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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 25.07.2001
Aktenzeichen: BVerwG 8 C 3.01
Rechtsgebiete: VermG


Vorschriften:

VermG § 1 Abs. 1 Buchst. a
VermG § 1 Abs. 1 Buchst. b
VermG § 1 Abs. 3
VermG § 1 Abs. 4

Entscheidung wurde am 12.09.2001 korrigiert: Titel durch Stichworte ersetzt
Zum Vorliegen einer schädigenden Maßnahme (§ 1 Abs. 3 VermG) bei einer Enteignung zugunsten des Ministeriums für Staatssicherheit.
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

BVerwG 8 C 3.01 VG 3 K 1651/96

Verkündet am 25. Juli 2001

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 25. Juli 2001 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Müller und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Pagenkopf, Krauß, Golze und Postier

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision der Kläger gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Frankfurt (Oder) vom 7. November 2000 wird zurückgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des Revisionsverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.

Gründe:

I.

Die Kläger begehren die Rückübertragung des Grundstücks D.-Straße 37/38 in F. (Flur 106, Flurstück 71), verzeichnet im Grundbuch von F. Band 116, Blatt 3197, für das die Beigeladene ebenfalls einen Restitutionsanspruch geltend macht, über den bislang noch nicht entschieden wurde. Sie sind Erben nach Frau Etta S., die seit Oktober 1933 als Eigentümerin des Grundstücks im Grundbuch eingetragen war. Das auf dem Grundstück errichtete Wohngebäude wurde im 2. Weltkrieg zerstört.

Am 3. Dezember 1963 gab der Rat der Stadt F. seine Zustimmung, das Grundstück zum Aufbaugebiet zu erklären und erhob keine Einwendungen gegen die Absicht des Ministeriums für Staatssicherheit, auf diesem Grundstück ein Dienstgebäude zu errichten. Mit Aufbaugebietserklärung vom Januar 1964 wurde das Grundstück für die Aufbaumaßnahme Dienstgebäude des Ministeriums für Staatssicherheit im Register der Aufbaugebiete des Rates des Bezirkes Frankfurt/Oder eingetragen. Die Aufbaugebietserklärung wurde im Februar 1964 in der Presse veröffentlicht. Zum Zwecke der Inanspruchnahme nach dem Aufbaugesetz fertigte der Rat des Kreises im März 1964 ein Protokoll über den Zustand und Zeitwert des Grundstückes, in dem festgestellt wurde, dass das teilweise enttrümmerte Grundstück, welches auf einem von den sowjetischen Einheiten genutzten Grundstücksteil mit einem Nebengebäude bebaut war, mit seiner gesamten Fläche für die Durchführung der Aufbaumaßnahme in Anspruch genommen wird. Für das Grundstück wurde als Wert ein Betrag von 27 888 M festgesetzt. Der nicht mit eingerechnete Wert des Nebengebäudes sollte zu einem späteren Zeitpunkt festgestellt werden.

Mit Bestallungsurkunde des Rates des Kreises vom 11. November 1965 wurde aufgrund der Anordnung Nr. 2 vom 20. August 1958 über die Behandlung von Personen, die die DDR nach dem 10. Juni 1953 verlassen haben, der VEB Kommunale Wohnungsverwaltung F. rückwirkend zum Juni 1959 als staatlicher Treuhandverwalter eingesetzt. Die Eintragung im Grundbuch erfolgte am 23. November 1965.

Am 26. November 1965 beantragte das Ministerium für Staatssicherheit beim Rat des Kreises die Inanspruchnahme des Grundstücks mit Wirkung vom 15. Dezember 1963 für die Durchführung der Aufbaumaßnahme "Neubau eines Dienstgebäudes" und führte zur Begründung aus, der Inanspruchnahmetermin 15. Dezember 1963 sei erforderlich, weil zu diesem Zeitpunkt mit den vorbereitenden Maßnahmen begonnen worden sei und die Bearbeitung von außergewöhnlich langer Dauer gewesen sei. Mit Bescheid vom Dezember 1965 nahm daraufhin der Rat des Kreises das Grundstück nach dem Aufbaugesetz zugunsten der Bezirksverwaltung des Ministeriums für Staatssicherheit mit Wirkung vom 15. Dezember 1963 in Anspruch. Anschließend wurden das Grundstück im Grundbuch in Eigentum des Volkes überschrieben und mit Bescheid des Rates des Kreises eine Entschädigung für den Grund und Boden in Höhe von 27 888 M festgesetzt.

1990 beantragten die Kläger die Rückübertragung des Grundstücks. Diesen Antrag lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 1. Dezember 1994 ab und stellte zugleich fest, dass den Klägern ein Anspruch auf Auszahlung der vom Rat des Kreises festgesetzten Entschädigungssumme zustehe. Zur Begründung führte er aus, das Grundstück sei von keiner schädigenden Maßnahme im Sinne des Vermögensgesetzes betroffen gewesen. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies das Landesamt zur Regelung offener Vermögensfragen mit Bescheid vom 25. Juni 1996 zurück.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 7. November 2000 abgewiesen. Zur Begründung hat es insbesondere ausgeführt: Die Kläger hätten keinen Anspruch auf Rückübertragung des streitbefangenen Grundstücks; denn dieses sei nicht von einer Maßnahme im Sinne des § 1 VermG betroffen. Das Grundstück sei nicht entschädigungslos enteignet worden (§ 1 Abs. 1 Buchst. a VermG). Es sei auch nicht gegen eine geringere Entschädigung enteignet worden, als sie Bürgern der früheren Deutschen Demokratischen Republik zugestanden habe (§ 1 Abs. 1 Buchst. b VermG). Dass bei der Festsetzung der Entschädigung der Wert des Nebengebäudes nicht berücksichtigt worden sei, ändere daran nichts. Nach der Überzeugung der Kammer seien keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass gerade durch die Nichtberücksichtigung des Nebengebäudes der Zugriff auf das Grundstück habe erleichtert werden sollen.

Das Grundstück sei auch nicht aufgrund einer unlauteren Machenschaft im Sinne des § 1 Abs. 3 VermG erworben worden:

Der in der Aufbaugebietserklärung angegebene Enteignungszweck, nämlich die Errichtung eines Dienstgebäudes für das Ministerium für Staatssicherheit, sei in der Folgezeit auch verwirklicht worden.

Die Enteignung zum Zweck der Errichtung eines Dienstgebäudes für das Ministerium für Staatssicherheit habe jedenfalls nicht offenkundig einer Rechtsgrundlage entbehrt. Nach dem in der DDR maßgebenden Rechtsverständnis seien Enteignungen zugunsten des Ministeriums für Staatssicherheit auf der Grundlage des Aufbaugesetzes grundsätzlich nicht offenkundig ausgeschlossen gewesen. Denn aus der Gemeinsamen Anweisung des Ministers für Bauwesen und des Ministeriums der Finanzen über die Erweiterung der Anwendung des Aufbaugesetzes vom 30. Mai 1958 gehe hervor, dass der Anwendungsbereich des Aufbaugesetzes sehr weit verstanden worden sei. Selbst wenn das Verteidigungsgesetz aus dem Jahre 1961 und eine hierzu ergangene Leistungsverordnung aus dem Jahre 1963 als lex specialis das Aufbaugesetz verdrängt haben sollten, läge allenfalls eine falsche Bezeichnung der Rechtsgrundlage vor. Denn nach dem Verteidigungsgesetz wäre eine Inanspruchnahme des Grundstücks zugunsten des Ministeriums für Staatssicherheit ohne weiteres möglich gewesen.

Da das Ministerium für Staatssicherheit Enteignungsbegünstigter gewesen sei, sei eine kritische Gesamtschau vorzunehmen. Diese ergebe keine greifbaren Anhaltspunkte dafür, dass bei der Enteignung in bewusster Abkehr von den seinerzeit geltenden Vorschriften gehandelt worden sei, um die Inanspruchnahme des Grundstücks überhaupt erst zu ermöglichen.

Der Umstand, dass die Eigentümer nicht über die bevorstehende Inanspruchnahme informiert worden seien, begründe ebenfalls keine unlautere Machenschaft. Dahinstehen könne, ob das Grundstück rückwirkend habe in Anspruch genommen werden können. Insoweit liege allenfalls ein unbeachtlicher Rechtsanwendungsfehler vor.

Gegen dieses Urteil richtet sich die vom Verwaltungsgericht zugelassene Revision der Kläger, die die Verletzung materiellen und formellen Rechts rügen und beantragen,

unter Aufhebung des Urteils des Verwaltungsgerichts Frankfurt/Oder vom 7. November 2000, des Bescheids vom 1. Dezember 1994 und des Widerspruchsbescheids vom 25. Juni 1996 den Beklagten zu verpflichten, das Eigentum an dem Grundstück D.-Straße 37/38 in F. auf die Kläger zurückzuübertragen.

Der Beklagte tritt der Revision entgegen und beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

II.

Die Revision ist unbegründet. Das Urteil des Verwaltungsgerichts verletzt nicht Bundesrecht. Das streitgegenständliche Grundstück ist nicht an die Kläger zurückzuübertragen (§ 3 Abs. 1 Satz 1 VermG). Diese sind nicht Berechtigte (§ 2 Abs. 1 Satz 1 VermG); denn das Grundstück war von keiner schädigenden Maßnahme im Sinne des § 1 VermG betroffen. Wie das Verwaltungsgericht zu Recht ausgeführt hat, wurde das Grundstück weder entschädigungslos enteignet (§ 1 Abs. 1 Buchst. a VermG, vgl. 1.), noch gegen eine geringere Entschädigung enteignet, als sie Bürgern der früheren Deutschen Demokratischen Republik zustand (§ 1 Abs. 1 Buchst. b VermG, vgl. 2.), noch aufgrund einer unlauteren Machenschaft erworben (§ 1 Abs. 3 VermG, vgl. 3.). Die Tatsachen, die den gerügten Verfahrensmangel ergeben, werden nicht prozessordnungsgemäß angegeben (§ 139 Abs. 3 Satz 4 VwGO). Im Übrigen liegt der Verfahrensmangel nicht vor (vgl. 4.).

1. Das streitgegenständliche Grundstück wurde nicht entschädigungslos enteignet und in Volkseigentum überführt (§ 1 Abs. 1 Buchst. a VermG).

Wurde ein Grundstück unter staatliche Verwaltung gestellt, liegt darin - entgegen der Auffassung der Revision - keine Enteignung im Sinne des Vermögensgesetzes. Nach dem Vermögensgesetz ist die staatliche Verwaltung eine schädigende Maßnahme (vgl. § 1 Abs. 4 VermG), die durch deren Aufhebung beendet wird (vgl. §§ 11 ff. VermG). Einer Rückübertragung verwalteter Vermögenswerte bedarf es dagegen nicht, weil die Inverwaltungnahme keine Enteignung war. Nur wenn - was hier nicht der Fall ist - der staatliche Verwalter einen Vermögenswert an Dritte veräußert hat, liegt ein Verlust des Eigentums und eine grundsätzlich zur Rückübertragung führende schädigende Maßnahme vor (vgl. § 1 Abs. 1 Buchst. c VermG).

Dass die vom Rat des Kreises für das Grundstück festgesetzte Entschädigung nicht an die Rechtsvorgängerin der Kläger ausbezahlt wurde, begründet ebenfalls keine entschädigungslose Enteignung im Sinne des § 1 Abs. 1 Buchst. a VermG. Eine solche liegt nicht schon dann vor, wenn die nach DDR-Rechtsvorschriften vorgesehene - und hier auch festgesetzte - Entschädigung wegen staatlicher Verwaltung des Vermögens nicht ausbezahlt oder sonst der Verfügungsmacht des Enteigneten vorenthalten wurde (stRspr, vgl. Urteil vom 24. März 1994 - BVerwG 7 C 16.93 - BVerwGE 95, 284 <286> = Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 19 S. 14 <16 f.> und Beschluss vom 9. August 2000 - BVerwG 8 B 110.00 - VIZ 2001 S. 93). Dies bezweifelt auch die Revision nicht. Der von einer schädigenden Maßnahme betroffene Vermögenswert ist folglich allein der Anspruch auf die vorenthaltene Entschädigung. Dem trägt der - insoweit nicht angefochtene - Bescheid des Beklagten vom 1. Dezember 1994 Rechnung, in dem festgestellt wird, dass den Klägern ein Anspruch auf Auszahlung der Entschädigungssumme zusteht.

2. Das streitbefangene Grundstück wurde auch nicht gegen eine geringere Entschädigung enteignet, als sie Bürgern der früheren Deutschen Demokratischen Republik zustand (§ 1 Abs. 1 Buchst. b VermG). Dass bei der Festsetzung der Entschädigung der Wert des auf dem Grundstück stehenden Nebengebäudes nicht berücksichtigt wurde, vermag daran - wie das Verwaltungsgericht zutreffend dargelegt hat - nichts zu ändern. § 1 Abs. 1 Buchst. b VermG will nämlich grundsätzlich nur solche Enteignungen erfassen, bei denen gegenüber den Betroffenen in bewusster Abkehr von den ansonsten für Bürger der DDR geltenden einschlägigen Vorschriften Entschädigungsbestimmungen zur Anwendung kamen, die den diskriminierenden Zugriff auf das Eigentum erleichtern sollten. Der bloße Umstand, dass einer nach der Rechtsprechung der DDR bestehenden - diskriminierungsfreien - Entschädigungsregelung im Einzelfall nicht voll entsprochen und eine geringere als die in der DDR übliche Entschädigung gezahlt worden ist, kann für sich genommen noch keine die Vermögensrückgabe rechtfertigende Enteignung im Sinne von § 1 Abs. 1 Buchst. b VermG darstellen (stRspr, vgl. Urteile vom 24. März 1994 - BVerwG 7 C 11.93 - Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 20 S. 18 <20 f.> und vom 28. April 1999 - BVerwG 8 C 3.98 - Buchholz 428 § 1 Abs. 1 VermG Nr. 4, S. 9). Durch die Nichtberücksichtigung des Wertes des Nebengebäudes sollte der Zugriff auf das Eigentum nicht erleichtert werden. Dies hat das Verwaltungsgericht festgestellt und ergibt sich auch daraus, dass nach dem Protokoll des Rates des Kreises vom März 1964 der Wert des Nebengebäudes zu einem späteren Zeitpunkt ermittelt werden sollte.

3. Das Grundstück ist auch nicht aufgrund einer unlauteren Machenschaft erworben worden (§ 1 Abs. 3 VermG).

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urteile vom 27. Juli 1995 - BVerwG 7 C 12.94 - BVerwGE 99, 82 = Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 49 und vom 2. Februar 2000 - BVerwG 8 C 29.98 - Buchholz 428 § 1 Abs. 3 VermG Nr. 10 S. 33 <36>) betrifft der Schädigungstatbestand des § 1 Abs. 3 VermG Vorgänge, bei denen im Einzelfall in manipulativer, sittlich vorwerfbarer Weise unter Verstoß gegen die Rechtsordnung der DDR auf bestimmte Vermögenswerte zugegriffen wurde. Ein derartiges qualifiziertes Einzelfallunrecht liegt deshalb nicht vor, wenn bei dem Erwerbsvorgang - gemessen an den in der DDR gültigen Rechtsvorstellungen und den sie tragenden ideologischen Grundsätzen - "alles mit rechten Dingen zugegangen" ist. Die einfache Rechtswidrigkeit eines Eigentumsentzugs unterhalb der Schwelle der Willkürlichkeit reicht demgemäß für die Annahme einer unlauteren Machenschaft nicht aus (vgl. Urteile vom 26. Juni 1997 - BVerwG 7 C 25.96 - Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 113 und vom 28. März 2001 - BVerwG 8 C 4.00 - zur Veröffentlichung in Buchholz vorgesehen). Der Schädigungstatbestand des § 1 Abs. 3 VermG erfordert grundsätzlich eine an den Einzelumständen orientierte Beurteilung (vgl. Urteile vom 28. Oktober 1999 - BVerwG 7 C 38.98 - Buchholz 428 § 1 Abs. 3 VermG Nr. 6 S. 22 <24> und vom 28. März 2001 - BVerwG 8 C 4.00 - a.a.O.).

Die Anwendung dieser Grundsätze auf Enteignungen ergibt, dass Enteignungen auf der Grundlage des Aufbaugesetzes oder des Baulandgesetzes der DDR in der Regel bei zwei Fallgruppen eine unlautere Machenschaft darstellen: Dies ist zum einen dann der Fall, wenn der geltend gemachte Enteignungszweck nur vorgeschoben war, also die bereits von vornherein beabsichtigte zweckwidrige Verwendung verschleiert werden sollte (vgl. Urteil vom 26. Juni 1997 - BVerwG 7 C 25.96 - a.a.O. S. 344 <346> und Beschluss vom 11. Mai 2000 - BVerwG 8 B 109.00 - nicht veröffentlicht). Daran fehlt es hier. Der in der Aufbaugebietserklärung angegebene Enteignungszweck, nämlich die Errichtung eines Dienstgebäudes für das Ministerium für Staatssicherheit, ist in der Folgezeit auch verwirklicht worden.

Die zweite Fallgruppe betrifft Enteignungen, bei denen die eine unlautere Machenschaft begründende Manipulation darin liegt, dass der wahrheitsgemäß angegebene Zweck der Inanspruchnahme offenkundig von keiner Rechtsgrundlage gedeckt sein konnte, der Enteignungsbeschluss also nur den äußeren Schein einer gesetzmäßigen Vermögensentziehung begründen sollte. Die einfache Rechtswidrigkeit des Enteigungsaktes unterhalb der Schwelle der Willkürlichkeit reicht für die Annahme eines solchen Tatbestandes nicht aus (stRspr, vgl. Urteil vom 28. Juli 1994 - BVerwG 7 C 41.93 - Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 28 S. 57 <59 f.> und Beschluss vom 30. September 1998 - BVerwG 8 B 130.98 - nicht veröffentlicht). Auch daran fehlt es hier. Zu Recht hat das Verwaltungsgericht in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urteil vom 5. März 1998 - BVerwG 7 C 8.97 - Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 140 S. 421 <427>) darauf hingewiesen, dass der Anwendungsbereich des Aufbaugesetzes in der DDR sehr weit verstanden worden ist, was sich aus der Gemeinsamen Anweisung des Ministers für Bauwesen und des Ministeriums für Finanzen über die Erweiterung der Anwendung des Aufbaugesetzes vom 30. Mai 1958 (Verfügungen und Mitteilungen des Ministeriums für Bauwesen vom 15. September 1958, Nr. 10) ergibt. Unter Zugrundelegung dieses weiten, allerdings am Wortlaut vorbeigehenden Verständnisses des Aufbaugesetzes waren etwa Erklärungen zum Aufbaugebiet und die Inanspruchnahme von Grundstücken zugunsten aller staatlichen Institutionen - also auch zugunsten des Ministeriums für Staatssicherheit - zulässig (vgl. Urteil vom 5. März 1998 - BVerwG 7 C 8.97 - a.a.O. und Beschluss vom 30. September 1998 - BVerwG 8 B 130.98 - nicht veröffentlicht).

Ob eine zulässige Aufbaumaßnahme vorliegt, ist nach dem in der DDR maßgebenden Rechtsverständnis zu beurteilen (vgl. Urteil vom 28. Juli 1994 - BVerwG 7 C 41.93 - a.a.O. <60>). Entgegen den Befürchtungen der Revision führt diese Rechtsprechung nicht dazu, dass sich "Rechtssuchende mit der schalen Feststellung abspeisen lassen" müssen, in der Rechtswirklichkeit der DDR hätten angesichts der Beliebigkeit der Rechtsanwendung im Allgemeinen Verfahrens- und Formfehler aber auch inhaltliche Fehler keine Rolle gespielt. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist einerseits maßgebend, was in der DDR als Recht angesehen wurde. Andererseits darf eine in bewusster Abkehr vom Gesetzesrecht und in diskriminierender Absicht erfolgte ständige Praxis nicht als Teil der gelebten Rechtswirklichkeit begriffen werden, auf die abzustellen ist, wenn die Abweichung von einer Maßnahme von der DDR-Rechtsordnung in Frage steht. Dies gilt auch dann, wenn zu einer solchen Praxis durch Richtlinien angeleitet wurde. Entscheidend ist dabei, ob der staatliche Vermögenszugriff in bewusster Abweichung von der durch die DDR selbst gesetzten, nach außen aufrechterhaltenen Rechtsordnung mit dem Ziel "gruppengerichteter Diskriminierung" erfolgt ist (vgl. Urteile vom 5. März 1998 - BVerwG 7 C 30.97 - Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 142 S. 432 <436> und vom 19. Juli 2000 - BVerwG 8 C 20.99 - Buchholz 428 § 4 Abs. 3 VermG Nr. 5 S. 14). Die vom Verwaltungsgericht herangezogene Anweisung zur Anwendung des Aufbaugesetzes wurde in der DDR als Recht angesehen. Sie ist keine in bewusster Abweichung von der DDR-Rechtsordnung in diskriminierender Absicht erlassene Richtlinie.

Bei der Enteignung möglicherweise unterlaufene Rechtsanwendungsfehler sind keine derart groben und offenkundigen Verstöße gegen die Enteignungsgrundsätze des Aufbaugesetzes, dass nach der dargestellten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts von einer unlauteren Machenschaft (§ 1 Abs. 3 VermG) gesprochen werden könnte. Falls in dem Inanspruchnahme-Bescheid das Verteidigungsgesetz und eine hierzu ergangene Verordnung als Rechtsgrundlagen hätten angegeben werden müssen, weil diese möglicherweise als lex specialis dem Aufbaugesetz vorgingen, läge darin - wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat - lediglich eine hier unbeachtliche falsche Bezeichnung der einschlägigen Rechtsgrundlage. Auch wenn das Grundstück nach dem Aufbaugesetz nicht rückwirkend zum 15. Dezember 1963 hätte in Anspruch genommen werden dürfen, wäre dies kein manipulativer Rechtsverstoß, sondern nur ein einfacher Fehler bei der Rechtsanwendung. Denn das Inanspruchnahmeverfahren war bereits vor dem genannten Termin eingeleitet worden. Schon am 3. Dezember 1963 hatte der Rat der Stadt der Inanspruchnahme zugestimmt.

Von einer willkürlichen Maßnahme im Sinne von § 1 Abs. 3 VermG kann auch nicht deshalb gesprochen werden, weil die in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Eigentümer nicht am Enteignungsverfahren beteiligt worden sind. Dies entsprach der generellen Praxis in der DDR und verfolgte nicht den Zweck, den Zugriff auf das Eigentum erst zu ermöglichen. Dieser hätte vielmehr auch bei Beteiligung der Westeigentümer ohne weiteres herbeigeführt werden können (vgl. Urteile vom 20. März 1997 - BVerwG 7 C 23.96 - BVerwGE 104, 186 <190 f.> = Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 108 S. 327 und vom 28. April 1999 - BVerwG 8 C 5.98 - Buchholz 428 § 1 Abs. 3 VermG Nr. 1 S. 1 <6>).

Entgegen der Auffassung der Revision spricht nichts dafür, dass die zunächst unterbliebene Inverwaltungnahme des Grundstücks dessen Inanspruchnahme nach dem Aufbaugesetz zugunsten des Ministeriums für Staatssicherheit ermöglicht oder auch nur erleichtert hat. Vielmehr wäre diese auch möglich gewesen, wenn das Grundstück bereits 1959 in staatliche Verwaltung genommen worden wäre.

Nichts anderes ergibt sich schließlich daraus, dass die Enteignung zugunsten des Ministeriums für Staatssicherheit erfolgte. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 3. September 1998 - BVerwG 7 C 26.97 - Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 160 S. 500) ist bei einer Enteignung zugunsten dieses Ministeriums anhand einer an den Gesamtumständen orientierten Prüfung zu beurteilen, ob der Enteignungszweck nur vorgeschoben war und damit eine unlautere Machenschaft im Sinne des § 1 Abs. 3 VermG vorliegt. Dabei ist eine kritische Gesamtschau aller Umstände des Eigentumszugriffs im Hinblick auf den Nutzer des Grundstücks und dessen systembedingten Möglichkeiten geboten. Steht aber - wie hier - fest, dass der Enteignungszweck nicht vorgeschoben, sondern wahrheitsgemäß angegeben und in der Folgezeit auch verwirklicht wurde, und lässt sich auch sonst kein manipulativer Rechtsverstoß feststellen, liegt keine unlautere Machenschaft (§ 1 Abs. 3 VermG) vor. Die Enteignung eines Vermögenswerts für dienstliche Zwecke des Ministeriums für Staatssicherheit stellt als solche kein die Rückgabe des Vermögenswerts rechtfertigendes qualifiziertes Einzelfallunrecht im Sinne des Vermögensgesetzes dar.

4. Die Tatsachen, die den geltend gemachten Verfahrensmangel ergeben können, werden nicht prozessordnungsgemäß angegeben (§ 139 Abs. 3 Satz 4 VwGO). Die Revision meint, das Verwaltungsgericht habe seine Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) verletzt. Sie hält die Frage für ermittlungsbedürftig, ob das Ministerium für Staatssicherheit etwa schon seit 1959 die nach DDR-Rechtsvorschriften ordnungsgemäße Verwaltung des Grundstücks, insbesondere dessen Unterstellung unter staatliche Treuhandverwaltung verhindert hatte, um sicherzustellen, dass das Grundstück für Zwecke der Staatssicherheit würde genutzt werden können. Nicht dargelegt wird aber, wieso diese Tatsache nach der materiellrechtlichen Auffassung des Verwaltungsgerichts ermittlungsbedürftig gewesen wäre und inwiefern das verwaltungsgerichtliche Urteil unter Zugrundelegung der materiellrechtlichen Auffassung des Gerichts auf der unterbliebenen Sachaufklärung beruhen kann. Dies wäre zur prozessordnungsgemäßen Bezeichnung einer Verletzung der Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) erforderlich gewesen.

Im Übrigen hat das Verwaltungsgericht seine Aufklärungspflicht nicht verletzt. Wie oben ausgeführt spricht nichts dafür, dass das Grundstück zunächst nicht unter staatliche Verwaltung gestellt wurde, um dessen Inanspruchnahme zu ermöglichen oder zu erleichtern. Deshalb musste das Verwaltungsgericht den Sachverhalt insoweit nicht näher erforschen. Schon gar nicht mussten sich ihm ohne Beweisantrag der bereits im erstinstanzlichen Verfahren anwaltlich vertretenen Kläger weitere Ermittlungen hierzu aufdrängen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO.

Beschluss

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 1 Million DM festgesetzt.

Ende der Entscheidung

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