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Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 23.02.2006
Aktenzeichen: BVerwG 7 C 4.05
Rechtsgebiete: VermG, REAO


Vorschriften:

VermG § 1 Abs. 6
VermG § 2 Abs. 1 Satz 4
REAO Art. 3 Abs. 1 Buchst. b
Die Entziehungsvermutung des Art. 3 Abs. 1 Buchst. b REAO gilt für juristische Personen, an denen Juden im Sinne der später erlassenen Dritten Verordnung zum Reichsbürgergesetz entscheidend beteiligt waren, vom 30. Januar 1933 an für die gesamte nationalsozialistische Zeit.
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

BVerwG 7 C 4.05

Verkündet 23. Februar 2006

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 23. Februar 2006 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Sailer und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Herbert, Krauß, Neumann und Guttenberger

für Recht erkannt:

Tenor:

Das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 17. März 2005 sowie der Bescheid des Amtes zur Regelung offener Vermögensfragen Mitte-Prenzlauer Berg vom 19. Juni 1997 und der Widerspruchsbescheid des Landesamtes zur Regelung offener Vermögensfragen vom 25. September 1998 werden aufgehoben.

Die Beklagte wird verpflichtet, festzustellen, dass die Klägerin hinsichtlich des ehemaligen Grundstücks L.straße 5 in Berlin-Mitte Berechtigte im Sinne des § 2 Abs. 1 VermG ist.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, die dieser selbst trägt.

Gründe:

I.

Die Klägerin begehrt die Feststellung, dass sie hinsichtlich des ehemaligen Grundstücks L.straße 5 in Berlin Berechtigte im Sinne des § 2 Abs. 1 VermG ist.

Eigentümerin des Grundstücks war seit 1927 die L. K. GmbH. An ihrem Kapital waren zum 31. Dezember 1932 beteiligt: die D. R. und T. AG mit 884 900 RM, Max K. mit 348 000 RM, Fritz Katzenellenbogen mit 209 200 RM und Ludwig K. mit 163 700 RM. Die Gesellschaft hielt eigene Geschäftsanteile in Höhe von 1 707 200 RM. Max, Fritz und Ludwig K. waren jüdischer Herkunft.

Mit notarieller Erklärung vom 4. Dezember 1935 verzichtete die Gesellschaft auf ihr Eigentum an dem Grundstück. Der Verzicht wurde am 4. Mai 1936 in das Grundbuch eingetragen.

Der Geschäftsführer der Gesellschaft teilte dem Handelsregister unter dem 25. Mai 1936 den Eigentumsverzicht mit und bat, die Gesellschaft im Handelsregister zu löschen, weil die Gesellschaft weiteres Vermögen nicht besitze. Die Gesellschaft wurde daraufhin am 25. Juni 1936 im Handelsregister gelöscht.

Das Grundstück lag zunächst im sowjetischen Sektor von Berlin (Bezirk Mitte). Der Rat des Stadtbezirks beschloss am 1. April 1964 die Aneignung des Grundstücks nach § 928 Abs. 2 BGB. Es wurde anschließend in Volkseigentum überführt.

Im Zuge eines Gebietsaustauschs zwischen der DDR und dem Land Berlin wurde das Grundstück zum 1. Juli 1988 Teil des britischen Sektors von Berlin (Bezirk Tiergarten). Nach dem Gebietsaustausch war das beigeladene Land Berlin Eigentümer des Grundstücks. Es wurde in ein Umlegungsverfahren einbezogen, das im Jahre 2000 bestandskräftig abgeschlossen wurde und aus dem dem Beigeladenen andere Grundstücke zugeteilt wurden.

Im Dezember 1992 hatte die Klägerin mit drei Schreiben beim Bundesministerium der Justiz, zum Teil auch bei einzelnen Vermögensämtern die Rückübertragung von Vermögenswerten beantragt (so genannte Globalanmeldung). Mit Schreiben vom 16. Juni 1994 an das Amt zur Regelung offener Vermögensfragen präzisierte sie ihre Globalanmeldung dahin, dass diese das ehemalige Grundstück L.straße 5 erfasse.

Das Vermögensamt lehnte die Rückübertragung des Grundstücks mit der Begründung ab, das Vermögensgesetz sei nicht anwendbar, weil das Grundstück bei In-Kraft-Treten des Vermögensgesetzes nicht mehr zum Gebiet der DDR gehört habe. Das Landesamt wies den Widerspruch der Klägerin zurück.

Die Klägerin hat Klage erhoben und unter anderem beantragt, die Beklagte unter Aufhebung der entgegenstehenden Bescheide zu verpflichten, festzustellen, dass sie hinsichtlich des ehemaligen Grundstücks L.straße 5 Berechtigte im Sinne des § 2 Abs. 1 VermG ist. Sie hat geltend gemacht: Das Grundstück sei von ihrer Globalanmeldung erfasst. Der Vermögensverlust sei verfolgungsbedingt eingetreten. Die Entziehungsvermutung des § 1 Abs. 6 Satz 2 VermG in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 REAO erstrecke sich auch auf die rechtsgeschäftliche Eigentumsaufgabe.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage durch das angefochtene Urteil abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Die Klägerin habe den Anspruch zwar wirksam innerhalb der Frist des § 30a Abs. 1 Satz 1 VermG angemeldet. Das Grundstück sei jedoch nicht von einer verfolgungsbedingten Schädigung betroffen gewesen. Die Voraussetzungen der Entziehungsvermutung lägen nicht vor. Die L. K. GmbH habe insbesondere nicht zu einem Personenkreis gehört, den in seiner Gesamtheit die deutsche Regierung oder die NSDAP durch ihre Maßnahmen vom kulturellen und wirtschaftlichen Leben Deutschlands auszuschließen beabsichtigt habe (Art. 3 Abs. 1 Buchst. b REAO). Sie erfülle nicht die Voraussetzungen, unter denen sie nach der Dritten Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 14. Juni 1938 im nationalsozialistischen Sinne als jüdische Gesellschaft hätte angesehen werden können. An ihr seien Juden weder nach Kapital noch nach Stimmrecht entscheidend beteiligt gewesen. Max, Fritz und Ludwig K. hätten zusammen nur etwa 21,75 % des Gesellschaftskapitals gehalten. Bei der Berechnung blieben die Anteile außer Betracht, welche die Gesellschaft selbst gehalten habe. Maßgeblich sei nach der Dritten Verordnung zum Reichsbürgergesetz der Kapitalanteil, über den die jüdischen Gesellschafter jederzeit hätten verfügen können. Im Übrigen gebe es keine Anhaltspunkte dafür, dass bereits vor der Vorlage der Dritten Verordnung zum Reichsbürgergesetz im Februar 1937 Gesellschaften mit jüdischer Minderheitsbeteiligung so sehr in das Blickfeld der Nationalsozialisten gerückt seien, dass von ihrer Kollektivverfolgung im Sinne des Art. 3 Abs. 1 Buchst. b REAO auszugehen sei.

Die Klägerin hat die vom Verwaltungsgericht zugelassene Revision eingelegt, mit der sie ihren erstinstanzlichen Antrag auf Feststellung ihrer Berechtigung weiterverfolgt. Sie trägt vor: Die L. K. GmbH habe im Zeitpunkt des Eigentumsverzichts zu dem Personenkreis der Kollektivverfolgten gehört. An ihr seien bei zutreffender Betrachtungsweise jüdische Gesellschafter mit 44,9 % beteiligt gewesen. Die von der Gesellschaft selbst gehaltenen Anteile müssten schon deshalb außer Betracht bleiben, weil sie keine Gesellschafterrechte (Stimmrechte, Gewinnrechte) vermittelt hätten. Zu Unrecht behandele das Verwaltungsgericht diese Anteile im Ergebnis wie Anteile nichtjüdischer Dritter. Die Dritte Verordnung zum Reichsbürgergesetz habe nur auf das Verhältnis zwischen "jüdischem" und "arischem" Kapital abgestellt. An diesem Verhältnis ändere sich durch den Besitz eigener Anteile der Gesellschaft nichts. Eine Gesellschaft mit jüdischer Minderheitsbeteiligung von hier 44,9 % habe bereits seit dem 30. Januar 1933 als kollektiv verfolgt zu gelten. Art. 3 Abs. 1 Buchst. b REAO stelle lediglich auf die Absicht ab, einen bestimmten Personenkreis in seiner Gesamtheit vom kulturellen und wirtschaftlichen Leben auszuschließen. Unerheblich sei, ob sich diese Absicht bereits in konkreten Maßnahmen oder Gesetzen niedergeschlagen habe. Diese Absicht müsse zudem nur bei der NSDAP, nicht aber notwendig auch bei der deutschen Regierung vorgelegen haben. Schließlich differenziere Art. 3 Abs. 1 Buchst. b REAO nicht in zeitlicher Hinsicht.

Die Beklagte hält die Revision für unbegründet: Die L. K. GmbH habe nicht zu den rassisch Verfolgten gehört. Die Rechtsprechung der Rückerstattungsgerichte habe eine Kollektivverfolgung jüdischer Gewerbebetriebe nicht generell vom 30. Januar 1933 an angenommen. Jedenfalls müsste eine Kapitalbeteiligung von mindestens 25 % vorliegen. Daran fehle es. Die von der Gesellschaft selbst gehaltenen Anteile könnten nicht den jüdischen Anteilen hinzugerechnet werden. Zudem knüpfe nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts die Rechtsnachfolge der Klägerin nicht nur an die Verfolgung der Juden an, sondern auch daran, dass der betroffene Vermögenswert einem Juden zugeordnet gewesen sei. Der Begriff des jüdischen Berechtigten lasse sich deshalb nicht auf juristische Personen mit einer jüdischen Minderheitsbeteiligung erstrecken.

Der Beigeladene stellt keinen Antrag. Er hält die Revision ebenfalls für unbegründet und verteidigt das angefochtene Urteil.

II.

Die Revision der Klägerin ist begründet. Das angefochtene Urteil verletzt Bundesrecht. Das Verwaltungsgericht hat unter Verstoß gegen § 1 Abs. 6 Satz 2 VermG in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 Buchst. b REAO angenommen, dass der Verzicht der L. K. GmbH auf das Eigentum an dem hier in Rede stehenden Grundstück nicht als verfolgungsbedingt zu vermuten ist. Das angefochtene Urteil erweist sich nicht aus anderen Gründen im Ergebnis als richtig. Das Verwaltungsgericht hätte vielmehr die Berechtigung der Klägerin nach § 2 Abs. 1 Satz 1 VermG feststellen müssen. Weitere tatsächliche Feststellungen sind hierzu nicht erforderlich. Der Senat kann deshalb in der Sache selbst entscheiden (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwGO).

Die Klägerin ist Berechtigte im Sinne des § 2 Abs. 1 VermG. Das ehemalige Grundstück L.straße 5 ist von einer schädigenden Maßnahme im Sinne des § 1 Abs. 6 VermG betroffen gewesen.

Nach § 1 Abs. 6 Satz 1 VermG liegt eine Schädigung vor, wenn Bürger oder Vereinigungen in der Zeit vom 30. Januar 1933 bis zum 8. Mai 1945 aus rassischen, politischen, religiösen oder weltanschaulichen Gründen verfolgt wurden und deshalb ihr Vermögen infolge von Zwangsverkäufen, Enteignungen oder auf andere Weise verloren haben.

Die L. K. GmbH hat ihr Eigentum an dem streitigen Grundstück durch einen Eigentumsverzicht nach § 928 Abs. 1 BGB verloren. Dabei handelte es sich um einen Verlust des Vermögens auf andere Weise im Sinne des § 1 Abs. 6 Satz 1 VermG.

Die L. K. GmbH hat auf ihr Eigentum an dem Grundstück aus Gründen rassischer Verfolgung verzichtet. Dieser Zusammenhang zwischen der Aufgabe des Eigentums und ihrer rassischen Verfolgung wird nach § 1 Abs. 6 Satz 2 VermG in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 Buchst. b REAO zu ihren Gunsten vermutet. Die L. K. GmbH gehörte zu einem Personenkreis, den in seiner Gesamtheit die deutsche Regierung oder die NSDAP durch ihre Maßnahmen aus rassischen Gründen vom kulturellen und wirtschaftlichen Leben Deutschlands auszuschließen beabsichtigte.

Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts kann eine kollektive Verfolgung von juristischen Personen unter jüdischem Einfluss nicht erst seit dem Erlass der Dritten Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 14. Juni 1938 (RGBl I S. 627) angenommen werden. Mit dieser Auffassung verkennt das Verwaltungsgericht die rechtlichen Voraussetzungen für die Annahme einer Kollektivverfolgung und beachtet nicht hinreichend die Rechtsprechung der Rückerstattungsgerichte, auf die in diesem Zusammenhang maßgeblich abzustellen ist.

Die Entziehungsvermutung des Art. 3 Abs. 1 Buchst. b REAO gilt für juristische Personen mit entscheidender Beteiligung von Juden für die gesamte nationalsozialistische Zeit, also schon vom 30. Januar 1933 an (so insbesondere ORG Berlin, Entscheidung vom 17. Mai 1956 - ORG/A/90 - RZW 1956, 207; Entscheidung vom 18. Mai 1956 - ORG/A/335 - RZW 1956, 301).

Anders als der Tatbestand der Individualverfolgung nach Art. 3 Abs. 1 Buchst. a REAO setzt der Tatbestand der Kollektivverfolgung nach Buchstabe b dieser Vorschrift nicht voraus, dass der Betroffene tatsächlich einer Verfolgungsmaßnahme ausgesetzt gewesen ist. Für die Entziehungsvermutung nach Art. 3 Abs. 1 Buchst. b REAO reicht vielmehr die bloße Absicht aus, einen bestimmten Personenkreis unter anderem aus rassischen Gründen vom wirtschaftlichen Leben Deutschlands auszuschließen. Diese Absicht muss noch nicht in konkrete Maßnahmen umgesetzt worden sein. Gesetzgeberische Akte wie die Dritte Verordnung zum Reichsbürgergesetz können zwar die in Art. 3 Abs. 1 Buchst. b REAO umschriebene Absicht dokumentieren und gleichzeitig die Umsetzung der Absicht in konkrete Verfolgungsmaßnahmen einleiten. Für die Feststellung einer Verfolgungsabsicht sind aber Maßnahmen des Gesetz- oder Verordnunggebers nicht erforderlich.

Art. 3 Abs. 1 Buchst. b REAO lässt ferner für die Entziehungsvermutung ausreichen, dass die dort näher umschriebene Verfolgungsabsicht bei der NSDAP bestanden hat. Insoweit machten einerseits antijüdische Gesetze und Verordnungen für staatliche Stellen nur das verbindlich, was schon lange zuvor Forderung und Absicht der Partei war. Andererseits vollzogen sich die fortschreitende Entrechtung der Juden und ihre Verdrängung aus dem kulturellen und wirtschaftlichen Leben Deutschlands nicht in einem Akt, sondern in einem sich fortlaufend beschleunigenden Prozess. Dadurch wird nicht in Frage gestellt, dass die Ausschaltung als solche von Anfang an in der Absicht der Nationalsozialisten lag.

Bürger jüdischer Abstammung gehörten fraglos seit dem 30. Januar 1933 zu dem kollektiv verfolgten Personenkreis, weil von vornherein die Absicht bestand, sämtliche Juden aus dem wirtschaftlichen und kulturellen Leben Deutschlands auszuschließen. Bei Bürgern jüdischer Abstammung kann nicht nach Berufsgruppen differenziert werden, die zu einem unterschiedlichen Zeitpunkt durch gesetzgeberische Maßnahmen aus dem Berufsleben ausgeschlossen wurden. So sind Beamte jüdischer Abstammung bereits im April 1933 als Folge des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. April 1933 weitgehend aus dem Beamtenverhältnis entfernt worden. Daraus kann indes nicht hergeleitet werden, Juden im Allgemeinen seien aber erst seit dem 15. September 1935 kollektiv verfolgt worden, weil erst zu diesem Zeitpunkt mit dem Reichsbürgergesetz definiert worden sei, wer als Jude anzusehen sei.

Hiervon ausgehend haben die Rückerstattungsgerichte ausdrücklich festgestellt, dass die Absicht der Nationalsozialisten, als jüdisch angesehene Betriebe, Unternehmen oder Geschäfte aus dem Wirtschaftsleben auszuschließen, nicht erst seit Erlass der Dritten Verordnung zum Reichsbürgergesetz bestanden habe. Für die Nationalsozialisten habe vielmehr der Begriff des jüdischen Betriebes, des jüdischen Unternehmens oder Geschäftes schon seit Jahren festgestanden, ohne dass es eine konkrete Definition gegeben habe oder eine solche für notwendig gehalten worden sei. Hitler habe an unzähligen Stellen gegen das jüdische Gesellschaftskapital aufgehetzt. Die Boykottmaßnahmen seit dem April 1933 ließen klar erkennen, dass die Verfolgungsabsicht der nationalsozialistischen Regierung und der NSDAP sich - wenn überhaupt - seither nur unwesentlich geändert hätten. Diskriminierende Maßnahmen mit dem Ziel der Arisierung seien gegen unzählige juristische Personen bereits lange vor dem Jahre 1938 eingeleitet worden. Die Dritte Verordnung zum Reichsbürgergesetz habe nur eine Absicht gesetzlich verankert, die bereits im Parteiprogramm der Nationalsozialisten enthalten gewesen sei (ORG Berlin, Entscheidung vom 17. Mai 1956 - ORG/A/90 - RZW 1956, 207).

Danach hat in der Dritten Verordnung zum Reichsbürgergesetz nur die Absicht einer Ausschließung als jüdisch angesehener juristischer Personen ihren unmissverständlichen Ausdruck gefunden. Aus dieser Verordnung in Verbindung mit den vorangegangenen tatsächlichen Maßnahmen individueller oder genereller Verfolgung ist auf das Bestehen der Absicht während der gesamten Dauer des Regimes zu schließen. Die Dritte Durchführungsverordnung zum Reichsbürgergesetz stellt sich mithin als die spätere gesetzliche Verankerung der schon vorher existierenden Ausschließungsabsicht dar. Die Verordnung hat lediglich für die Umsetzung dieser Absicht durch staatliche Stellen definiert, wann eine Beteiligung von Juden an einer juristischen Person als entscheidende Beteiligung anzusehen ist. Der Erlass dieser Verordnung bezeichnet mithin nur den Zeitpunkt, zu dem von einer Absicht und einem ihr folgenden mehr oder weniger ungeregelten Vorgehen gegen einzelne Unternehmen zu einer bürokratisch geregelten Ausschaltung als jüdisch angesehener Betriebe übergegangen wurde. Sie versuchte innerhalb der Willkür eine scheinrationale Ordnung zu setzen.

Die L. K. GmbH gehörte zu den Gesellschaften, an denen im Sinne der Ausschließungsabsicht der Nationalsozialisten jüdische Gesellschafter entscheidend beteiligt waren. Zu Unrecht stellt das Verwaltungsgericht in diesem Zusammenhang darauf ab, dass die jüdischen Gesellschafter an der L. K. GmbH zu weniger als 25 v.H. des Gesamtkapitals beteiligt gewesen seien und die Gesellschaft deshalb auch nach der Definition der Dritten Verordnung zum Reichsbürgergesetz nicht zu den jüdischen Gesellschaften gehört habe.

Das Verwaltungsgericht verkennt dabei, dass es die Dritte Verordnung zum Reichsbürgergesetz aus dem Blickwinkel des Verfolgers hätte auslegen müssen. Die nationalsozialistische Verfolgungsabsicht war durch die entscheidende Beteiligung von Juden am Kapital einer Gesellschaft geprägt. Maßgeblich war, inwieweit das "jüdische" Kapital Juden Einfluss auf die Gesellschaft, namentlich auf deren Geschäftsführung ermöglichte. Aus dieser Blickrichtung war aber - wie die Klägerin mit Recht ausführt - nur von Bedeutung, in welchem Verhältnis das "jüdische" Kapital zu dem "arischen" Kapital stand. Die von der Gesellschaft selbst gehaltenen Anteile waren - was den Einfluss auf die Gesellschaft anlangt - bestenfalls neutral, wenn sie nicht wirtschaftlich gesehen den Anteilseignern nach ihrem Verhältnis untereinander zuzuordnen waren. Diese Geschäftsanteile vermittelten weder Stimm- noch Gewinnrechte. Das Verwaltungsgericht behandelt die von der Gesellschaft selbst gehaltenen Anteile wie "arische" Anteile und rechnet den "jüdischen" Einfluss auf die Gesellschaft unter Vernachlässigung der Verfolgungsabsicht der Nationalsozialisten herunter.

Danach ist hier von einem "jüdischen" Anteil an der Gesellschaft von etwa 45 % auszugehen. Mithin war die L. K. GmbH im Sinne der später festgeschriebenen Verfolgungsabsicht der Nationalsozialisten eine jüdische Gesellschaft.

Die Klägerin gilt gemäß § 2 Abs. 1 Satz 4 VermG als Rechtsnachfolgerin der verfolgten L. K. GmbH als solcher, nicht nur als Rechtsnachfolgerin einzelner ihrer Gesellschafter.

Nach dieser Vorschrift gilt die Klägerin als Rechtsnachfolgerin solcher jüdischer juristischer Personen, die aus den Gründen des § 1 Abs. 6 VermG aufgelöst oder zur Selbstauflösung gezwungen wurden, sofern Ansprüche von jüdischen Berechtigten im Sinne des § 1 Abs. 6 VermG oder deren Rechtsnachfolgern nicht geltend gemacht werden.

Bei der L. K. GmbH handelte es sich um eine jüdische juristische Person im Verständnis von § 2 Abs. 1 Satz 4 VermG. Die Vorschrift ist nach ihrem Wortlaut auch auf Handelsgesellschaften in der Form einer juristischen Person anwendbar. Sie stellt darauf ab, ob die juristische Person von den Nationalsozialisten als "jüdisch" angesehen wurde, denn außerhalb der nationalsozialistischen Ideologie gab es keine jüdischen juristischen Personen, weil juristische Personen weder einen Glauben noch eine Abstammung haben.

Die Gesellschaft ist aus den Gründen des § 1 Abs. 6 VermG aufgelöst worden. Der Verzicht auf das Eigentum an dem hier in Rede stehenden Grundstück stellte einen verfolgungsbedingten Vermögensverlust dar. Nach den Angaben des seinerzeitigen Geschäftsführers gegenüber dem Handelsregister hat das Grundstück zugleich den letzten Vermögenswert der Gesellschaft gebildet. Sie ist deshalb nach dem Eigentumsverzicht wegen Vermögenslosigkeit im Handelsregister gelöscht worden. Damit ist durch einen mehraktigen Vorgang mit dem verfolgungsbedingten Verzicht auf das Eigentum die Voraussetzung für die Auflösung der Gesellschaft geschaffen worden, die deshalb ebenfalls als verfolgungsbedingt zu beurteilen ist.

Nach § 2 Abs. 1 Satz 4 VermG wird die Klägerin gesetzlich als Rechtsnachfolgerin der aufgelösten Gesellschaft fingiert. Für die Rückübertragung eines Grundstücks an die geschädigte Gesellschaft bedarf es deshalb in diesem Falle nicht der Wiederbelebung des Unternehmensträgers (vgl. hierzu Urteil vom 19. September 2002 - BVerwG 7 C 21.01 - Buchholz 428 § 6 VermG Nr. 51). Die Klägerin erhält das gesamte Grundstück zurück und nicht nur einen Bruchteil, der dem Beteiligungsverhältnis der jüdischen Gesellschafter an dem Gesellschaftskapital entspricht. Ebenso wie nach nationalsozialistischem Verständnis die aufgelöste juristische Person insgesamt als jüdisch einzustufen war und deshalb "als jüdisch" verfolgt worden ist, ist auch die Klägerin insgesamt Rechtsnachfolgerin dieser verfolgten juristischen Person (Urteil vom 26. September 2001 - BVerwG 8 C 11.00 - BVerwGE 115, 152).

Weil nach § 2 Abs. 1 Satz 4 VermG die Gesellschaft insgesamt als jüdische juristische Person zu betrachten ist, lassen sich entgegen der Auffassung der Beklagten auf sie nicht die Grundsätze übertragen, die das Bundesverwaltungsgericht zu dem Rechtsnachfolgetatbestand bei Schädigung des nichtjüdischen Ehepartners eines Juden entwickelt hat (Urteil vom 28. Oktober 2004 - BVerwG 7 C 24.03 - BVerwGE 122, 154). Insbesondere geht es nicht darum, § 2 Abs. 1 Satz 4 VermG (nur) analog auf die nichtjüdischen Gesellschafter anzuwenden. Denn die Vorschrift regelt nur die Rechtsnachfolge nach der Gesellschaft als solcher, nicht aber nach den einzelnen Gesellschaftern. Sie wählt die Schädigung der Gesellschaft als Anknüpfungspunkt für die Zuweisung des zu restituierenden Vermögens an die Klägerin.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 3 VwGO.

Ende der Entscheidung

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