des Verwaltungsgerichts als unzulässig abweisen müssen, hat das Oberverwaltungsgericht den angefochtenen Beschluss zurückgewiesen und die Beschwerde hiergegen zu gelassen.

II.

Die weitere Beschwerde der Beklagten ist gemäß § 17 a Abs. 4 Satz 4 GVG zulässig, aber nicht begründet.

Die von der Beklagten vor dem Oberverwaltungsgericht gerügten Mängel des Verfahrens im ersten Rechtszug sind ohne Bedeutung, nachdem das Oberverwaltungsgericht sie jedenfalls behoben hat. Es hat die Beklagte angehört und sodann mit begründetem Beschluss entschieden.

Die Vorinstanzen haben den Rechtsstreit zutreffend an das zuständige ordentliche Gericht verwiesen und demgemäß mit Recht die Zulässigkeit der Klage nicht weiter überprüft.

Ist der beschrittene Rechtsweg unzulässig, spricht das angerufene Gericht dies nach Maßgabe des § 17 a Abs. 2 GVG aus und verweißt den Rechtsstreit zugleich an das zuständige Gericht des zulässigen Rechtswegs.

Bei Unzulässigkeit des Rechtsweges für den von dem Kläger erhobenen Anspruch steht dem angerufenen Gericht im Grundsatz (zu einer vom Bundesgerichtshof angenommenen Ausnahme vgl. dessen Beschluss vom 17. Juni 1993 - V ZB 31/92 - NJW 1993, 2541 <2542>; a.A. BVerwG, Beschluss vom 14. November 1983 - 1 WB 128/83 - NVwZ 1984, 590 <L.S.> sowie BSG, Urteil vom 16. Juni 1999 - B 9 V 24/98 R - NVwZ-RR 2000, 648) nicht die Befugnis zu, über die Zulässigkeit der Klage im Übrigen zu entscheiden (vgl. bereits BVerwG, Beschluss vom 22. Februar 1998 - BVerwG 6 P 3.97 - Buchholz 300 § 17 a GVG Nr. 14). Das ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des § 17 a Abs. 2 GVG, der keinen Anhalt dafür bietet, dass das angerufene Gericht über die Entscheidung über den Rechtsweg hinaus eine Prüfungskompetenz hätte. Die grundsätzliche Beschränkung auf die Prüfung des zutreffenden Rechtswegs ist zudem eine Konsequenz aus dem Erfordernis, dass der gesetzliche Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) darüber zu entscheiden hat, ob die Klage zulässig und begründet ist. Die Regelung des § 17 a GVG dient auch dazu, einen Rechtsstreit möglichst schnell und verlässlich dem gesetzlichen Richter zuzuführen (vgl. BTDrucks 11/7030, S. 36). Dieser hat auch darüber zu befinden, ob die Anrufung eines Gerichts des unrichtigen Rechtsweges rechtsmissbräuchlich ist und welche Konsequenzen aus einem Rechtsmissbrauch gegebenenfalls zu ziehen sind. Es ist nämlich nicht ohne weiteres eindeutig, dass in solchen Fällen eine Klage stets unzulässig ist. Je nach Lage des Falles ist es denkbar, dass der in der Anrufung des Gerichts des unzutreffenden Rechtswegs unter Umständen liegende Rechtsmissbrauch anders als durch das Verdikt der Unzulässigkeit der Klage sanktioniert werden kann und muss. Geht es etwa um die materiellrechtliche Bedeutung der Rechtshängigkeit (z.B. §§ 291, 292, 987 ff., 1007 Abs. 3 BGB), kann es möglicherweise die zweckgerechte Anwendung derartiger Vorschriften erfordern, ihre Wirkungen erst von dem Zeitpunkt an eintreten zu lassen, in dem dem jeweiligen Beklagten die Klageschrift zugegangen ist (vgl. dazu auch Schneider/Schneider, MDR 1986, 459 <460> sowie zur Wirkung des § 262 ZPO in derartigen Fällen Jauernig, NJW 1986, 34 <35>), ohne dass die Klage wegen der Anrufung des Gerichts des unrichtigen Rechtswegs als unzulässig angesehen werden müsste. Die Klärung der Folgen der Anrufung eines Gerichts des unzutreffenden Rechtswegs muss daher Aufgabe des zuständigen Gerichts bleiben. Müsste das zuerst angerufene Gericht über derartige, unter Umständen schwierige Rechtsfragen vorab entscheiden, würde zudem das Beschleunigungsziel des § 17 a GVG verfehlt.

Der internationale Bezug der vorliegenden Sache erlaubt keine andere Beurteilung. Die Beklagte macht geltend, die Klägerin habe die Klage deswegen beim unzuständigen Verwaltungsgericht erhoben, weil sie einer befürchteten Klage der Beklagten gegen sie mit demselben Streitgegenstand bei dem Gericht eines anderen Mitgliedstaats der Europäischen Gemeinschaft habe zuvorkommen wollen, der gemäß Art. 21 EuGVÜ aus Zeitgründen der Vorrang gegenüber ihrer eigenen Klage zugekommen wäre; dabei habe sie sich in unzulässiger Weise den Umstand zunutze machen wollen, dass im Falle einer Klage vor dem Verwaltungsgericht nach § 90 i.V.m. § 81 Abs. 1 VwGO die Streitsache bereits mit der Einreichung der Klageschrift rechtshängig werde, wohingegen bei einer Klage vor dem Landgericht zur Rechtshängigkeit nach § 261 Abs. 1 i.V.m. § 253 Abs. 1 ZPO zusätzlich die Zustellung der Klageschrift an den Beklagten erforderlich sei, die sich bei Vornahme im Ausland erfahrungsgemäß erheblich verzögere. Auch unter diesem Gesichtspunkt erweist sich die von der Beklagten erstrebte sofortige Abweisung der Klage durch das unzuständige Verwaltungsgericht nicht als gerechtfertigt. Selbst wenn nämlich das Verhalten der Klägerin aus den von der Beklagten angeführten Gründen als rechtsmissbräuchlich zu bewerten sein sollte, käme wiederum als geeignete Rechtsfolge nicht allein die Abweisung der Klage als unzulässig, sondern stattdessen auch die Annahme in Betracht, dass trotz Erhebung der Klage vor dem Verwaltungsgericht die Wirkungen der Rechtshängigkeit keinesfalls vor der Zustellung der Klageschrift an die Beklagte eintreten konnten; dies würde möglicherweise gemäß Art. 21 EuGVÜ zum Vorrang einer zweiten, bis zu diesem Zeitpunkt von der Beklagten erhobenen Klage vor einem ausländischen Gericht führen, weil die Voraussetzungen der (endgültigen) Anhängigkeit der Streitsache dort zuerst vorgelegen haben (vgl. EuGH, Urteil vom 7. Juni 1984 - Rs 129/83 - NJW 1984, 2759; dazu Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, 3. Aufl. 1997, S. 676 ff. <Rn. 2697 ff.>). Auch über diese Fragen hat, soweit erforderlich, der gesetzliche Richter des zulässigen Rechtswegs zu befinden. Dessen Erkenntnisse können nicht durch das Verwaltungsgericht durch Abweisung der Klage als unzulässig gleichsam vorweggenommen werden.

Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des Wertes des Streitgegenstandes beruht auf § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.



Ende der Entscheidung

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