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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 11.02.1998
Aktenzeichen: BVerwG 7 B 30.98
Rechtsgebiete: VermG, VwGO


Vorschriften:

VermG § 33 Abs. 4 Satz 2
VermG § 36 Abs. 1
VwGO § 58
VwGO § 73 Abs. 3 Satz 1
Leitsätze:

Eine im übrigen ordnungsgemäße Rechtsbehelfsbelehrung ist nicht deswegen im Sinne des § 58 VwGO fehlerhaft, weil sie dem Bescheid mit gesondertem Anschreiben beigefügt ist.

Die Widerspruchsbehörde ist nach dem Vermögensgesetz nicht befugt, über einen unheilbar verspäteten Widerspruch gegen einen drittwirkenden Restitutionsbescheid in der Sache zu entscheiden.

Beschluß des 7. Senats vom 11. Februar 1998 - BVerwG 7 B 30.98

I. VG Halle vom 11.11.1997 - Az.: VG A 2 K 29/96 -


BUNDESVERWALTUNGSGERICHT BESCHLUSS

BVerwG 7 B 30.98 VG A 2 K 29/96

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 7. Senat des am 11. Februar 1998 durch den Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts Dr. Franßen und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Kley und Herbert

beschlossen:

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Halle vom 11. November 1997 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 100 000 DM festgesetzt.

Gründe:

Die Beschwerde ist unbegründet; das Beschwerdevorbringen ergibt die geltend gemachten Zulassungsgründe nicht.

Die Rechtssache hat nicht die ihr von der Beschwerde beigemessene grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Die Beschwerde will offenbar geklärt wissen, ob den Anforderungen des § 33 Abs. 4 Satz 2 des Vermögensgesetzes (VermG) eine für sich genommen ordnungsgemäße Rechtsbehelfsbelehrung genügt, die dem Bescheid in einem gesonderten, ebenso wie der Bescheid selbst unterzeichneten und gesiegelten Anschreiben der Behörde beigefügt ist. Diese Frage ist zu bejahen, ohne daß es hierzu der Durchführung eines Revisionsverfahrens bedarf. Weder § 33 Abs. 4 Satz 2 VermG noch die in § 33 Abs. 6 Satz 2 VermG in Bezug genommene Vorschrift des § 58 VwGO schließen aus, daß die Rechtsbehelfsbelehrung zusammen mit dem zugehörigen Bescheid in einem gesonderten Schreiben erfolgt. Eine derartige Verfahrensweise mag aus der Sicht der Behörde weniger zweckmäßig sein, weil dadurch der Nachweis erschwert werden kann, daß dem Bescheid eine Rechtsbehelfsbelehrung beigefügt war. Sofern die Bezugnahme der Rechtsbehelfsbelehrung eindeutig und diese auch im übrigen zutreffend ist, woran hier im Gegensatz zu dem von der Beschwerde angeführten Fall (Beschluß vom 22. Februar 1996 - BVerwG 7 B 314.95 - Buchholz 428 § 36 VermG Nr. 1) keine Zweifel bestehen, ist jedoch auch eine von dem Bescheid gesonderte Belehrung mit dem Gesetz vereinbar und bewirkt daher nicht, daß die Rechtsmittelbelehrung im Sinne des § 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO unterblieben oder unrichtig erteilt ist. Die genannten Vorschriften bestimmen nicht, daß der Bescheid selbst die Rechtsmittelbelehrung "enthält", wie dies für die Rechtsmittelbelehrung im Urteil geschehen ist (vgl. § 117 Abs. 2 Nr. 6 VwGO). Beim Bescheid läßt es das Gesetz vielmehr genügen, daß er mit einer Rechtsmittelbelehrung "versehen" (vgl. § 73 Abs. 3 Satz 1 VwGO), diese ihm also beigefügt ist oder nachträglich beigefügt wird. Demgemäß ist allgemein anerkannt, daß die bei der Bekanntgabe eines Bescheids unterbliebene Rechtsbehelfsbelehrung im Verwaltungsverfahren nachgeholt werden kann, wobei freilich die Frist dann erst mit Bekanntgabe der nachgeholten Belehrung zu laufen beginnt (vgl. Stelkens, NuR 1982, 10 <14> m.w.N.). Um so weniger Bedenken begegnet darum die hier von der Behörde gewählte Verfahrensweise, eine zugleich mit dem Bescheid zugestellte ordnungsgemäße Rechtsbehelfsbelehrung, die überdies in derselben Weise wie der Bescheid unterzeichnet ist, in einem beigefügten Anschreiben zu erteilen. Damit ist dem Schutzzweck der Rechtsbehelfsbelehrung genügt; denn es ist ausgeschlossen, daß allein wegen der gesonderten Belehrung bei dem Betroffenen ein Irrtum über die formellen oder materiellen Voraussetzungen des gegebenen Rechtsbehelfs hervorgerufen und er dadurch gehindert wird, diesen rechtzeitig einzulegen.

Grundsätzliche Bedeutung erhält die Rechtssache auch nicht durch die von der Beschwerde sinngemäß aufgeworfene Frage, ob die Widerspruchsbehörde auf den verspäteten Widerspruch gegen einen die Rückübertragung wegen redlichen Erwerbs ablehnenden Bescheid des Vermögensamts befugt ist, nach pflichtgemäßem Ermessen über den unanfechtbar gewordenen Bescheid in der Sache zu entscheiden mit der Folge, daß der Widerspruchsführer die fehlerfreie Ausübung dieses Ermessens beanspruchen kann. Auch diese Frage muß nicht erst in einem Revisionsverfahren geklärt werden, da sie bereits nach der einschlägigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu Verwaltungsakten mit Drittwirkung ohne weiteres zu verneinen ist. Danach vermittelt die Bestandskraft auch eines objektiv rechtswidrigen Verwaltungsakts dem dadurch Begünstigten eine "gesicherte Rechtsposition", die diesem nur dann entzogen werden darf, wenn hierfür eine Rechtsgrundlage besteht. Die Vorschriften der Verwaltungsgerichtsordnung über das Vorverfahren (§§ 68 ff. VwGO) enthalten eine solche Ermächtigungsgrundlage nicht; eine derartige Befugnis kann daher nur durch das anzuwendende materielle Recht nach Maßgabe seiner Zuständigkeitsvorschriften eröffnet werden (vgl. Urteil vom 17. Oktober 1975 - BVerwG 4 C 66.72 - BVerwGE 49, 244 <249>; Urteil vom 18. Mai 1982 - BVerwG 7 C 42.80 - BVerwGE 65, 313 <318 f.>; Urteil vom 4. August 1982 - BVerwG 4 C 42.79 - Buchholz 406.19 Nr. 49; stRspr). Das Vermögensgesetz ermächtigt die Widerspruchsbehörde weder in formeller noch in materieller Hinsicht, auf einen verspäteten Widerspruch des durch einen ablehnenden Rückübertragungsbescheid belasteten Berechtigten in der Sache zu entscheiden, wenn der durch restitutionsausschließenden redlichen Erwerb des Vermögenswerts Begünstigte durch Eintritt der Bestandskraft eine verfahrensrechtlich gesicherte Rechtsposition erlangt hat. Die beschränkte Befugnis der Widerspruchsbehörde entspricht im Vermögensrecht dem in der Gemeinsamen Erklärung der Regierungen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik zur Regelung offener Vermögensfragen vom 15. Juni 1990 (Anlage III zum Einigungsvertrag) formulierten Ziel, einen sozial verträglichen Ausgleich unterschiedlicher Interessen zu schaffen. Mit dieser Zielsetzung wäre es unvereinbar, müßte der Erwerber eines restitutionsbelasteten Vermögenswerts damit rechnen, daß die Widerspruchsbehörde seine nach bestandskräftig abgelehntem Rückübertragungsbescheid entstandene Rechtsposition durch eine abweichende Entscheidung in der Sache wieder in Frage stellen könnte; denn die in § 36 Abs. 1 VermG geregelte Widerspruchsfrist dient gerade auch dem Zweck, dem durch die Ablehnung der Rückübertragung begünstigten Dritten nach Eintritt der Bestandskraft Rechtssicherheit zu gewähren.

Demgemäß kann der durch unanfechtbar abgelehnten Bescheid belastete Resitutionsberechtigte auch nicht beanspruchen, daß die Widerspruchsbehörde über seinen verpäteten Widerspruch gegen den drittbegünstigenden Verwaltungsakt nach pflichtgemäßem Ermessen in der Sache entscheidet. Für ihre gegenteilige Ansicht beruft sich die Beschwerde zu Unrecht auf die Berechtigung des Gesetzgebers, bei der Regelung der Rechtsbeständigkeit unanfechtbarer Verwaltungsakte zwischen dem Prinzip der Rechtssicherheit und dem Grundsatz der Gerechtigkeit abzuwägen (vgl. BVerfGE 27, 297 <305 f.>). Dem entspricht keine Pflicht der Widerspruchsbehörde, über die Wiedereröffnung des Rechtswegs bei verspätetem Widerspruch nach Ermessen zu entscheiden. Ohne gesetzliche Ermächtigung kommt eine derartige Pflicht der Widerspruchsbehörde bei einem Verwaltungsakt mit Drittwirkung schon deswegen nicht in Betracht, weil damit zugleich die bestandskräftig gesicherte Rechtsposition eines Dritten beeinträchtigt würde. Angesichts des damit unvermeidlich verbundenen Eingriffs in subjektive Rechte ist die Lösung des Konflikts zwischen Rechtssicherheit und materieller Gerechtigkeit in einem mehrpoligen Rechtsverhältnis, wie es hier besteht, aus rechtsstaatlichen Gründen vorrangig Aufgabe des Gesetzgebers. Dieser hat unter Abwägung der gegensätzlichen Interessen im einzelnen geregelt, unter welchen Voraussetzungen die zuständige Behörde befugt ist, einen unanfechtbaren Verwaltungsakt zu widerrufen oder zurückzunehmen oder das Verfahren wiederaufzugreifen (§§ 48 ff. VwVfG). Diese Regelungen ermöglichen im Fall eines unanfechtbaren Verwaltungsakts mit Drittwirkung, der den einen Betroffenen begünstigt und zugleich den anderen belastet, auch in Angelegenheiten des Vermögensgesetzes einen angemessenen Ausgleich, der den widerstreitenden Grundsätzen der Rechtssicherheit und der Gerechtigkeit nach der Abwägung des Gesetzgebers in bestmöglicher Weise entspricht. Im übrigen haben diese Grundsätze auch in den prozessualen Vorschriften über gesetzliche Fristen sowie über die Voraussetzungen einer Wiedereinsetzung im Säumnisfall eine interessengerechte Ausprägung gefunden. Da der Kläger nach den revisionsrechtlich bindenden Feststellungen des Verwaltungsgerichts gegen den ihm ordnungsgemäß bekanntgegebenen Bescheid aus eigenem Verschulden Widerspruch erst rund elf Monate nach Fristablauf eingelegt hat, ist auch das Vorbringen der Beschwerde zur Rechtswidrigkeit des bestandskräfigen Bescheids und zur Unredlichkeit der Beigeladenen nicht geeignet, der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung zu verleihen.

Die Abweichungsrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) genügt nicht den Darlegungserfordernissen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO und ist daher unzulässig.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 und § 162 Abs. 3 VwGO; die Streitwertfestsetzung beruht auf § 14 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.



Ende der Entscheidung

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