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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 30.06.2005
Aktenzeichen: BVerwG 7 C 15.04
Rechtsgebiete: VermG, BGB


Vorschriften:

VermG § 2 Abs. 1 Satz 1
BGB § 133
BGB § 157
BGB § 2033 Abs. 1 Satz 1
BGB § 2033 Abs. 2
Haben die übrigen Miterben eines verstorbenen Geschädigten vor In-Kraft-Treten des Vermögensgesetzes ihre Anteile an dem Nachlass des Geschädigten einem Miterben übertragen, ist allein dieser Miterbe Berechtigter im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 VermG.
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

BVerwG 7 C 15.04

Verkündet am 30. Juni 2005

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 30. Juni 2005 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Sailer und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Kley, Herbert, Krauß und Neumann

für Recht erkannt:

Tenor:

Das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 27. April 2004 wird aufgehoben.

Die Beklagte wird verpflichtet, das Grundstück K. Straße .../O.straße ... in Berlin-... an die Kläger in Erbengemeinschaft zurückzuübertragen. Der Bescheid des Landesamtes zur Regelung offener Vermögensfragen Berlin vom 12. August 1999 wird aufgehoben, soweit er dieser Verpflichtung entgegensteht.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.

Gründe:

I.

Die Kläger begehren die vermögensrechtliche Rückübertragung des Grundstücks K. Straße .../O.straße ... in Berlin-...

Eigentümer des Grundstücks war seit 1919 der jüdische Fabrikant Theodor S. Er verkaufte das Grundstück im Oktober 1940 an den Kaufmann Christian D. Das Grundstück wurde in den fünfziger Jahren in Volkseigentum überführt. Eigentümer ist heute die beklagte Bundesrepublik Deutschland.

Theodor S. verstarb am 17. Mai 1941. Er wurde von seiner Tochter Jenny R. sowie von Jacob R. und Alexander R. beerbt. Jenny R. starb am 28. September 1944. Ihr Alleinerbe war ihr Sohn James Bernhard R. (früher Jürgen Bernhard R.). Unter dem 30. August 1954 bzw. dem 12. August 1957 erklärten Alexander R. und Jacob R. im Wesentlichen übereinstimmend, alle ihre Rechte, Ansprüche und Anteile an dem Nachlass nach Theodor S. an James B. R. zu übertragen, zu übereignen und abzutreten. James B. R. verstarb am 31. Januar 1996. Die Kläger sind seine Erben.

James B. R. beantragte im Oktober 1990 die vermögensrechtliche Rückübertragung des Grundstücks K. Straße .../Ecke O.straße ... Im März 1991 beantragte die Beigeladene ebenfalls die Rückübertragung des Grundstücks.

Durch Bescheid vom 12. August 1999 übertrug das Landesamt zur Regelung offener Vermögensfragen Berlin das Eigentum an dem Grundstück an die Kläger und die Beigeladene in Erbengemeinschaft zurück (§ 2 a Abs. 1 a VermG). Das Landesamt nahm dabei an, soweit die Miterben Jacob R. und Alexander R. ihre Anteile an dem Nachlass nach Theodor S. an James B. R. übertragen hätten, könnten ihre Erklärungen nicht berücksichtigt werden, weil zum Zeitpunkt des Erbfalls weder das Grundstück noch der Anspruch auf dessen Rückübertragung zum Nachlass gehört hätten.

Die Kläger haben gegen diesen Bescheid insoweit Klage erhoben, als das Landesamt ihnen das Grundstück nur in Erbengemeinschaft mit der Beigeladenen zurückübertragen hat. Sie haben beantragt, die Beklagte unter teilweiser Aufhebung des Bescheides des Landesamtes zu verpflichten, das Grundstück in vollem Umfang an sie zurückzuübertragen.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage durch das angefochtene Urteil abgewiesen. Es hat die Erklärungen von Alexander R. und Jacob R. als Abtretung künftiger Ansprüche nach dem Vermögensgesetz gedeutet und angenommen, diese Abtretungen seien mangels Bestimmbarkeit der zukünftigen Ansprüche unwirksam gewesen. Die Bestimmbarkeit setze voraus, dass im Zeitpunkt der Abtretung die Entstehung des Rechts auf dem Boden des damals geltenden Rechts möglich erschienen sei. In den Jahren 1954 bzw. 1957 sei indes die Entstehung vermögensrechtlicher Ansprüche nicht absehbar gewesen. Erst die grundsätzlichen Umwälzungen in der DDR im Jahre 1989 hätten zur Schaffung des Vermögensgesetzes und damit einhergehend zur Wiedergutmachung des NS-Unrechts geführt. Frühestens mit der gemeinsamen Erklärung der Regierungen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR zur Regelung offener Vermögensfragen vom 15. Juni 1990 sei die Entstehung vermögensrechtlicher Ansprüche absehbar und ihre Abtretung möglich gewesen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die vom Verwaltungsgericht zugelassene Revision der Kläger, mit der sie ihren erstinstanzlichen Antrag weiter verfolgen. Sie sind der Ansicht, Ansprüche auf Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts seien in ihrer Entstehung auch für das Gebiet der DDR bereits in den Jahren 1954 und 1957 absehbar gewesen. Im Übrigen sei in der Rechtsprechung der Rückerstattungsgerichte anerkannt, dass künftige Ansprüche auf Entschädigung schon vor dem Ende des Nationalsozialismus hätten abgetreten werden können. Die Entstehung dieser Ansprüche sei bereits in dem schädigenden Ereignis selbst zu sehen.

Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil.

Die Beigeladene hat sich zur Revision nicht geäußert.

II.

Die Revision der Kläger ist begründet. Das angefochtene Urteil verletzt Bundesrecht. Das Verwaltungsgericht hat unter Verstoß gegen §§ 133, 157 BGB die Erklärungen von Alexander R. und Jacob R. aus dem Jahre 1954 bzw. 1957 als Abtretung zukünftiger Ansprüche nach dem Vermögensgesetz ausgelegt. Bei zutreffender Auslegung ihrer Erklärungen haben Jacob R. und Alexander R. ihre Anteile an dem Nachlass nach Theodor S. gemäß § 2033 Abs. 1 Satz 1 BGB an James B. R., den Rechtsvorgänger der Kläger, übertragen. Ausgehend von diesem Verständnis der Erklärungen sind allein die Kläger (in Erbengemeinschaft) Berechtigte im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 VermG. Das Verwaltungsgericht hätte ihrer Klage deshalb stattgeben müssen. Weitere tatsächliche Feststellungen sind hierfür nicht erforderlich. Der Senat kann daher in der Sache selbst entscheiden (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwGO).

Berechtigte im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 VermG sind der Geschädigte und seine Rechtsnachfolger. Mit dem Begriff des "Rechtsnachfolgers" sind in dieser Vorschrift Nachfolgetatbestände angesprochen, die bis zum In-Kraft-Treten des Vermögensgesetzes am 29. September 1990 eingetreten sind, namentlich die Rechtsnachfolge im Wege des Erbgangs. Damit trägt das Gesetz dem Umstand Rechnung, dass der Vermögenswert mit dem Erbfall ebenso wie die übrigen zum Nachlass gehörenden Gegenstände auf den gesetzlich oder testamentarisch bestimmten Erben übergegangen wäre (vgl. § 1922 BGB), wenn er nicht dem Geschädigten durch Unrechtsmaßnahmen im Sinne des § 1 VermG entzogen worden wäre. Wegen dieses hypothetischen Vermögensübergangs setzt sich auch in der Person des Erben die Unrechtslage fort, die durch den Vermögensentzug geschaffen worden und nach dem Vermögensgesetz wieder gutzumachen ist. Das Vermögensgesetz erklärt darum den Erben für anspruchsberechtigt und lässt grundsätzlich statt in der Person des Geschädigten in seiner Person den Restitutionsanspruch entstehen (vgl. Urteil vom 8. Mai 2003 - BVerwG 7 C 63.02 - Buchholz 428 § 30 a VermG Nr. 27).

Erbe des geschädigten Theodor S. und damit Rechtsnachfolger im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 VermG war bei In-Kraft-Treten des Vermögensgesetzes nur noch James B. R. Nur in seiner Person ist deshalb der Restitutionsanspruch entstanden. Die beiden anderen Miterben des geschädigten Theodor S., Alexander R. und Jacob R., haben ihre Erbanteile nach § 2033 Abs. 1 Satz 1 BGB an James B. R. abgetreten. Diese Vorschrift ist hier anwendbar, weil der Erblasser Theodor S. deutscher Staatsangehöriger war und deshalb nach Art. 25 Abs. 1 EGBGB deutsches Erbrecht anzuwenden ist.

Nach dem Wortlaut ihrer Erklärungen haben Alexander R. und Jacob R. ihre Rechte, Ansprüche und Anteile an dem Nachlass nach Theodor S. übertragen. Die Erklärung bezieht sich mithin eindeutig auf den Nachlass als solchen, nicht aber auf einzelne Gegenstände, wie etwa Wiedergutmachungsansprüche, die zum Nachlass gehören könnten. Der Wortlaut der Erklärungen stimmt mit der materiellrechtlichen Rechtslage überein, auf die sich die Erklärungen beziehen. Über ihren Anteil an einzelnen Nachlassgegenständen hätten Alexander R. und Jacob R. nach § 2033 Abs. 2 BGB nicht verfügen können. Von daher liegt es nicht nur außerhalb des insoweit eindeutigen Wortlauts, sondern auch außerhalb des erkennbaren Interesses der Beteiligten, den Erklärungen eine rechtlich nicht mögliche Abtretung künftiger Ansprüche nach dem Vermögensgesetz zu entnehmen. Die Erklärungen können vielmehr nicht anders denn als Erbteilsabtretungen verstanden werden. Die dafür erforderliche notarielle Form ist gewahrt (§ 2033 Abs. 1 Satz 2 BGB).

Mit der Vereinigung aller Miterbenanteile ist die zunächst bestehende Erbengemeinschaft aufgehoben worden und sind die entsprechenden Erbanteile untergegangen. Durch die Vereinigung aller Erbanteile in der Hand des Miterben James B. R. ist der gleiche Rechtszustand eingetreten, wie bei einem ursprünglichen Anfall der Erbschaft an ihn als einen Alleinerben (vgl. BGH, Urteil vom 19. März 1992 - X ZR 14/91 - NJW-RR 1992, 733).

Die weiteren Voraussetzungen einer vermögensrechtlichen Rückübertragung des Grundstücks an die Kläger sind in dem Bescheid des Landesamtes in Übereinstimmung mit dem Akteninhalt zutreffend festgestellt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 3 VwGO.

Ende der Entscheidung

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