Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 08.01.2004
Aktenzeichen: BVerwG 7 B 58.03
Rechtsgebiete: VermG, VwGO


Vorschriften:

VermG § 9
VwGO § 75 Satz 1
VwGO § 75 Satz 3
War ein Antrag auf Übereignung eines Ersatzgrundstücks entscheidungsreif, durfte die Behörde ihre Entscheidung nicht wegen des bevorstehenden Wegfalls der Ersatzgrundstücksregelung zurückstellen.
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT BESCHLUSS

BVerwG 7 B 58.03

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts am 8. Januar 2004 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Sailer und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Kley und Herbert

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Dresden vom 11. März 2003 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe:

Die Kläger beanspruchen die Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet war, ihnen wegen ausreisebedingten Verlusts ihres Eigentums an einem Zweifamilienhausgrundstück und Ausschlusses der Rückgabe durch redlichen Erwerb ein Ersatzgrundstück zu übereignen. Das Verwaltungsgericht hat der Klage stattgegeben; der im Rahmen der Untätigkeitsklage zulässigerweise gestellte Fortsetzungsfeststellungsantrag sei begründet, weil die Beklagte über vergleichbare, nicht für ihre kommunalen Aufgaben benötigte Grundstücke verfügt habe, die sie zur Erfüllung des von den Klägern geltend gemachten Anspruchs hätte bereitstellen müssen. Das Verwaltungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Beklagten hat keinen Erfolg.

1. Die Revision ist nicht wegen des geltend gemachten Aufklärungsmangels zuzulassen (§ 132 Abs. 2 Nr. 3, § 86 Abs. 1 VwGO). Nach Ansicht der Beschwerde hätte das Verwaltungsgericht klären müssen, ob die von der Beklagten auf dem Immobilienmarkt zur Veräußerung angebotenen Grundstücke mit dem früheren Grundstück der Kläger vergleichbar waren. Der Aufklärungsmangel liegt schon deswegen nicht vor, weil das Verwaltungsgericht auf der Grundlage seiner materiellen Rechtsauffassung, die Inhalt und Umfang der Sachaufklärungspflicht bestimmt, angenommen hat, dass die in dem angegriffenen Urteil genannten drei Ersatzgrundstücke unter dem Gesichtspunkt der vorhandenen Bausubstanz, der Lage und der tatsächlichen Nutzbarkeit dem entzogenen Grundstück möglichst nahe kamen. Dabei ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass der Begriff des Ersatzgrundstücks i.S. des § 9 VermG a.F. "keine strikte Übereinstimmung mit dem Restitutionsgrundstück, sondern lediglich eine etwaige Vergleichbarkeit (verlangte), wobei gegebenenfalls ein Wertausgleich vorzunehmen gewesen wäre". Diesem Maßstab der Vergleichbarkeit setzt die Beschwerde einen eigenen, abweichenden Maßstab entgegen, der den von ihr behaupteten Aufklärungsbedarf erst erzeugt. Ein von der Rechtsauffassung des Gerichts abweichender materiellrechtlicher Ansatz ist indes nicht geeignet, einen Aufklärungsmangel zu begründen.

2. Die Rechtssache hat auch nicht die grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), die ihr die Beschwerde beimisst.

Die Beschwerde möchte geklärt wissen, "ob bei einem bestehenden Dissens in der Auslegung des § 9 VermG a.F. zwischen Judikative und Exekutive und der offensichtlichen Absehbarkeit einer Aufhebung der umstrittenen gesetzlichen Regelung ein 'zureichender Grund' i.S.d. § 75 Satz 3 VwGO zu sehen ist". Der Klärungsbedarf besteht nicht, da die Frage anhand des Gesetzes und der hierzu ergangenen Rechtsprechung zu beantworten ist, ohne dass ein Revisionsverfahren durchgeführt werden muss. Nach § 75 Satz 3 VwGO setzt das Gericht das Verfahren bis zum Ablauf einer von ihm zu bestimmenden Frist aus, wenn ein zureichender Grund dafür vorliegt, dass der beantragte Verwaltungsakt noch nicht erlassen ist. Das Verwaltungsgericht hat angenommen, dass die bevorstehende Aufhebung des § 9 VermG a.F. kein zureichender Grund dafür war, den von den Klägern beanspruchten Verwaltungsakt nicht zu erlassen. Seine Auffassung stimmt mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts überein, wonach ein Grund nur dann i.S. des § 75 Satz 1 VwGO "zureichend" sein kann, wenn er mit der Rechtsordnung in Einklang steht (vgl. Beschluss vom 23. Juli 1991 - BVerwG 3 C 56.90 - Buchholz 310 § 161 VwGO Nr. 91 S. 23 <27>). Mit der Rechtsordnung ist es nicht vereinbar, dass die Verwaltung die Entscheidung über einen Antrag verzögert, um ihn nach einer absehbaren Rechtsänderung ablehnen zu können. Andernfalls hätte sie es in der Hand, dem Bürger eine gesetzlich vorgesehene Rechtsposition dadurch vorzuenthalten, dass sie mit Blick auf eine künftige Gesetzesänderung von einer Entscheidung absieht. Eine solche Befugnis widerspräche der Bindung der Verwaltung an das geltende Recht und unterliefe die rechtsstaatliche Funktion des Gesetzes. Ob und in welchem Umfang gesetzlich gewährleistete Rechtspositionen beseitigt oder entwertet werden, ist allein vom Gesetzgeber im Rahmen der verfassungsrechtlichen Grenzen zu entscheiden.

Etwas anderes ergibt sich nicht daraus, dass Berechtigte auch unter der Geltung des § 9 VermG a.F. auf die künftige Übereignung eines Ersatzgrundstücks nicht vertrauen durften (Beschluss vom 11. März 2002 - BVerwG 7 B 18.02 - Buchholz 428 § 9 VermG Nr. 6 S. 17 <18>). Ein schutzwürdiges Vertrauen bestand hiernach nicht, wenn die Voraussetzungen, unter denen eine eigentumsrechtlich geschützte Position entstehen konnte, noch nicht erfüllt waren (§ 9 Satz 3 i.V.m. § 21 Abs. 3 Satz 1 VermG a.F.). Daran fehlte es regelmäßig, da die Ersatzgrundstücksregelung unter dem Vorbehalt des Möglichen stand und zu ermitteln war, ob ein in kommunalem Eigentum stehendes Ersatzgrundstück verfügbar war und einer Übereignung berechtigte Interessen entgegenstanden. Waren jedoch die Anspruchsvoraussetzungen im konkreten Fall erfüllt und war die Sache entscheidungsreif, konnte der Berechtigte auf die Verwirklichung des Übereignungsanspruchs vertrauen. Unter solchen Umständen wurde seine konkrete, anwartschaftsrechtsähnliche Rechtsposition beeinträchtigt, wenn die Behörde den beantragten Verwaltungsakt allein mit Blick auf die künftige Gesetzesänderung nicht erließ. Die gegenüber dem Bürger bestehende Rechtspflicht der Behörde, eine entscheidungsreife Sache unverzüglich zu entscheiden, entfällt auch nicht bei einer entgegenstehenden ministeriellen Weisung. Die Untätigkeit der Beklagten bliebe daher auch dann rechtswidrig, wenn sie auf eine entsprechende Weisung zurückzuführen sein sollte; insoweit müsste sich die Beklagte im Verhältnis zum Kläger die offensichtliche Rechtswidrigkeit einer solchen Weisung zurechnen lassen. An einer Entscheidung über den beantragten Verwaltungsakt war die Behörde auch durch den Gleichheitssatz nicht gehindert. Wie der Senat bereits entschieden hat, folgte aus dem Zweck der Ersatzgrundstücksregelung, in den Fällen des Restitutionsausschlusses wegen redlichen Erwerbs möglichst realen Ersatz zu schaffen, dass die Empfänger von Ersatzgrundstücken gegenüber den übrigen Entschädigungsberechtigten, die sich mit Geldleistungen nach Maßgabe des Entschädigungsgesetzes zufrieden geben müssen, nicht gleichheitswidrig bevorzugt wurden (Urteil vom 17. September 1998 - BVerwG 7 C 6.98 - BVerwGE 107, 205 <214 f.>).

Ebenso wenig rechtfertigt das weitere Vorbringen der Beschwerde die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung. Die Frage, ob die Beklagte über den Anspruch auf Übereignung eines Ersatzgrundstücks entscheiden durfte, bevor sie Bescheide über die Höhe der Entschädigung gegenüber anderen Antragstellern erlassen hatte, ist anhand der einschlägigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ohne weiteres zu bejahen (vgl. Urteil vom 5. April 2000 - BVerwG 8 C 22.99 - BVerwGE 111, 83 <92>). Unzweifelhaft besteht unter den hier gegebenen Voraussetzungen auch ein berechtigtes Interesse der Kläger an der Feststellung, dass die Beklagte zur Übereignung eines Ersatzgrundstücks verpflichtet war (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Das Verwaltungsgericht hat das Feststellungsinteresse mit der Absicht der Kläger begründet, Schadenersatzansprüche in einem Amtshaftungsprozess geltend zu machen. Dass Schadenersatz nicht deshalb ausgeschlossen ist, weil Berechtigte, deren Grundstück nicht zurückgegeben werden kann, seit Aufhebung des § 9 VermG a.F. nur noch Entschädigung verlangen können, liegt auf der Hand und bedarf deshalb keiner Klärung in einem Revisionsverfahren. Ob den Klägern durch die Behandlung ihres Antrags ein Schaden entstanden ist, beurteilt sich nach dem für die behördliche Entscheidung maßgebenden Recht. Nach den tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts, die nicht mit einer zulässigen und begründeten Verfahrensrüge angegriffen worden sind, war die Sache entscheidungsreif, bevor die Ersatzgrundstücksregelung aufgehoben wurde. Demgemäß können die Kläger als Schaden geltend machen, dass die Verwirklichung ihres Anspruchs durch Unterlassung einer unverzüglichen Entscheidung der Beklagten vereitelt wurde. Die Frage, ob für diesen Schaden die Beklagte oder die Bundesrepublik Deutschland haften würde, wäre mangels Entscheidungserheblichkeit in einem Revisionsverfahren über den durch Gesetzesänderung erledigten Primäranspruch nicht klärungsfähig. Die Frage, welcher Zeitpunkt für die Beurteilung der Vergleichbarkeit eines Ersatzgrundstücks mit dem entzogenen Grundstück maßgeblich ist, ist bereits höchstrichterlich geklärt (Urteil vom 17. September 1998 - BVerwG 7 C 6.98 - BVerwGE 107, 205 <214>).

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Ende der Entscheidung

Zurück