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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 09.01.1998
Aktenzeichen: BVerwG 7 B 326.97
Rechtsgebiete: GG, VwGO, VermG


Vorschriften:

GG Art. 103 Abs. 1
VwGO § 108
VwGO § 132 Abs. 2 Nr. 3
VwGO § 133 Abs. 6
VermG § 1 Abs. 3
VermG § 4 Abs. 2 Satz 1
Beschluß des 7. Senats vom 9. Januar 1998 - BVerwG 7 B 326.97

Leitsatz:

Läßt das Verwaltungsgericht wesentlichen Akteninhalt unberücksichtigt, der die Annahme nahelegt, daß ein Ausreisewilliger für die von staatlicher Seite verlangte Veräußerung eines Grundstücks eine deutlich zu niedrige Gegenleistung vom Erwerber erhalten haben könnte, liegt darin eine Verletzung des Überzeugungsgrundsatzes (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO), wenn das Gericht die Redlichkeit des Erwerbs bejaht hat.

I. VG Dresden vom 22.05.1997 - Az.: VG 3 K 362/95


BUNDESVERWALTUNGSGERICHT BESCHLUSS

BVerwG 7 B 326.97 VG 3 K 362/95

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts am 9. Januar 1998 durch den Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts Dr. Franßen und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Paetow und Dr. Brunn

beschlossen:

Das Urteil des Verwaltungsgerichts Dresden vom 22. Mai 1997 wird aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen.

Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlußentscheidung vorbehalten.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 200 000 DM festgesetzt.

G r ü n d e :

Der Beigeladene begehrt nach dem Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen (VermG) die Rückübertragung eines Wohngrundstücks, das seine Rechtsvorgänger im Jahr 1988 an den Kläger veräußert hatten, um die Voraussetzung für die Genehmigung zur ständigen Ausreise aus der DDR zu schaffen. Der Beklagte gab dem Rückübertragungsantrag wegen Vorliegens einer unlauteren Machenschaft (§ 1 Abs. 3 VermG) statt; der Widerspruch des Klägers war erfolglos. Das Verwaltungsgericht hat den Restitutionsbescheid mit der Begründung aufgehoben, der Kläger habe das Grundstück redlich erworben (§ 4 Abs. 2 Satz 1 VermG). Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO gestützte Beschwerde des Beigeladenen gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts ist begründet.

Zu Recht rügt die Beschwerde, das Verwaltungsgericht habe entscheidungserhebliche Teile des Akteninhalts übergangen. Der damit sinngemäß geltend gemachte Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) ergibt sich aus folgendem:

Bereits im Verwaltungsverfahren haben die Rechtsvorgänger des Beigeladenen mit Schreiben vom 10. März 1992 geltend gemacht, der (spätere) Kläger habe ihre aus dem staatlichen Verkaufsverlangen resultierende Zwangslage ausgenutzt und in dem am 5. September 1988 geschlossenen notariellen Überlassungsvertrag eine viel zu niedrige Gegenleistung für den Erwerb des Grundstücks erbracht. Diese Gegenleistung bestand, wie sich aus dem Überlassungsvertrag ergibt, in der Tat nur in der Übernahme der auf dem Grundstück lastenden Hypotheken in einer noch valutierenden Höhe von 15 919 Mark; ein Wertermittlungsgutachten lag dem Vertrag nicht zugrunde. Die rechtliche Bedeutsamtkeit dieses Umstandes lag auf der Hand. Denn der regelmäßig die Unredlichkeit des Rechtserwerbs begründende Tatbestand des § 4 Abs. 3 Buchst. c VermG ist erfüllt, wenn sich der Erwerber die durch das staatliche Verkaufsverlangen herbeigeführte Zwangslage eines Ausreisewilligen dadurch zu Nutze macht, daß er dem Veräußerer eine deutlich unter dem Wert des Objekts liegende Gegenleistung aufzwingt (stRspr. vgl. BVerwG, Beschluß vom 2. April 1993 - BVerwG 7 B 22.93 - Buchholz 112 § 4 VermG Nr. 1). Mit dieser Begründung hat der Widerspruchsbescheid des Landesamts zur Regelung offener Vermögensfragen vom 9. Januar 1995 die Redlichkeit des Klägers verneint. In seiner Klageerwiderung vom 8. Juni 1995 hat der Beklagte erneut auf diesen Gesichtspunkt abgehoben und auf zusätzliche Umstände hingewiesen, aus denen sich nach seiner Ansicht ein die erbrachte Gegenleistung deutlich übersteigender Grundstückswert ergibt.

Gleichwohl hat das Verwaltungsgericht sich die Überzeugung gebildet, die Summe von 15 919 Mark habe nicht in einem auffälligen Mißverhältnis zum Wert des Grundstücks gestanden, ohne auch nur ansatzweise darzulegen, welche rechtlichen oder tatsächlichen Überlegungen es veranlaßt habe, von einer Auseinandersetzung mit diesen Erwägungen abzusehen. Eine solche Darlegung war aber gerade auch deshalb veranlaßt, weil die Rechtsvorgänger des Beigeladenen sich veranlaßt gesehen haben, statt eines herkömmlichen Kaufvertrages einen Überlassungsvertrag abzuschließen. Unter Überlassungsverträgen wurden Vereinbarungen verstanden, in denen als Gegenleistung für die Übertragung des Eigentums sowohl andere Leistungen (z.B. mietfreies Wohnen des bisherigen Eigentümers) als auch eine teilweise Schenkung vereinbart wurden (vgl. den vom Ministerium der Justiz herausgegebenen Kommentar zum ZGB, Anm. 1.1 zu § 297). Hätte es sich hier um eine teilweise Schenkung gehandelt, stellt sich die Frage, ob dieses Entgegenkommen auf einem freiwilligen Entschluß der Rechtsvorgänger des Beigeladenen oder auf deren Zwangslage beruhte. Die Annahme einer teilweisen Schenkung lag schon deshalb nahe, weil mehrere aus den Akten ersichtliche, vom Verwaltungsgericht aber nicht berücksichtigte Umstände darauf hindeuten, daß das erworbene Wohngrundstück einen erheblich höheren Wert als 15 919 Mark gehabt haben könnte. So betrug die ursprüngliche Höhe der zugunsten der Kreissparkasse L. eingetragenen Hypotheken insgesamt 19 500 Mark. Derartige Kredite wurden aber üblicherweise nur bis zu einer Höhe gewährt, die nicht über dem Grundstückswert lag. Ferner hat sich das Verwaltungsgericht nicht mit dem Vortrag auseinandergesetzt, schon angesichts der Größe und des - behaupteten - guten Zustandes des Wohnhauses sei das Grundstück deutlich unter Wert erworben worden. So beträgt die Grundstücksgröße laut Überlassungsvertrag 960 m²; das Gebäude soll sieben Räume mit einer Fläche von 196,5 m² umfassen (so die Angaben im Ermittlungsbericht der Volkspolizei vom 7. Februar 1986). Schließlich ist das Verwaltungsgericht in diesem Zusammenhang in aktenwidriger Weise davon ausgegangen, die Rechtsvorgänger des Beigeladenen hätten als weitere Gegenleistung für die Übertragung des Grundstücks zusätzlich Zahlungen "von mindestens 10 000 M" erhalten. Demgegenüber geht aus der in den Akten befindlichen, vom Kläger und Herrn Wolfgang H. unterschriebenen Quittung vom 13. Oktober 1987 hervor, daß diese Summe für "nicht im Grundstückswert enthaltene Sachwerte" gezahlt wurde. Ob weitere 10 000 M für das Grundstück erbracht wurden, wie der Kläger behauptet, ist unter den Beteiligten streitig, vom Verwaltungsgericht aber nicht aufgeklärt worden.

Angesichts des damit vorliegenden Verstoßes gegen § 108 Abs. 1 VwGO kann offenbleiben, ob die Aufklärungsrügen der Beschwerde durchgreifen, die die behauptete manipulative Auswahl des Klägers als Erwerber betreffen.

Der Senat nimmt die dem Verwaltungsgericht unterlaufenen Verfahrensfehler zum Anlaß, das angefochtene Urteil gemäß § 133 Abs. 6 VwGO aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückzuverweisen.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 14 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.

Dr. Franßen Dr. Paetow Dr. Brunn



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