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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 26.03.2003
Aktenzeichen: BVerwG 6 C 24.02
Rechtsgebiete: VwGO, VwVfG, WPflG, KDVG, BGB


Vorschriften:

VwGO § 72
VwGO § 73 Abs. 3 Satz 2
VwVfG § 43
VwVfG § 48
VwVfG § 50
VwVfG § 80 Abs. 1 Satz 1
VwZG § 4 Abs. 1
WPflG § 29 Abs. 1 Nr. 7
WPflG § 33
KDVG § 3 Abs. 2
KDVG § 3 Abs. 4
KDVG § 3 Abs. 5
KDVG § 3 Abs. 9
BGB § 162
BGB § 242
Die Entscheidung einer Wehrersatzbehörde, einen Einberufungsbescheid nach § 48 VwVfG aufzuheben, anstatt dem gegen ihn eingelegten Widerspruch nach § 72 VwGO unter Beifügung einer Kostenentscheidung abzuhelfen, ist nicht treuwidrig, wenn sie damit auf einen Kriegsdienstverweigerungsantrag reagiert, der zwischen Absendung und vermutetem Zugang (§ 4 Abs. 1 VwZG) des Einberufungsbescheides gestellt worden ist.
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

BVerwG 6 C 24.02

Verkündet am 26. März 2003

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts am 26. März 2003 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Bardenhewer sowie die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Hahn, Dr. Gerhardt, Büge und Dr. Graulich

für Recht erkannt:

Tenor:

Das Urteil des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main vom 14. März 2002 wird aufgehoben.

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe:

I.

Mit Bescheid vom 24. Mai 1999 berief das Kreiswehrersatzamt W. den Kläger zum 2. November 1999 zur Ableistung des Grundwehrdienstes ein. Der am 31. Mai 1999 per Einschreiben abgesandte Bescheid ging dem Kläger ein oder zwei Tage später zu. Am 2. Juni 1999 stellte der Kläger durch seinen Prozessbevollmächtigten einen Antrag auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer. Am 4. Juni 1999 legte der Bevollmächtigte namens des Klägers Widerspruch gegen den Einberufungsbescheid vom 24. Mai 1999 ein. Das Kreiswehrersatzamt W. hob mit Bescheid vom 7. Juni 1999 den Einberufungsbescheid auf. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass der Kläger vor der Zustellung des Einberufungsbescheides einen Antrag auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer gestellt habe. Gemäß § 3 Abs. 2 KDVG sei eine Einberufung zum Wehrdienst erst zulässig, wenn der Antrag unanfechtbar oder rechtskräftig abgelehnt oder zurückgenommen worden sei. Der Einberufungsbescheid sei daher von Amts wegen aufzuheben. Ferner wurde ausgeführt, einer Entscheidung über den Widerspruch vom 4. Juni 1999 gegen den Einberufungsbescheid vom 24. Mai 1999 bedürfe es nicht mehr. Das Widerspruchsverfahren werde für erledigt erklärt. Das Verfahren sei kostenfrei.

Gegen den Bescheid vom 7. Juni 1999 legte der Kläger am 14. Juni 1999 Widerspruch ein, mit dem er eine Kostengrundentscheidung zu seinen Gunsten und den Ersatz seiner Anwaltskosten beanspruchte. Die Wehrbereichsverwaltung IV wies den Widerspruch mit Bescheid vom 5. Juli 1999 zurück. Zur Begründung wurde ausgeführt, eine Kostenentscheidung müsse nach § 72 VwGO nur dann ergehen, wenn die Behörde dem Widerspruch abhelfe, also über den Widerspruch entscheide. Erledige sich das Verfahren dagegen durch Rücknahme außerhalb des Widerspruchsverfahrens, so sei für eine Kostenentscheidung kein Raum mehr. Das Kreiswehrersatzamt W. habe mit dem Bescheid vom 7. Juni 1999 keine Abhilfeentscheidung im Sinne des § 72 VwGO getroffen, sondern den Einberufungsbescheid widerrufen und festgestellt, dass es einer Entscheidung über den Widerspruch nicht mehr bedürfe. Zugleich sei das Widerspruchsverfahren für erledigt erklärt worden. Der mittels eingeschriebenem Brief zugestellte Einberufungsbescheid des Amtes vom 24. Mai 1999 sei von Amts wegen zu widerrufen gewesen, da innerhalb der Zustellungsfiktion gemäß § 4 VwZG ein Antrag auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer beim Kreiswehrersatzamt W. eingegangen sei, der gemäß § 3 KDVG aufschiebende Wirkung entfaltet bzw. ein Einberufungshindernis dargestellt habe.

Auf die rechtzeitig erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht die Beklagte verpflichtet, den Bescheid vom 7. Juni 1999 um die Feststellungen zu ergänzen, dass dem Kläger die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgerung notwendigen Aufwendungen zu erstatten sind und dass die Zuziehung eines Bevollmächtigten notwendig war. Zur Begründung hat es u.a. ausgeführt:

Der Kläger habe nach § 72 VwGO, § 80 Abs. 1 Satz 1 VwVfG einen Anspruch auf eine Kostenentscheidung und einen Kostenerstattungsanspruch. Die Entscheidung des Kreiswehrersatzamtes für einen Aufhebungsbescheid anstelle einer Abhilfeentscheidung über den Widerspruch sei ermessensfehlerhaft. Wegen der Fehlerhaftigkeit dieser Entscheidung sei die Sache so zu behandeln, als sei der Widerspruch des Klägers gegen den Einberufungsbescheid "erfolgreich" im Sinne von § 72 VwGO, § 80 Abs. 1 Satz 1 VwVfG gewesen. Wie im Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 18. April 1996 - BVerwG 4 C 6.95 - (BVerwGE 101, 64) ausgeführt sei, müsse die Ausgangsbehörde prüfen, ob es sachgerecht sei, von einer Abhilfe abzusehen und eine Rücknahme auszusprechen. Diese Voraussetzungen seien nicht gegeben. Entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten habe sich das Widerspruchsverfahren nicht dadurch erledigt, dass der Kläger einen Antrag auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer gestellt habe. Vielmehr habe der Kläger diesen Antrag schon vor der Zustellung des Einberufungsbescheides gestellt, so dass das Kreiswehrersatzamt dem gegen diesen Bescheid gerichteten Widerspruch habe abhelfen können. Das Kreiswehrersatzamt habe bei der Entscheidung für die Aufhebung des Einberufungsbescheides - und damit implizit gegen den Erlass eines Abhilfebescheides - überhaupt kein Ermessen ausgeübt. Dies ergebe sich bereits aus der Begründung des Bescheides vom 7. Juni 1999, die in Kenntnis des zwischenzeitlich eingelegten Widerspruchs gegeben worden sei. Dort heiße es unter anderem: "Der Einberufungsbescheid ist daher von Amts wegen aufzuheben." Welche Überlegungen es im Allgemeinen rechtfertigen könnten, bei einem eingelegten Widerspruch den Verwaltungsakt in Anwendung der §§ 48 ff. VwVfG aufzuheben, anstatt eine Abhilfeentscheidung nach § 72 VwGO zu erlassen, müsse hier nicht entschieden werden. Dem genannten Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 18. April 1996 sei jedoch zu entnehmen, dass bei (eindeutig) zulässigem und begründetem Widerspruch der Erlass eines Aufhebungsbescheides als Ausnahme anzusehen sei. Dies folge daraus, dass nur die Entscheidung für die Aufhebung - und nicht eine für die Abhilfe - besonderer Prüfung und Begründung bedürfe. Das "übliche Verfahren" sei und bleibe bei dieser Fallkonstellation der Erlass einer Abhilfeentscheidung.

Zur Begründung ihrer Revision trägt die Beklagte vor: Nach den tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts sei davon auszugehen, dass es sich bei der streitigen Behördenentscheidung nicht um eine Abhilfeentscheidung gemäß § 72 VwGO handele, die mit einer Kostenentscheidung zu versehen gewesen sei. Eine solche sei dessen ungeachtet auch deswegen nicht zu treffen gewesen, weil sich das Widerspruchsverfahren durch Stellung des Antrages auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer zwischen Ausgang und fiktivem Zugang des Einberufungsbescheides erledigt habe. Es bestehe kein rechtlich relevanter Zusammenhang zwischen der Rücknahmeentscheidung und dem vorangegangenen Widerspruch. Der Widerspruch selbst sei erkennbar nicht der Anlass für die Entscheidung der Beklagten gewesen.

Die Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil und führt ergänzend aus: Die Rechtswidrigkeit des Einberufungsbescheides folge im vorliegenden Fall unmittelbar aus § 3 Abs. 2 KDVG. Ferner lasse sich der von der Beklagten bestrittene, rechtlich relevante Zusammenhang zwischen dem Antrag auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer und Rücknahme des Einberufungsbescheides schon deswegen nicht bestreiten, weil die Beklagte im Aufhebungsbescheid selbst darauf ausdrücklich Bezug genommen habe.

II.

Die Revision hat Erfolg. Das stattgebende Urteil des Verwaltungsgerichts verletzt Bundesrecht. Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.

1. Die Klage ist als Verpflichtungsklage (§ 42 VwGO) zulässig. Der stattgebende erstinstanzliche Ausspruch, den der Kläger im Revisionsverfahren verteidigt, ist dem Wortlaut von § 80 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 2 VwVfG nachgebildet. Beide genannten Vorschriften setzen die Notwendigkeit einer Kostengrundentscheidung zugunsten des Erstattungsberechtigten voraus (s. § 80 Abs. 3 Satz 1 VwVfG i.V.m. §§ 72, 73 Abs. 3 Satz 2 VwGO), die vom Kläger auch ausdrücklich in seinen Klageantrag vom 8. Dezember 1999 aufgenommen worden ist, sich jedoch in dem Urteilsausspruch des Verwaltungsgerichts nicht wieder findet. Ein dahingehendes Begehren ist unbedenklich. Der Widerspruchsführer kann die Behörde auf eine positive Kostengrundentscheidung klageweise in Anspruch nehmen; in diesem Rahmen erstreckt sich die gerichtliche Prüfung auch darauf, ob die Behörde überhaupt verpflichtet war, eine Kostenentscheidung zu treffen (vgl. BVerwGE 62, 296, 298; 77, 268, 270; 101, 64, 68).

2. Die Verpflichtungsklage ist jedoch unbegründet, denn der Kläger hat entgegen der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts keinen Anspruch auf eine Kostengrundentscheidung zu seinen Gunsten und die zugleich erstrebten weitergehenden Feststellungen zur Kostenerstattungspflicht der Beklagten. Der vom Verwaltungsgericht angenommene Ermessensfehler trägt das angefochtene Urteil nicht.

Rechtsgrundlage für die streitgegenständliche Kostengrundentscheidung ist § 72 VwGO i.V.m. § 80 Abs. 1 Satz 1 VwVfG. Die danach erforderliche Abhilfeentscheidung ist nicht ergangen. Der Widerspruchsführer ist zwar so zu stellen, als wäre eine Abhilfeentscheidung ergangen, wenn die Voraussetzungen dafür vorgelegen haben (a) und die an ihrer Stelle getroffene Entscheidung für einen Rücknahmebescheid gemäß § 48 VwVfG treuwidrig war (b). An Letzterem fehlt es hier aber.

a) Die Voraussetzungen zum Erlass einer Abhilfeentscheidung gemäß § 72 VwGO lagen allerdings vor, denn der Widerspruch des Klägers war zulässig und begründet.

aa) Der Kläger hat mit seinem Telefaxschreiben vom 4. Juni 1999, das an demselben Tage beim Kreiswehrersatzamt einging, dem Einberufungsbescheid vom 24. Mai 1999 in zulässiger Weise widersprochen. Der Einberufungsbescheid war am 3. Juni 1999 und damit vor der Einlegung des Widerspruchs wirksam geworden (§ 43 Abs. 1 Satz 1 VwVfG), weil er am 31. Mai 1999 per Einschreiben an den Kläger abgesandt worden war und somit gemäß § 4 Abs. 1 VwZG am dritten Tag nach Absendung als zugestellt galt. Er war auch nicht etwa wegen des am 2. Juni 1999 gestellten Antrags des Klägers auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer als von vornherein gegenstandslos oder unbeachtlich anzusehen. Zwar steht nach § 3 Abs. 2 KDVG der Antrag auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer unter den dort näher beschriebenen Voraussetzungen der Heranziehung zum Wehrdienst entgegen. Doch nimmt diese Vorschrift dem gleichwohl ergangenen Einberufungsbescheid nicht seine Wirksamkeit, sondern berechtigt den Wehrpflichtigen allenfalls zur Anfechtung des Bescheides wegen Rechtswidrigkeit der Heranziehung zum Wehrdienst. Ähnliches gilt nach § 29 Abs. 1 Nr. 7 WPflG für einen nach der Einberufung gestellten Antrag auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer, weil nach dieser Vorschrift ein aufgrund der Wehrpflicht Wehrdienst leistender Soldat erst nach seiner Anerkennung aus dem Wehrdienst zu entlassen ist; bis zur Unanfechtbarkeit seiner Anerkennung bleibt er zum Dienst verpflichtet (vgl. Steinlechner/Walz, Wehrpflichtgesetz, 6. Aufl. 2003, § 29 Rn. 21). Eine Erledigung des gegen den Einberufungsbescheid gerichteten Widerspruchsverfahrens ist somit erst durch den Aufhebungsbescheid vom 7. Juni 1999 eingetreten.

bb) Der Widerspruch gegen den Einberufungsbescheid war infolge des Antrages auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer auch begründet. Nach § 3 Abs. 2 Satz 1 KDVG ist eine Einberufung zum Wehrdienst vom Zeitpunkt der Stellung des Antrages auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer an erst zulässig, wenn der Antrag unanfechtbar oder rechtskräftig abgelehnt oder zurückgenommen worden ist. Mit dem vom Kläger am 2. Juni 1999 gestellten Antrag auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer trat somit eine Einberufungssperre ein, die zur Rechtswidrigkeit des am 3. Juni 1999 wirksam gewordenen Einberufungsbescheides führte. Dies gilt auch für den Fall, dass der Kläger bei der Stellung des Anerkennungsantrages bereits Kenntnis von dem Einberufungsbescheid hatte. Die in § 3 Abs. 2 Satz 1 KDVG vorgesehene Einberufungssperre als Folge des Antrages auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer wird nämlich auch dann ausgelöst, wenn der Antrag erst in Reaktion auf den tatsächlichen Empfang des am vorangehenden Tag als Einschreiben bei der Post aufgegebenen Einberufungsbescheides gestellt wird (Urteil vom 3. Juli 1987 - BVerwG 8 C 28.85 - Buchholz 448.6 § 3 KDVG Nr. 3).

b) Der Kläger ist jedoch nicht so zu stellen, als wäre eine Abhilfeentscheidung ergangen, weil die an ihrer Stelle von der Beklagten getroffene Entscheidung für einen Rücknahmebescheid gemäß § 48 VwVfG nicht treuwidrig war.

aa) Erkennt die Behörde nach eingelegtem Widerspruch, dass der angefochtene Verwaltungsakt rechtswidrig und zugleich deswegen der Widerspruch Erfolg versprechend ist, so stehen ihr grundsätzlich zwei Verfahrensarten zu Gebote: Sie kann dem Widerspruch unter Aufhebung des angefochtenen Bescheides nach § 72 VwGO abhelfen und damit das Widerspruchsverfahren zugunsten des Widerspruchsführers formell abschließen. Sie kann aber auch in einem eigenständigen Verwaltungsverfahren außerhalb des Widerspruchsverfahrens den als rechtswidrig erkannten Verwaltungsakt nach § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG zurücknehmen; auch damit ist der Verwaltungsakt aufgehoben (vgl. § 43 Abs. 2 VwVfG). Beide Verfahrensweisen tragen dem Anliegen des Widerspruchsführers in der Sache Rechnung. Sie unterscheiden sich der Form nach sowie hinsichtlich der kostenrechtlichen Nebenfolgen. Während § 72 VwGO für die Abhilfeentscheidung einen Kostenausspruch vorschreibt, der in der Regel nach Maßgabe von § 80 Abs. 1 Satz 1 VwVfG zugunsten des Widerspruchsführers auszufallen hat, ist Vergleichbares für die Rücknahme eines belastenden Verwaltungsakts nach § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG nicht vorgesehen.

bb) Die Wahlfreiheit der Behörde zwischen beiden Verfahrensweisen steht unter dem Vorbehalt, dass der auch im öffentlichen Recht geltende Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) einzuhalten ist. Wählt die Behörde den Weg der Rücknahme nach § 48 VwVfG ausschließlich deswegen, weil sie bei erkannter Erfolgsaussicht des Widerspruchs den Widerspruchsführer um den zu erwartenden Kostenanspruch bringen will, so fällt ihr ein Formenmissbrauch zur Last mit der Folge, dass die behördliche Formenwahl nach den Grundsätzen von Treu und Glauben unbeachtlich ist. In dieselbe Richtung weist der in § 162 Abs. 1 BGB angelegte Rechtsgedanke, wonach niemand aus einem von ihm treuwidrig verhinderten Ereignis Vorteile soll ziehen dürfen (vgl. Beschluss vom 18. Mai 1993 - BVerwG 4 B 65.93 - Buchholz 406.11 § 30 BauGB Nr. 33; Urteil vom 25. Oktober 1996 - BVerwG 8 C 24.96 - BVerwGE 102, 194, 199). Unterlässt die Behörde daher treuwidrig die Abhilfeentscheidung nach § 72 VwGO, ohne die der Kostenerstattungsanspruch des Widerspruchsführers nach § 80 Abs. 1 Satz 1 VwVfG ausscheidet, dann ist sie im Hinblick auf die Kosten so zu stellen, als wäre die Abhilfeentscheidung ergangen (vgl. Urteil vom 18. April 1996 - BVerwG 4 C 6.95 - BVerwGE 101, 64, 72).

cc) Entscheidet sich die Behörde trotz von ihr erkannter Zulässigkeit und Begründetheit des Widerspruchs für den Weg der Rücknahme nach § 48 VwVfG, so handelt sie nur dann im Sinne der vorangegangenen Ausführungen rechtsmissbräuchlich, wenn ihr gute Gründe für diese Verfahrensweise nicht zur Seite stehen. Solche Gründe liegen hier vor:

Wie die Beklagte zu Recht hervorhebt, ist das die Rechtswidrigkeit der Einberufung bewirkende Ereignis - der Antrag auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer - erst eingetreten, nachdem das Kreiswehrersatzamt sich des Einberufungsbescheides mit dessen Absendung bereits entäußert hatte. Die Beklagte ist mithin durch den Antrag des Klägers auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer erst zu diesem Zeitpunkt und kurz vor der Zustellung des Einberufungsbescheides und dem dagegen gerichteten Widerspruch des Klägers ins Unrecht gesetzt worden. Es war daher von vornherein zu erwarten, dass das Kreiswehrersatzamt den schon abgesandten Einberufungsbescheid unabhängig von einem Rechtsbehelf des Klägers aufheben würde. Ein solcher Vorgang kommt einem Ereignis nahe, welches nach eingelegtem Widerspruch zur Erledigung des angefochtenen Verwaltungsakts und damit zugleich des Widerspruchsverfahrens führt. Erledigt sich aber der Widerspruch, so war dieser nicht erfolgreich im Sinne von § 80 Abs. 1 Satz 1 VwVfG mit der Folge, dass es an der wesentlichen Voraussetzung für den Kostenerstattungsanspruch des Widerspruchsführers fehlt (vgl. Urteil vom 18. April 1996 a.a.O. S. 68).

Das die Rechtswidrigkeit der Einberufung auslösende Ereignis lag hier auch nicht im behördlichen Verantwortungsbereich, sondern in demjenigen des Widerspruchsführers, so dass auch insoweit §§ 162, 242 BGB keine Wertung zugunsten des Klägers gebieten. Zwar trägt grundsätzlich die Behörde die Verantwortung dafür, dass die von ihr erlassenen Bescheide der Rechtsordnung entsprechen; dies gilt auch im Hinblick auf etwaige Rechtswidrigkeitsgründe, die unmittelbar vor dem Wirksamwerden des Bescheides ohne die Möglichkeit einer rechtzeitigen Reaktion der Behörde eintreten. Doch darf im vorliegenden Fall nicht außer Acht bleiben, dass der Kläger seine Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer erst im Zeitraum zwischen Absendung des Einberufungsbescheides und Eintritt der Zustellungsfiktion beantragt hat. Der Kläger hat mithin den Antrag auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer, der ihn vor der Heranziehung zum Wehrdienst bewahren sollte, sehr spät gestellt. Der Antrag eines ungedienten Wehrpflichtigen soll vierzehn Tage vor der Musterung eingereicht werden (§ 2 Abs. 4 Satz 1 KDVG). Eine spätere Antragstellung ist zwar nicht ausgeschlossen, dies schon gar nicht, wenn die Gründe dafür erst zu einem späteren Zeitpunkt eintreten. Wie sich aus § 3 Abs. 2 Satz 2 KDVG ergibt, mutet der Gesetzgeber aber demjenigen Wehrpflichtigen eine Verschlechterung seiner Rechtsstellung zu, der mit seinem Antrag erst auf eine Einberufung reagiert. Ein solcher Kriegsdienstverweigerer hat der Einberufung zunächst Folge zu leisten. Er kann auch nicht im vereinfachten Verfahren vor dem Bundesamt anerkannt werden (§ 4 Abs. 1, § 5 Abs. 1 KDVG). Er muss sich vielmehr dem Verfahren vor dem Ausschuss stellen (§ 9 Abs. 1 Satz 1 KDVG), dessen Prüfung sich u.a. dem Umstand der späten Antragstellung widmen wird. Aus alledem wird die Vorstellung des Gesetzgebers ersichtlich, wonach der Wehrpflichtige sich in der regelmäßig nicht knapp bemessenen Zeit zwischen Musterung und Einberufung Gewissheit darüber verschaffen soll, ob ihm sein Gewissen die Ableistung des Wehrdienstes verbietet. Dem hat der Kläger mit seiner Antragstellung nach Absendung, aber vor Zustellung des Einberufungsbescheides nur noch "so gerade eben" Rechnung getragen. Anhaltspunkte dafür, dass die Gewissensgründe für seine Kriegsdienstverweigerung erst zwischen Absendung des Einberufungsbescheides und der Zustellung eingetreten sind, können seinem Vorbringen nicht entnommen werden. Die späte Antragstellung, die im Hinblick auf die gesetzliche Regelfolge des § 3 Abs. 2 KDVG in buchstäblich letzter Sekunde erfolgte, liegt in seinem Verantwortungsbereich. Er hätte den Zeitraum zwischen Musterung (27. Januar 1999) und Absendung des Einberufungsbescheides schon länger für eine Antragstellung nutzen können. Dann wäre er nicht einberufen worden, so dass das kostenträchtige Widerspruchsverfahren unterblieben wäre.

3. Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Beschluss

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 250,53 ? festgesetzt.

Ende der Entscheidung

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