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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 22.02.2001
Aktenzeichen: BVerwG 7 C 93.99
Rechtsgebiete: VermG


Vorschriften:

VermG § 1 Abs. 6 Satz 1
Leitsätze:

Entsprachen die Besetzung von Leitungspositionen eines berufsständischen Verbandes mit Nationalsozialisten und dessen anschließende Auflösung dem Willen der Mehrheit seiner Mitglieder, handelt es sich nicht um politische Verfolgung im Sinne des § 1 Abs. 6 VermG, sondern um eine "von innen" vorweggenommene "Gleichschaltung" mit dem Nationalsozialismus.

Urteil des 7. Senats vom 22. Februar 2001 - BVerwG 7 C 93.99 -

I. VG Dresden vom 5.11.1998 - Az.: VG 6 K 148/95


BUNDESVERWALTUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

BVerwG 7 C 93.99 VG 6 K 148/95

Verkündet am 22. Februar 2001

Nöpel Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 22. Februar 2001 durch den Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts Dr. Franßen und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Gödel, Kley, Herbert und Neumann

für Recht erkannt:

Tenor:

Das Urteil des Verwaltungsgerichts Dresden vom 5. November 1998 wird aufgehoben, soweit es der Klage stattgegeben hat.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.

Gründe:

I.

Die Klägerin macht Ansprüche auf das Grundstück A.straße 33 in D. nach dem Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen (VermG) geltend. Eigentümer des Grundstücks war bis zu seiner Auflösung am Ende des Jahres 1933 der Sächsische Gemeindebeamtenbund.

Die Klägerin hat im Oktober 1990 die Rückübertragung des Grundstücks beantragt und sich darauf berufen, dass sie Funktionsnachfolgerin des Sächsischen Gemeindebeamtenbundes sei. Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 12. April 1994 ab. Der Widerspruch blieb ohne Erfolg.

Mit ihrer Klage strebt die Klägerin die Feststellung ihrer Berechtigung auf den Erlös für das inzwischen veräußerte Grundstück an. Zur Begründung hat sie im Wesentlichen ausgeführt: Der Sächsische Gemeindebeamtenbund sei eine gewerkschaftliche Interessenvertretung der Gemeindebeamten und -angestellten gewesen, für den der Grundsatz parteipolitischer Neutralität gegolten habe. Der Verband sei der gezielten Verfolgung durch Nationalsozialisten im Wege der Unterwanderung und Ausübung von Druck auf seine Organe mit dem Ziel der Auflösung ausgesetzt gewesen. So seien zu der Jahreshauptverhandlung der für den Sächsischen Gemeindebeamtenbund bedeutenden Bezirksgruppe Dresden-Stadt am 15. März 1933 über tausend mehrheitlich nationalsozialistische Mitglieder erschienen, die erheblichen Druck auf den bisherigen Vorstand ausgeübt hätten; dieser sei daraufhin geschlossen zurückgetreten. Von der Versammlung seien unter Verstoß gegen die Satzung durch Zuruf neue Vorstandsmitglieder bestimmt worden. Der auf diese Weise eingesetzte nationalsozialistische Vorsitzende habe in seiner Ansprache ein Treuegelöbnis für die neue Regierung und für Hitler abgegeben. Auf die Forderung des neuen Bezirksgruppenvorstandes nach Neuwahlen sei am 1. April 1933 der Vorstand des Sächsischen Gemeindebeamtenbundes nach nur halbjähriger Amtszeit zurückgetreten. Als letzte Amtshandlung habe dieser einen fünfköpfigen Ausschuss eingesetzt, der als kommissarischer Bundesvorstand fungiert und nur aus Mitgliedern der NSDAP bestanden habe. In der außerordentlichen Bundeshauptversammlung im Mai 1933 sei satzungswidrig ein - der NSDAP angehörender - Bundesführer gewählt worden. In einer weiteren Versammlung am 14. Oktober 1933 sei die Auflösung des SGB beschlossen worden.

Das Verwaltungsgericht hat der Klage stattgegeben und zur Begründung ausgeführt: Die Klägerin sei als Funktionsnachfolgerin des Sächsischen Gemeindebeamtenbundes Berechtigte im Sinne des Vermögensgesetzes. Dieser sei im Sinne des § 1 Abs. 6 Satz 1 VermG aus politischen Gründen von den Nationalsozialisten verfolgt worden. Das Klima der Gewalt, das durch die staatlichen Übergriffe auf die freien Gewerkschaften am 2. Mai 1933 ausgelöst worden sei, habe für die anderen Gewerkschaften wie den Sächsischen Gemeindebeamtenbund fortbestanden und sich als staatlicher Druck zur Selbstauflösung ausgewirkt. Die Besetzung von Führungspositionen mit Parteigenossen unter Verstoß gegen satzungsmäßige Bestimmungen, die Ausgestaltung der Bundeshauptversammlung wie eine Parteiversammlung, die Durchsetzung des Führerprinzips und die satzungswidrige Auflösung hätten die Ausschaltung des Sächsischen Gemeindebeamtenbundes als Gewerkschaft zum Ziel gehabt.

Gegen dieses Urteil richtet sich die vom Senat zugelassene Revision der Beigeladenen, mit der diese die Abweisung der Klage begehrt. Zur Begründung führt sie aus: Die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass der Sächsische Gemeindebeamtenbund im Sinne des § 1 Abs. 6 Satz 1 VermG politisch verfolgt und zur Selbstauflösung gezwungen worden sei, verletze Bundesrecht. Nach den dem angefochtenen Urteil zugrunde liegenden Feststellungen habe die Auflösung des Sächsischen Gemeindebeamtenbundes nicht auf einer Zwangsmaßnahme von außen, sondern auf einer von der Mehrheit der Mitglieder herbeigeführten Entscheidung beruht. Eine Verfolgung ergebe sich auch nicht daraus, dass sich der Sächsische Gemeindebeamtenbund als gewerkschaftliche Interessenvertretung verstanden habe. Er könne als Beamtenverband nicht den freien Gewerkschaften gleichgestellt werden. Außerdem beruhe die Entscheidung des Verwaltungsgerichts auf Verfahrensfehlern (§ 86 Abs. 1 und § 108 Abs. 1 VwGO).

Die Beklagte schließt sich den Ausführungen der Beigeladenen an; sie stellt keinen Antrag.

Die Klägerin verteidigt im Wesentlichen das Urteil des Verwaltungsgerichts.

Der Oberbundesanwalt hält die Revision für begründet. Es lägen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Sächsische Gemeindebeamtenbund als vermeintlicher oder tatsächlicher Gegner des NS-Systems verfolgt worden sei. Vielmehr seien die Mitglieder schon vor der Machtübernahme durch die NSDAP überwiegend nationalsozialistisch eingestellt gewesen.

II.

Die Revision ist begründet. Das Urteil des Verwaltungsgerichts verletzt Bundesrecht. Der Klägerin steht der geltend gemachte Anspruch nach dem Vermögensgesetz nicht zu. Der Sächsische Gemeindebeamtenbund unterlag in der Zeit nach dem 30. Januar 1933 keiner Verfolgung im Sinne des § 1 Abs. 6 Satz 1 VermG.

1. Nach § 1 Abs. 6 Satz 1 VermG ist das Vermögensgesetz entsprechend auf vermögensrechtliche Ansprüche von Bürgern und Vereinigungen anzuwenden, die in der Zeit vom 30. Januar 1933 bis zum 8. Mai 1945 aus rassischen, politischen, religiösen oder weltanschaulichen Gründen verfolgt wurden und deshalb ihr Vermögen verloren haben. Mit der Einführung dieser Vorschrift wollte der Gesetzgeber in Anlehnung an die alliierten Rückerstattungsgesetze die Wiedergutmachung derjenigen Vermögensverluste nachholen, zu denen es während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft auf dem Gebiet der späteren DDR und des sowjetischen Sektors von Berlin gekommen war (Beschluss vom 5. September 1997 - BVerwG 7 B 146.97 - Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 122). Infolgedessen müssen bei der Auslegung des § 1 Abs. 6 VermG die alliierten Rückerstattungsregelungen und die dazu ergangene Rechtsprechung herangezogen werden (BTDrucks 12/2944, S. 49).

Danach setzt eine Verfolgung im Sinne dieser Vorschrift den gezielten Zugriff auf den Betroffenen voraus, um ihn als politischen oder weltanschaulichen Gegner auszuschalten (OLG Köln, RzW 1953, 44 und 141 <142>; ORG Rastatt, RzW 1959, 112 <113>; BGH, RzW 1956, 360; BVerwG, Beschluss vom 5. September - BVerwG 7 B 146.97 - Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 122 m.w.N.; Beschlüsse vom 7. Mai 1999 - BVerwG 7 B 77.99 und 7 B 78.99 -). Es muss sich um einen Zugriff durch den Staat oder die NSDAP gehandelt haben. Eine Verfolgung scheidet demnach aus, wenn die Veränderungen in einem Verband und seine damit einhergehende Auflösung auf der freien Entscheidung der Mehrheit der Mitglieder beruhte oder sonst - beim Unterbleiben einer Abstimmung oder Beschlussfassung - dem (politischen) Willen der Mehrheit der Mitglieder entsprachen. In einem solchen Fall handelt es sich um die eigene Entscheidung des Verbandes, und zwar auch dann, wenn sie unter Missachtung satzungsmäßiger Bestimmungen oder durch Ausübung von Druck durch Mitglieder auf den amtierenden Vorstand zustande gekommen ist (vgl. OLG Köln RzW 1953, 44; OLG Hamm, RzW 1953, 356; OLG Karlsruhe, RzW 1955, 80; ORG Rastatt, RzW 1959, 112 <113>). Eine Verfolgung erfordert dagegen Maßnahmen, die von staatlichen Stellen oder der NSDAP durchgesetzt oder erzwungen wurden. Eine solche Maßnahme und damit politische Verfolgung kann auch die gelenkte Unterwanderung eines Verbandes sein, wenn sie im Zusammenhang mit der "Machtergreifung" oder danach mit dem Ziel erfolgte, den Verband als politischen Gegner auszuschalten, und diesem keine realistischerweise in Betracht zu ziehende Gegenwehr gegenüber einer solchen Übernahme verblieb.

2. Von diesem rechtlichen Ausgangspunkt her lässt sich eine politische Verfolgung des Sächsischen Gemeindebeamtenbundes, die zu dessen Auflösung führte, nicht feststellen. Die Besetzung von Leitungspositionen des Sächsischen Gemeindebeamtenbundes mit Nationalsozialisten und die sich daran anschließende Auflösung des Verbandes beruhten auf Entscheidungen der Mehrheit der Mitglieder der Bezirksgruppen und deren Vertreter im Sächsischen Gemeindebeamtenbund. Für eine im Zusammenhang mit der "Machtergreifung" von Stellen des Staates oder der NSDAP gezielt vorgenommene Unterwanderung des Verbandes sind Anhaltspunkte nicht ersichtlich.

a) Ausweislich des von der Klägerin vorgelegten Gutachtens von Dr. Volker Franke über "Die Gleichschaltung der Beamtenorganisationen durch die NSDAP 1933" gingen die für die weitere Entwicklung des Bundes entscheidenden Veränderungen innerhalb des Sächsischen Gemeindebeamtenbundes von der Versammlung der Bezirksgruppe Dresden-Stadt am 15. März 1933 aus. Die Versammlung wies einen ungewöhnlich starken Besuch von 1200 - nach der Darlegung der Klägerin überwiegend nationalsozialistischen - Mitgliedern auf. Der erste Vorsitzende legte in der Versammlung sein Amt nieder, um neuen Männern "aus der nationalen Front" Platz zu machen. Nachdem auch die anderen Vorstandsmitglieder ihren Rücktritt erklärt oder auf eine Wiederwahl verzichtet hatten, wurde ein neuer Vorstand durch Zuruf aus der Versammlung bestimmt. Der nationalsozialistische Vorsitzende des neuen Vorstandes legte in seiner Ansprache ein Treuegelöbnis für die neue Regierung und den Reichskanzler Hitler ab, woraufhin die Versammlungsteilnehmer gemeinsam das Horst-Wessel-Lied sangen, um ihre Verbundenheit mit dem Nationalsozialismus zu bekunden. Aufgrund von Angriffen des neuen Bezirksgruppenvorstandes gegen den Vorstand des Sächsischen Gemeindebeamtenbundes trat dieser Anfang April 1933 zurück. In seiner Rücktrittserklärung wies er alle Bezirks- und Ortsgruppenvorstände an, ihre Ämter zur Verfügung zu stellen und bis zum 30. April 1933 Neuwahlen durchzuführen; Angehörige und Anhänger marxistischer Parteien dürften nicht mehr Funktionäre des Bundes sein. Seine Aufgaben übertrug er einem nur aus Nationalsozialisten bestehenden kommissarischen Vorstand (Gutachten Franke, S. 42 ff.). Auf dem außerordentlichen Bundestag am 21. Mai 1933 in Chemnitz, zu dem ein großer Teil der Delegierten in NSDAP- oder SA-Uniformen erschien, wurde ein Nationalsozialist zum Führer des Sächsischen Gemeindebeamtenbundes bestimmt (Sächsische Gemeindebeamtenzeitung Nr. 11 vom 1. Juni 1933, S. 151, 153). Die Auflösung des Sächsischen Gemeindebeamtenbundes wurde auf einer weiteren Versammlung am 14. Oktober 1933 beschlossen und trat zum 30. November 1933 in Kraft (Gutachten Franke, S. 49 f.). Sie war damit das Ergebnis einer "von innen" angestoßenen und vom Willen der Mitglieder getragenen "Gleichschaltung" im Sinne einer Ausrichtung des Verbandes auf die neuen politischen Konstellationen des Staates der "Nationalen Revolution".

b) Es bestehen auch keine Anhaltspunkte für die Annahme, dass diese "Gleichschaltung" auf einer im Zusammenhang mit der "Machtergreifung" erfolgten gezielten Unterwanderung der Bezirksgruppe Dresden-Stadt und sodann auch anderer Ortsgruppen des Bundes durch Nationalsozialisten beruht haben könnte, um diesen als politischen Gegner auszuschalten.

Gegen eine von außen gelenkte Unterwanderung spricht bereits, dass schon bei den Vorstandswahlen auf der Bundeshauptversammlung am 10. Oktober 1932 nicht der von der Wahlkommission vorgeschlagene bisherige Beisitzer im Bundesvorstand, sondern der NSDAP-Reichstagsabgeordnete Stiehler gewählt wurde (Gutachten Franke, S. 38). Die Wahl eines Mitglieds, das von der Wahlkommission nicht vorgeschlagen worden war und das bisher zwar in den NS-Betriebsorganisationen, nicht aber im Sächsischen Gemeindebeamtenbund eine Rolle gespielt hatte (Gutachten Franke, S. 38), lässt darauf schließen, dass der Sächsische Gemeindebeamtenbund bereits vor dem 30. Januar 1933 eine erhebliche Zahl von Mitgliedern hatte, die der NSDAP angehörten oder ihr nahe standen. Dem steht die Erklärung des Geschäftsführers des Bundes auf der Bundeshauptversammlung am 10. Oktober 1932 über die parteipolitische Neutralität des Verbandes nicht entgegen (zu der Erklärung vgl. Gutachten Franke, S. 37 f.); sie hatte ihren Grund offenbar auch in einer zunehmenden Zahl von Mitgliedern, die Anhänger der NSDAP waren (vgl. Franke a.a.O.). Die Gleichschaltung "von innen" belegt auch die Ansprache, die der Vorsitzende des kommissarischen Vorstandes des Sächsischen Gemeindebeamtenbundes auf dem außerordentlichen Bundestag am 21. Mai 1933 in Chemnitz hielt. Danach könnten die sächsischen Gemeindebeamten in Anspruch nehmen, auch in der Frage der Gleichschaltung des Verbandes führend gewesen zu sein. Denn sie hätten das bereits in ihren Bezirks- und Ortsgruppen durchgeführt, was jetzt erst von der Spitze angeordnet werde; sie seien also schon ein gleichgeschalteter Verband (Sächsische Gemeindebeamtenzeitung Nr. 11 vom 1. Juni 1933 S. 153; vgl. auch den Bericht in der Nationalsozialistischen Beamten-Zeitung Nr. 13 vom 5. Juli 1933, S. 216, in dem hervorgehoben wurde, dass man im Sächsischen Gemeindebeamtenbund schon vor der Übernahme der Führung des Deutschen Beamtenbundes durch Sprenger "die Notwendigkeit der Stunde erkannt" hätte).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Ende der Entscheidung

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