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Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 02.08.2001
Aktenzeichen: BVerwG 7 C 28.00
Rechtsgebiete: VermG


Vorschriften:

VermG § 1 Abs. 6
VermG § 2 Abs. 1 Satz 5
Eine Landeskirche kann als Nachfolgeorganisation einer aufgelösten, ehemals rechtlich selbstständigen kirchlichen Einrichtung Berechtigte im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 5 VermG sein.
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

BVerwG 7 C 28.00 VG 6 A 1143/96

Verkündet am 2. August 2001

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 2. August 2001 durch den Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts Dr. Franßen und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Gödel, Kley, Herbert und Neumann

für Recht erkannt:

Tenor:

Das Urteil des Verwaltungsgerichts Greifswald vom 14. September 1999 wird aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen.

Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

Gründe:

I.

Die Klägerin begehrt die vermögensrechtliche Rückübertragung von Grundstücken, deren frühere Eigentümerin die 1851 gegründete Anstalt "Haus Bethanien", ein auf der Grundlage der Ideen Johann Hinrich Wicherns geführtes Kinder- und Erziehungsheim, war. Die seit 1872 in Neubrandenburg ansässige und im Jahre 1871 mit den Rechten einer juristischen Person ausgestattete Anstalt erwarb dort im Wesentlichen in den Jahren 1906 bis 1912 Grundstücke, die etwa 45 ha umfassen.

Die Anstalt schloss sich im Jahre 1922 dem Mecklenburgischen Landesverein für Innere Mission an. Nach ihrer Satzung aus dem Jahre 1925 war es Zweck der Anstalt, gefährdete Knaben und Mädchen aus Mecklenburg-Strelitz aufzunehmen, um sie "im Geiste der Joh.Hinr.Wichernschen Erziehungsgrundsätze durch ein christlich geordnetes Familienleben und zweckdienliche Unterweisung zu brauchbaren Gliedern der evangelisch-lutherischen Kirche und der bürgerlichen Gesellschaft heranzubilden". Dem mindestens siebenköpfigen Vorstand musste ein Neubrandenburger Geistlicher angehören. Änderungen der Satzung konnte der Vorstand mit absoluter Mehrheit beschließen.

In einer Sitzung des Vorstands vom 15. Oktober 1936 trat dessen Vorsitzender zurück. An seine Stelle trat ein dem Vorstand bereits angehörender Stadtrat, der Mitglied der NSDAP war. In der Sitzung wurde eine Änderung der Satzung beschlossen. Zweck der Anstalt sollte es danach sein, charakterlich und sittlich gefährdete Knaben und Mädchen im nationalsozialistischen Sinne zu erziehen. Sie sollten "durch ein christlich geordnetes deutsches Familienleben und zweckdienliche Unterweisung gemäß den Joh.Hinr.Wichernschen Erziehungsgrundsätzen zu brauchbaren Volksgenossen herangebildet werden". Nach der geänderten Satzung lag die Leitung der Anstalt nicht mehr bei dem Vorstand und einem aus diesem gebildeten Verwaltungsrat, sondern bei dem Vorsitzenden des Vorstands, der dessen weitere Mitglieder berief. Die Berufung eines Geistlichen war nicht mehr vorgesehen.

Die Anstalt legte dem Mecklenburgischen Staatsministerium die Satzungsänderung zur Genehmigung vor. Das Staatsministerium gab dem Oberkirchenrat Gelegenheit zur Äußerung. Dieser widersprach der beabsichtigten Satzungsänderung, weil sie den bisher unbestreitbar kirchlichen Charakter der Anstalt beseitige.

Unter dem 15. Dezember 1939 genehmigte das Mecklenburgische Staatsministerium die neugefasste Satzung mit weiteren Änderungen. Danach sollte es Zweck der Anstalt nur noch sein, charakterlich und sittlich gefährdete Knaben und Mädchen für die nationalsozialistische Volksgemeinschaft zu erziehen.

Durch Vertrag vom 12. Oktober 1942 übertrug die Anstalt ihr Vermögen einschließlich der ihr gehörenden Grundstücke ohne besondere Gegenleistung auf die Nationalsozialistische Volkswohlfahrt, die Eigentümerin der Grundstücke wurde. Daraufhin hob mit Verfügung vom 2. Juni 1943 das Mecklenburgische Staatsministerium die von ihm als Stiftung bezeichnete Anstalt auf, weil die Nationalsozialistische Volkswohlfahrt den satzungsgemäß verfolgten Zweck übernommen habe und der Zweck der Stiftung damit nicht mehr erfüllt werden könne.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurden die Grundstücke auf der Grundlage des SMAD-Befehls Nr. 126 als Eigentum einer nationalsozialistischen Organisation enteignet und in das Eigentum des Volkes überführt. Eigentümer der Grundstücke sind heute die Beigeladenen.

Den Antrag der Klägerin vom 28. September 1990 auf Rückübertragung der Grundstücke lehnte der Beklagte ab. Zur Begründung führte er aus: Die Klägerin sei nicht Rechtsnachfolgerin der aufgehobenen Anstalt. Diese sei keine kirchliche Einrichtung gewesen. Sie sei organisatorisch nicht in die evangelische Kirche eingebunden gewesen. Die Anstalt habe zudem ihr Eigentum nicht auf Grund einer Verfolgung im Sinne des § 1 Abs. 6 VermG verloren.

Die Klage der Klägerin auf Rückübertragung der Grundstücke oder auf Feststellung der Berechtigung bei wirksamer Verfügung hat das Verwaltungsgericht durch das angefochtene Urteil abgewiesen: Die Klägerin sei nicht Rechtsnachfolgerin der aufgehobenen Anstalt. Sie sei nicht auf Grund Gesetzes, einseitigen Hoheitsakts oder Rechtsgeschäfts im Wege der Einzel- oder Gesamtrechtsnachfolge anstelle der geschädigten Anstalt Rechtsinhaber der Vermögenswerte oder des an ihre Stelle getretenen vermögensrechtlichen Anspruchs geworden. Eine Rechtsnachfolge der Klägerin lasse sich nicht aus der Kirchengutsgarantie herleiten. Die Kirchengutsgarantie schütze die kirchliche Zweckbestimmung des Vermögenswertes. Der Verlust dieser Zweckbestimmung sei nicht Gegenstand der vermögensrechtlichen Restitution. Grundlage für die Teilnahme am Rechtsverkehr und die Möglichkeit einer Rechtsnachfolge sei hingegen allein das staatliche Recht, das hier gerade keine Rechtsnachfolge der Klägerin begründe. Darüber hinaus fehle es an einer Schädigung im Sinne des § 1 Abs. 6 VermG. Die Änderung der Satzung habe dem Ziel gedient, das Führerprinzip einzuführen sowie den Anstaltszweck an nationalsozialistische Grundsätze und Ziele anzupassen und gleichzeitig den konfessionellen Zweck zu verdrängen. Dies sei ein typischer Fall der Gleichschaltung, bei der es sich nicht um eine Verfolgung im Sinne des § 1 Abs. 6 VermG gehandelt habe. Ob die Vorstandsmitglieder dabei auf Druck oder unter Drohungen der nationalsozialistischen Machthaber gehandelt hätten, sei unerheblich. Als die Anstalt ihr Vermögen auf die Nationalsozialistische Volkswohlfahrt übertragen habe, habe eine Gegnerschaft der Anstalt zum Nationalsozialismus nicht bestanden. Die Anstalt habe ihren konfessionellen Erziehungszweck bereits zuvor aufgegeben.

Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Sie macht geltend: Sie sei Nachfolgeorganisation der aufgelösten Anstalt und deshalb Berechtigte im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 5 VermG. Die aufgehobene Anstalt sei eine kirchliche Stiftung gewesen. Ihre Funktion müsse dem diakonischen Wirkungskreis der Landeskirche zugerechnet werden. Neben dem auch staatlichen Zweck einer Fürsorge für gefährdete Jugendliche habe eindeutig deren christliche Erziehung im Sinne des evangelischen Bekenntnisses im Vordergrund gestanden. Einer Zuordnung zur evangelischen Landeskirche stehe nicht entgegen, dass bisher Anhaltspunkte für eine kirchliche Aufsicht über die Anstalt fehlten und die Satzung einen Heimfall des Vermögens an die Landeskirche nicht vorgesehen habe. Ihr, der Klägerin, obliege es, die von der Stiftung verfolgten kirchlichen Zwecke wahrzunehmen. Ihre Rechtsnachfolge in das Vermögen aufgehobener kirchlicher Stiftungen folge im Übrigen auch aus der Kirchengutsgarantie. Diese verbiete ein Verständnis des Begriffs der Nachfolgeorganisation, welches eine unrechtmäßige säkularisierende Entziehung von Kirchengut perpetuiere, obgleich dieses durch Rückübertragung auf die zuständige Landeskirche seiner kirchlichen Funktion wieder zugeführt werden könnte. Der Vermögensverlust sei schließlich auf Grund von Verfolgungsmaßnahmen im Sinne des § 1 Abs. 6 VermG eingetreten. Insbesondere kirchliche Einrichtungen der Jugenderziehung seien als Gegner der nationalsozialistischen Bestrebungen angesehen und deshalb verfolgt worden. Typischerweise hätten die Nationalsozialisten solche Organisationen auf formal legalem Wege durch Satzungsänderungen ausgeschaltet, indem sie gezielt die Stiftungsorgane unterwandert und nachfolgend Ziele und Arbeitsweise der Einrichtung nationalsozialistisch ausgerichtet hätten. Diese in der Forschung belegte Vorgehensweise werde hier geradezu exemplarisch deutlich.

Der Beklagte hält die Revision für unbegründet: Das "Haus Bethanien" sei nicht im Sinne von § 1 Abs. 6 VermG verfolgt worden. Die freie Wohlfahrtspflege habe sich zum Zeitpunkt der nationalsozialistischen Machtergreifung in einem Zustand konservativer Neuorientierung befunden. Das neue Regime sei überwiegend positiv aufgenommen worden. In den Chor der nationalen Begeisterung habe auch die konfessionelle Wohlfahrtspflege eingestimmt. Insbesondere der Anstaltsvorsteher habe dem Nationalsozialismus sehr aufgeschlossen gegenübergestanden und versucht, christliche und nationalsozialistische Vorstellungen miteinander zu verbinden, wie mehrere von ihm veröffentlichte Artikel in der Mecklenburgischen Schulzeitung zeigten. Im Übrigen sei die Klägerin nicht Rechtsnachfolgerin der aufgelösten Anstalt. Als Nachfolgeorganisation hätte allenfalls das Diakonische Werk anerkannt werden können. Es sei zwar nach seinem Selbstverständnis Teil der evangelischen Landeskirche, rechtlich aber von ihr getrennt selbst Träger von Rechten und Pflichten. Jedenfalls könne das "Haus Bethanien" nicht als kirchliche Einrichtung angesehen werden. Es habe sich insbesondere in dem Zeitraum ab 1933, der für die Anwendung des § 1 Abs. 6 VermG maßgeblich sei, aus eigenem Antrieb von kirchlichen Zielen abgewandt.

Die Beigeladene zu 7 beantragt, die Revision zurückzuweisen. Sie macht geltend: Nachfolgeorganisation im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 5 VermG könne in der Regel nur eine Organisation sein, die nach der Auflösung neu entstanden und an die Stelle der aufgelösten Vereinigung getreten sei. Dies treffe nicht auf eine "Mutterorganisation" zu, die - wie die Klägerin - bei Auflösung der Vereinigung bereits existiert habe. Überdies seien die Organisationsstatuten nicht vergleichbar. Schließlich bestünden keine konkreten Anhaltspunkte für eine Verfolgung des "Haus Bethanien".

II.

Die Revision der Klägerin ist begründet. Das Urteil des Verwaltungsgerichts verletzt Bundesrecht. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts gilt die Klägerin als Rechtsnachfolgerin der aufgehobenen Anstalt "Haus Bethanien", sofern es sich bei dieser Anstalt um eine kirchliche Einrichtung gehandelt hat. Hierzu hat das Verwaltungsgericht von seinem rechtlich unzutreffenden Ansatz aus keine tatsächlichen Feststellungen getroffen (1). Des Weiteren ist das Verwaltungsgericht von einem mit der Vorschrift des § 1 Abs. 6 VermG nicht zu vereinbarenden Begriff der Verfolgung aus politischen, religiösen oder weltanschaulichen Gründen ausgegangen. Auch hier lassen die bisher getroffenen tatsächlichen Feststellungen keine abschließende Entscheidung zu, ob die aufgehobene Anstalt ihr Vermögen aus den Gründen des § 1 Abs. 6 VermG verloren hat (2). Daher ist das Urteil des Verwaltungsgerichts nach § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO aufzuheben und der Rechtsstreit zur weiteren Sachaufklärung an das Verwaltungsgericht zurückzuverweisen.

1. Die Klägerin ist zwar nicht Rechtsnachfolgerin im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 VermG. Sie ist weder kraft Gesetzes noch kraft Rechtsgeschäfts oder Hoheitsakts an die Stelle der aufgelösten Anstalt getreten (vgl. BVerwG, Beschluss vom 23. Februar 1994 - BVerwG 7 B 4.94 -, RGV C I 30). Das Verwaltungsgericht ist jedoch nicht der Frage nachgegangen, ob die Klägerin nach § 2 Abs. 1 Satz 5 Halbsatz 1 VermG als Rechtsnachfolgerin der aufgehobenen Anstalt gilt. In den Fällen des § 1 Abs. 6 VermG gelten als Rechtsnachfolger von aufgelösten oder zur Selbstauflösung gezwungenen Vereinigungen die Nachfolgeorganisationen, die diesen Vereinigungen nach ihren Organisationsstatuten entsprechen und deren Funktionen oder Aufgaben wahrnehmen oder deren satzungsmäßige Zwecke verfolgen.

Die Klägerin ist Nachfolgeorganisation der aufgehobenen Anstalt, wenn diese eine kirchliche Einrichtung gewesen ist.

In der Nachfolge der aufgelösten oder zur Selbstauflösung gezwungenen Vereinigung stehen nicht nur solche Organisationen, die nach dem Ende der Verfolgungszeit neu gegründet wurden und heute die Funktionen oder Aufgaben wahrnehmen, die ehedem die aufgelöste oder zur Selbstauflösung gezwungene Vereinigung wahrgenommen hat. Sowohl begrifflich als auch der Sache nach kann eine Nachfolgeorganisation vielmehr auch eine solche Vereinigung sein, die - wie die Klägerin - schon bei der Auflösung der verfolgten Vereinigung bestand und deren Aufgaben entweder unmittelbar übernommen oder nach Wegfall des Verfolgungsdrucks aufgegriffen hat.

Die Klägerin nimmt die Aufgaben war, welche die aufgelöste Anstalt seinerzeit verwirklicht hat. Nach dem Selbstverständnis der evangelischen Kirche gehört zu ihren Aufgaben neben der Verkündigung auch eine Tätigkeit im jugendfürsorgerischen Bereich. Sie versteht dies als Teil ihres Auftrags, erzieherische Aufgaben in diakonisch-karitativer Form zu erfüllen und damit eine Forderung des religiösen Bekenntnisses zu verwirklichen. Hierfür unterhält sie selbst oder durch ihr verbundene Organisationen Einrichtungen der Jugenderziehung und der Jugendfürsorge. Das "Haus Bethanien" hatte nach seiner Satzung Teil an der Wahrnehmung dieser Aufgaben. Es nahm gefährdete Knaben und Mädchen auf, um sie "im Sinne der Joh.Hinr.Wichernschen Erziehungsgrundsätze durch ein christlich geordnetes Familienleben und zweckdienliche Unterweisung zu brauchbaren Gliedern der evangelisch-lutherischen Kirche und der bürgerlichen Gesellschaft heranzubilden" (so die Satzung von 1925).

Die Klägerin entspricht im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 5 VermG nach ihren Organisationsstatuten der aufgelösten Anstalt. Eine vollständige Identität der inneren Organisation wird damit nicht verlangt. Ist eine aufgelöste Vereinigung ohne Rechtsnachfolger im engeren Sinne geblieben, will die Fiktion der Rechtsnachfolge in dieser Vorschrift verhindern, dass dadurch entgegen der angestrebten Wiedergutmachung vornehmlich der Fiskus des Staates begünstigt wird, der das wiedergutzumachende Unrecht zu verantworten hat. Dementsprechend wird der Rechtsnachfolge die Funktionsnachfolge gleichgestellt. Die Nachfolge in die Funktion der aufgelösten Vereinigung ist das entscheidende Kriterium; die Entsprechung in den Rechtsformen, in denen diese Funktion ausgeübt wird, tritt dahinter zurück. Da die Kirchen selbst darüber zu befinden haben, durch welche Einrichtungen und in welchen Rechtsformen kirchliche Aufgaben erfüllt werden, genügt es dem organisatorischen Erfordernis des § 2 Abs. 1 Satz 5 VermG, wenn die kirchliche Aufgabe einer erloschenen Einrichtung funktionsadäquat wahrgenommen wird.

Die Klägerin kann danach Nachfolgeorganisation einer einzelnen, rechtlich zwar selbstständig gewesenen, ihr aber durch ihre innere Organisation zugeordneten Einrichtung sein. Sie nimmt zwar selbst und durch ihr verbundene Einrichtungen noch zahlreiche andere Aufgaben wahr. Sie ist notwendig anders organisiert als eine einzelne Einrichtung der kirchlichen Wohlfahrtspflege und lässt sich demgemäß als Dach- oder Mutterorganisation solcher einzelnen Einrichtungen kennzeichnen. Nach dem Zweck der in § 2 Abs. 1 Satz 5 VermG getroffenen Regelung liegt aber eine ausreichende organisatorische Entsprechung sowohl dann vor, wenn eine Dachorganisation die in Rede stehende Aufgabe durch organisatorisch ausgegliederte, aber nicht rechtlich verselbstständigte Einrichtungen unmittelbar selbst wahrnimmt, als auch dann, wenn sie diese Aufgabe durch rechtlich selbstständige, aber mit ihr organisatorisch verbundene einzelne Einrichtungen wahrnehmen lässt.

Allerdings verwirklicht die Klägerin nunmehr ihren selbst gesetzten Auftrag auf dem Feld religiös-karitativer Zwecke durch das Diakonische Werk der evangelisch-lutherischen Kirche Mecklenburgs. Im Diakonischen Werk sind alle Rechtsträger zusammengeschlossen, die im Bereich der Klägerin Aufgaben der Diakonie wahrnehmen (§ 1 der Satzung). Dazu gehören die Aufgaben der Jugendfürsorge im engeren Sinne, nämlich die Heimerziehung. Das Diakonische Werk ist zwar der Klägerin verbunden, eine Lebens- und Wesensäußerung der Kirche, wie es in seiner Satzung heißt. Es ist aber als eingetragener Verein rechtlich selbstständig.

Das Diakonische Werk schließt jedoch die Klägerin nicht als Berechtigte im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 5 VermG aus. Als sie ihren Antrag auf Rückübertragung der streitigen Grundstücke stellte, war das Diakonische Werk noch nicht rechtlich verselbstständigt. Als Nachfolgeorganisation kam seinerzeit allein die Klägerin in Betracht. Ist der Antragsteller aber im Zeitpunkt seiner Antragstellung als Nachfolgeorganisation im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 5 VermG anzuerkennen, weil er Aufgaben und Funktionen der aufgelösten Vereinigung wahrnimmt, verliert er seine damit gegebene Stellung als Berechtigter im Sinne des § 2 Abs. 1 VermG nicht, solange er die Wahrnehmung dieser Aufgabe nicht aufgibt; seine Eigenschaft als Funktionsnachfolger entfällt insbesondere nicht deswegen, weil er sich im Sinne einer dezentralen Gliederung so organisiert, dass er diese Aufgabe weiterhin als eigene von einer ihm zugehörigen Organisation wahrnehmen lässt. So verhält es sich hier. Die Klägerin hat zum Zeitpunkt der Antragstellung die Aufgaben der Diakonie, zu der auch die Jugendfürsorge im Sinne einer Heimerziehung gehört, noch selbst oder durch das von ihr getragene noch rechtlich unselbstständige Diakonische Werk wahrgenommen. Die Verselbstständigung des diakonischen Werkes ändert nichts daran, dass die Klägerin die Aufgabe weiterhin als eigene wahrnehmen lässt.

Rechtsnachfolgerin im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 5 ist die Klägerin aber nur, wenn die aufgelöste Anstalt "Haus Bethanien" eine kirchliche Einrichtung war. Von einer kirchlichen Einrichtung ist dann auszugehen, wenn die Einrichtung nach kirchlichem Selbstverständnis ihrem Zweck oder ihrer Aufgabe entsprechend berufen ist, ein Stück Auftrag der Kirche in dieser Welt wahrzunehmen und zu erfüllen und die Einrichtung der Kirche organisatorisch und institutionell verbunden ist (vgl. beispielsweise BVerfG, Beschluss vom 11. Oktober 1977 - 2 BvR 209/76 - BVerfGE 46, 73, 85 ff.).

Die Anstalt "Haus Bethanien" hat - wie dargelegt - in diesem Sinne ein Stück Auftrag der Kirche in dieser Welt wahrgenommen. Hingegen reichen die bisherigen tatsächlichen Feststellungen nicht für die Entscheidung der Frage aus, ob die Anstalt "Haus Bethanien" der Klägerin organisatorisch und institutionell verbunden war. Eine solche institutionelle oder organisatorische Zuordnung zur Klägerin setzt voraus, dass die Klägerin die Wahrnehmung kirchlicher Aufgaben durch die Anstalt vor dem schädigenden Ereignis aus eigenem Recht gewährleisten konnte. Das ist insbesondere dann zu bejahen, wenn die Anstalt einer kirchlichen Aufsicht unterlag oder wenn die Klägerin auf die Zusammensetzung des Vorstands als des Organs, das zur Leitung der Anstalt berufen war, maßgeblich einwirken konnte. Ob die Anstalt "Haus Bethanien" in diesem Sinne institutionell und organisatorisch der Kirche verbunden und damit eine kirchliche Einrichtung war, muss für die Zeit vor Einsetzen der möglichen Verfolgung, und damit für die Zeit vor der Satzungsänderung im Jahre 1936 festgestellt werden.

Nicht eindeutig ist, ob die Anstalt einer kirchlichen Aufsicht durch den Oberkirchenrat unterlag. Dabei kommt es in erster Linie auf die Zeit nach In-Kraft-Treten der Weimarer Reichsverfassung an. Diese hat die Staatskirchen beseitigt (Art. 137 Abs. 1 WRV). Zuvor war der Großherzog von Mecklenburg-Strelitz zugleich Inhaber der Kirchenhoheit; eine durch ihn und ihm nachgeordnete Behörden ausgeübte Aufsicht wird sich dabei noch nicht eindeutig einer staatlichen oder einer kirchlichen Aufsicht zuordnen lassen. Erkenntnisse über die Handhabung der Aufsicht unter Geltung der Weimarer Reichsverfassung liegen bisher nicht vor. Das Schreiben des mecklenburgischen Staatsministeriums - Abteilung Inneres - vom 4. März 1937 an die Abteilung Geistliche Angelegenheiten erwähnt als Gegenstände staatlicher Befassung nur die Genehmigung der Satzung und die Anweisung staatlicher Beihilfen. Vor der Genehmigung der Satzungsänderung von 1936 hat das Staatsministerium die Klägerin angehört. Das kann darauf hindeuten, dass das Staatsministerium von einer (zumindest auch) kirchlichen Aufsicht über die Anstalt ausging.

Personell war die Anstalt mit der Kirche verflochten. Dem mindestens siebenköpfigen Vorstand gehörte nach den Satzungen sowohl von 1871 als auch von 1925 ein Geistlicher aus Neubrandenburg an. Damit war ein bestimmender Einfluss der Klägerin auf das Leitungsorgan der Anstalt allein nach der Satzung noch nicht gegeben, denn der Vorstand bestand aus mindestens sieben Mitgliedern. Immerhin wird die Satzung dahin zu verstehen sein, dass mit der Vertretung eines Neubrandenburger Geistlichen im Vorstand nicht nur die örtliche Kirchengemeinde als wichtige Institution der örtlichen Gemeinschaft neben anderen repräsentiert sein sollte. Mit der vorgeschriebenen Vertretung eines Neubrandenburger Geistlichen sollte vielmehr die kirchliche Prägung der Einrichtung hervorgehoben werden. Neben der satzungsrechtlich festgeschriebenen Mitwirkung eines Neubrandenburger Geistlichen im Vorstand kann sich ein Einfluss der Kirche auf die Anstalt auch aus den tatsächlichen Verhältnissen ergeben haben. Faktisch haben dem Vorstand wohl von Anfang an in wesentlich größerer Zahl kirchliche Amtspersonen angehört. Nach den vorliegenden Jahresberichten stammte aus diesem Kreis durchweg die Hälfte oder mehr als die Hälfte der Vorstandsmitglieder. Wurden in dieser Zahl regelmäßig kirchliche Amtspersonen in den Vorstand berufen, ist der damit gegebene Einfluss auch rechtlich von Bedeutung. Denn nach der Satzung sowohl von 1871 als auch nach derjenigen von 1925 ergänzte sich der Vorstand bei Freiwerden einer Stelle selbst. Er berief das neue Vorstandsmitglied mit einfacher Mehrheit. Die vorliegenden Unterlagen stammen allerdings nur aus dem 19. Jahrhundert. Die weitere Entwicklung bis in die hier maßgebliche Zeit bedarf der Klärung.

Ein Indiz für die Kirchlichkeit der Anstalt könnte eine Herkunft ihres Vermögens aus kirchlichen Mitteln sein. Ausreichende Feststellungen hierzu sind bisher ebenfalls nicht getroffen.

Die Kirchlichkeit der Anstalt kann nicht mit der Begründung verneint werden, die Anstalt habe auch ohne die evangelische Kirche einen Sinn und eine Daseinsberechtigung gehabt. Nach der Satzung der Anstalt war die Erziehung darauf ausgerichtet, die aufgenommenen Knaben und Mädchen zu brauchbaren Gliedern der evangelisch-lutherischen Kirche heranzubilden. Ein Kind wurde in der Regel nur aufgenommen, wenn der Taufschein beigebracht war. Ohne die Existenz einer evangelischen Kirche hätte die Anstalt ihre Ziele und Ideale nicht verfolgen können.

2. Die Klägerin ist auch bei unterstellter Rechtsnachfolge allerdings nur dann Berechtigte im Sinne des § 2 Abs. 1 VermG, wenn die betroffenen Grundstücke einer schädigenden Maßnahme im Sinne des § 1 Abs. 6 VermG unterlagen. Das Verwaltungsgericht hat dies verneint; seine hierzu angestellten Erwägungen halten aber ebenfalls der revisionsgerichtlichen Nachprüfung nicht stand.

Nach § 1 Abs. 6 VermG ist das Vermögensgesetz auf vermögensrechtliche Ansprüche von Bürgern und Vereinigungen entsprechend anzuwenden, die in der Zeit vom 30. Januar 1933 bis zum 8. Mai 1945 aus rassischen, politischen, religiösen oder weltanschaulichen Gründen verfolgt wurden und deshalb ihr Vermögen infolge von Zwangsverkäufen, Enteignungen oder auf andere Weise verloren haben. Unter Verfolgungsmaßnahmen aus politischen, religiösen oder weltanschaulichen Gründen sind nur solche Maßnahmen zu verstehen, die ihren Grund darin hatten, dass der Verfolgte auf politischem, religiösem oder weltanschaulichem Gebiet als ein Gegner der nationalsozialistischen Herrschaft oder nationalsozialistischer Bestrebungen oder nationalsozialistischen Gedankenguts angesehen wurde. Nicht dem Begriff der Verfolgung aus politischen, religiösen oder weltanschaulichen Gründen unterfallen allgemeine Gleichschaltungsmaßnahmen dann, wenn in ihnen lediglich der totalitäre Herrschaftsanspruch des Nationalsozialismus und dessen Bestreben zum Ausdruck kamen, bislang selbstständigen Organisationen ihre Unabhängigkeit zu nehmen und sie unter den ausschließlichen Einfluss der Partei zu bringen. Allgemeine Gleichschaltungsmaßnahmen können aber auch ein anderes als dieses Motiv gehabt haben, nämlich das Motiv, über die bloße Gleichschaltung hinaus die Organisation gerade wegen ihrer dem Nationalsozialismus entgegengesetzten Überzeugung zu treffen, mithin sie in diesem Sinne als Gegner auszuschalten (BVerwG, Beschluss vom 5. September 1997 - BVerwG 7 B 146.97 - Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 122).

Dem Urteil des Verwaltungsgerichts liegt hiervon abweichend die Auffassung zu Grunde, Gleichschaltungsmaßnahmen und Maßnahmen politischer Verfolgung schlössen einander aus. Das Verwaltungsgericht stellt bei der zusammenfassenden Würdigung des Sachverhalts fest, bei der Anpassung des Anstaltszwecks an nationalsozialistische Grundsätze und Ziele bei gleichzeitiger Verdrängung des konfessionellen Zwecks habe es sich um einen typischen Fall der Gleichschaltung gehandelt. Damit verneint das Verwaltungsgericht eine politische Verfolgung, ohne die nahe liegende Frage aufzuwerfen und zu beantworten, ob die Verdrängung des konfessionellen Zwecks ihren Grund darin hatte, dass die Anstalt als Gegner der nationalsozialistischen Herrschaft angesehen wurde; dementsprechend fehlt es auch an den hierfür erforderlichen tatsächlichen Feststellungen.

Für die weitere Behandlung der Sache durch das Verwaltungsgericht weist der Senat darauf hin, dass es für eine solche Einschätzung als Gegner des Nationalsozialismus nicht allein auf die Äußerungen des (angestellten) Anstaltsvorstehers ankommt, die der Beklagte im Revisionsverfahren vorgelegt hat und die eine Übereinstimmung mit den Zielen des Nationalsozialismus im Bereich der Jugenderziehung erkennen lassen. Maßgeblich ist vielmehr das Verhalten des Anstaltsvorstandes und der für die kirchliche Prägung der Anstalt verantwortlichen Kirchenleitung. Diese ist auf Grund ihres Einflusses, der für eine kirchliche Einrichtung vorauszusetzen ist, für die Bestimmung und Wahrung der konfessionellen Erziehungsziele verantwortlich.

Des Weiteren würde es dem damaligen Geschehensablauf nicht gerecht, zwischen der Satzungsänderung im Jahre 1936 einerseits, der späteren Aufhebung der Anstalt im Jahre 1942 und der damit einhergehenden Übertragung des Vermögens auf die NS-Volkswohlfahrt andererseits zu trennen. Ein verfolgungsbedingter Eigentumsverlust kann nicht mit der Begründung abgelehnt werden, die Satzungsänderung von 1936 möge durch Zwang zu Stande gekommen sein, habe aber den Eigentumsverlust nicht bewirkt, die Aufhebung der Anstalt hingegen habe zwar zum Eigentumsverlust geführt, sei aber nicht durch eine Verfolgung bedingt gewesen, weil eine kirchliche Einrichtung jedenfalls zu dieser Zeit nicht mehr bestanden habe. Das Geschehen ist vielmehr als ein einheitlicher auf den Entzug des Eigentums gerichteter Vorgang zu bewerten. Dessen erster Akt war die Änderung der Satzung. Mit der Aufhebung der Anstalt hat er sich vollendet. Die Änderung der Satzung beseitigte die kirchliche Zweckbindung der Anstalt. Zugleich wurde die Zusammensetzung des Vorstands neu geregelt. Dadurch wurde jeder Einfluss der Kirche auf die Anstalt beseitigt. Diese Entkirchlichung der Anstalt ermöglichte deren Aufhebung mit der Begründung, sie erfülle keine Aufgaben mehr, die nicht schon die NS-Volkswohlfahrt wahrnehme.

Zu berücksichtigen ist ferner die Vermutung des § 1 Abs. 6 Satz 2 VermG i.V.m. Art. 3 Abs. 2 REAO und die rückerstattungsrechtliche Rechtsprechung hierzu. Danach wird ein verfolgungsbedingter Vermögensverlust zu Gunsten des Berechtigten vermutet, wenn Vermögensgegenstände durch jemanden aufgegeben wurden, der zu einem Personenkreis gehörte, den in seiner Gesamtheit die deutsche Regierung oder die NSDAP aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, der politischen Auffassung oder der politischen Gegnerschaft vom kulturellen und wirtschaftlichen Leben Deutschlands auszuschließen beabsichtigte.

Zu den in diesem Sinne kollektiv Verfolgten haben nach einhelliger Auffassung zwar weder die Kirchen als solche noch die Kirchengemeinden gehört (vgl. etwa CSR Rastatt RzW 1954, 49 sowie RzW 1955, 284; BoR Herford RzW 1952, 18; OLG Hamm RzW 1952, 80; WK Braunschweig RzW 1951, 77). In der Rechtsprechung der Rückerstattungsgerichte sind jedoch die kirchlichen Jugendorganisationen, die kirchlichen Erziehungsorganisationen und die kirchlichen Organisationen auf dem Gebiet der Jugendpflege als kollektiv verfolgt anerkannt worden (OLG Karlsruhe RzW 1949/50, 14; OLG Neustadt RzW 1951, 186; RK Lindau RzW 1949/50, 417; CSR Rastatt RzW 1951, 270; WK Kassel RzW 1949/50, 142, bestätigt durch CoRA ZevKR 1, 438): Das NS-Regime (Staat und Partei) habe die Absicht gehabt, die kirchlichen Einrichtungen der Jugenderziehung in ihrer Gesamtheit aus Gründen der Religion und der politischen Auffassung vom kulturellen und wirtschaftlichen Leben Deutschlands auszuschließen. Die NSDAP habe die künftige weltanschauliche Ausrichtung des deutschen Volkes nach den Lehren des Nationalsozialismus nur bei einer Gewinnung der Jugend erhoffen können. Daher sei sie kompromisslos bestrebt gewesen, die Erziehung der Jugend in ihre Hände zu überführen. Aus diesem Grund hätten nach dem Willen der damaligen Machthaber alle Einrichtungen der Jugenderziehung keine Existenzberechtigung mehr gehabt, welche die Erziehung der ihnen anvertrauten Jugend nach anderen als nationalsozialistischen Grundsätzen betrieben. Insbesondere Organisationen der kirchlichen (konfessionellen) Jugendarbeit hätten sich mit ihrer idealistisch-christlichen Lebens- und Weltauffassung in krassen Gegensatz zu dem vom Nationalsozialismus vertretenen Neuheidentum und seiner materialistischen Einstellung zum Leben gestellt. Als Folge davon seien die auf konfessioneller Grundlage arbeitenden Jugendorganisationen in immer stärkerem Maße bedrängt und schließlich in nationalsozialistische Einrichtungen umgewandelt oder ganz beseitigt worden. Angesichts dessen kann die Anstalt "Haus Bethanien", sollte sie als kirchliche Einrichtung anzusehen sein, nur bei einem deutlich abweichenden Geschehensverlauf nicht als politisch verfolgt angesehen werden.

Ende der Entscheidung

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