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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 05.12.2005
Aktenzeichen: BVerwG 7 B 81.05
Rechtsgebiete: VermG


Vorschriften:

VermG § 1 Abs. 8 Buchst. a
Eine vom sog. demokratischen Magistrat von Groß-Berlin nach Maßgabe der "Liste 3" oben zum Gesetz zur Einziehung von Vermögenswerten der Kriegsverbrecher und Naziaktivisten vom 8. Februar 1949 beschlossene Enteignung eines Vermögenswerts folgte auch dann auf besatzungshoheitlicher Grundlage im Sinne von § 1 Abs. 8 Buchst. a VermG, wenn die vor dem 5. Februar 1949 erfolgte Beschlagnahme des Vermögenswerts der sowjetischen Besatzungsmacht nicht bekannt war (im Anschluss an Urteil vom 13. Februar 1995 - BVerwG 7 C 53.94 - BVerwGE 98,1 = Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 38).
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT BESCHLUSS

BVerwG 7 B 81.05

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts am 5. Dezember 2005 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Sailer und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Krauß und Neumann beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 23. Juni 2005 wird zurückgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 500 000 € festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Kläger begehren die Rückübertragung von Grundstücken und die Feststellung der Entschädigungsberechtigung hinsichtlich weiterer Grundstücke in Berlin (Ost).

Die Grundstücke wurden 1946 vom Bezirksamt Berlin-Mitte, Treuhandstelle für Sondervermögen, als Teil des Vermögens des vormals regierenden preußischen Königshauses gemäß Befehl Nr. 124 Ziff. 1 f der Sowjetischen Militärverwaltung vom 30. Oktober 1945 für beschlagnahmt erklärt. Sie wurden dann durch die "Bekanntmachung über weitere Einziehungen aufgrund des Gesetzes vom 8. Februar 1949 (Liste 3)" vom 14. November 1949 enteignet.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit der Begründung, die Grundstücke seien auf besatzungshoheitlicher Grundlage enteignet worden, abgewiesen.

II.

Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision ist unbegründet. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, vgl. 1.). Das angefochtene Urteil beruht auch nicht auf einer Abweichung von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO, vgl. 2.).

1. Grundsätzlich bedeutsam im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist eine Rechtssache nur dann, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zugrunde liegenden Einzelfall hinausgehenden klärungsbedürftigen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) zu erwarten ist. Daran fehlt es hier.

a) Die Beschwerde hält zunächst für grundsätzlich klärungsbedürftig die Frage,

ob die nach Maßgabe der "Liste 3" durchgeführten Enteignungen nur dann als auf besatzungshoheitlicher Grundlage im Sinne von § 1 Abs. 8 Buchst. a VermG beruhend anzusehen sind, wenn der betreffende Vermögenswert in den Listen der Sequesterkommission verzeichnet war oder wenn die sowjetischen Besatzungsbehörden zumindest vor dem 5. Februar 1949 in sonstiger Weise Kenntnis von der zuvor erfolgten Beschlagnahme des Vermögenswertes erlangt hatten.

Diese Frage lässt sich aufgrund des Urteils des Senats vom 13. Februar 1995 - BVerwG 7 C 53.94 - (BVerwGE 98,1 = Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 38) verneinen, ohne dass es hierzu der Durchführung eines Revisionsverfahrens bedarf.

Nach diesem Urteil beruhen auch nach Gründung der DDR am 7. Oktober 1949 erfolgte Enteignungen auf besatzungshoheitlicher Grundlage, wenn sie unter der Oberhoheit der Besatzungsmacht und mit ihrer generellen Billigung in einer Weise in die Wege geleitet worden waren, die die Verantwortung der Besatzungsmacht für den weiteren Vollzug durch die deutschen Stellen begründete. Die vom sog. demokratischen Magistrat von Groß-Berlin nach Maßgabe der "Liste 3" zum Gesetz zur Einziehung von Vermögenswerten der Kriegsverbrecher und Naziaktivisten vom 8. Februar 1949 beschlossenen Enteignungen von Vermögenswerten im sowjetischen Sektor von Berlin sind deshalb in aller Regel auf besatzungshoheitlicher Grundlage erfolgt. Eine andere rechtliche Beurteilung kommt - nach diesem Urteil - dann in Betracht, wenn der in der "Liste 3" verzeichnete Vermögenswert nicht bereits beim Erlass des Gesetzes vom 8. Februar 1949 beschlagnahmt war oder wenn die Sowjetunion die Beschlagnahme im Einzelfall als ungerechtfertigt aufgehoben hatte. Der Senat hat dieses Ergebnis in dem genannten Urteil im Einzelnen begründet.

Daraus ergibt sich, dass eine andere rechtliche Beurteilung nicht bereits dann in Betracht kommt, wenn der betreffende Vermögenswert zwar beschlagnahmt aber nicht in den Listen der Sequesterkommission verzeichnet war und die sowjetischen Besatzungsbehörden auch nicht in sonstiger Weise von der vor dem 5. Februar 1949 erfolgten Beschlagnahme Kenntnis erlangt hatten. Nach dem Urteil des Senats kommt es allein darauf an, ob die Beschlagnahme eines Vermögenswertes vor dem 5. Februar 1949 erfolgt war und nicht darauf, ob sie in den Listen der Sequesterkommission vermerkt oder den sowjetischen Behörden bekannt war. Wie der Senat in seinem Urteil ausgeführt hat, enthielt das Bestätigungsschreiben des sowjetischen Stadtkommandanten vom 9. Februar 1949 sinngemäß den Auftrag an den Magistrat, auch hinsichtlich der übrigen - nach dem Befehl Nr. 124 der Sowjetischen Militär-administration in Deutschland (SMAD) vom 30. Oktober 1945 - beschlagnahmten, nicht in den Listen 1 und 2 des Durchführungsbeschlusses zum Gesetz vom 8. Februar 1949 aufgeführten Vermögenswerte die in diesem Gesetz vorgesehene Entscheidung über die Enteignung oder Rückgabe an die Eigentümer zu treffen; denn anderenfalls wäre das rechtliche Schicksal dieser Vermögenswerte auf Dauer in der Schwebe geblieben. Dies gilt auch für Vermögenswerte, die aufgrund des Befehls Nr. 124 beschlagnahmt, aber nicht in den Listen der Sequesterkommission verzeichnet waren und deren Beschlagnahme der sowjetischen Militärverwaltung nicht bekannt war. Auch das rechtliche Schicksal dieser beschlagnahmten Vermögenswerte wäre anderenfalls auf Dauer in der Schwebe geblieben, was die sowjetische Militärverwaltung gerade vermeiden wollte.

Dies genügt, um eine besatzungshoheitliche Enteignung zu bejahen. Es kommt - wie in dem Senatsurteil ebenfalls ausgeführt wird - nicht darauf an, ob die Enteignung im Einzelfall dem Willen der Besatzungsmacht entsprach.

Entgegen der Auffassung der Beschwerde ergibt sich ein Klärungsbedarf auch nicht im Hinblick auf das weitere Urteil des Senats vom 27. Juni 1996 - BVerwG 7 C 53.95 - (Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 82). Dieses Urteil befasst sich mit der Enteignung von Sportvereinen. Es enthält keine Ausführungen, die dafür sprechen könnten, dass die besatzungshoheitliche Grundlage von "Liste 3 - Enteignungen" auch aus anderen als den im Urteil vom 13. Februar 1995 genannten Gründen verneint werden könnte bzw. dass insoweit weiterer Klärungsbedarf bestehen könnte.

Schließlich ergibt sich kein Klärungsbedarf im Hinblick auf die Ausführungen in dem Beschluss vom 16. November 1999 - BVerwG 8 B 106.99 - (Buchholz 428 § 1 Abs. 8 VermG Nr. 9, vgl. hierzu unten 2.).

b) Weiter hält die Beschwerde für klärungsbedürftig die Frage,

ob eine aufgrund des SMAD-Befehls Nr. 124 erfolgte Bestellung des anwaltlichen Bevollmächtigten des betroffenen Eigentümers zum Sequester und damit zum Verwalter der Besatzungsmacht nichtig war und ob eine dergestalt nichtige Sequestration keine Tatbestandswirkung als Verwaltungsakt entfalten und daher keinen Zurechnungszusammenhang zur Besatzungsmacht vermitteln konnte.

Auch zur Klärung dieser Frage bedarf es, soweit sie entscheidungserheblich und nach revisiblem Recht (§ 137 Abs. 1 VwGO) zu beantworten ist, nicht der Durchführung eines Revisionsverfahrens. Nach dem genannten Urteil des Senats vom 13. Februar 1995 - BVerwG 7 C 53.94 - (a.a.O.) sind "Liste 3 - Enteignungen" in aller Regel auf besatzungshoheitlicher Grundlage im Sinne von § 1 Abs. 8 Buchst. a VermG erfolgt, wenn die Vermögenswerte vor dem Februar 1949 beschlagnahmt worden waren. Beschlagnahmt waren nur Vermögenswerte, deren Beschlagnahme nach den damaligen Maßstäben wirksam war. Ob dies der Fall ist, ist nicht nach revisiblem Recht zu beurteilen. Vielmehr obliegt dies der tatrichterlichen Sachverhalts- und Beweiswürdigung im Einzelfall, zu der gegebenenfalls auch Rechtsvorschriften der sowjetischen Besatzungsmacht herangezogen werden können.

Im vorliegenden Fall ist das Verwaltungsgericht zu dem Ergebnis gelangt, dass der Generalbevollmächtigte des Eigentümers zum Treuhänder der Treuhandstelle für Sondervermögen des Bezirksamts Berlin-Mitte bestellt worden sei, möge zwar ungewöhnlich erscheinen, stelle dessen tatsächliche Einsetzung als Treuhänder aber nicht in Frage. Insgesamt sei der tatsächliche Vollzug der ausgesprochenen Beschlagnahme nicht zweifelhaft. Damit hat das Verwaltungsgericht die Wirksamkeit der Beschlagnahme bejaht.

c) Schließlich hält die Beschwerde für grundsätzlich klärungsbedürftig die Frage,

ob die nachträgliche Streichung von Vermögenswerten aus einer Liste von zu enteignenden Grundstücken als Widerruf oder Rücknahme einer Enteignungsentscheidung und zugleich als konkludente Aufhebung der zugrunde liegenden Beschlagnahme zu qualifizieren ist.

Auch diese Frage ist nicht grundsätzlich klärungsbedürftig; denn sie lässt sich nicht allgemeingültig beantworten. Vielmehr ist sie im Einzelfall unter Berücksichtigung des im Zeitpunkt der Streichung geltenden nicht revisiblen Rechts zu beantworten. Entscheidend ist, aus welchem Grund im Einzelfall die Streichung erfolgte.

Im vorliegenden Fall ist das Verwaltungsgericht zu dem Ergebnis gelangt, weder die Beschlagnahme noch die Enteignung würden dadurch in Frage gestellt, dass die streitbefangenen Grundstücke nach klägerischen Angaben zunächst auf der Liste C der sog. Konzernverordnung vom 10. Mai 1949 verzeichnet und bei deren späteren Reduzierung gestrichen worden seien. Man habe möglicherweise erkannt, dass es sich nicht um Grundvermögen einer Grundstücksgesellschaft oder um Wohnblockgrundstücke gehandelt habe und deshalb die Einordnung unter die Konzernverordnung unzutreffend gewesen sei. Dass die zuständigen Stellen damit die Beschlagnahme aufheben oder eine Enteignungsentscheidung rückgängig machen wollten, hat das Verwaltungsgericht somit - im Rahmen der tatrichterlichen Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Einzelfalls - nicht angenommen.

2. Das angefochtene Urteil beruht auch nicht auf einer Abweichung von der in der Beschwerde bezeichneten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO).

In dem Beschluss vom 16. November 1999 - BVerwG 8 B 106.99 - (a.a.O.) wird - unter ausdrücklichem Hinweis auf das Urteil vom 13. Februar 1995 - BVerwG 7 C 53.94 - (a.a.O.) ausgeführt, dass eine Beschlagnahme nach dem SMAD-Befehl Nr. 124 als solche keine über die Gründung der DDR hinaus fortdauernde Vollzugsverantwortung der damaligen Sowjetunion begründet. Vielmehr muss - soll § 1 Abs. 8 Buchst. a VermG auch noch auf Enteignungen nach der DDR-Gründung angewandt werden - die Oberhoheit der Besatzungsmacht diese Enteignungen in die Wege geleitet haben.

Dies stimmt mit dem Urteil vom 13. Februar 1995 überein. Auch das Verwaltungsgericht geht hiervon aus. Warum die "Liste 3 - Enteignungen" von der Besatzungsmacht in die Wege geleitet worden waren, wird in dem Urteil vom 13. Februar 1995 im Einzelnen begründet. Insbesondere wird auf das einen Auftrag an die deutschen Stellen enthaltende Bestätigungsschreiben des sowjetischen Stadtkommandanten vom 9. Februar 1949 hingewiesen (vgl. oben 1.a).

Zu Recht weist die Beschwerdeerwiderung darauf hin, dass die Beschwerde letztlich eine Abweichung des Beschlusses vom 16. November 1999 - BVerwG 8 B 106.99 - (a.a.O.) von dem Urteil vom 13. Februar 1995 - BVerwG 7 C 53.94 - (a.a.O.) rügt. Diese liegt aber - wie sich aus obigen Ausführungen ergibt - nicht vor.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 4 GKG.



Ende der Entscheidung

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