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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 18.03.2004
Aktenzeichen: BVerwG 6 PB 16.03
Rechtsgebiete: BPersVG, ZPO


Vorschriften:

BPersVG § 83
ZPO § 85
ZPO § 233
1. Der Rechtsanwalt muss für eine Büroorganisation sorgen, die eine Überprüfung der per Telefax übermittelten Schriftsätze auch auf Verwendung einer zutreffenden Empfängernummer gewährleistet.

2. Zur Frage, ob und inwieweit das Verschulden eines in einer Sozietät angestellten Rechtsanwalts der Partei zuzurechnen ist.


BUNDESVERWALTUNGSGERICHT BESCHLUSS

BVerwG 6 PB 16.03

In der Personalvertretungssache

hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts am 18. März 2004 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Bardenhewer und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Büge und Vormeier

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Antragstellers gegen die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde im Beschluss des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts - Fachsenat für Personalvertretungssachen des Bundes - vom 29. Oktober 2003 wird zurückgewiesen.

Gründe:

Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg. Die hier allein erhobene und statthafte Abweichungsrüge greift nicht durch (§ 83 Abs. 2 BPersVG i.V.m. § 72 Abs. 2 Nr. 2, § 92 Abs. 1 Satz 2, § 92 a Satz 1 ArbGG).

1. Auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. April 1988 - BVerwG 9 C 271.86 - (Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 155) kann sich der Antragsteller zur Begründung seiner Abweichungsrüge nicht mit Erfolg berufen. Denn diese Entscheidung ist durch neuere Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts überholt, mit welcher der angefochtene Beschluss im Einklang steht. Unter diesen Umständen kann durch die Zulassung der Rechtsbeschwerde der Zweck der Divergenzrüge, der durch unterschiedliche Rechtsprechung der Oberverwaltungsgerichte und des Bundesverwaltungsgerichts gefährdeten Rechtseinheit entgegenzuwirken, nicht erreicht werden (vgl. Beschluss vom 15. Oktober 2002 - BVerwG 6 PB 7.02 - Buchholz 250 § 108 BPersVG Nr. 5 S. 15, 17 m.w.N.).

Nach dem im zitierten Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. April 1988 enthaltenen Rechtssatz tut ein bevollmächtigter Rechtsanwalt mit der Übergabe eines ordnungsgemäß adressierten Schriftsatzes an eine bisher zuverlässige Büroangestellte zur Aufgabe als Telebrief auch in Anbetracht des nahen Fristendes alles in seiner Verantwortung Liegende, damit die Rechtsmittelbegründung noch am selben Tag beim zuständigen Gericht eingehen kann, so dass die versehentliche Verwechslung von Faxnummern durch die Büroangestellte für den Rechtsanwalt einen unabwendbaren, die Gewährung von Wiedereinsetzung rechtfertigenden Zufall darstellt (a.a.O. S. 7 f.; ebenso noch Beschluss vom 30. Januar 1997 - BVerwG 2 B 102.96 -; Beschluss vom 6. August 1997 - BVerwG 4 B 124.97 - Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 213). Demgegenüber verlangt das Oberverwaltungsgericht im angefochtenen Beschluss zusätzlich, dass ein Rechtsanwalt, der fristgebundene Schriftsätze per Telefax einreicht, durch organisatorische Anweisungen sicherstellt, dass die für das angeschriebene Gericht zutreffende Telefaxnummer verwendet und dass anhand des Sendeberichts eine entsprechende Kontrolle vorgenommen wird. Das vom Oberverwaltungsgericht an die Rechtsanwälte gerichtete Gebot, durch generelle Maßnahmen der Büroorganisation für eine effiziente Ausgangskontrolle zu sorgen, damit Fehler bei der Verwendung der Faxnummern nach Möglichkeit vermieden werden, steht im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. Beschluss vom 3. Dezember 1996 - XI ZB 20/96 - NJW 1997, 948; Beschluss vom 20. Dezember 1999 - II ZB 7/99 - NJW 2000, 1043; Beschluss vom 10. Januar 2000 - II ZB 14/99 - NJW 2000, 1043, 1044; Beschluss vom 28. März 2001 - XII ZB 32/01 - NJW-RR 2001, 1071; Beschluss vom 7. Mai 2001 - II ZB 16/00 - BGH-Report 2001, 809; Beschluss vom 12. März 2002 - IX ZR 220/01 - NJW-RR 2002, 860, 861; Beschluss vom 24. April 2002 - AnwZ 7/01 -) und des Bundesarbeitsgerichts (Urteil vom 30. März 1995 - 2 AZR 1020/94 - BAGE 79, 379, 382 f.; Urteil vom 25. Januar 2001 - 8 AZR 525/00 - AP Nr. 71 zu § 233 ZPO 1977; ebenso jetzt auch BFH, Urteil vom 24. April 2003 - VII R 47/02 - BFHE 202, 44, 48). In Übereinstimmung damit verlangt nunmehr auch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, dass der Rechtsanwalt für eine Büroorganisation sorgen muss, die eine Überprüfung der per Telefax übermittelten Schriftsätze auch auf Verwendung einer zutreffenden Empfängernummer gewährleistet (Beschluss vom 13. Februar 1998 - BVerwG 7 B 439.97 -; Beschluss vom 4. August 2000 - BVerwG 3 B 75.00 - Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 235; Beschluss vom 26. April 2002 - BVerwG 3 B 31.02 -).

2. Die Abweichungsrüge greift ferner nicht durch, soweit sie sich auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 16. Oktober 1984 - BVerwGE 9 C 453.82 - (Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 144) beruft.

a) Von diesem Urteil weicht der angefochtene Beschluss nicht ab.

Der Antragsteller entnimmt dem angefochtenen Beschluss folgenden Rechtssatz: "Das Verschulden eines angestellten Rechtsanwalts ist den Bevollmächtigten zuzurechnen, wenn dieser mit der selbständigen Bearbeitung von Rechtssachen betraut ist" (S. 5 der Beschwerdebegründung). Nach Auffassung des Antragstellers lässt es das Oberverwaltungsgericht für die Zurechenbarkeit des Verschuldens genügen, dass der angestellte Anwalt überhaupt Mandate selbständig bearbeitet (S. 6 der Beschwerdebegründung). So ist der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts indes nicht zu verstehen.

Auf Seite 10 seines Beschlusses hat das Oberverwaltungsgericht ausgeführt, dass das Verschulden des bei den bevollmächtigten Rechtsanwälten angestellten und mit der selbständigen Bearbeitung von Rechtssachen betrauten Rechtsanwalts M. dem Antragsteller gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen sei. Zum Beleg hat es auf den Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 6. Februar 2001 - XI ZB 14/00 - (NJW 2001, 1575) verwiesen. Dieser Beschluss enthält folgenden Rechtssatz: "Als Bevollmächtigter einer Partei, deren Verschulden dem Parteiverschulden gemäß § 85 Abs. 2 ZPO gleichsteht, sind nicht nur ein Sozius des Prozessbevollmächtigten, sondern auch bei ihm zur selbständigen Bearbeitung von Sachen angestellte Rechtsanwälte anzusehen." Diesem Rechtssatz liegt der Typus eines angestellten Rechtsanwalts zugrunde, der von der Sozietät - einem Sozius vergleichbar - generell mit der selbständigen Bearbeitung von Rechtssachen beauftragt ist. Das Verschulden eines solchen Rechtsanwalts muss sich nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs - dies ergibt sich insbesondere aus der Bezugsnahme auf das Urteil vom 5. November 1993 - V ZR 1/93 - (BGHZ 124, 47) im zitierten Beschluss vom 6. Februar 2001 - die Partei über § 85 Abs. 2 ZPO auch dann zurechnen lassen, wenn der Rechtsanwalt in einer Sache tätig wird, in welcher er nicht Sachbearbeiter ist. Von einem derartigen Typus eines angestellten Rechtsanwalts ist das Oberverwaltungsgericht bei Rechtsanwalt M. ersichtlich ausgegangen, und auf dieser Grundlage entspricht die Zurechnung des Anwaltsverschuldens nach § 85 Abs. 2 ZPO der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs.

Freilich handelt es sich dabei nicht um den einzigen Typus eines in der Sozietät angestellten Rechtsanwalts. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kennt auch den Typus des nur zuarbeitenden Rechtsanwalts. Ob ein Rechtsanwalt in einer Anwaltskanzlei bloßer Hilfsarbeiter oder selbständig tätiger Mitarbeiter ist, beurteilt sich anhand der gesamten Umstände des Einzelfalls (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Mai 1982 - VIII ZB 4/82 - VersR 1982, 770 f.; Beschluss vom 18. Mai 1982 - VI ZB 1/82 - VersR 1982, 848; Beschluss vom 10. November 1983 - VII ZB 14/83 - VersR 1984, 87 f.; Beschluss vom 23. Februar 1984 - III ZR 33/83 - VersR 1984, 443; Beschluss vom 1. April 1992 - XII ZB 21/92 - NJW-RR 1992, 1019). Dem in der Beschwerdebegründung zitierten Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 16. Oktober 1984 lag der Typus eines angestellten Rechtsanwalts zugrunde, dem die selbständige Bearbeitung von Rechtssachen nicht generell, sondern im Einzelfall übertragen wurde. Der auf dieser Grundlage formulierte Rechtssatz, der angestellte Rechtsanwalt sei nicht Bevollmächtigter der Partei in anderen, ihm nicht zur selbständigen Bearbeitung übertragenen Sachen, widerspricht der zitierten, zu einem anderen Typus eines angestellten Rechtsanwalts ergangenen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht, auf die das Oberverwaltungsgericht sich im angefochtenen Beschluss berufen hat. Ob das Oberverwaltungsgericht Rechtsanwalt M. zu Recht als generell mit der selbständigen Bearbeitung von Rechtssachen befassten Mitarbeiter der bevollmächtigten Anwaltssozietät eingestuft hat, ist hier nicht zu prüfen. Denn in dieser Hinsicht enthält die Beschwerdebegründung keine Abweichungsrüge, die den gesetzlichen Darlegungsanforderungen entspricht.

b) Selbst wenn man annimmt, dass der angefochtene Beschluss vom Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 16. Oktober 1984 abweicht, bleibt die Abweichungsrüge ohne Erfolg. Denn der angefochtene Beschluss beruht nicht auf dieser Abweichung.

aa) Die Annahme des Oberverwaltungsgerichts, der Antragsteller müsse sich das Verschulden von Rechtsanwalt M. gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen, betrifft lediglich die auf Seite 12 seines Beschlusses formulierte Hilfserwägung zum Nichterkennen der unzutreffenden Vorwahl ("Im Übrigen ..."). Dadurch wird die selbständig tragende Hauptbegründung, die auf das Organisationsverschulden der Bevollmächtigten des Antragstellers abstellt, nicht berührt. Die Hilfserwägung kann weggedacht werden, ohne dass sich am Ergebnis - Ablehnung des Antrages unter Versagung von Wiedereinsetzung - etwas ändert.

bb) Freilich hat das Oberverwaltungsgericht auf Seite 11 seines Beschlusses das Verhalten von Rechtsanwalt M. auch im Zusammenhang mit der Abhandlung des Organisationsverschuldens angesprochen. In dieser Hinsicht spielte jedoch die Frage der Zurechnung nach § 85 Abs. 2 ZPO, für welche das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 16. Oktober 1984 zur Begründung der Abweichungsrüge angeführt wurde, keine Rolle. Im Rahmen seiner Haupterwägung war das Verhalten von Rechtsanwalt M. für das Oberverwaltungsgericht nämlich nur insoweit relevant, als die Kausalität des festzustellenden Organisationsverschuldens für die Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist zu prüfen war. Dieses wäre nämlich für die Fristversäumnis und damit für den Erfolg des Wiedereinsetzungsgesuchs unschädlich gewesen, wenn Rechtsanwalt M. jene Ausgangskontrolle, welche Maßnahmen der Büroorganisation hätten sicherstellen sollen, tatsächlich vorgenommen hätte. Insofern hätte aber für ihn nichts anderes gegolten wie für jede Büromitarbeiterin, welche auch ohne eine entsprechende allgemeine Anweisung von sich aus die Richtigkeit der verwendeten Faxnummer überprüft hätte. Die Art seines Anwaltsstatus innerhalb der Sozietät war in diesem rechtlichen Zusammenhang unerheblich.

Ende der Entscheidung

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