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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 23.08.2000
Aktenzeichen: BVerwG 8 B 60.00
Rechtsgebiete: VermG, Bundesrückerstattungsgesetz


Vorschriften:

VermG § 1 Abs. 6 Satz 1
Bundesrückerstattungsgesetz § 5
Leitsatz:

Ist ein polnisches Unternehmen durch die Haupttreuhandstelle Ost im Jahr 1939/40 in Polen enteignet worden, so scheiden Restitutionsansprüche nach den Vorschriften des Vermögensgesetzes sowohl hinsichtlich des seinerzeitigen Barvermögens als auch hinsichtlich des bei der nachfolgenden Veräußerung des enteigneten Unternehmens im Jahr 1942 erzielten Kaufpreises aus.

Beschluss des 8. Senats vom 23. August 2000 - BVerwG 8 B 60.00 -

I. VG Frankfurt/Oder vom 28.12.1999 - Az.: VG 3 K 1680/96 -


BUNDESVERWALTUNGSGERICHT BESCHLUSS

BVerwG 8 B 60.00 VG 3 K 1680/96

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts am 23. August 2000 durch die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Pagenkopf, Sailer und Krauß

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsggerichts Frankfurt (Oder) vom 28. Dezember 1999 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 98 200 DM festgesetzt.

Gründe:

Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

1. Soweit der Kläger den Zulassungsgrund des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO geltend macht, bedarf es zur Klärung der beiden von ihm aufgeworfenen Fragen keiner Durchführung eines Revisionsverfahrens.

a) Die Beschwerde wirft zunächst die Frage auf, "ob ein Anspruch auf Singularrestitution gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 VermG dann gemäß § 3 Abs. 1 Satz 3 VermG ausgeschlossen ist, wenn der Berechtigte einen Antrag auf Rückgabe eines Unternehmens nicht stellen könnte, weil das Unternehmen nicht im Beitrittsgebiet belegen war". Mit dieser Fragestellung greift die Beschwerde den rechtlichen Ansatz des Verwaltungsgerichts auf, das, soweit es um den Kassenbestand und die Bankguthaben des Unternehmens in Höhe von ca. 350 000 RM geht, das Bestehen eines Rückübertragungsanspruchs gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 VermG deshalb verneint hat, weil die Vorschrift wegen des Vorrangs der Regelung über die Unternehmensrestitution in § 6 VermG nicht anwendbar sei. Es liegen jedoch bereits die Voraussetzungen des allein in Betracht kommenden Schädigungstatbestandes des § 1 Abs. 6 Satz 1 VermG im Falle des Klägers nicht vor. § 1 Abs. 6 Satz 1 VermG begründet Rückübertragungsansprüche für Bürger und Vereinigungen, denen durch NS-Verfolgungsmaßnahmen auf dem Gebiet der späteren DDR und des sowjetischen Sektors von Berlin Vermögen entzogen wurde (Urteil vom 27. Mai 1997 - BVerwG 7 C 67.96 - Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 112). § 1 Abs. 6 Satz 1 VermG erstreckt sich damit nur auf solche NS-Verfolgungsmaßnahmen, die eine Gebietsbezogenheit zum Beitrittsgebiet aufweisen. Das entspricht dem Zweck des Vermögensgesetzes. Er liegt in der "Wiedergutmachung von Unrechtsmaßnahmen des NS-Staates in der Zeit vom 30. Januar 1933 bis zum 8. Mai 1945, zu der sich der Gesetzgeber der Bundesrepublik Deutschland mit Blick auf den Rechts- und Sozialstaatsgedanken des Grundgesetzes verpflichtet hat. Damit wird der Tatsache Rechnung getragen, dass es in der sowjetischen Besatzungszone ebenso wie später in der DDR und im sowjetischen Sektor Berlins bis zum Erlass des Vermögensgesetzes keine Wiedergutmachungsgesetzgebung gegeben hat, die den in den westlichen Besatzungszonen und -sektoren Berlins und später in der Bundesrepublik Deutschland geltenden Wiedergutmachungsgesetzen gleichwertig gewesen wäre" (Urteil vom 6. April 1995 - BVerwG 7 C 5.94 - Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 42; Urteil vom 27. Mai 1997 - BVerwG 7 C 67.96 - a.a.O.). Diese Gebietsbezogenheit wird auch durch die Regelung in § 3 Abs. 5 VermG und § 35 Abs. 2 und 3 VermG bestätigt. In diesen Regelungen wird jeweils auf die "Belegenheit" des Vermögenswertes bzw. im Falle einer Unternehmensrestitution auf den Sitz des Unternehmens im Beitrittsgebiet abgestellt.

Der den Kläger treffende Vermögensverlust ist aber nicht auf dem Gebiet der späteren DDR oder des sowjetischen Sektors von Berlin eingetreten. Nach den nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen Feststellungen des Verwaltungsgerichts ist vielmehr das streitige Unternehmen, dessen Mitinhaber der Kläger war, bereits nach der militärischen Besetzung von Polen aufgrund des § 2 der Verordnung über die Behandlung von Vermögen der Angehörigen des ehemaligen polnischen Staates vom 17. September 1940 (RGBl I S. 1270) beschlagnahmt worden; die Beschlagnahme erfolgte im Bereich des polnischen Staates am Sitz des klägerischen Unternehmens. Diese Beschlagnahme ist auch als Entziehung des Vermögens durch NS-Verfolgungsmaßnahmen im Sinne der genannten Rechtsprechung zu werten. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend auf die rückerstattungsrechtliche Rechtsprechung hingewiesen, nach der eine Beschlagnahme nach der so genannten "Polenverordnung", die einen polnischen Staatsangehörigen jüdischen Glaubens betraf, als eine Entziehung im Sinne des Rückerstattungsrechts anzusehen war (vgl. ORG Herford, Beschluss vom 30. Mai 1956 - ORG II 261 <WK Köln> - RzW 1956, 291). Nach dieser Entscheidung ist die Beschlagnahme durch die Treuhandstelle Ost als eine Entziehung im rückerstattungsrechtlichen Sinne zu werten, da aus einer Gesamtbetrachtung der einzelnen Bestimmungen der sog. "Polenverordnung" und der Verordnung über den Einsatz jüdischen Vermögens vom 3. Dezember 1938 (RGBl I S. 1709) folgt, dass bereits mit der Beschlagnahme des jüdischen Besitzes die Entziehung des Eigentums eingetreten ist. Das ORG Herford hat dies so begründet: "Da den Eigentümern das Recht der Verwaltung und der Verfügung entzogen wurde, blieb vom Eigentum nur der Name übrig. ... Betrachtet man die einzelnen Bestimmungen der PolenVO im Zusammenhang mit den Bestimmungen über die EinsatzVO, so ist die Beschlagnahme des jüdischen Grundbesitzes bereits die Entziehung des Eigentums, ohne dass das Eigentum formell auf das Reich übertragen wurde. Die Beschlagnahme brauchte im Grundbuch nicht eingetragen zu werden. Das Reich war berechtigt, ohne Eintragungen im Grundbuch über den Grundbesitz durch Veräußerung zu verfügen. ... Nach dem Erlass des Reichsfinanzministers vom Juli 1941 hat auch das Reich den jüdischen Grundbesitz von der Anordnung der kommissarischen Verwaltung an nicht mehr als jüdischen Grundbesitz steuerlich behandelt."

Mithin ist das ehemalige klägerische Unternehmen, zu dessen Bestandteilen auch der hier in Rede stehende Kassenbestand und die bestehenden Bankguthaben in Höhe von insgesamt 350 527,82 RM gehören, bereits vollständig auf polnischem Territorium entzogen worden. Ein Vermögensverlust auf dem Gebiet der späteren DDR oder des sowjetischen Sektors von Berlin und damit die Anwendbarkeit des Vermögensgesetzes schied damit von vornherein aus. Der Hinweis der Beschwerde auf § 5 des Bundesrückerstattungsgesetzes vom 19. Juli 1957 (BGBl I S. 734) greift in diesem Zusammenhang nicht durch. Es steht schon in tatsächlicher Hinsicht nicht fest, dass der Kassenbestand und die Bankguthaben des enteigneten Unternehmens - die nicht Gegenstand des späteren Verkaufs waren - überhaupt "nach der Entziehung" "in den Geltungsbereich dieses Gesetzes" gelangt sind. Damit wird gem. § 5 S. 1 und 2 BRüG auf das Gebiet der (ehemaligen) Bundesrepublik einschließlich (Groß-)Berlins abgestellt; eine inhaltliche Ausweitung auf die Verbringung entzogener Gegenstände in das Gebiet der ehemaligen DDR (ohne Berlin-Ost) wird auch durch Art. 8 EV nicht bewirkt. Abgesehen davon hat der Bundesgerichtshof (Beschluss vom 3. August 1995 - IX ZB 80/94 - ZOV 1995, 460) einen entsprechenden Anspruch wegen Ablaufs der Fristen der §§ 27 ff. BRüG verneint. Im Übrigen betreffen etwaige, der Beschlagnahme des Unternehmens und damit der vollständigen Verdrängung des Klägers aus seinem Eigentum nachfolgende Maßnahmen - ungeachtet ihrer Rechtswidrigkeit - nicht mehr ihm zuzuordnende Vermögenswerte.

b) Soweit es um den Kaufpreisanspruch für das 1942 einer deutschen Firma übertragene Unternehmen geht, hat die Beschwerde die Frage aufgeworfen, "ob die Anwendung des § 1 Abs. 6 VermG ausgeschlossen ist, wenn der Entziehung von Vermögensgegenständen im Beitrittsgebiet bereits eine faktische Entziehung der Verfügungsbefugnisse außerhalb des Beitrittsgebiets (faktische Enteignung) vorangegangen war". Auch zur Beantwortung dieser Frage bedarf es keiner Durchführung eines Revisionsverfahrens. Wenn - wie oben dargelegt - bereits eine Entziehung des Unternehmens auf polnischem Territorium stattgefunden hat, die zu einer vollständigen Verdrängung der Unternehmensinhaber aus ihrer Rechtsposition geführt hat, so ist eine spätere "faktische Entziehung der Verfügungsbefugnisse" nicht mehr denkbar. Der Hinweis der Beschwerde auf § 5 des Rückerstattungsgesetzes greift in diesem Zusammenhang aus den genannten Gründen nicht durch.

c) Die von der Beschwerde im Übrigen aufgeworfene Frage, ob die faktische Entziehung eines im heutigen Beitrittsgebiet belegenen Gegenstandes auch dann nicht gemäß § 1 Abs. 6 VermG wieder gutzumachen ist, wenn dem Geschädigten zwar zeitlich vorangehend ein außerhalb des heutigen Beitrittsgebiets belegener Vermögensgegenstand entzogen wurde, der im heutigen Beitrittsgebiet belegene Vermögensgegenstand aber kein Surrogat des zuvor außerhalb des Beitrittsgebiets belegenen Vermögensgegenstandes war und ob in der Nichtauskehr des Veräußerungserlöses nicht eine faktische Entziehung der Forderung aus §§ 676, 667 BGB zu sehen ist, beantwortet sich ebenfalls auf der Grundlage der nach ständiger Rechtsprechung für die Beurteilung schädigender Maßnahmen gemäß § 1 VermG maßgeblichen faktischen Betrachtungsweise. Danach ist der Kläger bereits durch die Beschlagnahme vollständig aus seinen Eigentümerrechten verdrängt worden. Alle nachfolgenden Maßnahmen betrafen - ungeachtet ihrer fortbestehenden Rechtswidrigkeit - nicht mehr ihm zuzuordnende Vermögenswerte. Aus diesem Grund ist der später erzielte Kaufpreis weder im vermögensrechtlichen Sinne ein "Surrogat" des entzogenen Unternehmens, noch kann ein darauf gerichteter zivilrechtlicher Auskehranspruch Gegenstand einer weiteren schädigenden Maßnahme zu Lasten des bereits vollständig enteigneten Klägers sein. Dies entspricht der rückerstattungsrechtlichen Rechtsprechung (vgl. ORG Berlin, Beschluss vom 14. Dezember 1966 - ORG/A/3778 - RzW 1967, 166). Der Kläger ist vielmehr auf Entschädigungsansprüche verwiesen, die an die in Polen vollzogene Enteignung seines Unternehmens anknüpfen.

2. Auch der weiterhin geltend gemachte Zulassungsgrund des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO liegt nicht vor. Eine die Revision eröffnende Divergenz liegt nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht in einer die Entscheidung tragenden abstrakten Rechtsfrage bei Anwendung derselben Rechtsvorschrift eine andere Auffassung vertreten hat als das Bundesverwaltungsgericht. Eine derartige Abweichung liegt nicht vor. Das Verwaltungsgericht hat sich zu den im Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 18. Mai 1995 - BVerwG 7 C 19.94 - (BVerwGE 98, 261, 263) aufgestellten Rechtssätzen nicht in Widerspruch gesetzt. Auf S. 11 seines Urteils spricht das Verwaltungsgericht unter Hinweis auf das genannte Urteil vom 18. Mai 1995 von dem im Rahmen des § 1 VermG geltenden faktischen Enteignungsbegriff, "der ungeachtet etwaiger Rechtsmängel allein darauf abstellt, ob ein Vermögenswert dem Rechtsinhaber zumindest faktisch auf Dauer entzogen wurde". Mit dieser Formulierung respektiert das Verwaltungsgericht gerade den vom Bundesverwaltungsgericht aufgestellten Rechtssatz, wonach solche Enteignungsvorschriften, die wegen Widerspruchs gegen fundamentale Grundsätze der Gerechtigkeit von Anfang an nichtig gewesen sind, nur zu einer faktischen Enteignung geführt haben können. Eine Beschränkung des Regelungsbereichs des § 1 Abs. 6 VermG auf ausschließlich faktische Enteignungsmaßnahmen enthält das verwaltungsgerichtliche Urteil indes nicht.

Es liegt auch keine Divergenz zu der von der Beschwerde angezogenen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 14. Februar 1968 - 2 BvR 557/62 - BVerfGE 23, 98) vor. Das Verwaltungsgericht hat keinen Rechtssatz aufgestellt, wonach es Vorschriften, die gegen fundamentale Grundsätze des Rechts verstoßen, als wirksam erachtet. Es hat vielmehr durch den Hinweis auf das Urteil vom 18. Mai 1995 - BVerwG 7 C 19.94 - (BVerwGE 98, 261, 263) zum Ausdruck gebracht, dass solche Bestimmungen aus der NS-Zeit, die fundamentalen Grundsätzen der Gerechtigkeit widersprechen, als nichtig anzusehen sind (vgl. BVerfGE 23, 98 <106>).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 14 Abs. 1 Satz 1, § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.



Ende der Entscheidung

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