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Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 11.04.2002
Aktenzeichen: BVerwG 7 CN 1.02
Rechtsgebiete: KrW-/AbfG, Verordnung EWG Nr. 259/93, Richtlinie 75/422/EWG


Vorschriften:

KrW-/AbfG § 13 Abs. 4 Satz 1
Verordnung EWG Nr. 259/93 Art. 4 Abs. 3
Verordnung EWG Nr. 259/93 Art. 13 Abs. 2
Richtlinie 75/422/EWG Art. 5
Zum Rechtsschutzinteresse an der Feststellung der Unvereinbarkeit von Vorschriften einer Verordnung mit europäischem Gemeinschaftsrecht, die während des Normenkontrollverfahrens aufgehoben worden sind.

Eine landesrechtliche Andienungspflicht für besonders überwachungsbedürftige Abfälle zur Beseitigung, die in dem Land langfristig Entsorgungssicherheit gewährleisten soll und dem Vorrang der Verwertung entspricht, ist mit Art. 4 Abs. 3 Buchst. a Ziff. i der EG-Abfallverbringungsverordnung vereinbar.


BUNDESVERWALTUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

BVerwG 7 CN 1.02 EuGH Rs. C-324/99

Verkündet am 11. April 2002

In der Normenkontrollsache

hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 11. April 2002 durch die Richter am Bundesverwaltungsgericht Gödel, Kley, Herbert, Golze und Neumann

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 24. November 1997 wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin wendet sich im Wege der Normenkontrolle gegen die Gültigkeit der Verordnung der Landesregierung und des Ministeriums für Umwelt und Verkehr Baden-Württemberg über die Entsorgung besonders überwachungsbedürftiger Abfälle und die Sonderabfallagentur (Sonderabfallverordnung - SAbfVO) vom 12. September 1996 (GBl S. 586), geändert durch Verordnung vom 26. Januar 1998 (GBl S. 73; künftig: SAbfVO 1996).

Die Sonderabfallverordnung 1996 beruht auf einer Ermächtigung in § 9 Abs. 2 Satz 2 des Gesetzes über die Vermeidung und Entsorgung von Abfällen und die Behandlung von Altlasten in Baden-Württemberg (Landesabfallgesetz - LAbfG) i.d.F. der Bekanntmachung vom 15. Oktober 1996 (GBl S. 617). Nach § 9 Abs. 1 Satz 1 LAbfG schafft das Land zusammen mit den Erzeugern und Besitzern zentrale Einrichtungen zur Entsorgung besonders überwachungsbedürftiger Abfälle zur Beseitigung. § 9 Abs. 2 Satz 2 LAbfG ermächtigt die Landesregierung, durch Rechtsverordnung zu bestimmen, dass Erzeuger und Besitzer besonders überwachungsbedürftiger Abfälle zur Beseitigung diese den Trägern der zentralen Einrichtungen oder der nach § 28 a LAbfG bestimmten Sonderabfallagentur anzudienen haben. § 1 Abs. 1 SAbfVO 1996 bestimmt als Träger der zentralen Einrichtungen zur Entsorgung besonders überwachungsbedürftiger Abfälle zur Beseitigung die SBW Sonderabfallentsorgung Baden-Württemberg GmbH. Zentrale Einrichtungen sind für die zur Deponierung vorgesehenen Abfälle die Sonderabfalldeponie Billigheim sowie für die zur Verbrennung vorgesehenen Abfälle "im Rahmen der bestehenden Lieferverpflichtungen" die Sonderabfallverbrennungsanlage der Abfall-Verwertungsgesellschaft mbH (AVG) in Hamburg (§ 1 Abs. 2 SAbfVO 1996). § 3 Abs. 1 SAbfVO 1996 verpflichtet die Erzeuger und Besitzer besonders überwachungsbedürftiger Abfälle zur Beseitigung, die in Baden-Württemberg erzeugt worden sind oder dort behandelt, gelagert oder abgelagert werden sollen, diese grundsätzlich der SAA Sonderabfallagentur Baden-Württemberg GmbH anzudienen. § 4 Abs. 1 SAbfVO 1996 bestimmt, dass die Sonderabfallagentur die angedienten Abfälle der SBW zur Entsorgung in den zentralen Einrichtungen zuweist, soweit die Abfälle in diesen Einrichtungen entsorgt werden können und im Fall der Sonderabfallverbrennungsanlage der AVG in Hamburg die Lieferverpflichtung in Höhe von jährlich 20 000 t zu erfüllen ist; die SBW entsorgt die nach Satz 1 zugewiesenen Abfälle in den zentralen Einrichtungen.

Die in § 1 Abs. 2 und § 4 Abs. 1 SAbfVO 1996 genannte Lieferverpflichtung für die Sonderabfallverbrennungsanlage in Hamburg ergibt sich aus einem am 5. Mai 1994 für den Zeitraum vom 1. Januar 1997 bis zum 31. Dezember 2011 geschlossenen Vertrag zwischen der SBW und der AVG (künftig: Hamburg-Vertrag). Angediente Abfälle, die nicht nach § 4 Abs. 1 SAbfVO 1996 einer der beiden zentralen Einrichtungen zugewiesen werden, weist die Sonderabfallagentur der vom Erzeuger oder Besitzer vorgeschlagenen Anlage zu, soweit die Abfälle "nach deutschem Umweltrecht ordnungsgemäß" entsorgt werden sollen (§ 4 Abs. 3 SAbfVO 1996).

Die Antragstellerin sieht sich durch die Andienungspflicht für die in Hamburg gelegene Abfallverbrennungsanlage beschwert, weil sie an einer kostengünstigeren Verbrennung der in ihren baden-württembergischen Betriebsstätten erzeugten Abfälle im Ausland, insbesondere in Belgien, gehindert werde; die Zuführung der Abfälle in die Anlage in Hamburg verursache jährliche Mehrkosten von 2,2 Millionen DM. Die Antragstellerin hat Ende 1996 beim Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg das Normenkontrollverfahren eingeleitet und beantragt, die Sonderabfallverordnung für nichtig zu erklären. Sie hält die Verordnung, insbesondere die Andienungspflicht für die Abfallverbrennungsanlage der AVG in Hamburg, für unvereinbar mit deutschem Recht und dem Recht der Europäischen Gemeinschaft. In gemeinschaftsrechtlicher Hinsicht macht sie insbesondere geltend, die Sonderabfallverordnung begründe unzulässige Ausfuhrbeschränkungen. Die Andienungspflicht verstoße gegen Art. 29 EG, gegen die Abfallrahmenrichtlinie (Richtlinie 75/442/EWG des Rates vom 15. Juli 1975 über Abfälle <ABl EG L 194, S. 39>, geändert durch Richtlinie 91/156/EWG vom 18. März 1991 <ABl EG L 78, S. 32>) und gegen die EG-Abfallverbringungsverordnung (Verordnung <EWG> Nr. 259/93 des Rates zur Überwachung und Kontrolle der Verbringung von Abfällen in der, in die und aus der Europäischen Gemeinschaft vom 1. Februar 1993 <ABl EG L 30, S. 1> mit späteren Änderungen). Der Verwaltungsgerichtshof hat den Normenkontrollantrag mit Beschluss vom 24. November 1997 (DVBl 1998, 343) als unbegründet abgewiesen.

Der erkennende Senat hat durch Beschluss vom 29. Juli 1999 - BVerwG 7 CN 2.98 - (Buchholz 451.90 Nr. 178 S. 7) das Verfahren ausgesetzt und dem Europäischen Gerichtshof vier Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt. In den Gründen dieses Beschlusses ist ausgeführt, dass die Sonderabfallverordnung kein Bundesrecht verletzt und das Ausfuhrverbot, das aus der Andienungspflicht mit vorrangiger Zuweisung der zur Verbrennung bestimmten Beseitigungs-Abfälle an die AVG in Hamburg folgt, mit europäischem Gemeinschaftsrecht vereinbar ist. Zweifel hat der Senat daran geäußert, ob ein durch Art. 4 Abs. 3 Buchst. a Ziff. i der EG-Abfallverbringungsverordnung gedecktes Ausfuhrverbot zusätzlich auf seine Vereinbarkeit mit Art. 28 ff. EG zu prüfen ist, ob die Verbringung der in Rede stehenden Abfälle in einen anderen Mitgliedstaat von der Gewährleistung der Anforderungen an eine Beseitigung nach deutschem Umweltrecht abhängig gemacht werden darf und ob es mit den Regelungen der Art. 3 ff. der EG-Abfallverbringungsverordnung in Einklang steht, wenn ein Mitgliedstaat für die beabsichtigte grenzüberschreitende Verbringung von Abfällen zur Beseitigung dem Notifizierungsverfahren ein eigenständiges Verfahren über die Andienung und Zuweisung dieser Abfälle vorschaltet.

Der Europäische Gerichtshof hat durch Urteil vom 13. Dezember 2001 - Rs. C-324/99 -, DVBl 2002, 246, über die Vorlage entschieden.

Am 1. Januar 2000 ist die Verordnung der Landesregierung und des Ministeriums für Umwelt und Verkehr Baden-Württemberg über die Aufgaben der Sonderabfallagentur und die Entsorgung besonders überwachungsbedürftiger Abfälle (Sonderabfallverordnung - SAbfVO) vom 20. Dezember 1999 (GBl S. 683; künftig: SAbfVO 1999) in Kraft getreten. Sie ersetzt die Sonderabfallverordnung 1996, die Gegenstand dieses Normenkontrollverfahrens und mit Ablauf des Jahres 1999 außer Kraft getreten ist. Das Konzept der Andienungspflicht blieb im Wesentlichen unverändert. Entfallen ist die Vorschrift über die Zuweisung der Abfälle, die nicht nach § 4 Abs. 1 SAbfVO 1996 einer der zentralen Einrichtungen zugewiesen werden (§ 4 Abs. 3 SAbfVO 1996). Stattdessen bestimmt § 6 Abs. 3 SAbfVO 1999, dass die Sonderabfallagentur diese Abfälle der vom Erzeuger oder Besitzer vorgeschlagenen Anlage zuweist, soweit sie dort unter Wahrung des Wohls der Allgemeinheit entsorgt werden. Neu geregelt wurden ferner die Andienung und Zuweisung von Abfällen, die nach den Vorschriften der EG-Abfallverbringungsverordnung ins Ausland verbracht werden sollen; diese Abfälle gelten mit der Vorlage der Notifizierung als angedient (§ 4 Abs. 3 SAbfVO 1999) und werden - unbeschadet des Vorrangs der zentralen Einrichtungen - nicht zugewiesen (§ 6 Abs. 4 SAbfVO 1999). Weitere Änderungen der angegriffenen Sonderabfallverordnung erfolgten durch Änderungsverordnungen vom 23. Mai 2000 (GBl S. 459) und vom 11. Dezember 2001 (GBl S. 686).

Die Antragstellerin hält ihren Antrag nach wie vor für zulässig. Beim Verwaltungsgerichtshof sei noch ein Verfahren anhängig, in dem es auf die Gültigkeit der angegriffenen Sonderabfallverordnung ankomme. Außerdem behalte sie sich vor, Amtshaftungsklage zu erheben. Der Normenkontrollantrag sei begründet. Die Verordnung sei nicht durch das Prinzip der Nähe, den Vorrang der Verwertung und den Grundsatz der Entsorgungsautarkie (Art. 4 Abs. 3 Buchst. a Ziff. i der EG-Abfallverbringungsverordnung) gerechtfertigt. Ferner verstoße die Verordnung gegen das Kohärenzgebot (Art. 13 Abs. 2 der EG-Abfallverbringungsverordnung), weil sowohl für die innerstaatliche als auch für die grenzüberschreitende Abfallverbringung Andienungspflichten vorgesehen seien, deren verfahrensmäßige Ausgestaltung gemeinschaftsrechtswidrig sei. Die Verordnung genüge schließlich nicht den im Urteil des Europäischen Gerichtshofs (a.a.O.) aufgestellten Anwendungsvoraussetzungen des Grundsatzes der Entsorgungsautarkie; die zentralen Einrichtungen, denen die Abfälle zuzuweisen seien, würden nicht von der Sonderabfallagentur "kontrolliert", und die Andienungspflicht sei angesichts des drastischen Rückgangs der einschlägigen Abfallmenge sowie des vergleichsweise geringen Aufkommens von geeigneten Verbrennungsabfällen aus Baden-Württemberg bereits vor dem Jahr 1994 nicht erforderlich gewesen, um einen für die Wirtschaftlichkeit der Verbrennungsanlage der AVG in Hamburg unerlässlichen Auslastungsgrad sicherzustellen. Daraus ergebe sich zugleich, dass dem Abschluss des Hamburg-Vertrags eine Fehleinschätzung des Antragsgegners zugrunde gelegen habe und die Verordnung nicht der Sicherstellung einer umweltverträglichen Abfallbeseitigung diene, sondern ausschließlich auf wirtschaftlichen Erwägungen beruhe.

Nach Auffassung des Antragsgegners sind die als gemeinschaftsrechtswidrig befundenen Vorschriften der angegriffenen Verordnung seit In-Kraft-Treten der Sonderabfallverordnung 1999 nicht mehr entscheidungserheblich. Im Übrigen sei durch den Vorlagebeschluss des Senats und das Urteil des Europäischen Gerichtshofs geklärt, dass die in der Sonderabfallverordnung geregelte Andienungspflicht für besonders überwachungsbedürftige Abfälle zur Beseitigung mit deutschem Recht und mit Gemeinschaftsrecht vereinbar sei.

II.

Die Revision der Antragstellerin ist unbegründet. Der Normenkontrollantrag ist infolge der Aufhebung der angegriffenen Sonderabfallverordnung 1996 nur noch teilweise zulässig (1). Im Übrigen ergibt die Überprüfung in der Sache, dass die angegriffenen Vorschriften weder bundesrechtlich noch gemeinschaftsrechtlich zu beanstanden sind (2).

1. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist die Sonderabfallverordnung 1996. Die Antragstellerin hat diese uneingeschränkt zur Prüfung gestellt. Dagegen bestehen keine Bedenken, da die Verordnung eine zusammenhängende Regelung darstellt, die auf dem von der Antragstellerin angegriffenen Konzept der Andienung und Zuweisung der in Rede stehenden Abfälle an die zentralen Einrichtungen beruht. Der Normenkontrollantrag ist vor dem 1. Januar 1997 gestellt worden. Seine Zulässigkeit ist darum noch nach § 47 VwGO a.F. zu beurteilen (Urteil vom 12. März 1998 - BVerwG 4 CN 12.97 - BVerwGE 106, 237).

Die Sonderabfallverordnung 1996 ist im Lauf des Revisionsverfahrens zum 1. Januar 2000 außer Kraft getreten. Auch außer Kraft getretene Verordnungen können Gegenstand der Normenkontrolle sein. Das Außerkrafttreten einer Norm während des Normenkontrollverfahrens führt nicht ohne Weiteres zur Unzulässigkeit des bis dahin zulässigen Normenkontrollantrags. Das folgt aus der individuellen Rechtsschutzfunktion des Normenkontrollverfahrens, die bereits nach altem Recht neben der objektiven Rechtskontrolle für das Normenkontrollverfahren kennzeichnend war (vgl. Beschluss vom 2. September 1983 - BVerwG 4 N 1.83 - BVerwGE 68, 12 <14 f.>). Bei einem zulässigen und begründeten Antrag ist dann festzustellen, dass die außer Kraft getretene Verordnung ungültig war. Ergibt die Prüfung eine Verletzung von Gemeinschaftsrecht, ist auch diese im Normenkontrollverfahren beachtlich mit der Folge, dass die Unanwendbarkeit der Norm festgestellt wird. Dass das Normenkontrollverfahren auf die Entscheidung über die "Gültigkeit" einer Norm gerichtet ist (§ 47 Abs. 1 VwGO), steht dem nicht entgegen. Entsprechend seinem auf Herstellung von Rechtsklarheit zielenden Zweck einerseits sowie mit Rücksicht auf das gemeinschaftsrechtliche Diskriminierungsverbot (Art. 12 EG) und die Pflicht zu gemeinschaftstreuem Verhalten (Art. 10 EG) andererseits ist Prüfungsmaßstab im Normenkontrollverfahren auch das Gemeinschaftsrecht (vgl. Pache/Burmeister, NVwZ 1996, 979 <980> m.w.N.). Davon ist der Senat bereits bei seiner Vorlage an den Europäischen Gerichtshof ausgegangen.

Die Zulässigkeit des Normenkontrollantrags setzt nach Außerkrafttreten der Norm ein berechtigtes Interesse der Antragstellerin an der Feststellung voraus, dass die Sonderabfallverordnung 1996 ungültig oder unanwendbar war. Ein solches Rechtsschutzinteresse besteht in Bezug auf die Regelungen über die zentralen Einrichtungen, die Sonderabfallagentur sowie die Andienungspflicht und die vorrangige Zuweisung der Abfälle im Rahmen der Lieferverpflichtung gegenüber der AVG in Hamburg schon deshalb, weil diese Bestimmungen der Sache nach unverändert in die Sonderabfallverordnung 1999 und deren nachfolgende Änderungen übernommen worden sind. Da es bei dem der Antragstellerin nachteiligen Andienungskonzept geblieben ist, besteht ihr Rechtsschutzinteresse an der Feststellung der Ungültigkeit oder Unanwendbarkeit der entsprechenden Bestimmungen der Sonderabfallverordnung 1996 fort. Diese ist weiterhin Gegenstand der Normenkontrolle. Die einschlägigen Vorschriften der Sonderabfallverordnung 1999 treten nicht an ihre Stelle; sie begründen nur das berechtigte Interesse der Antragstellerin an der Klärung der Gültigkeit der zur Prüfung gestellten Andienungsregelung.

Unzulässig ist der Normenkontrollantrag, soweit er sich auf den Vorbehalt des qualifizierten Entsorgungsstandards nicht von der Vorrangregel erfasster Abfälle (§ 4 Abs. 3 SAbfVO 1996) und auf die Anwendung des Andienungsverfahrens bei Notifizierung grenzüberschreitender Abfallverbringungen bezieht. Für die Feststellung der Gültigkeit oder Unanwendbarkeit dieser gemeinschaftsrechtswidrigen Regelungen, die aus der Sicht des Verordnungsgebers kein untrennbarer Bestandteil des Andienungskonzepts waren, fehlt es am erforderlichen Rechtsschutzinteresse. Sie können keinen Nachteil der Antragstellerin i.S.d. § 47 Abs. 2 VwGO a.F. begründen, weil ihre Anwendung bei grenzüberschreitender Verbringung besonders überwachungsbedürftiger Abfälle zur Beseitigung in der Vergangenheit bereits daran scheiterte, dass der Antragsgegner im fraglichen Zeitraum durchweg den Einwand der Entsorgungsautarkie (Art. 4 Abs. 3 Buchst. a Ziff. i der EG-Abfallverbringungsverordnung) erhoben hat. Das ergibt sich aus dem in den Akten befindlichen Erlass des Ministeriums für Umwelt und Verkehr Baden-Württemberg vom 18. Dezember 1998 sowie daraus, dass der Vertreter des Antragsgegners die entsprechende Verwaltungspraxis in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat bestätigt hat. Angesichts dessen wirkte und wirkt sich der Vorbehalt des § 4 Abs. 3 SAbfVO 1996, eine solche Verbringung von der Gewährleistung einer nach deutschem Umweltrecht ordnungsgemäßen Entsorgung der Abfälle im Empfangsstaat abhängig zu machen, für die Antragstellerin nicht nachteilig aus. Die Vorschrift kann daher auch für noch schwebende Verfahren und für eine mögliche Amtshaftungsklage keine Bedeutung mehr gewinnen. Entsprechendes gilt für die der Notifizierung vorgeschaltete Anwendung des Andienungsverfahrens. Auch diese Regelung konnte keinen Nachteil der Antragstellerin verursachen, weil einer Genehmigung der grenzüberschreitenden Verbringung der zur Beseitigung bestimmten Abfälle durch die zuständige Behörde am Bestimmungsort der vom Antragsgegner erhobene Einwand der Entsorgungsautarkie entgegenstand, solange die im Hamburg-Vertrag vereinbarte Lieferverpflichtung zu erfüllen war und die Abfälle im Inland entsorgt werden konnten. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass diese Voraussetzungen bei den in Rede stehenden Abfällen nicht gegeben waren oder unabhängig hiervon eine Anwendung der außer Kraft getretenen Vorschriften auf in der Vergangenheit liegende Sachverhalte in Betracht kommen könnte.

2. Die hiernach zur Prüfung stehenden Vorschriften der Sonderabfallverordnung 1996 über die Andienungspflicht für besonders überwachungsbedürftige Abfälle zur Beseitigung und deren Zuweisung an die zentralen Einrichtungen sind mit Bundesrecht und mit Gemeinschaftsrecht vereinbar. Das hat der Senat bereits in seinem Vorlagebeschluss vom 29. Juli 1999 - BVerwG 7 CN 2.98 - (a.a.O.) dargelegt, so dass weitgehend auf diesen Bezug genommen werden kann.

Danach ist die in § 3 Abs. 1 Satz 1 SAbfVO 1996 geregelte Andienungspflicht durch § 13 Abs. 4 Satz 1 KrW-/AbfG gedeckt, da sie dem in dieser Vorschrift bestimmten Ziel einer Sicherstellung der umweltverträglichen Abfallbeseitigung dient. Die Andienungspflicht ist Mittel zu dem eigentlichen umweltpolitischen Zweck, der Verantwortung des Landes für eine ordnungsgemäße Beseitigung der Abfälle gerecht zu werden, die in Baden-Württemberg erzeugt worden sind oder dort behandelt, gelagert oder abgelagert werden sollen. Die Fortdauer dieser Verantwortung wird, wie der Senat in seinem Beschluss vom 31. Januar 2002 - BVerwG 7 B 1.02 - (zur Veröffentlichung in Buchholz bestimmt) ausgeführt hat, nicht in Frage gestellt, wenn sich das von der Andienungspflicht erfasste Abfallvolumen seit der im Jahr 1994 konzipierten Entsorgungslösung des Landes Baden-Württemberg verringert hat. Ein solcher Effekt ist die Folge der technisch und wirtschaftlich bedingten Verbesserung einer ressourcenschonenen Abfallverwertung, die gegenüber der Abfallbeseitigung vorrangig ist. Bei Abschluss des Hamburg-Vertrags war nicht absehbar, in welchem Umfang die in Baden-Württemberg anfallende Menge der zur thermischen Beseitigung bestimmten besonders überwachungsbedürftigen Abfälle in Zukunft tatsächlich zurückgehen würde. Daher musste das zur Sicherstellung der umweltverträglichen Beseitigung dieser Abfälle bestimmte Entsorgungskonzept auf der Grundlage einer Prognose entwickelt werden. Dies ist unter Ausschöpfung der seinerzeit zugänglichen Erkenntnisquellen geschehen. Die Vertretbarkeit der Prognose wird durch die von der Antragstellerin vorgelegten Unterlagen schon deswegen nicht erschüttert, weil diese auf statistischem Material beruhen, in dem die hier in Rede stehenden Abfälle nicht gesondert ausgewiesen waren. Abgesehen davon wird durch die in der Stellungnahme des Ministeriums für Umwelt und Verkehr vom 15. Juni 2000 (LTDrucks 12/5265) mitgeteilte Entwicklung der Liefermengen belegt, dass das die Andienungspflicht einschließende Konzept des Landes nach wie vor geeignet ist, zur langfristigen Entsorgungssicherheit für besonders überwachungsbedürftige Abfälle zur Beseitigung beizutragen.

Die Andienungsregelung steht auch in Einklang mit § 10 Abs. 3 Satz 1 KrW-/AbfG, wonach Abfälle grundsätzlich im Inland zu beseitigen sind, und mit § 3 AbfVerbrG, der den Grundsatz der Beseitigungsautarkie durch den Vorrang der Inlandsbeseitigung umsetzt. Die regelmäßig unbeschränkte Zuweisung der in Baden-Württemberg anfallenden besonders überwachungsbedürftigen Abfälle zur Beseitigung an die zentralen Einrichtungen, im Fall der AVG im Rahmen der im Hamburg-Vertrag vereinbarten Mindestmenge, ist angesichts des öffentlichen Interesses an deren langfristig gesicherter ordnungsgemäßer Entsorgung durch Lenkung in die hierfür vorgesehenen Einrichtungen verhältnismäßig und verletzt die Antragstellerin nicht in ihren Grundrechten aus Art. 12 und 14 GG (vgl. dazu auch Urteil vom 27. Mai 1981 - BVerwG 7 C 34.77 - BVerwGE 62, 224 <225 ff.>; Urteil vom 4. August 1983 - BVerwG 7 C 2.81 - BVerwGE 67, 321 <325 f.>; Urteil vom 13. April 2000 - BVerwG 7 C 47.98 - Buchholz 451.221 § 13 KrW-/AbfG Nr. 5 S. 17 <23 f.>; Beschluss vom 31. Januar 2002 - BVerwG 7 B 1.01 - a.a.O.).

Aus gemeinschaftsrechtlicher Sicht stellt sich die zur Prüfung stehende Regelung über die Andienung und Zuweisung besonders überwachungsbedürftiger Abfälle zur Beseitigung (§ 4 Abs. 1 SAbfVO 1996) als Maßnahme dar, die eine Verbringung ins Ausland untersagt. Diese auf Gründen des Umweltschutzes beruhende Ausfuhrbeschränkung entspricht i.S.d. Art. 4 Abs. 3 Buchst. a Ziff. i der EG-Abfallverbringungsverordnung dem Prinzip der Nähe, dem Vorrang der Verwertung und dem Grundsatz der Entsorgungsautarkie gemäß der Abfallrahmenrichtlinie. Sie verletzt darum kein Gemeinschaftsrecht. Die Regelung konkretisiert den in Art. 174 EG aufgestellten Grundsatz, Umweltbeeinträchtigungen nach Möglichkeit an ihrem Ursprung zu bekämpfen; dies bedeutet nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Urteil vom 9. Juli 1992 - Rs. C-2/90 - NVwZ 1992, 871 <873> - Wallonien), dass es Sache jeder Gebietskörperschaft ist, die geeigneten Maßnahmen zu treffen, um die Beseitigung der bei ihr anfallenden Abfälle sicherzustellen (Grundsatz der Entsorgungsautarkie) und diese Abfälle zur Gewährleistung eines hohen Umweltschutzniveaus möglichst nahe am Entstehungsort zu beseitigen (Näheprinzip):

Dem Prinzip der Nähe widerspricht die Andienungsregelung schon deswegen nicht, weil dieses Prinzip nicht isoliert zu betrachten, sondern für sein Verständnis zu berücksichtigen ist, dass es in Art. 5 Abs. 2 der Abfallrahmenrichtlinie mit einem Eignungskriterium verknüpft wird, das ein hohes Niveau des Gesundheits- und Umweltschutzes gewährleisten soll. Diesem Erfordernis wurde bei Abschluss des Hamburg-Vertrags in verhältnismäßiger Zuordnung widerstreitender Ziele Rechnung getragen, weil zu jenem Zeitpunkt eine vergleichbar kurzfristig zu realisierende Alternative in günstigerer Entfernung nicht zur Verfügung stand (Beschluss vom 29. Juli 1999 - BVerwG 7 CN 2.98 - a.a.O. S. 14).

Der Grundsatz der Entsorgungsautarkie soll gemäß Art. 5 Abs. 1 der Abfallrahmenrichtlinie die Gemeinschaft insgesamt und jeden Mitgliedstaat in die Lage versetzen, mittels eines integrierten und aufgabenadäquaten Netzes technologisch fortgeschrittener und keine übermäßigen Kosten verursachender Anlagen die Abfallbeseitigung sicherzustellen. Im Einklang hiermit erfüllt die Andienungsregelung im Land Baden-Württemberg nach Maßgabe der ihm bundesrechtlich obliegenden Aufgabenverantwortung (vgl. § 29 KrW-/AbfG) den Zweck, die zur Beseitigung bestimmten Abfälle in die hierfür geeigneten und langfristig zur Verfügung stehenden zentralen Einrichtungen zu lenken. Dabei wirkt die in der angegriffenen Verordnung geregelte Pflicht, die Abfälle der Sonderabfallagentur anzudienen, damit sie von dieser den hierfür bestimmten zentralen Einrichtungen zugewiesen werden können, als normatives Instrument umweltrechtlicher Steuerung und Kontrolle. Darum bedarf es nach europäischem Gemeinschaftsrecht nicht der von der Antragstellerin für erforderlich gehaltenen gesellschaftsrechtlichen Kontrolle der für das operative Geschäft zuständigen SBW und der zentralen Einrichtungen durch das Land oder von ihm beherrschte Gesellschaften. Die Andienungspflicht führt zur Nutzung vorhandener, ein hohes Niveau des Gesundheits- und Umweltschutzes gewährleistender Beseitigungsanlagen, deren Entsorgungskapazitäten zur Verwirklichung des Grundsatzes der Entsorgungsautarkie auf bundesstaatlicher Ebene beitragen. Sie entspricht damit den Anforderungen, die der Europäische Gerichtshof in seinem Urteil vom 13. Dezember 2001 aus Art. 5 der Abfallrahmenrichtlinie abgeleitet hat (a.a.O. Rn. 62). Ein Verstoß gegen das Kohärenzgebot (Art. 13 Abs. 2 der EG-Abfallverbringungsverordnung) liegt schon deswegen nicht vor, weil die Andienungsregelung für die im Inland zu beseitigenden Abfälle den Mindestkriterien zur Wahrung eines hohen Schutzniveaus für Umwelt und menschliche Gesundheit genügt (vgl. Urteil vom 13. April 2000 - BVerwG 7 C 47.98 - a.a.O. S. 25 m.w.N.).

Die Beschränkung der Ausfuhr besonders überwachungsbedürftiger Abfälle zur Beseitigung trägt schließlich dem Vorrang der Verwertung (Art. 3 der Abfallrahmenrichtlinie) Rechnung. Sie stellt eine Lenkung dieser Abfallströme in ökologisch besonders geeignete Beseitigungsanlagen sicher, unterbindet damit zugleich einen Niedrigpreiswettbewerb um Beseitigungskapazitäten und wirkt durch die Kosten verursachende Pflicht zur umweltverträglichen Beseitigung im Inland der Gefahr einer Vernachlässigung der Anstrengungen zur Vermeidung von Abfällen und zur möglichst hochwertigen Verwertung nicht vermeidbarer Abfälle entgegen. Da mit der EG-Abfallverbringungsverordnung zur Sicherstellung des Schutzes der Umwelt auf Gemeinschaftsebene eine harmonisierte Regelung für die Verbringung von Abfällen geschaffen worden ist, bedarf es nicht der gesonderten Prüfung, ob die dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügende Andienungspflicht mit den primärrechtlichen Bestimmungen der Art. 28 bis 30 EG vereinbar ist (Urteil des EuGH vom 13. Dezember 2001 - Rs. C-324/99).

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

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