Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 15.11.2000
Aktenzeichen: BVerwG 8 C 26.99
Rechtsgebiete: VermG


Vorschriften:

VermG § 1 Abs. 3
VermG § 2 Abs. 2 Satz 1
Leitsatz:

Das Anwartschaftsrecht eines Auflassungsempfängers ist ein dingliches Recht im Sinne des § 2 Abs. 2 Satz 1 VermG und daher restitutionsfähig.

Urteil des 8. Senats vom 15. November 2000 - BVerwG 8 C 26.99 -

I. VG Magdeburg vom 01.06.1999 - Az.: VG A 5 K 341/98 -


BUNDESVERWALTUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

BVerwG 8 C 26.99 VG A 5 K 341/98

Verkündet am 15. November 2000

Grosser Justizhauptsekretärin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 15. November 2000 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Müller und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Sailer, Krauß, Golze und Postier

für Recht erkannt:

Tenor:

Das Urteil des Verwaltungsgerichts Magdeburg vom 1. Juni 1999 wird aufgehoben.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der erstinstanzlichen außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, die dieser selbst trägt.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten um die Rückübertragung eines Anwartschaftsrechts nach dem Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen.

Die Klägerin ist die Witwe und Alleinerbin des 1981 verstorbenen Heinz-Werner B. Dessen Vater (Ernst B.) war Eigentümer des ehemals in Band 1 Bl. 25 des Grundbuchs von H. eingetragenen Erbhofs. Am 12. Januar 1949 schlossen er und Heinz-Werner B. einen notariell beurkundeten Vertrag in vorweggenommene Erbteilung über mehrere landwirtschaftliche Grundstücke sowie der Hälfte der Hofstelle. Die Vertragsparteien erklärten die Auflassung und beantragten bzw. bewilligten die Eintragung der Eigentumsänderung im Grundbuch.

Das Finanzamt O. erteilte unter dem 24. März 1949 eine Unbedenklichkeitsbescheinigung zu dem Vertrag, und der Rat des Landkreises O. - Abteilung Landwirtschaft - genehmigte den Vertrag mit Schreiben vom 21. Januar 1950. Der beurkundende Notar reichte am 22. Februar 1950 eine Ausfertigung des Vertrages und die behördlichen Genehmigungen beim Amtsgericht O. mit der Bitte ein, dem gestellten Antrag zu entsprechen.

Der Rat des Landkreises O. zog mit Bescheid vom 5. Januar 1953 seine Zustimmung zurück, da die erforderlichen Voraussetzungen nicht gegeben seien und durch die Genehmigung sonst eine Wirtschaftsteilung entstünde, obwohl die Bedingungen hierzu (getrennte Wirtschaftsführung usw.) nicht gegeben seien. Ferner wies der Rat des Kreises O. - Abteilung Kataster - mit Beschluss vom 12. August 1953 den Umschreibungsantrag zurück, da die zunächst erteilte Genehmigung zurückgezogen und der Vertrag daher rechtsunwirksam geworden sei.

Nach dem Tode der Witwe von Ernst B. wurde der Beigeladene mit Beschluss des Kreisgerichts O. vom 20. August 1992 als alleiniger Erbe festgestellt und in der Folgezeit als Eigentümer der vormals für Ernst B. eingetragenen Liegenschaften im Grundbuch eingetragen.

Den Antrag der Klägerin auf Rückübertragung des aufgelassenen Grundbesitzes lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 30. November 1994 ab. Die Klägerin sei nicht Berechtigte im Sinne des Vermögensgesetzes, da ihr Mann nicht als Eigentümer der fraglichen Grundstücke eingetragen worden sei.

Der nach erfolglosem Vorverfahren erhobenen Klage hat das Verwaltungsgericht stattgegeben und den Beklagten zur Neubescheidung des Antrags unter Beachtung seiner Rechtsauffassung verpflichtet. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Der verstorbene Mann der Klägerin habe durch den Überlassungsvertrag vom 12. Januar 1949 ein dingliches Anwartschaftsrecht erworben, das einer schädigenden Maßnahme in Form des Machtmissbrauchs unterlegen habe. Es hätten Steuerforderungen bestanden, deretwegen die Behörden die Landwirtschaft ungeteilt erhalten wollten. Durch die unlautere Machenschaft sei das Anwartschaftsrecht zerstört und das Eigentum des Ernst B. davon befreit worden.

Gegen dieses Urteil richtet sich die vom Verwaltungsgericht zugelassene Revision des Beigeladenen, mit der insbesondere die Verletzung materiellen Rechts gerügt wird.

Der Beigeladene beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Magdeburg vom 1. Juni 1999 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie und der Beklagte treten der Revision entgegen.

II.

Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwGO). Die erstinstanzliche Entscheidung verletzt Bundesrecht, weil sie auf der fehlerhaften Annahme beruht, das in Verlust geratene Anwartschaftsrecht an den Grundstücken sei durch unlautere Machenschaften im Sinne von § 1 Abs. 3 VermG untergegangen. Ein Anspruch auf Begründung eines Anwartschaftsrechts steht der Klägerin nicht zu.

Das Anwartschaftsrecht eines Auflassungsempfängers ist als dingliches Recht im Sinne des § 2 Abs. 2 Satz 1 VermG prinzipiell restitutionsfähig (vgl. Urteil vom 20. März 1997 - BVerwG 7 C 62.96 - Buchholz 428 § 2 VermG Nr. 30 S. 38 <39> und Beschluss vom 13. Oktober 2000 - BVerwG 8 B 184.00 - m.w.N.; zur vergleichbaren Rechtslage nach dem Vermögenszuordnungsrecht Urteil vom 13. März 1997 - BVerwG 3 C 14.96 - Buchholz 428.2 § 1 a VZOG Nr. 6 S. 4 <5>). Zwar sind die Bestimmungen des Vermögensgesetzes über die Rückübertragung dinglicher Rechte an Grundstücken nur eingeschränkt anwendbar: § 3 Abs. 1 a S. 1 VermG, der die Begründung dinglicher Rechte normiert, hat ebenso wie § 34 Abs. 2 VermG, der das Verwaltungsverfahren regelt, lediglich eintragungsfähige Rechte zum Gegenstand. Aber das Fehlen spezieller Folgeregelungen für nicht eintragungsfähige dingliche Rechte gestattet nicht den Schluss auf ihre Unbeachtlichkeit als restitutionsgeeignete Vermögenswerte. Die Verschiedenheit dinglicher Rechte je nachdem, ob diese im Grundbuch publiziert werden können oder nicht, ist nicht so erheblich, dass sie ausreicht, um die Rechtsfolgen nur auf eintragungsfähige dingliche Rechte zu beschränken. Der Zweck des Gesetzes - den rechtsstaatswidrigen Verlust von Vermögenswerten zu korrigieren - und die Lage der Interessen der Beteiligten sind in beider Hinsicht gleich. Stets geht es um Rechte, die im Zeitpunkt der Schädigung gegen jedermann, also auch gegen den Staat DDR gewirkt haben, und um Rechtspositionen, die ihrem Inhaber ein Mehr an Bestandssicherheit verliehen hatten, als dies ein vertragliches, sich lediglich zweiseitig entfaltendes Recht bieten kann (zur fehlenden Restituierbarkeit im letztgenannten Fall vgl. Beschluss vom 22. Juni 1993 - BVerwG 7 B 76.93 - Buchholz 428 § 2 VermG Nr. 1). Denn obwohl es in das Grundbuch nicht aufgenommen wird, ordnet das Anwartschaftsrecht doch schon vor dem Vollrechtserwerb das betroffene Grundstück dem Auflassungsempfänger in einer Weise zu, dass alle anderen verpflichtet sind, diese Zuordnung nicht zu stören. In dieser Wirkung liegt die Bedeutung des Anwartschaftsrechts und der Grund, es als Vermögenswert im Sinne von § 2 Abs. 2 VermG zu behandeln.

Vom Wiedergutmachungszweck des Vermögensgesetzes her betrachtet kommt es auch nicht darauf an, welche Bewandtnis es in der DDR mit der den Begriff des Anwartschaftsrechts ausmachenden Rechtsposition des Auflassungsempfängers gehabt hat. Entscheidend ist, dass damals eine dem Eigentum annähernd vergleichbare Rechtsstellung vorhanden war, die es heute rechtfertigt, sie als restituierbaren Vermögenswert anzuerkennen. Das ist unter den Rechtsbedingungen der DDR der Fall, wenn ein schuldrechtlicher Anspruch auf Übertragung von Grundeigentum durch den Veräußerer nicht mehr vereitelt werden konnte und eine Beeinträchtigung oder Vernichtung des Rechts nach dem normalen Lauf der Dinge ausgeschlossen war, weil alle Eintragungsvoraussetzungen vorlagen (Urteil vom 20. März 1997, a.a.O., S. 40).

Das Verwaltungsgericht hat angenommen, dass der Rechtsvorgänger der Klägerin eine solche eigentumsähnliche Rechtsstellung inne hatte, als der Rat des Landkreises O. unter dem 5. Januar 1953 die Genehmigung zu dem Überlassungsvertrag zurückzog. Hiervon kann der Senat im Folgenden ebenso ausgehen wie davon, dass das Anwartschaftsrecht durch die Vereitelung des Vollrechtserwerbs erloschen war. Gleichwohl liegt in dem Vorgang keine zur Restitution führende Maßnahme gemäß § 1 VermG.

Von den Schädigungstatbeständen dieser Vorschrift kommt ersichtlich nur die Regelung in § 1 Abs. 3 VermG in Betracht. Danach erstreckt sich das Vermögensgesetz auch auf Ansprüche an Vermögenswerten, die aufgrund unlauterer Machenschaften, z.B. durch Machtmissbrauch, Korruption, Nötigung oder Täuschung von Seiten des Erwerbers, staatlicher Stellen oder Dritter, erworben wurden.

Die vom Verwaltungsgericht festgestellten Tatumstände rechtfertigen die von ihm angenommenen Rechtsfolgen nicht. Eine unlautere Machenschaft liegt weder aus den Gründen des angefochtenen Urteils vor, noch besteht dafür ein sonstiger Anhalt.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kennzeichnet § 1 Abs. 3 VermG solche Vermögensverluste, bei denen in manipulativer, sittlich vorwerfbarer Weise unter Verstoß gegen die Rechtsordnung der DDR und die sie tragenden ideologischen Grundvorstellungen nicht "alles mit rechten Dingen" zugegangen ist (Urteil vom 28. April 1999 - BVerwG 8 C 5.98 - BVerwGE 109, 81 <82> = Buchholz 428 § 1 Abs. 3 VermG Nr. 1 S. 1 <4> m.w.N.). Soweit das Verwaltungsgericht den Widerruf der Genehmigung für rechtswidrig hält, weil die Voraussetzungen nach § 6 der Zweiten Ausführungsbestimmungen zu der Anordnung zur Durchführung des Gesetzes Nr. 45 des Kontrollrats, betreffend Aufhebung der Erbhofgesetze und Einführung neuer Bestimmungen über land- und forstwirtschaftliche Grundstücke vom 12. Mai 1951 (GBl S. 437) nicht gegeben seien, kann dahinstehen, ob neben dieser speziellen Regelung allgemeine verwaltungsverfahrensrechtliche Grundsätze eingegriffen und einen Widerruf begründet hätten. Der Auffassung des Verwaltungsgerichts kann jedenfalls nicht gefolgt werden, nach der es kein sachlicher Grund sei, einen landwirschaftlichen Betrieb zur Sicherung entstandener Steuerschulden zusammenzuhalten. Die erstinstanzlichen, von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen haben ergeben, dass eine Steuerschuld des Ernst B. über 20 000 DM bestand, für die der Auflassungsempfänger im Außenverhältnis nicht einzustehen hatte. Ein Machtmissbrauch staatlicher Stellen der DDR ist darin nicht zu sehen, dass zur Einbringung der Abgaben die Aufteilung des haftenden Grundbesitzes verhindert wurde. Der Betrieb stand seit Juli 1952 unter Treuhandverwaltung, was nach den Erkenntnissen des Verwaltungsgerichts darauf schließen ließ, dass die Bewirtschaftung der Landwirtschaft anhaltend und in erheblichem Maße den zur Sicherung der Ernährung des Volkes zu stellenden Anforderungen nicht entsprach. Dieser Umstand war - zeitlich gesehen - nach der Genehmigung der Wirtschaftsteilung (21. Januar 1950) eingetreten, so dass die Genehmigungsfrage infolge der Änderung der Sachlage offenbar neu aufgeworfen war. Für die staatlichen Stellen bestand die Befürchtung, wie die Widerrufsgründe ihres Bescheids vom 5. Januar 1953 ergeben, dass bei getrennter Wirtschaftsführung ein ordnungsgemäßer Betrieb noch weniger gewährleistet gewesen wäre als bisher. Diese Erwägung ist weder schlechterdings sachfremd noch zwingt sie zu dem Schluss, die Auflassung der landwirtschaftlichen Grundstücke sei auf sittlich verwerfliche Weise vereitelt worden. Es gibt auch keine Anhaltspunkte dafür anzunehmen, die Steueransprüche und die Treuhandbestellung, die sich jeweils gegen Ernst B. gerichtet hatten, sollten eigentlich dazu dienen, Heinz-Werner B. um das Eigentum an den aufgelassenen Grundstücken zu bringen; und das "offensive Verhalten", welches das Verwaltungsgericht darin gesehen hat, dass Heinz-Werner B. den örtlichen Stellen entschieden entgegentreten sei, ist in seiner Aussagekraft unbestimmt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO.

Beschluss

Der Wert des Streitgegenstandes für das Revisionsverfahren wird auf 180 000 DM festgesetzt.

Ende der Entscheidung

Zurück