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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 31.07.2002
Aktenzeichen: BVerwG 8 C 32.01
Rechtsgebiete: VermG


Vorschriften:

VermG § 1 Abs. 3
VermG § 2 Abs. 1 Satz 1
Auch eine durch unlautere Machenschaften erwirkte Erbausschlagung kann vermögensrechtliche Ansprüche begründen.

In den Fällen der so genannten Kettenerbausschlagung steht der vermögensrechtlichen Berechtigung des nachrangigen Erben nur ein erfolgreicher Restitutionsantrag eines vorrangigen Erben entgegen; der bloße, später zurückgenommene oder bestandskräftig abgelehnte Antrag ist unschädlich.


BUNDESVERWALTUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

BVerwG 8 C 32.01

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 31. Juli 2002 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Müller und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Pagenkopf, Sailer, Golze und Postier

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Halle vom 13. Juni 2001 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass es im Tenor des Urteils statt "Flur 41, Flurstück 30" richtig "Flur 30, Flurstück 41" heißen muss.

Die Beklagte trägt die Kosten des Revisionsverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen.

Gründe:

I.

Die Beklagte wendet sich mit der Revision gegen ein Urteil des Verwaltungsgerichts Halle, mit dem sie verpflichtet wird, dem Kläger als Rechtsnachfolger der 1985 verstorbenen Helene S. deren im Rahmen einer ungeteilten Erbengemeinschaft mit der Beigeladenen zu 4 bestehenden Anteil an dem Grundstück Große U...straße 4 in H. (Flur 30, Flurstück 41) zurückzuübertragen. Derzeitige Verfügungsberechtigte des zwischenzeitlich volkseigenen Anteils ist die Bundesrepublik Deutschland, die Beigeladene zu 5. Das Grundstück ist mit einem Mietwohnhaus bebaut.

Nachdem zunächst die Söhne der Erblasserin und deren Kinder - u.a. die Beigeladenen zu 1 bis 3 - als gesetzliche Erben erster Ordnung die Erbschaft ausgeschlagen hatten, gaben auch die Mutter des Klägers, die Beigeladene zu 4, und der Kläger, als gesetzliche Erben zweiter Ordnung am 1. Dezember 1986 entsprechende Ausschlagungserklärungen vor dem Staatlichen Notariat ab. Daraufhin stellte das Staatliche Notariat durch Erbschein fest, dass die DDR gesetzliche Erbin der Helene S. sei; dementsprechend wurde am 18. Juni 1987 im Grundbuch an Stelle von Helene S. "Eigentum des Volkes" und als Rechtsträger der VEB Gebäudewirtschaft H. eingetragen.

Die Restitutionsanträge des am 6. Oktober 1989 mit staatlicher Genehmigung in die Bundesrepublik Deutschland ausgereisten Klägers und der Beigeladenen zu 1 bis 4 lehnte das Amt zur Regelung offener Vermögensfragen der Stadt H. durch Bescheid vom 27. August 1996 im Wesentlichen mit der Begründung ab, der Schädigungstatbestand des § 1 Abs. 2 VermG sei mangels Überschuldung des Grundstücks im Zeitpunkt der Erbausschlagung nicht erfüllt und hinsichtlich des Klägers komme auch eine unlautere Machenschaft im Sinne des § 1 Abs. 3 VermG nicht in Betracht, da seine Erbausschlagung im Jahre 1986 nicht in Zusammenhang mit dem erst 1989 gestellten Ausreiseantrag gestanden habe.

Das Landesamt zur Regelung offener Vermögensfragen Sachsen-Anhalt wies die Widersprüche des Klägers und der Beigeladenen zu 1 bis 4 durch Widerspruchsbescheid vom 26. Oktober 1998 im Wesentlichen mit der Begründung zurück, für eine Überschuldung des Grundstücks sei nichts ersichtlich und der behauptete erste Ausreiseantrag des Klägers vom 4. März 1986 sei nicht hinreichend belegt.

Der Kläger und zunächst auch der Beigeladene zu 2 haben ihr Begehren im Klagewege weiterverfolgt. Die Klage des Beigeladenen zu 2 ist später zurückgenommen worden. Der Kläger hat zur Begründung seiner Klage vorgetragen:

Bereits wenige Tage nach Stellung seines ersten Ausreiseantrages für sich und seine Familie am 4. März 1986 habe sein Vorgesetzter am Theater in H., der Zeuge M., versucht, ihn zur Rücknahme seines Antrags zu überreden. Wegen seiner Weigerung habe er seine Stellung als musikalischer Leiter verloren und als Repetitor weiter arbeiten müssen. Im Mai bzw. Juni 1986 sei ihm dann erstmals erklärt worden, wenn sein Ausreiseantrag Erfolg haben solle, dürfe er über keinerlei Grundbesitz in der DDR mehr verfügen. Nach Absprache mit seiner Ehefrau habe er deshalb am 1. Dezember 1986 auf das Erbe nach seiner Großtante Helene S. verzichtet. Dabei habe es sich im Wesentlichen um den streitgegenständlichen Grundstücksanteil gehandelt.

Das Verwaltungsgericht hat der Verpflichtungsklage nach Vernehmung des Zeugen M. durch Urteil vom 13. Juni 2001 stattgegeben. Zur Begründung hat es ausgeführt:

Nach den Unterlagen des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR (BStU) und dessen Erläuterungen sowie den Bekundungen des Zeugen M. bestehe kein Zweifel daran, dass der Kläger seinen ersten Ausreiseantrag bereits Anfang März 1986 gestellt habe. Somit sei die Erbausschlagung im Dezember 1986 während eines laufenden Ausreisegenehmigungsverfahrens erfolgt. Der relativ große zeitliche Abstand zur tatsächlichen Ausreise im Oktober 1989 sei ohne Bedeutung. Auch für Erbausschlagungen gelte die Regelung des § 1 Abs. 3 VermG und die dazu in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts entwickelten Grundsätze für Ausreisefälle.

Die Vermutung eines ausreisebedingten Vermögensverlustes sei auch nicht dadurch widerlegt, dass die Beigeladenen die Erbschaft offensichtlich aus wirtschaftlichen Beweggründen ausgeschlagen hätten. Denn es sei nicht ersichtlich, dass dies auch das ausschließliche Motiv des Klägers gewesen sei.

Der Berechtigung des Klägers stehe auch nicht entgegen, dass die vorrangig berufenen Erben es zunächst nicht bei der Erbausschlagung belassen, sondern selbst Restitutionsanträge gestellt hätten. Dabei könne letztlich offen bleiben, ob sich die Berechtigung des Klägers bereits daraus ergebe, dass seitens der Beigeladenen keine Klage erhoben bzw. diese im Falle des Klägers zu 2 jedenfalls wieder zurückgenommen worden sei. Denn jedenfalls berufe sich der Kläger - anders als die Beigeladenen zu 1 bis 4 - auf den Schädigungstatbestand der unlauteren Machenschaften, der nicht deshalb entfallen könne, weil sich die vorrangig berufenen Erben, deren Restitutionsanträge bestandskräftig abgelehnt worden seien, offensichtlich zu Unrecht auf eine Überschuldung berufen hätten und demgemäß von vornherein gar nicht Berechtigte hätten sein können.

Die Beklagte hat die vom Verwaltungsgericht zugelassene Revision eingelegt. Er rügt die Verletzung materiellen Rechts und beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Halle vom 13. Juni 2001 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er verteidigt das angegriffene Urteil.

Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht tritt der Revision entgegen.

II.

Die Revision des Beklagten ist unbegründet. Das Urteil des Verwaltungsgerichts verstößt nicht gegen Bundesrecht. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts, dass der Kläger die Rückübertragung des Erbanteils nach Helene S. an dem Grundstück Große U...straße 4 in H. (Flur 30, Flurstück 41) beanspruchen kann, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Zu Recht hat das Verwaltungsgericht angenommen, dass die Erbausschlagung durch den Kläger vom Tatbestand des § 1 Abs. 3 VermG erfasst wird (1.). Der Berechtigung des Klägers steht auch nicht entgegen, dass vorrangig berechtigte Erben ebenfalls Restitutionsanträge gestellt hatten (2.).

1. a) Nach § 1 Abs. 3 VermG ist eine vermögensrechtliche Schädigung gegeben, wenn Vermögenswerte sowie Nutzungsrechte aufgrund unlauterer Machenschaften, z.B. durch Machtmissbrauch, Korruption, Nötigung oder Täuschung von Seiten des Erwerbers, staatlicher Stellen oder Dritter erworben wurden. Diese Bestimmung betrifft solche Vorgänge, bei denen im Einzelfall in manipulativer, sittlich vorwerfbarer Weise unter Verstoß gegen die Rechtsordnung der DDR auf bestimmte Vermögenswerte zugegriffen wurde (stRspr, vgl. u.a. Urteile vom 20. März 1997 - BVerwG 7 C 23.96 - BVerwGE 104, 186 <188> = Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 108 S. 324 <325 f.>, vom 18. Oktober 2000 - BVerwG 8 C 23.99 - Buchholz 428 § 1 Abs. 3 VermG Nr. 19 S. 49 <53> - insoweit in BVerwGE 112, 106 nicht abgedruckt - und vom 24. Oktober 2001 - BVerwG 8 C 32.00 - Buchholz 428 § 1 Abs. 3 VermG Nr. 31 S. 88 <91>). In den Fällen des ausreisebedingten Verlustes von Grundstücken und Gebäuden ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. u.a. Urteile vom 29. Februar 1996 - BVerwG 7 C 59.94 - BVerwGE 100, 310 <313 f.> = Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 68 S. 191 <193 f.>, vom 20. November 1997 - BVerwG 7 C 16.97 - Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 131 S. 401 <402 f.> und vom 29. September 1999 - BVerwG 8 C 8.99 - Buchholz 428 § 1 Abs. 3 VermG Nr. 4 S. 13 <14 f.> sowie Beschlüsse vom 6. Juni 2000 - BVerwG 8 B 98.00 - Buchholz 428 § 1 Abs. 3 VermG Nr. 14, vom 26. Juni 2000 - BVerwG 7 B 26.00 - Buchholz a.a.O. Nr. 15 und vom 26. Juni 2001 - BVerwG 8 B 117.01 - Buchholz a.a.O. Nr. 26) eine unlautere Machenschaft in Gestalt einer Nötigung und gleichzeitig eines Machtmissbrauchs dann gegeben, wenn staatliche Stellen die Erteilung der Genehmigung zur ständigen Ausreise von der vorherigen Aufgabe des Grundeigentums durch Verkauf, Schenkung oder Verzicht abhängig gemacht haben. Generell setzt die Annahme einer zum Vermögensverlust führenden unlauteren Machenschaft keine bestimmten Handlungsformen und Erwerbsvorgänge voraus. Erfasst wird vielmehr grundsätzlich jede Art des Rechtserwerbs, neben rechtsgeschäftlichen Erwerbsvorgängen z.B. auch ein hoheitlicher Erwerbsakt in Form willkürlicher oder sonst manipulativer Enteignung (Urteile vom 31. August 1995 - BVerwG 7 C 39.94 - Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 53 S. 142 <145> m.w.N. und vom 20. März 1997 - BVerwG 7 C 23.96 - Buchholz a.a.O. Nr. 108 S. 324 <326>). Dies gilt ohne weiteres auch für die Aufgabe des Eigentums im Zusammenhang mit Ausreiseanträgen. So ist die Aufzählung "Verkauf, Schenkung oder Verzicht" in der bisherigen Rechtsprechung ersichtlich nicht abschließend gemeint. Bereits aus den Erläuterungen der Bundesregierung zum Vermögensgesetz (BTDrucks 11/7831 S. 3) ergibt sich, dass mit dem Rechtserwerb durch unlautere Machenschaften "in erster Linie die Fälle gemeint (sind), in denen etwa die Erteilung einer Ausreisegenehmigung davon abhängig gemacht wurde, dass der Ausreisewillige zuvor Vermögenswerte entgeltlich oder unentgeltlich veräußerte oder auf sein Eigentum verzichtete". Entscheidend für die gesetzliche Regelung war, dass die Drohung der Ausreiseverweigerung zum Verlust des Grundvermögens geführt hat. Dies gilt bei einer Erbausschlagung ebenso wie bei einem sonstigen Verzicht auf das Eigentum oder bei dessen rechtsgeschäftlicher Veräußerung.

Etwas anderes lässt sich auch nicht daraus herleiten, dass im Falle der Erbausschlagung das Erbe rückwirkend als nicht angefallen galt (Fiktion des § 404 Satz 1 ZGB) und sich das Erbrecht des Staates sodann nach § 369 Abs. 1 ZGB, d.h. aus dem Gesetz ergab. Denn der unmittelbare gesetzliche Erwerb ist dabei lediglich die Folge einer vorangegangenen unlauteren Einwirkung auf den ausreisewilligen Erben. Hierin liegt die unlautere Machenschaft, die lediglich wegen der rechtlichen Konstruktion zu einem gesetzlichen Erwerb des Staates führt. Zu Recht stellt das Verwaltungsgericht deshalb auf den Zeitpunkt der Nötigung ab und lässt die erst danach eingetretene Fiktion des Nichtanfalls außer Acht. Eine andere Auffassung, wie sie von der Revision vertreten wird, hätte im Übrigen zur Konsequenz, dass die Alternative "Erbausschlagung" auch im Rahmen des § 1 Abs. 2 VermG in keinem Falle zum Tragen käme, weil der Ausschlagende wegen der erbrechtlichen Fiktion immer rückwirkend nicht Erbe geworden ist und deswegen nach der von der Revision vertretenen Rechtsansicht nicht Berechtigter im Sinne des § 2 Abs. 1 VermG hätte werden können.

Vermögenswert im Sinne des § 1 Abs. 3 VermG ist hier nicht die Erbschaft als solche - deren Rückübertragung hat der Kläger nicht begehrt -, sondern der streitige Anteil an dem Grundstück. Der Erbe war bis zur Ausschlagungserklärung Eigentümer - im Falle einer Erbengemeinschaft gesamthänderisch gebundener Miteigentümer - aller zum Nachlass gehörenden Sachen und Inhaber aller Rechte. Es stellt entgegen der Ansicht der Revision keine Besonderheit dar, dass der Berechtigte seinen Restitutionsantrag auf einzelne Vermögenswerte, die von der Schädigung betroffen waren, beschränkt. Da der Kläger - seine Ausschlagungserklärung weggedacht - Alleinerbe nach Helene S. gewesen wäre, geht es hier hinsichtlich des geschädigten Vermögenswertes nicht um die Situation einer Erbengemeinschaft. Dass der streitige Anteil seinerseits Teil einer bereits vor dem Erbfall bestehenden Erbengemeinschaft war, ist unschädlich, weil diese Erbengemeinschaft - zwischen den Beigeladenen zu 4 und 5 - weiterhin besteht und lediglich die Beigeladene zu 5 hinsichtlich des umstrittenen Grundstücks durch den Kläger ersetzt wird (vgl. zur Wiederherstellung von Erbengemeinschaften auch Urteile vom 20. September 2001 - BVerwG 7 C 4.01 - Buchholz 428 § 4 Abs. 1 VermG Nr. 7 und vom 24. Oktober 2001 - BVerwG 8 C 23.00 - ZOV 2002, 98 <zur Veröffentlichung in Buchholz unter 428 § 1 Abs. 2 VermG vorgesehen>).

Die Auffassung des Kammergerichts (Beschluss vom 8. Dezember 1992 - 1 W 1997/91 - DtZ 1993, 87 <88>), wonach Veräußerer und Erwerber sich über die Übertragung eines Vermögenswertes einig sein müssen und woran es fehle, wenn sich der Vermögenszuwachs auf Seiten des Staates nur aus den gesetzlichen Folgen der Erbausschlagung ergebe, vermag demgegenüber nicht zu überzeugen. Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht weist zu Recht darauf hin, dass weder der Gesetzeswortlaut noch der vom Gesetzgeber verfolgte Zweck etwas dafür hergeben, Fälle der Erbausschlagung vom Tatbestand des § 1 Abs. 3 VermG auszunehmen (vgl. auch Wasmuth in: Rechtshandbuch Vermögen und Investitionen in der ehemaligen DDR - RVI - Stand: April 2002, B 100 VermG § 1 Rn. 103; Säcker/Busche in: Säcker, Vermögensrecht, 1995, § 1 VermG Rn. 97).

b) Das Verwaltungsgericht hat auch in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise angenommen, dass die Erbausschlagung durch den Kläger in zeitlichem Zusammenhang mit dem Antrag auf Ausreisegenehmigung erfolgte und auf dem staatlichen Druck zur Aufgabe von Grundeigentum beruhte. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts streitet im Regelfall eine Vermutung dafür, dass die Aufgabe von Grundeigentum im Zusammenhang mit einem Ausreiseantrag auf eine staatliche Nötigung und damit auf Machtmissbrauch zurückzuführen ist. Die Vermutung erstreckt sich darauf, dass erstens die staatlichen Organe Druck ausgeübt haben, indem sie die Erteilung der Genehmigung zur ständigen Ausreise von der vorherigen Aufgabe des Grundeigentums abhängig gemacht haben, und dass zweitens dieses Vorgehen ursächlich für den Vermögensverlust war (Urteile vom 28. Juni 1995 - BVerwG 7 C 52.93 - Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 48 S. 126 <127> und vom 29. Februar 1996 - BVerwG 7 C 59.94 - a.a.O. sowie Beschluss vom 26. Juni 2001 - BVerwG 8 B 117.01 - a.a.O.). Nach den nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen und deswegen für den Senat verbindlichen (§ 137 Abs. 2 VwGO) Feststellungen des Verwaltungsgerichts hat der Kläger mit seiner Familie bereits im März 1986 einen Ausreiseantrag gestellt. Wenn das Verwaltungsgericht deswegen angenommen hat, die Erbausschlagung stehe in zeitlichem Zusammenhang mit dem Ausreiseantrag und es fehle an konkreten Anhaltspunkten, die die genannte Vermutung erschüttern könnten, ist dies revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

2. Wie das Verwaltungsgericht weiter zutreffend ausgeführt hat, steht dem Restitutionsanspruch des Klägers nicht entgegen, dass auch einige der vorrangig berufenen Erben hinsichtlich des streitigen Grundstücks Restitutionsanträge gestellt haben.

a) Zwar entspricht es der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, dass beim Schädigungstatbestand des § 1 Abs. 2 VermG in Fällen der Kettenerbausschlagung Berechtigter im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 VermG grundsätzlich der erstausschlagende Erbe ist, während nachfolgende Erben nur dann von der Schädigungsmaßnahme betroffen und damit Berechtigte sind, "wenn es die vor ihnen berufenen Erben bei der Rechtswirkung ihrer Ausschlagung belassen, indem sie keinen Antrag nach § 3 Abs. 1 Satz 1, § 30 VermG stellen" (Urteil vom 27. Januar 1994 - BVerwG 7 C 3 und 8.93 - BVerwGE 95, 106 <107 f.> = Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 13 S. 2 <4>; vgl. auch Urteile vom 28. August 1997 - BVerwG 7 C 70.96 - BVerwGE 105, 172 <174 f.> = Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 120 S. 374 <376> und - BVerwG 7 C 1.97 - VIZ 1998, 33 <34>). Diese Rechtsprechung kann allerdings entgegen der Ansicht des Beklagten nicht dahin gehend verstanden werden, dass bereits die bloße Antragstellung die Berechtigung des nachrangigen Erben ausschließt, auch wenn der Antrag später zurückgenommen oder bestandskräftig abgelehnt wird. Das Bundesverwaltungsgericht hat seine Entscheidungen nämlich im Wesentlichen damit begründet, dass sich in Fällen der Erbausschlagung die Wiedergutmachung in der Weise vollzieht, dass im Ergebnis die erbrechtliche Situation zum Zeitpunkt des Erbfalles wiederhergestellt wird und sich die vom Gesetz angeordnete Restitution deswegen wie eine Anfechtung der Erbausschlagung auswirkt. Ebenso wie eine zivilrechtliche Anfechtung der Erbausschlagung, nur wenn sie begründet ist, den nachrangigen Erben aus seiner Erbenstellung verdrängt, bedarf es auch im Vermögensrecht für den Ausschluss des nachrangigen Erben eines erfolgreichen Restitutionsantrages. Dies zeigt auch die Tatsache, dass nach der genannten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts der nachrangige Erbe einen zugunsten des vorrangigen Erben ergangenen Restitutionsbescheid dann mit Aussicht auf Erfolg angreifen kann, wenn die neben der Übernahme in Volkseigentum erforderlichen weiteren tatbestandlichen Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 VermG nicht vorgelegen haben.

b) Unerheblich ist in diesem Zusammenhang auch, ob hinsichtlich des vorrangig berufenen Erben objektiv ein Schädigungstatbestand vorlag und deswegen das Restitutionsbegehren hätte Erfolg haben müssen. Dementsprechend ist nicht zu prüfen, ob der Restitutionsantrag zu Unrecht abgelehnt wurde. Maßgebend sind dafür folgende Erwägungen:

Ob ein vorrangiger Erbe einen nachrangigen Erben ausschließt, betrifft materiell das Konkurrenzverhältnis mehrerer (potentieller) Erben und regelt sich nach dem erbrechtlichen Rangverhältnis dahin gehend, dass Letztere keine Erben sind, soweit Erstere die Erbschaft nicht ausgeschlagen haben (vgl. auch Marotzke in: Staudinger, BGB, § 1930 BGB Rn. 7). Nichts anderes gilt für die Beseitigung der vermögensrechtlichen Schädigung durch Restitution. Auch dort existiert hinsichtlich der Berechtigung ein Konkurrenzverhältnis, wobei das Rangverhältnis durch das Erbrecht bestimmt wird. So wird in den genannten Urteilen vom 28. August 1997 der Vorrang des erstausschlagenden Erben aus der "erbrechtlichen Betrachtung" sowie daraus abgeleitet, dass dieser gegenüber den nachberufenen Erben "vorrangig ... schutzbedürftig" ist. Dies gilt jedoch nur für denjenigen Restitutionsantragsteller, der das Restitutionsverfahren erfolgreich abschließt, nicht aber für den, der sein - möglicherweise - berechtigtes Begehren aufgibt oder damit im Restitutionsverfahren scheitert und deshalb Vermögenswerte aus der Erbschaft nicht zurückerlangt. Steht bestandskräftig fest, dass dem vorrangigen Erben kein Restitutionsanspruch zusteht, gibt es kein Schutzbedürfnis für ihn und deswegen auch keinen Grund, den nachrangigen Erben, der seinerseits von einem schädigenden Ereignis betroffen wurde, nicht als Berechtigten anzusehen.

c) Würde man demgegenüber die bloße Restitutionsantragstellung des vorrangigen Erben oder auch das objektive Bestehen eines Restitutionsanspruchs dieses Antragstellers genügen lassen, um einen nachrangigen Erben dauerhaft auszuschließen, hätte die Rücknahme des Antrags des Erstausschlagenden bzw. die Nichtweiterverfolgung dieses Anspruchs nach behördlicher Ablehnung zur Folge, dass es letztlich bei der Erbschaft durch den Fiskus verbliebe. Dies stünde zum einen im Widerspruch zur gesetzlichen Wertung, dass der Staat stets nur nachrangiger Erbe nach allen anderen Erben sein soll. Zum anderen würde regelmäßig die Bundesrepublik Deutschland kraft Rechtsnachfolge von der Schädigung der nachrangigen Erben durch die DDR profitieren, ohne dass es hierfür einen zwingenden Grund gäbe. Es kommt hinzu - worauf im verwaltungsgerichtlichen Urteil zutreffend hingewiesen wird - dass die von der Revision vertretene gegenteilige Auffassung dazu führen müsste, dass es unter Umständen von der Willkür eines vermögensrechtlich nichtberechtigten, jedoch vorrangigen Erben abhängig wäre, ob ein vermögensrechtlich geschädigter, aber nachrangiger Erbe Restitutionsansprüche besitzt.

Wollte man zwar nicht die bloße Antragstellung wohl aber das objektive Bestehen eines Restitutionsanspruchs eines vorrangigen Erben als Ausschlussgrund für den nachrangig berufenen Erben ausreichen lassen, ließe sich im Übrigen für die unterschiedliche Behandlung der unterlassenen Antragstellung einerseits und eines aus welchen Gründen auch immer zurückgenommenen Antrags andererseits kein sachlicher und einleuchtender Grund feststellen.

d) Die Ansicht des Senats, dass ein nachrangig Geschädigter nur im Falle eines Erfolgs des vorrangigen Erben im Restitutionsverfahren dauerhaft ausgeschlossen ist, wird auch durch einen Vergleich mit der Regelung des § 3 Abs. 2 VermG bestätigt. Diese Norm betrifft ebenfalls das Konkurrenzverhältnis von Antragstellern bei der Geltendmachung vermögensrechtlicher Ansprüche hinsichtlich desselben Vermögenswertes und regelt dies nach dem Grundsatz der Priorität im Ergebnis dahin gehend, dass der Zweitgeschädigte nur insoweit als Berechtigter ausgeschlossen bleibt, als im Zeitpunkt der Entscheidung noch konkurrierende Ansprüche des Erstgeschädigten existieren. Die zunächst untergegangenen Ansprüche des Zweitgeschädigten leben im Falle der Rücknahme des Restitutionsantrags bzw. der Wahl von Entschädigung statt Restitution durch den Erstgeschädigten wieder auf. Dementsprechend muss nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts der später Geschädigte, der eine Rechtsposition bewahren will, die Feststellung der Berechtigung des Erstgeschädigten nur dann angreifen, wenn sie als Grundlage einer Rückübertragung dienen soll, nicht aber bei der Feststellung der Entschädigungsberechtigung dem Grunde nach (vgl. Urteil vom 1. Dezember 1995 - BVerwG 7 C 13.94 - Buchholz 428 § 3 VermG Nr. 10).

e) Vor diesem Hintergrund ist es hinzunehmen, dass die Berechtigung nachrangiger Erben vom Schicksal des Restitutionsanspruchs des vorrangigen Erben abhängt und bis zur abschließenden Entscheidung über diese (vorrangigen) Ansprüche in der Schwebe bleibt. Diese Situation ist dem Vermögensrecht, wie die Ausführung zu § 3 Abs. 2 VermG zeigen, nicht fremd.

f) Da im vorliegenden Fall die vorrangig berufenen Erben, soweit sie Anträge nach dem Vermögensgesetz gestellt haben, den ablehnenden Bescheid nach erfolglosem Vorverfahren haben bestandskräftig werden lassen bzw. die zunächst erhobene Verpflichtungsklage zurückgenommen haben, steht - wie das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt hat - der Berechtigung des Klägers insoweit nichts entgegen.

Zu Recht ist das Verwaltungsgericht der Frage nicht weiter nachgegangen, ob im vorliegenden Fall alle dem Staat vorgehenden Erben die Erbschaft wirksam ausgeschlagen haben (Feststellungen insbesondere zu den Erben dritter Ordnung fehlen); denn nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteile vom 28. August 1997, a.a.O.) hat eine so genannte unvollständige Kettenerbausschlagung für die vermögensrechtlichen Ansprüche keine Bedeutung.

3. Der offensichtliche Schreibfehler im Tenor des angefochtenen Urteils bei der Bezeichnung des streitigen Grundstücks war vom Senat von Amts wegen zu berichtigen (Beschluss vom 16. Juli 1968 - BVerwG 6 C 1.66 - BVerwGE 30, 146 = Buchholz 310 § 118 VwGO Nr. 1).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO.

Beschluss

Der Wert des Steitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 153 387,56 € (entspricht 300 000 DM) festgesetzt.

Ende der Entscheidung

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