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Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 28.10.2004
Aktenzeichen: BVerwG 7 C 24.03
Rechtsgebiete: VermG, Erste VO zum Reichsbürgergesetz, Dritte VO zum Reichsbürgergesetz


Vorschriften:

VermG § 1 Abs. 6
VermG § 2 Abs.1 Satz 3
Erste VO zum Reichsbürgergesetz § 5 Abs. 2 Buchst. b)
Dritte VO zum Reichsbürgergesetz Art. I § 1 Abs. 1
Dritte VO zum Reichsbürgergesetz Art. I § 3
Die in § 2 Abs. 1 Satz 3 VermG geregelte Rechtsnachfolge der Conference on Jewish Material Claims against Germany erfasst keine Ansprüche von nichtjüdischen Geschädigten, die wegen ihrer Ehe mit einem Juden Vermögensverluste erlitten haben.
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

BVerwG 7 C 24.03

Verkündet am 28. Oktober 2004

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 28. Oktober 2004 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Sailer und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Kley, Herbert, Krauß und Neumann

für Recht erkannt:

Tenor:

Das Urteil des Verwaltungsgerichts Dresden vom 17. Juni 2003 wird aufgehoben.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe:

I.

Die Klägerin beansprucht als Rechtsnachfolgerin gemäß § 2 Abs. 1 Satz 3 des Vermögensgesetzes - VermG - die Feststellung ihrer Entschädigungsberechtigung nach Maßgabe des NS-Verfolgtenentschädigungsgesetzes wegen der Schädigung einer Textilhandlung.

Inhaberin dieses Unternehmens, eines Handels mit Textilien auf Märkten, war Dora G. Sie war nach damaligem Sprachgebrauch Arierin; ihr Ehemann war Jude. Im Jahre 1938 wurde verfügt, ihr Unternehmen in das Verzeichnis der jüdischen Gewerbebetriebe einzutragen. Was mit ihrem Antrag vom 8. März 1939 auf Wiederzulassung zu ihrer Tätigkeit geschah, blieb ungeklärt. Das weitere Schicksal von Frau G., die noch im Adressbuch von Zwickau von 1940/41 ohne Berufsbezeichnung eingetragen ist, ist nicht bekannt. Ihr Unternehmen existiert nicht mehr; der Verbleib der zugehörigen Vermögensgegenstände ist ebenfalls unbekannt.

Im Jahre 1994 meldete die Klägerin unter Präzisierung ihrer Globalanmeldung Ansprüche hinsichtlich des Unternehmens an. Das Landesamt zur Regelung offener Vermögensfragen lehnte den Antrag ab, weil die Klägerin nicht Rechtsnachfolgerin der Geschädigten sei; denn diese sei ungeachtet ihrer rassischen Verfolgung keine jüdische Berechtigte im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 3 VermG gewesen.

Das Verwaltungsgericht hat der dagegen erhobenen Klage stattgegeben und den Funktionsvorgänger der Beklagten verpflichtet, die Entschädigungsberechtigung der Klägerin nach Maßgabe des NS-Verfolgtenentschädigungsgesetzes festzustellen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Mit "jüdisch" im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 3 VermG sei gemeint, was im Zeitpunkt der schädigenden Maßnahme - gemessen an der damals herrschenden Ideologie - darunter verstanden worden sei. Danach sei nicht erforderlich, dass der Inhaber eines Unternehmens Jude gewesen sei, wie sich aus der Dritten Verordnung zum Reichsbürgergesetz ergebe. Deswegen könne die Klägerin auch als Rechtsnachfolgerin von solchen Unternehmensinhabern in Betracht kommen, die selbst nicht jüdisch gewesen seien, weil ansonsten der Fiskus zum Nutznießer rassisch bedingten Unrechts würde. Das gelte auch hier, weil die Maßnahmen gegen den Gewerbebetrieb darauf beruht hätten, dass der Ehemann der Geschädigten Jude gewesen und das Unternehmen in das Register der jüdischen Gewerbebetriebe aufgenommen worden sei.

Ihre Revision gegen dieses Urteil, mit der sie ihren Antrag auf Abweisung der Klage weiterverfolgt, begründet die Beklagte im Wesentlichen wie folgt: Das Urteil des Verwaltungsgerichts verletze Bundesrecht; denn § 2 Abs. 1 Satz 3 VermG benenne nur Ansprüche von jüdischen Berechtigten. Darunter könnten schon begrifflich keine nichtjüdischen Berechtigten, wie Frau G., fallen. Da sie keine Jüdin gewesen sei, sei auch ihr Unternehmen nach § 1 Abs. 1 der Dritten Verordnung zum Reichsbürgergesetz nicht jüdisch gewesen. Selbst wenn das Unternehmen aber als jüdisch eingestuft worden sei, wäre die Unternehmensinhaberin als natürliche Person und Geschädigte nicht jüdisch. Nur bei juristischen Personen sei die genannte Verordnung für die Bestimmung, ob eine jüdische Berechtigte vorliege, maßgeblich. Auch aus dem systematischen Vergleich von § 2 Abs. 1 Satz 3 VermG und § 1 Abs. 6 VermG folge zwingend, dass § 2 Abs. 1 Satz 3 VermG einschränkende Wirkung haben müsse und nicht sämtliche im Sinne des § 1 Abs. 6 VermG Geschädigten erfasse. Sinn und Zweck der Norm ergäben ebenfalls, dass sie nur auf jüdische Personen anwendbar sei. Die Rechtsnachfolgefiktion könne nur soweit reichen, wie jüdisches Vermögen geschädigt worden sei, weil nur in diesem Umfang die Treuhandstellung der Klägerin zu rechtfertigen sei. Dies belege der historische Hintergrund, aus dem sich ergebe, dass die Errichtung von Nachfolgeorganisationen untrennbar mit der Anerkennung eines Kollektivanspruches des jüdischen Volkes zusammenhänge.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen, und erwidert: Bei der Auslegung des Begriffs "jüdischer Berechtigter" sei nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung auf das im Nationalsozialismus herrschende Rechtsverständnis abzustellen. Dass das in Rede stehende Unternehmen als jüdischer Gewerbebetrieb gegolten habe, ergebe sich ohne weiteres aus seiner Aufnahme in das "Verzeichnis jüdischer Gewerbebetriebe". Die damalige Ideologie habe zumindest bei der Frage der Behandlung des Vermögens den "jüdisch Versippten" einem Juden gleichgestellt. Deshalb müsse heute mit Blick auf die hieraus entstandenen vermögensrechtlichen Ansprüche ein "jüdisch versippter Berechtigter" einem "jüdischen Berechtigten" gleichgestellt werden. Nur so könne dem Zweck des § 2 Abs. 1 Satz 3 VermG umfassend Rechnung getragen werden, dass nicht der Fiskus des Staates begünstigt werden solle, in dessen Geschichte sich das wiedergutzumachende Unrecht ereignet habe.

II.

Die Revision ist begründet. Das Urteil des Verwaltungsgerichts verletzt Bundesrecht; denn bei richtiger Auslegung des § 2 Abs. 1 Satz 3 VermG ist die Klägerin nicht berechtigt, vermögensrechtliche Ansprüche der geschädigten Dora G. als deren Rechtsnachfolgerin geltend zu machen. Das angegriffene Urteil muss daher aufgehoben und die Klage abgewiesen werden.

Nach § 2 Abs. 1 Satz 3 VermG gilt die Klägerin als Rechtsnachfolgerin, soweit Ansprüche von jüdischen Berechtigten im Sinne des § 1 Abs. 6 oder deren Rechtsnachfolgern nicht geltend gemacht werden. Da die Geschädigte Frau G. nach den insoweit nicht angegriffenen Feststellungen des Verwaltungsgerichts keine Jüdin gewesen ist, kann sie - geht man allein von der heutigen Wortbedeutung dieses Tatbestandsmerkmals aus - auch keine jüdische Berechtigte sein.

Auch die Tatsache, dass die Geschädigte als Ehefrau eines Juden rassisch verfolgt worden ist, macht sie nicht selbst zur Jüdin. Das gilt auch dann, wenn man den Begriff im Sinne der nationalsozialistischen Rassenideologie auslegt, wie er im Reichsbürgergesetz und den dazu erlassenen Verordnungen seinen Ausdruck gefunden hat; denn der Ehegatte eines Juden wurde danach nur dann als Jude angesehen, wenn er zwei "volljüdische" Großeltern hatte (vgl. § 5 Abs. 2 Buchst. b) der Ersten Verordnung zum Reichsbürgergesetz).

Schließlich wird die Geschädigte nicht deswegen zur jüdischen Berechtigten im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 3 VermG, weil ihr Betrieb als jüdisch betrachtet wurde. Rechtsgrundlage dafür war offenbar Art. I § 3 der Dritten Verordnung zum Reichsbürgergesetz, wonach ein Gewerbebetrieb als jüdisch galt, wenn er tatsächlich unter dem beherrschenden Einfluss von Juden stand. Diese Qualifizierung des Unternehmens ändert nichts daran, dass die geschädigte Inhaberin "Arierin" blieb. Insoweit ist der Hinweis auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. September 2001 - BVerwG 8 C 11.00 - (Buchholz 428 § 2 VermG Nr. 61) verfehlt; denn dort ging es um eine geschädigte Unternehmensträgerin in Form einer juristischen Person, die nach Art. I § 1 Abs. 3 der genannten Dritten Verordnung als jüdisch galt. Damit waren aber - hält man diese Definition im Rahmen des § 2 Abs. 1 Satz 3 VermG für maßgeblich - die Voraussetzungen für eine Rechtsnachfolge der Klägerin nach dieser Norm erfüllt.

Der Begriff des jüdischen Berechtigten im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 3 VermG lässt sich auch nicht im Wege der Analogie auf nicht jüdische Personen erstrecken, die wegen jüdischer Angehöriger einer Kollektiverfolgung nach § 1 Abs. 6 VermG ausgesetzt waren. Eine solche Erweiterung des Rechtsnachfolgetatbestandes über den Wortlaut der Norm hinaus entspricht nicht dem Sinn der Regelung. Die Klägerin soll - worauf auch ihr Name hindeutet - materielle jüdische Ansprüche, die von den Geschädigten nicht geltend gemacht werden, zum Zweck der kollektiven Wiedergutmachung zu Gunsten des jüdischen Volkes durchsetzen. Ihre Rechtsnachfolge knüpft daher nicht nur an die Verfolgung der Juden an, sondern auch daran, dass der betroffene Vermögenswert einem Juden zugeordnet war. Es reicht daher nicht aus, dass die vermeintliche Rechtsvorgängerin, weil sie mit einem Juden verheiratet war, "wie eine Jüdin" verfolgt worden ist, sie müsste zumindest "als Jüdin" verfolgt worden sein; denn nur dann ist es gerechtfertigt, den entzogenen Vermögenswert der Klägerin gleichsam stellvertretend für das jüdische Volk zu restituieren.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.



Ende der Entscheidung

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