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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 28.01.1999
Aktenzeichen: BVerwG 7 C 10.98
Rechtsgebiete: VermG


Vorschriften:

VermG § 1 Abs. 8 Buchst. a
Leitsatz:

Die Enteignung eines Grundstücks, das einem wegen fehlender persönlicher Belastung mit seinem Gesellschaftsanteil von den Unternehmensenteignungen gemäß dem SMAD-Befehl Nr. 64 freigestellten Gesellschafter gehörte und von diesem dem Unternehmen zur Nutzung überlassen worden war, beruht nicht auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher Grundlage (§ 1 Abs. 8 Buchst. a VermG), wenn sie in die Zeit nach der Gründung der DDR am 7. Oktober 1949 fällt.

Urteil des 7. Senats vom 28. Januar 1999 - BVerwG 7 C 10.98 -

I. VG Magdeburg vom 15.04.1997 - Az.: VG 7 K 40/96 -


BUNDESVERWALTUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

BVerwG 7 C 10.98 VG A 7 K 40/96

Verkündet am 28. Januar 1999

Nöpel Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 28. Januar 1999 durch den Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts Dr. Franßen und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Paetow, Dr. Bardenhewer, Kley und Herbert

für Recht erkannt:

Das Urteil des Verwaltungsgerichts Magdeburg vom 15. April 1997 wird aufgehoben.

Der Beklagte wird verpflichtet festzustellen, daß die Kläger Berechtigte im Sinne von § 2 Abs. 1 VermG hinsichtlich der im Grundbuch von Magdeburg Bl. eingetragenen Grundstücke Flur, Flurstücke-Nr. und sind. Insoweit wird der Bescheid des Landesamts zur Regelung offener Vermögensfragen Sachsen-Anhalt vom 29. Dezember 1995 aufgehoben.

Im übrigen wird die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen.

Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlußentscheidung vorbehalten.

Gründe:

I.

Die Kläger begehren die Rückübertragung von zwei in Magdeburg gelegenen Gewerbegrundstücken nach den Vorschriften des Gesetzes zur Regelung offener Vermögensfragen (Vermögensgesetz VermG ).

Die Grundstücke standen ehemals im Eigentum des Rechtsvorgängers der Kläger, des im Jahre 1968 verstorbenen Kaufmanns Gustav K.········. Dieser vermietete die Grundstücke einschließlich der vorhandenen Betriebseinrichtungen durch Vertrag vom 26. April 1933 an die Fa. K.········ & S.······ OHG "zum Betriebe einer Lackfabrik".

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Unternehmen der Fa. K.········ & S.······ OHG, deren Gesellschafter Herr Gustav K.········ und sein Sohn Eberhard K.········ waren, auf der Grundlage des Befehls Nr. 124 der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD) beschlagnahmt. Die Provinz Sachsen nahm das Unternehmen in die durch SMAD-Befehl Nr. 64 bestätigte Liste "A" der enteigneten Betriebe auf. Die Listeneintragung enthielt den Zusatz "Ant. Eberhard K.········ enteignet". Dementsprechend war auf der der Gesellschaft übersandten Enteigungsurkunde vom 19. November 1948 vermerkt: "Es ist nur der Anteil des Eberhard K.········ zu enteignen".

Mit Schreiben vom 16. September 1950 teilte das Ministerium des Innern des Landes Sachsen-Anhalt unter Hinweis auf seine Entscheidung vom 24. Juli 1950 dem Rechtsvorgänger der Kläger mit, die "in den gemäß SMAD-Befehl Nr. 64 durch die SMAD bestätigten Listen enthaltenen Betriebe" seien "in vollem Umfang enteignet" worden und in das Eigentum des Volkes übergegangen. An dieser Rechtslage ändere auch die Tatsache nichts, daß durch die Sequesterkommission die Anteile unbelasteter Gesellschafter freigestellt worden seien. Den Inhabern solcher Anteile stehe daher kein Mitbestimmungsrecht über die in das Eigentum des Volkes übergegangenen Betriebe mehr zu. Der Rechtsvorgänger der Kläger genieße jedoch insofern eine privilegierte Stellung, als er wegen des Verlustes seines Gesellschaftsanteils aufgrund einer noch zu erlassenden gesetzlichen Regelung zu entschädigen sei.

In den Jahren 1951/52 wurden die umstrittenen Grundstücke auf Ersuchen der Landesregierung Sachsen-Anhalt, die sich dabei auf die "Richtlinie Nr. 1 Ziff. 2 zum SMAD-Befehl Nr. 64" bezog, im Grundbuch in "Eigentum des Volkes" umgeschrieben.

Im Jahre 1960 wurde der Rechtsvorgänger der Kläger wegen des Verlustes seines Anteils an der Fa. K.········ & S.······ OHG entschädigt.

Den im Jahre 1990 gestellten Antrag der Kläger auf Rückübertragung der beiden Grundstücke lehnte das beklagte Landesamt zur Regelung offener Vermögensfragen mit Bescheid vom 29. Dezember 1995 ab, weil die Grundstücke auf besatzungshoheitlicher Grundlage enteignet worden und daher gemäß § 1 Abs. 8 Buchst. a VermG von der Restitution ausgenomnen seien.

Die Kläger haben daraufhin Klage erhoben, mit der sie die Verpflichtung des Beklagten zur Rückübertragung der Grundstücke begehren. Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 15. April 1997 abgewiesen und zur Begründung im wesentlichen ausgeführt: Der Beklagte habe die beantragte Restitution zu Recht unter Hinweis auf § 1 Abs. 8 Buchst. a VermG verweigert. Diese Vorschrift erfasse auch Enteignungen, die erst nach der Gründung der DDR am 7. Oktober 1949 vorgenommen worden seien, sofern sie objektiv weiterhin der Verantwortung der Besatzungsmacht zuzurechnen seien. Dies treffe für die hier in Rede stehenden Grundstücksenteignungen zu, selbst wenn diese erst durch die an das Grundbuchamt gerichteten Ersuchen der Landesregierung vom 15. Januar und 29. November 1951 vorgenommen worden seien. Die Ersuchen nähmen sowohl auf den SMAD-Befehl Nr. 64 als auch auf die hierzu ergangenen Richtlinien Nr. 1 und damit auf Besatzungsrecht Bezug, durch das die Enteignungen gegenständlich und sachlich vorgeformt worden seien. Bereits die Beschlagnahme des Unternehmens habe auf besatzungsrechtlicher Grundlage beruht und alle Ausrüstungsgegenstände erfaßt, gleichviel ob sie dem Unternehmen gehört hätten oder nicht. Die zunächst auf den Anteil des Herrn Eberhard K.········ beschränkte Unternehmensenteignung sei später auf den Anteil des Herrn Gustav K.········ ausgedehnt worden, was sich aus dem Schreiben des Ministeriums des Innern vom 16. September 1950 ergebe. Auch diese Enteignung beruhe noch auf einem besatzungsrechtlichen bzw. besatzungshoheitlichen Zurechnungszusammenhang. Nichts anderes gelte für die Enteignung der umstrittenen Grundstücke, welche zwar im Eigentum des Rechtsvorgängers der Kläger gestanden, aber dem Unternehmen gedient hätten und deswegen mitenteignet worden seien.

Mit der Revision verfolgen die Kläger ihr Rückübertragungsbegehren weiter. Sie sind der Ansicht, die umstrittenen Grundstücke unterlägen nicht dem Restitutionsausschluß nach § 1 Abs. 8 Buchst. a VermG, weil sie ohne einen entsprechenden Vollzugsauftrag der Besatzungsmacht erst nach der Gründung der DDR am 7. Oktober 1949 durch deutsche Stellen enteignet worden seien.

Der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen. Er verteidigt das angefochtene Urteil.

Die Beigeladene, der die Grundstücke im Vermögenszuordnungsverfahren zugeordnet worden sind, hält das Urteil des Verwaltungsgerichts gleichfalls für zutreffend.

II.

Die Revision ist begründet. Das angefochtene Urteil verletzt Bundesrecht; denn die mit der Klage zurückverlangten Grundstücke sind entgegen der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts nicht gemäß § 1 Abs. 8 Buchst. a VermG wegen Enteignung auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher Grundlage von der Rückgabe ausgenommen. Sie waren vielmehr Schädigungsmaßnahmen im Sinne von § 1 Abs. 1 Buchst. a VermG ausgesetzt. Infolgedessen ist das angefochtene Urteil aufzuheben und der Beklagte zu verpflichten, die Berechtigung der Kläger nach § 2 Abs. 1 VermG festzustellen. Da über die Rückübertragungsansprüche der Kläger erst auf der Grundlage weiterer tatsächlicher Feststellungen entschieden werden kann, muß der Rechtsstreit im übrigen gemäß § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO an die Vorinstanz zurückverwiesen werden.

1. Die umstrittenen Grundstücke sind nicht auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher Grundlage enteignet worden (§ 1 Abs. 8 Buchst. a VermG).

a) Das Verwaltungsgericht ist ohne nähere Prüfung zugunsten der Kläger davon ausgegangen, daß die Enteignung der Grundstücke in die Zeit nach der Gründung der DDR am 7. Oktober 1949 fällt. Diese Annahme trifft zu.

Nach der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats (vgl. BVerwGE 104, 84 <87 f.>; Urteil vom 27. Februar 1997 BVerwG 7 C 42.96 Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 106 m.w.N.) setzt eine Enteignung im Sinne des Vermögensgesetzes keine bestimmte Form der Enteignung voraus; sie ist vielmehr immer dann anzunehmen, wenn der frühere Eigentümer durch hierauf gerichtete staatliche Maßnahmen vollständig und endgültig aus seinem Eigentum verdrängt worden ist. Der Enteignungsbegriff des Vermögensgesetzes ist mithin vornehmlich in einem faktischen Sinne zu verstehen. Dieses Verständnis entspricht dem Sinn des Gesetzes, demjenigen, der durch staatliche Unrechtsmaßnahmen sein Vermögen verloren hat, ein behördliches Verfahren an die Hand zu geben, mit dem das geschehene Unrecht wiedergutgemacht wird. Entscheidend ist hiernach, ob überhaupt und gegebenenfalls wann die Vermögensentziehung in der Rechtswirklichkeit (erstmals) greifbar zum Ausdruck kam und sich der frühere Eigentümer als vollständig und endgültig aus seinem Eigentum verdrängt betrachten mußte.

Der Rechtsvorgänger der Kläger brauchte sich nicht bereits durch die Ereignisse bis Ende 1948 die Aufnahme der Fa. K.········ & S.······ OHG in die Liste der enteigneten Betriebe in der Provinz Sachsen, die Bestätigung dieser Liste durch den SMAD-Befehl Nr. 64 vom 17. April 1948 (abgedruckt bei Fieberg/Reichenbach, Enteignung und Offene Vermögensfragen in der ehemaligen DDR, Bd. I, 2. Aufl. 1992 Nr. 2.4.10) und die Versendung der Enteignungsurkunde vom 19. November 1948 in seinem Eigentum beeinträchtigt zu fühlen. Die mit dem SMAD-Befehl Nr. 64 bestätigten Unternehmensenteignungen richteten sich, wie aus der Präambel des Befehls hervorgeht, gegen "Kriegs- und Naziverbrecher" und dienten deren Entfernung aus dem wirtschaftlichen Leben der sowjetischen Besatzungszone. Da der Rechtsvorgänger der Kläger diesem Personenkreis nicht zugerechnet wurde, erfaßte die Enteignung nicht das gesamte Unternehmen der Fa. K.···-····· & S.······ OHG, sondern nur den Gesellschaftsanteil seines Sohnes und Mitgesellschafters Eberhard K.········; dies wurde durch einen entsprechenden Zusatz in der Enteignungsliste und in der Enteignungsurkunde unmißverständlich zum Ausdruck gebracht.

Auch die zugleich mit dem SMAD-Befehl Nr. 64 bekanntgegebene "Erste Verordnung zur Ausführung des SMAD-Befehls Nr. 64 (Richtlinien Nr. 1)" vom 28. April 1948 (Fieberg/Reichenbach, a.a.O. Nr. 2.4.10.1) mußte den Rechtsvorgänger der Kläger nicht zu dem Schluß veranlassen, daß die vorgenommene Enteignung nicht nur seinem Sohn, sondern zugleich ihm galt. Nach Nr. 2 Abs. 1 dieser Richtlinien sollten sich die Enteignungen wirtschaftlicher Unternehmungen über das bilanzierte Vermögen hinaus überhaupt auf das den betrieblichen Zwecken dienende Vermögen einschließlich aller Rechte und Beteiligungen erstrecken, soweit nicht die Beschlüsse der Landeskommissionen ausdrücklich etwas anderes bestimmten; ferner wurde in Abs. 2 bestimmt, daß im Falle der teilweisen Enteignung eines Unternehmens mit mehreren Betriebsstätten die Enteignung auch alle anderen Unternehmensteile erfassen sollte, die in wirtschaftlichem Zusammenhang untereinander standen. Mit den Richtlinien Nr. 1 wurde mithin der Entzug der in den bestätigten Enteignungslisten verzeichneten Unternehmen jeweils auf das gesamte Betriebsvermögen und auf sämtliche Unternehmensteile im weitesten Sinne ausgedehnt. Sie betrafen die schon zuvor enteignungsbetroffenen Eigentümer jener Unternehmen; diese mußten sich auch unabhängig von einem weiteren tatsächlichen Eigentumszugriff in dem in den Richtlinien Nr. 1 beschriebenen Umfang als aus ihrem Unternehmenseigentum verdrängt betrachten (vgl. Beschluß vom 8. April 1998 BVerwG 7 B 7.98 , VIZ 1998, 630 = ZOV 1998, 285). Dagegen ließ sich den Richtlinien Nr. 1 nicht oder jedenfalls nicht mit der zur Annahme eines tatsächlichen Eigentumsverlustes erforderlichen Eindeutigkeit entnehmen, daß sich die Enteignungsaktion nunmehr auch gegen solche Personen richtete, die von ihr bislang nicht betroffen waren. So verhielt es sich bei dem Rechtsvorgänger der Kläger, der im Gegensatz zu seinem Sohn als nicht belastet galt und deshalb, wie die Enteignung nur des Gesellschaftsanteils des Sohnes zeigt, von den Wirkungen der Maßnahme verschont werden sollte. Der Rechtsvorgänger der Kläger befand sich demnach, obwohl er Gesellschafter der Fa. K.········ & S.······ OHG war, mit Blick auf die umstrittenen Grundstücke im wesentlichen in derselben Lage wie jeder andere Dritte, der dem enteigneten Unternehmen ein Grundstück oder einen anderen Gegenstand seines Privatvermögens zur Nutzung überlassen hatte. Daß auch dieser Personenkreis ohne vorherige Prüfung und Feststellung einer individuellen Belastung allein deswegen, weil sein Eigentum in das verstaatlichte Unternehmenseigentum der "Kriegs- und Naziverbrecher" eingebunden war, dieses Eigentum verlieren sollte, war ohne weitere, speziell darauf abzielende Zugriffsmaßnahmen nicht anzunehmen.

Dementsprechend vollzog sich der tatsächliche Zugriff auf das Eigentum des Rechtsvorgängers der Kläger in mehreren, den Ereignissen bis Ende 1948 nachfolgenden Enteignungsschritten, die sämtlich in die Zeit nach der Gründung der DDR am 7. Oktober 1949 fallen: Im Sommer 1950 wurde die Enteignung des Gesellschaftsanteils des belasteten Sohnes Eberhard K.········ auf den Anteil des unbelasteten Vaters Gustav K.········ und damit auf das gesamte Unternehmen ausgedehnt; sodann wurden in den Jahren 1951/52 nacheinander auch die beiden im Privateigentum des Vaters stehenden Grundstücke, die von dem verstaatlichten Unternehmen genutzt wurden, in Volkseigentum überführt.

b) Da die umstrittenen Grundstücke erst nach der Gründung der DDR enteignet worden sind, unterliegen sie nicht dem Restitutionsausschluß nach § 1 Abs. 8 Buchst. a VermG. Der gegenteiligen Auffassung des Verwaltungsgerichts kann nicht gefolgt werden.

Allerdings hat das Verwaltungsgericht zu Recht darauf hingewiesen, daß § 1 Abs. 8 Buchst. a VermG bei Enteignungen nach dem 7. Oktober 1949 nicht von vornherein unanwendbar ist. Denn das Vermögensgesetz hat den 7. Oktober 1949 (vgl. Art. 41 Abs. 1 des Einigungsvertrags i.V.m. Nr. 1 Satz 1 der Gemeinsamen Erklärung der Regierungen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik zur Regelung offener Vermögensfragen vom 15. Juni 1990) nicht in dem Sinne als Stichtag ausgestaltet, daß spätere Enteignungen zwingend vom Anwendungsbereich des § 1 Abs. 8 Buchst. a VermG ausgenommen wären. Vielmehr können unter besonderen Voraussetzungen vermögensentziehende Maßnahmen auch nach diesem Datum noch von der Verantwortung der sowjetischen Besatzungsmacht gedeckt und deshalb auf besatzungshoheitlicher Grundlage erfolgt sein. Ein solcher objektiver Zurechnungszusammenhang setzt voraus, daß der betreffende Enteignungsakt noch vor dem 7. Oktober 1949 und damit unter der Oberhoheit der Besatzungsmacht und mit ihrer Billigung in einer Weise in die Wege geleitet worden war, die die Verantwortung der Besatzungsmacht für den weiteren Vollzug durch die deutschen Stellen begründete. Es muß sich also um eine von der Besatzungsmacht eingeleitete und sowohl gegenständlich als auch sachlich vorgeformte Enteignungsaktion gehandelt haben. In einem solchen Fall kann von einer fortdauernden Vollzugsverantwortung der Besatzungsmacht gesprochen werden, auch wenn sie sich aus ihrer bisherigen alleinigen Oberhoheit zurückgezogen hatte. Die Anwendung des § 1 Abs. 8 Buchst. a VermG auf Enteignungen nach dem 7. Oktober 1949 hängt mithin davon ab, ob Verlautbarungen oder Handlungen der sowjetischen Besatzungsmacht ein über die Gründung der DDR hinausreichender Auftrag zur Durchführung der betreffenden Enteignungen zu entnehmen ist (vgl. BVerwGE 101, 201 <204>; 273 <275 f.> m.w.N.).

Ein solcher Vollzugsauftrag der Besatzungsmacht lag hier indes nicht vor. Zu Unrecht hat das Verwaltungsgericht die fortdauernde Verantwortung der Besatzungsmacht für die in den Jahren 1951/52 vorgenommenen Enteignungen mit der Begründung bejaht, sie hätten mit den bereits erwähnten, von der Deutschen Wirtschaftskommission beschlossenen Richtlinien Nr. 1 zum SMAD-Befehl Nr. 64 im Einklang gestanden. Aus diesen Richtlinien, die auch von der damaligen Landesregierung Sachsen-Anhalt zur Begründung ihrer Ersuchen um Umschreibung des Grundbuchs angeführt worden sind, läßt sich ein Auftrag der Besatzungsmacht zur Vornahme der Enteignungen nicht herleiten.

Der erkennende Senat hat bislang einen die Gründung der DDR überdauernden Enteignungsauftrag der Besatzungsmacht ausschließlich ihren eigenen Verlautbarungen entnommen (vgl. BVerwGE 98, 1 <4 ff.>; Beschluß vom 5. März 1998 BVerwG 7 B 345.97 ZOV 1998, 284) und die Frage offengelassen, ob und gegebenfalls unter welchen Voraussetzungen sich ein solcher Auftrag auch aus Willensäußerungen deutscher Stellen ergeben kann (vgl. Urteil vom 10. Dezember 1998 BVerwG 7 C 34.97 ). Diese Möglichkeit ist hier deswegen in Betracht zu ziehen, weil die Richtlinien Nr. 1 auf einem in Nr. 8 des SMAD-Befehls Nr. 64 ausdrücklich erteilten Auftrag der Besatzungsmacht an die Deutsche Wirtschaftskommission beruhen, "zur Durchführung dieses Befehls Richtlinien zu erlassen und andere entsprechende Maßnahmen zu ergreifen". Die Deutsche Wirtschaftskommission war demnach insbesondere auch dazu ermächtigt, zu den in Nr. 1 des SMAD-Befehls Nr. 64 bestätigten Unternehmensenteignungen Durchführungsbestimmungen zu erlassen. Das mag dafür sprechen, solche Regelungen, wenn und soweit sie weitergehende Enteignungsmaßnahmen erforderten, nicht anders zu bewerten als von der Besatzungsmacht selbst getroffene Anordnungen.

Diese Frage bedarf auch aus Anlaß des vorliegenden Falls keiner Entscheidung. Denn der Entzug der umstrittenen Grundstücke läßt sich jedenfalls deswegen nicht auf einen den Richtlinien Nr. 1 zu entnehmenden Vollzugsauftrag der Besatzungsmacht zurückführen, weil diese Richtlinien für Fälle der vorliegenden Art keine eindeutigen Handlungsanweisungen enthielten. Wie dargelegt, ließ die Regelung in Nr. 2 der Richtlinien Nr. 1 offen, ob sich die im SMAD-Befehl Nr. 64 bestätigten Unternehmensenteignungen auch auf das betrieblich genutzte Vermögen dritter, bislang nicht enteignungsbetroffener Personen erstrecken sollten. Wie gleichfalls bereits ausgeführt, war der Rechtsvorgänger der Kläger, obwohl Gesellschafter der Fa. K.········ & S.······ OHG und daher nicht unternehmensfremd, dem Personenkreis der nicht betroffenen Dritten zuzurechnen, weil nur der Gesellschaftsanteil seines Sohnes, nicht hingegen sein eigener Gesellschaftsanteil enteignet worden war.

Selbst wenn die Deutsche Wirtschaftskommission in den Richtlinien Nr. 1 oder in anderen zum SMAD-Befehl Nr. 64 erlassenen Richtlinien eindeutig den Willen geäußert hätte, auf das betrieblich genutzte Vermögen Dritter zuzugreifen, könnte hieraus nicht auf einen mittelbar erteilten Auftrag der Besatzungsmacht zur Vornahme der in Rede stehenden Enteignungen geschlossen werden. Denn die Deutsche Wirtschaftskommission war in Nr. 8 des SMAD-Befehls Nr. 64 von der Besatzungsmacht lediglich zum Erlaß von Bestimmungen ermächtigt worden, die der "Durchführung" dieses Befehls dienten. Um die bloße Durchführung des SMAD-Befehls Nr. 64 ging es jedoch bei dem nachfolgenden erstmaligen Zugriff deutscher Stellen auf das betrieblich genutzte Vermögen Dritter nicht. Denn die in dem Befehl bestätigten Unternehmensenteignungen waren nicht nur gegenstandsbezogen, sondern auch und sogar in erster Linie durch die Absicht gekennzeichnet, die als "Kriegs- und Naziverbrecher" bezeichneten Unternehmenseigentümer für ihr Verhalten zur Rechenschaft zu ziehen; gerade aus diesem Grund wurden (zunächst) nicht immer sämtliche Gesellschaftsanteile enteignet. Auch für die beim Erlaß des SMAD-Befehls Nr. 64 noch ausstehende Enteignung des "sonstigen Vermögens" hielt die Besatzungsmacht an der Notwendigkeit der Einstufung der betroffenen Eigentümer als "Kriegs-" oder "Naziverbrecher" fest (vgl. Nr. 4 des Befehls). Mit der Ausdehnung der Unternehmensenteignungen auf das Eigentum dritter, bislang nicht betroffener Personen gewann die Enteignungsaktion daher eine neue Dimension; denn diese Personen mußten die Enteignungen nicht um ihrer Eigenschaft als "Kriegs-" oder "Naziverbrecher" willen, sondern schon allein deswegen hinnehmen, weil es den deutschen Stellen im Interesse eines möglichst reibungslosen Aufbaus der volkseigenen Wirtschaft wünschenswert erschien, sämtliche dem Unternehmenszweck dienende Vermögensgegenstände in Volkseigentum zu überführen. Infolgedessen können Regelungen, die einen solchen weitergehenden Eigentumszugriff zum Gegenstand haben, nicht mehr als bloße Durchführungsbestimmungen zu den bisherigen Unternehmensenteignungen angesehen werden. Jenseits dieses Regelungsbereichs kann aber nach den vorangegangenen Ausführungen eine eigene über den Zeitpunkt der Gründung der DDR hinausreichende Vollzugsverantwortung der Besatzungsmacht nur angenommen werden, wenn diese einen entsprechenden richtunggebenden Willen geäußert hatte. Daran fehlt es hier.

Ein den Entzug der umstrittenen Grundstücke deckender Vollzugsauftrag der Besatzungsmacht läßt sich auch nicht aus dem vom Beklagten im Revisionsverfahren herangezogenen Schreiben des stellvertretenden Vorsitzenden der Finanzverwaltung der SMAD an den Vorsitzenden des Ausschusses zum Schutze des Volkseigentums vom 19. Oktober 1948, dem sog. Befehl Nr. 447, herleiten (vgl. dazu die Beschlüsse des Senats vom 5. März 1998 BVerwG 7 B 345.98 , a.a.O und vom 25. Juni 1998 BVerwG 7 B 120.98 ). Dieses Schreiben stammte zwar von der Besatzungsmacht selbst, betraf aber wiederum nicht die Fälle der betrieblichen Nutzung von Vermögensgegenständen Dritter, sondern Unternehmen "mit nicht enteigneten Anteilen privater deutscher Eigentümer". Zu diesem Thema stellte die Besatzungsmacht fest, daß alle auf den endgültigen Listen gemäß dem SMAD-Befehl Nr. 64 aufgeführten Unternehmen, auch diejenigen mit nicht enteigneten Anteilen, in Volkseigentum stünden und als solches zu verwalten seien; darüber hinaus wurde der Ausschuß zum Schutze des Volkseigentums aufgefordert, Vorschläge zur Entschädigung der Inhaber der nicht enteigneten Anteile vorzulegen. Ein weitergehender, den Entzug der umstrittenen Grundstücke erfassender Regelungsgehalt kann dem Schreiben vom 19. Oktober 1948 auch vor dem Hintergrund der Richtlinien Nr. 1 vom 28. April 1948 nicht beigemessen werden, und zwar selbst dann nicht, wenn sich in der Zeit seit dem Erlaß dieser Richtlinien bis zum 19. Oktober 1948 eine Praxis der deutschen Stellen herausgebildet haben sollte, aufgrund der Richtlinien auch auf das betrieblich genutzte Vermögen Dritter zuzugreifen. Denn bei diesen Enteignungen handelte es sich gegebenenfalls, ebenso wie bei den im SMAD-Befehl Nr. 64 bestätigten Unternehmensenteignungen, um entschädigungslose Enteignungen. Dagegen war in dem Schreiben vom 19. Oktober 1948 für die Inhaber der nicht enteigneten Anteile die Gewährung einer Entschädigung vorgesehen. Unter diesen Umständen verstand es sich nicht von selbst, daß ein nicht belasteter und daher mit seinem Anteil von den Unternehmensenteignungen freigestellter Gesellschafter, der wie der Rechtsvorgänger der Kläger Gegenstände aus seinem Privatvermögen dem Unternehmen zur Nutzung überlassen hatte, dieses Eigentum im Unterschied zu seinem Anteil ohne Entschädigung einbüßen sollte; vielmehr hätte sich die Besatzungsmacht mit einer hierauf gerichteten Anordnung zu dem weiteren Inhalt ihres Schreibens vom 19. Oktober 1948 in einen offenen Widerspruch gesetzt. Da der Besatzungsmacht eine solche Absicht nicht unterstellt werden kann, muß es bei der Feststellung verbleiben, daß die Fälle der genannten Art in dem Schreiben vom 19. Oktober 1948 wie auch schon in den Richtlinien Nr. 1 vom 28. April 1948 nicht geregelt waren.

Da somit der Entzug der umstrittenen Grundstücke in die ausschließliche Verantwortung der neugegründeten DDR fällt, sind diese Grundstücke nicht gemäß § 1 Abs. 8 Buchst. a VermG von der Restitution ausgenommen. Der bloße Umstand, daß die Enteignungen von den deutschen Stellen auf eine besatzungshoheitliche Grundlage gestützt wurden, reicht zur Anwendung dieser Vorschrift nicht aus (vgl. BVerwGE 101, 201 <205>). Ebensowenig kommt es auf die erkennbare Absicht der deutschen Stellen an, die vorangegangenen, auf besatzungshoheitlicher Grundlage beruhenden Unternehmensenteignungen abzurunden und die auf diese Weise entstandene volkseigene Wirtschaft im Einklang mit der politisch-ideologischen Zielsetzung der Besatzungsmacht (vgl. Nrn. 2 und 7 des SMAD-Befehls Nr. 64) zu stärken (vgl. Urteil vom 6. Dezember 1996 BVerwG 7 C 9.96 Buchholz 428 § 1 Nr. 96). Entscheidend ist vielmehr allein, ob den nach der Gründung der DDR vorgenommenen Enteignungen ein konkreter Vollzugsauftrag der Besatzungsmacht zugrunde liegt, an dem es hier aus den genannten Gründen fehlt.

2. Da die umstrittenen Grundstücke aufgrund von Vorschriften zugunsten des Volkseigentums enteignet worden sind, die keine Entschädigung vorsahen, ist der Schädigungstatbestand des § 1 Abs. 1 Buchst. a VermG erfüllt. Nach den tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts wurde der Rechtsvorgänger der Kläger im Jahre 1960 nur für den Verlust seines Gesellschaftsanteils entschädigt. Er ist daher mit seinen Grundstücken, obwohl er nicht als "Kriegs-" oder "Naziverbrecher" angesehen wurde, in die gegen diesen Personenkreis gerichtete und durch generelle Entschädigungslosigkeit gekennzeichnete Enteignungsaktion einbezogen worden. Daraus folgt, daß die Kläger als seine Rechtsnachfolger hinsichtlich der Grundstücke Berechtigte im Sinne von § 2 Abs. 1 VermG sind.

3. Der Senat ist jedoch auf der Grundlage des bislang festgestellten Sachverhalts gehindert, die von den Klägern beantragte Verpflichtung des Beklagten zur Rückgabe der Grundstücke auszusprechen. Zuvor muß geprüft werden, ob und gegebenenfalls inwieweit dem Klagebegehren der Restitutionsausschlußgrund des § 4 Abs. 1 VermG entgegensteht; denn die Beigeladene hat geltend gemacht, daß die Rückgabe wegen grundstücksübergreifender Bebauung und drohender baurechtswidriger Zustände im Sinne dieser Vorschrift unmöglich ist. Insoweit fehlt es an den erforderlichen tatsächlichen Feststellungen, so daß der Senat sich auf die Verpflichtung des Beklagten zur Feststellung der Berechtigung der Kläger beschränken und den Rechtsstreit im übrigen zur weiteren Sachaufklärung an das Verwaltungsgericht zurückverweisen muß.

Ende der Entscheidung

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