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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 23.02.2006
Aktenzeichen: BVerwG 7 C 7.05
Rechtsgebiete: VermG, BGB


Vorschriften:

VermG § 4 Abs. 2 Satz 1
VermG § 4 Abs. 3
BGB § 1922
VO über die landwirtschaftliche Bodenreform in Sachsen vom 10. September 1945
VO über die Durchführung des Besitzwechsels bei Bodenreformgrundstücken vom 7. August 1975
Wird nach dem Tod eines Neubauern einem seiner Erben nach der Besitzwechselverordnung das Bodenreformland übertragen, kommt es für einen redlichen Erwerb nach § 4 Abs. 2 VermG allein auf die Redlichkeit des Erben bei der Übertragung des Bodenreformgrundstückes an ihn, hingegen nicht (auch) auf eine Redlichkeit des Neubauern bei der Zuteilung des Bodenreformlandes an.
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

BVerwG 7 C 7.05

Verkündet am 23. Februar 2006

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 23. Februar 2006 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Sailer und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Herbert, Krauß, Neumann und Guttenberger

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision der Kläger gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Dresden vom 19. Januar 2005 wird zurückgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des Revisionsverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen.

Gründe:

I.

Die Kläger begehren die Rückübertragung von Grundstücken, die zum Rittergut B. gehört hatten. Das Rittergut stand im Eigentum des Rechtsvorgängers der Kläger. Dieser war jüdischer Herkunft und schenkte das Gut 1936 verfolgungsbedingt an Herrn von L. Das Rittergut wurde 1945 auf der Grundlage der Verordnung über die landwirtschaftliche Bodenreform in Sachsen vom 10. September 1945 enteignet.

Das Eigentum an den streitgegenständlichen Grundstücken wurde dem Vater des Beigeladenen im Zuge der Bodenreform übertragen. Insgesamt wurden ihm bis 1948 - einschließlich einer Fläche von 10 066 m² Nadelwald - 99 563 m² Bodenreformland und 1953 weitere 15 163 m² Bodenreformland zugeteilt.

Der Vater des Beigeladenen verstarb 1968 und wurde von seiner Ehefrau und seinen drei Kindern, darunter dem Beigeladenen, beerbt. Die Bodenreformgrundstücke wurden 1976 dem Beigeladenen und dessen Ehefrau, als Eigentümer in ehelicher Vermögensgemeinschaft übertragen.

Die Kläger beantragten 1992 die Rückübertragung der zum Rittergut B. gehörenden Vermögensgegenstände.

Mit bestandskräftigem Teilbescheid stellte das damals zuständige Landesamt zur Regelung offener Vermögensfragen 1998 fest, dass die Kläger als Rechtsnachfolger des ehemaligen Inhabers des landwirtschaftlichen Unternehmens Rittergut B. Berechtigte im Sinne des Vermögensgesetzes sind.

Mit weiterem Bescheid vom 22. November 2002 lehnte das Landesamt die Rückübertragung der streitgegenständlichen Flurstücke ab, weil die Beigeladenen diese 1976 redlich erworben hätten.

Dagegen haben die Kläger beim Verwaltungsgericht Klage erhoben und zur Begründung insbesondere geltend gemacht, im Fall der Übertragung von Bodenreformland an den Erben sei die Rückübertragung nur ausgeschlossen, wenn der verstorbene Neubauer bei der Zuteilung redlich erworben habe. Der Vater des Beigeladenen sei bei der Zuteilung des Bodenreformeigentums jedoch nicht redlich gewesen. Die Zuteilung habe gegen Art. 4 Ziff. 9 der Verordnung über die landwirtschaftliche Bodenreform in Sachsen vom 10. September 1945 verstoßen. Danach habe die aus dem Bodenfonds zugeteilte Fläche 5 ha nicht überschreiten dürfen. Dem Vater des Beigeladenen seien 9,96 ha zugeteilt worden. Bei schlechter Bodenqualität habe die Grenze zwar auf 8 ha und bei sehr schlechter auf 10 ha erhöht werden dürfen. Eine sehr schlechte Bodenqualität habe aber nicht vorgelegen. Auch die Beigeladenen seien bei der Übertragung im Jahre 1976 nicht redlich gewesen. Die Zuteilung von über 10 ha habe den Grundsätzen der sozialistischen Bodenpolitik widersprochen.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit dem angegriffenen Urteil abgewiesen und zur Begründung insbesondere ausgeführt: Das Landesamt habe die Rückübertragung der streitgegenständlichen Grundstücke zu Recht abgelehnt, da die Rückübertragung gemäß § 4 Abs. 2 Satz 1 VermG ausgeschlossen sei. Hier sei die Redlichkeit der Beigeladenen bei der Übertragung des Bodenreformlands im Jahre 1976 zu prüfen. Für die Beantwortung der Frage, ob ein Erwerb redlich gewesen sei, sei grundsätzlich auf den gegenwärtigen Rechtsinhaber abzustellen. Etwas anderes gelte zwar beim Erwerb durch Erbfolge. Die Beigeladenen hätten aber das Bodenreformeigentum nicht allein im Wege der Erbfolge erworben. Die Regelungen des Erbrechts seien vielmehr durch die Bestimmungen der Besitzwechselverordnungen überlagert gewesen. Der Eigentumserwerb eines Erben habe daher die erneute staatliche Übertragung des Bodenreformgrundstückes an ihn persönlich vorausgesetzt. Eine Unredlichkeit der Beigeladenen folge nicht daraus, dass die ihnen zugeteilten Flächen die in der Bodenreformverordnung vorgesehene Höchstzuteilung von 8 ha bei schlechten Bodenverhältnissen überschritten habe; denn die Besitzwechselverordnung 1975 habe keine konkreten Regelungen in Bezug auf die Größe der zugeteilten Flächen mehr erhalten und diese habe auch nicht den Grundsätzen der sozialistischen Bodenpolitik im Sinne der Besitzwechselverordnung 1975 widersprochen. Weitere Anhaltspunkte für eine etwaige Unredlichkeit seien nicht ersichtlich.

Gegen dieses Urteil richtet sich die vom Senat zugelassene Revision der Kläger. Zur Begründung führen sie insbesondere aus: Habe ein Erbe eines Neubauern ein Bodenreformgrundstück aufgrund eines Besitzwechsels nach der Besitzwechselverordnung 1975 erlangt, sei bei Prüfung der Redlichkeit auf den verstorbenen Neubauern abzustellen. Der Erbe habe das Bodenreformeigentum vorrangig aufgrund seiner Erbenstellung erlangt. Die für den Besitzwechsel notwendige staatliche Genehmigung biete keinen Anknüpfungspunkt für eine Redlichkeitsprüfung. Wenn entgegen dem davon auszugehen wäre, dass die Genehmigung des Besitzwechsels einen Erwerbstatbestand bilde, sei dies nicht der alleinige Grund des Erwerbs. Dies hätte zur Folge, dass sowohl die Redlichkeit des Erben als auch die des Erblassers geprüft werden müsse. Der Vater des Beigeladenen sei bei Erwerb des Bodenreformlandes unredlich gewesen. Selbst wenn man davon ausgehe, dass bei Prüfung der Redlichkeit ausschließlich auf die Übertragung an die Beigeladenen abzustellen sei, wäre der Erwerb unredlich. Auch dann hätte die Bodenreformverordnung berücksichtigt werden müssen. Sie sei gegenüber der Besitzwechselverordnung 1975 höherrangiges Recht gewesen. Darüber hinaus werde auf die Bodenreformverordnung indirekt über § 2 Abs. 2 der Besitzwechselverordnung mit dem Rechtsbegriff der "Grundsätze der sozialistischen Bodenpolitik" hingewiesen. Da den Beigeladenen über 10 ha Bodenreformland zugeteilt worden sei, sei gegen die Bodenreformverordnung verstoßen worden.

Die Beklagte tritt der Revision entgegen.

II.

Die zulässige Revision ist unbegründet.

Das Urteil des Verwaltungsgerichts beruht nicht auf der Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Das Verwaltungsgericht hat zu Recht angenommen, dass es im Fall der Übertragung eines Bodenreformgrundstückes an den Erben eines Neubauern für einen redlichen Erwerb nach § 4 Abs. 2 Satz 1 VermG allein auf die Redlichkeit des Erben bei der Übertragung an ihn, nicht hingegen (auch) auf die Redlichkeit des Neubauern bei der erstmaligen Zuteilung des Grundstückes ankommt (vgl. 1.). Ohne Bundesrecht zu verletzen, hat es die Redlichkeit der Beigeladenen bei der Übertragung bejaht (vgl. 2.). Der geltend gemachte Verfahrensfehler liegt nicht vor (vgl. 3.).

1. Die Rückübertragung ist ausgeschlossen, wenn natürliche Personen nach dem 8. Mai 1945 in redlicher Weise an Vermögenswerten Eigentum erworben haben (§ 4 Abs. 2 Satz 1 VermG). Dies gilt auch für das Eigentum an Bodenreformgrundstücken. Durch das Gesetz über die Rechte der Eigentümer von Grundstücken aus der Bodenreform vom 6. März 1990 (GBl DDR I S. 134) ist das Eigentum an Bodenreformgrundstücken zu Volleigentum erstarkt. Der Eigentümer eines früheren Bodenreformgrundstückes kann sich deshalb auf den Ausschlussgrund des § 4 Abs. 2 VermG berufen, wenn das Grundstück redlich erworben worden ist (vgl. u.a. Urteil vom 19. Oktober 2000 - BVerwG 7 C 91.99 - Buchholz 428 § 2 VermG Nr. 49, S. 10 <14 f.>).

Wurde nach dem Tod eines Neubauern Bodenreformland einem Erben übertragen, kommt es allein darauf an, ob der Erbe bei der Übertragung redlich war:

Für die Beantwortung der Frage, ob ein Erwerb redlich war, ist grundsätzlich auf den gegenwärtigen Rechtsinhaber abzustellen (vgl. u.a. Beschluss vom 23. Juni 1995 - BVerwG 7 PKH 2.94 (7 C 13.94) - Buchholz 428 § 4 VermG Nr. 20 S. 47 <48 f.>).

Etwas anderes gilt zwar ausnahmsweise bei einem Erwerb durch Erbfolge. In diesem Fall ist entscheidend, ob der Erblasser den Vermögenswert redlich erworben hatte (vgl. u.a. Urteil vom 27. Oktober 1995 - BVerwG 7 C 56.94 - Buchholz 428 § 4 VermG Nr. 24 S. 56 <60>). Grund hierfür ist, dass der Erbe im Wege der Universalsukzession - und allein in diesem Wege - in vollem Umfang in die Rechtstellung des Erblassers eintritt. Da der Erbe mit dem Erbfall an die Stelle des Erblassers getreten ist, kann er nur den Schutz genießen, der diesem zugebilligt wird (vgl. u.a. Urteil vom 17. Mai 2000 - BVerwG 8 C 16.99 - BVerwGE 111, 182 <187 f.>). Der umfassende Eintritt in die Stellung des Erblassers rechtfertigt und erfordert es, dem Erben auch dessen Unredlichkeit zuzurechnen. Außerdem findet der Erwerb des Erben bei Tod des Erblassers allein kraft Gesetzes statt. An einem Akt, hinsichtlich dessen die Redlichkeit des Erben geprüft werden könnte, fehlt es. Ein solcher Akt liegt auch dann nicht vor, wenn der Nachlass zunächst auf mehrere Erben übergegangen war und diese sich später über die Aufteilung des Nachlasses auseinander gesetzt haben. Denn die Miterben haben die Vermögenswerte des Erblassers durch Erbfall und nicht durch Erbauseinandersetzung erworben. Durch die Auseinandersetzung untereinander hat sich deren ererbte Rechtsposition nicht verändert (vgl. Urteil vom 13. September 2000 - BVerwG 8 C 12.99 - Buchholz 428 § 4 Abs. 2 VermG Nr. 11 S. 39 <41 f.>).

Von dem Grundsatz, dass bei Prüfung der Redlichkeit auf den Erwerb des gegenwärtigen Rechtsinhabers abzustellen ist, ist aber keine Ausnahme zu machen, wenn Bodenreformland nach dem Tod eines Neubauern einem Erben übertragen wurde. Denn das Eigentum an Bodenreformgrundstücken konnte zwar auf den Erben des Bodenreformeigentümers übergehen. Dessen Eigentumserwerb vollzog sich aber nicht allein nach den Bestimmungen des bürgerlichen Erbrechts. Diese Bestimmungen wurden durch die Vorschriften der Besitzwechselverordnungen überlagert. Nach der hier einschlägigen Verordnung über die Durchführung des Besitzwechsels bei Bodenreformgrundstücken vom 7. August 1975 - Besitzwechsel-VO 1975 - (GBl DDR I S. 629) trat der Erbe nur dann in die mit dem Bodenreformgrundstück verbundenen Rechte und Pflichten ein, wenn er Mitglied einer Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft oder Arbeiter der Land-, Forst- und Nahrungsgüterwirtschaft und darüber hinaus in der Lage war, das Grundstück zweckentsprechend zu nutzen (§ 4 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 1 Besitzwechsel-VO 1975). Mehrere Erben hatten sich innerhalb einer vom Rat des Kreises festgelegten Frist darüber zu einigen, welchem Erben das Bodenreformgrundstück "übertragen" werden sollte (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Besitzwechsel-VO 1975). Waren die Voraussetzungen für eine Übertragung nicht gegeben, war das Bodenreformgrundstück in den staatlichen Bodenfonds zurückzuführen (§ 4 Abs. 3 Besitzwechsel-VO 1975). Demnach setzte der Eigentumserwerb des Erben die (erneute) staatliche Übertragung des Bodenreformgrundstückes an ihn persönlich voraus. Dem Erben wuchs das Eigentum an einem Bodenreformgrundstück somit bei Eintritt des Erbfalls belastet mit einer Pflicht zur Rückgabe an den Bodenfonds zu. Erst mit der staatlichen Übertragung trat der Erbe des Neubauern in dessen Rechtsposition als Bodenreformeigentümer ein. Zuvor ging seine Stellung über eine tatsächliche Chance nicht hinaus (vgl. u.a. Urteil vom 19. Oktober 2000 - BVerwG 7 C 91.99 - a.a.O. <13 f.>). Da eine erneute staatliche Übertragung nötig war, fehlte es - im Gegensatz zum Erwerb eines sonstigen Vermögenswerts durch Erbfolge - an einer uneingeschränkten Kontinuität der privaten Vermögenszuordnung von Bodenreformland.

Nur wenn der Erbe des Neubauern mit dessen Tod umfassend in dessen Stellung eingetreten und dessen Gesamtrechtsnachfolger geworden wäre, wäre es auch gerechtfertigt und geboten, ihm die Unredlichkeit des Neubauern beim Erwerb zuzurechnen. Wurde durch Erbfolge lediglich eine Chance erlangt, ist eine derartige Zurechnung dagegen nicht gerechtfertigt.

Anders als bei dem Erwerb sonstiger Vermögenswerte durch Erbfolge fehlt es auch nicht an einem Erwerbsvorgang, hinsichtlich dessen die Redlichkeit geprüft werden könnte. Die Übertragung von Bodenreformland an einen Erben eines Neubauern ist ein staatlicher Hoheitsakt, der der Mitwirkung des Begünstigten bedurfte. Bezüglich dieser Mitwirkung kann dessen Redlichkeit geprüft werden.

2. Die Beigeladenen haben in redlicher Weise an den Bodenreformgrundstücken Eigentum erworben (§ 4 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 VermG):

Der Rechtserwerb stand im Einklang mit den zum Zeitpunkt des Erwerbs in der Deutschen Demokratischen Republik geltenden allgemeinen Rechtsvorschriften, Verfahrensgrundsätzen und einer ordnungsgemäßen Verwaltungspraxis. Die in der Besitzwechselverordnung 1975 geregelten Voraussetzungen für die Übertragung der Bodenreformgrundstücke an die Beigeladenen lagen vor. Dies wird von den Klägern auch nicht bezweifelt.

Das Verwaltungsgericht ist ferner in Auslegung und Anwendung irrevisiblen Rechts zu dem Ergebnis gelangt, dass der Besitzwechsel auch den Grundsätzen der sozialistischen Bodenpolitik im Sinne des § 2 Abs. 2 Besitzwechsel-VO 1975 entsprach. Hieran ist der Senat gebunden.

3. Das angefochtene Urteil beruht nicht auf dem geltend gemachten Verfahrensfehler. Die gerügte Verletzung des Überzeugungsgrundsatzes bezieht sich auf die nicht entscheidungserhebliche Frage, ob der Vater des Beigeladenen bei der Zuteilung der Bodenreformwirtschaft redlich war.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 und § 162 Abs. 3 VwGO.

Ende der Entscheidung

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