Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 22.08.2007
Aktenzeichen: BVerwG 8 C 6.06
Rechtsgebiete: VwVfG, VermG


Vorschriften:

VwVfG § 48
VermG § 6 Abs. 5c Satz 3
VermG § 6 Abs. 6a Satz 1
§ 6 Abs. 6a Satz 1 Halbs. 2 VermG findet für die Rückzahlung der erhaltenen Geldleistung im Falle der Restitution von Unternehmenstrümmern auch dann Anwendung, wenn im Hinblick auf den Antrag des Restitutionsberechtigten bereits vor dem Inkrafttreten der Rückzahlungsbestimmung am 1. Dezember 1994 eine Entscheidung über die Berechtigung ergangen war (wie Urteil vom 25. August 2004 - BVerwG 8 C 19.03 - Buchholz 428 § 6 VermG Nr. 62).
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

BVerwG 8 C 6.06

Verkündet am 22. August 2007

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 22. August 2007 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Gödel, den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Pagenkopf, die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. von Heimburg, den Richter am Bundesverwaltungsgericht Postier und die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Hauser

für Recht erkannt:

Tenor:

Das aufgrund mündlicher Verhandlung vom 31. August 2005 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Gera wird insoweit aufgehoben, als der Klage stattgegeben wurde.

Die Klage gegen die Nummer 1 des Tenors des Bescheides des Thüringer Landesamts zur Regelung offener Vermögensfragen vom 16. Juli 2003 wird abgewiesen. Wegen der Nummern 3 und 4 des Tenors dieses Bescheides wird die Sache an das Verwaltungsgericht zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.

Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

Gründe:

I

Streitgegenstand des Revisionsverfahrens ist die Feststellung der Berechtigung nach dem Vermögensgesetz und die Erstattung im Zuge der Verstaatlichung des Unternehmens in der DDR erhaltener Geldleistungen.

Der Betrieb mit staatlicher Beteiligung "Karl W. KG", Rhönholzschnitzerei, in E., Thüringen, wurde auf der Grundlage des Ministerratsbeschlusses der DDR vom 9. Februar 1972 mit Wirkung vom 16. April 1972 in Volkseigentum überführt und ist seit dem 1. Juni 1990 stillgelegt. Die früheren privaten Gesellschafter Arno und Erich W. beantragten mit Schreiben vom 9. März 1990 und 20. April 1990 die Reprivatisierung des Unternehmens. Der Kläger ist ihr Rechtsnachfolger.

Das Thüringer Landesamt zur Regelung offener Vermögensfragen stellte mit Teilbescheid vom 9. Dezember 1991 u.a. fest, dass der Kläger hinsichtlich des Unternehmens Berechtigter im Sinne des Vermögensgesetzes ist. Mit weiterem Bescheid vom 11. November 1996 übertrug die Behörde drei ehemalige Betriebsgrundstücke auf die Fa. Karl W. KG i.L. als Berechtigte zurück (Tenorpunkt 1) und legte eine Zahlungsverpflichtung an die Beigeladene über insgesamt 143 694,31 DM fest. Die Zahlungsverpflichtung beruht auf der Übernahme des staatlichen Anteils (49 500 DM) und der Rückzahlung der anlässlich der Schädigung erhaltenen Leistungen für den Verlust der privaten Anteile (94 194,31 DM) (Tenorpunkt 2). Aus einem weiteren Bescheid der Behörde vom 3. August 1998 ergibt sich, dass sich die Zahlungsverpflichtung an die Fa. Karl W. KG i.L. richtet.

Nach vorheriger Anhörung erließ die Behörde unter dem 16. Juli 2003 den angefochtenen Bescheid des Inhalts, dass

1. der Tenorpunkt 1 des Bescheides vom 9. Dezember 1991 aufgehoben wird und die Fa. Karl W. KG i.L. Berechtigte im Sinne des Vermögensgesetzes ist,

2. der Tenorpunkt 2 des Bescheides vom 11. November 1996 in der Fassung des Bescheides vom 3. August 1998 aufgehoben wird,

3. für die Löschung des staatlichen Anteils an der Karl W. KG i.L. der Kläger an die Beigeladene eine Rückzahlung in Höhe von 25 308,95 € zu leisten hat und

4. die an die ehemaligen persönlichen Gesellschafter wegen der Schädigung im Jahre 1972 zugeflossene Ablösesumme von dem Kläger in Höhe von 45 488,10 € an die Beigeladene zurückzuzahlen ist.

In seiner dagegen gerichteten Klage hat der Kläger vorgebracht, dass für ihn das Verhalten des Beklagten nicht mehr nachvollziehbar sei.

Mit Urteil aufgrund mündlicher Verhandlung vom 31. August 2005 hat das Verwaltungsgericht die Nummern 1, 3 und 4 des Tenors des Bescheides des Thüringer Landesamts zur Regelung offener Vermögensfragen vom 16. Juli 2003 aufgehoben und die Klage im Übrigen abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die Klage gegen Nummer 2 des Tenors unzulässig sei, weil die Möglichkeit einer Rechtsverletzung fehle, hinsichtlich der Nummer 1 des Tenors des Bescheides die Klage jedoch begründet sei, weil der Beklagte die Rücknahme der Berechtigtenfeststellung auf § 48 Abs. 1 ThürVwVfG gestützt und die Anwendbarkeit von § 48 Abs. 2 ThürVwVfG verneint habe. Die Nummern 3 und 4 des Tenors des Bescheides würden den Kläger in seinen Rechten verletzen, weil die Feststellung seiner Berechtigung auf der Grundlage des Vermögensgesetzes vom 18. April 1991 beruhe und die Frage des Kaufpreises und der Ablösebeträge - wegen der erst im Jahre 1994 erfolgten Gesetzesänderung - nicht im vermögensrechtlichen Verfahren selbst berücksichtigt werden könne.

Mit der vom Senat insoweit zugelassenen Revision, als der Klage stattgegeben wurde, hat die Beigeladene geltend gemacht, die Ermessensbetätigung des Beklagten sei nicht fehlerhaft und das Verwaltungsgericht weiche von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ab.

Die Beigeladene beantragt,

das aufgrund mündlicher Verhandlung vom 31. August 2005 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Gera zu ändern und die Klage abzuweisen.

Der Beklagte hat keinen Antrag gestellt. Er tritt dem Revisionsvorbringen der Beigeladenen bei.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für richtig und meint, er habe darauf vertrauen können, nicht mehr mit Zahlungsverpflichtungen in Anspruch genommen zu werden.

II

Die Revision der Beigeladenen ist mit der Maßgabe begründet, dass die Sache zum Teil an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen wird. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts ist die Rücknahme der Berechtigtenfeststellung im Bescheid des Beklagten vom 16. Juli 2003 (Nummer 1 des Tenors) nicht ermessensfehlerhaft erfolgt und hat Bestand (1.). Die gleichzeitig verfügten Rückzahlungen erhaltener Geldleistungen für den Erwerb der staatlichen Beteiligung (Nummer 3) und die Ablösung der privaten Beteiligung (Nummer 4 des Tenors) scheitern nicht daran, dass die Berechtigtenfeststellung mit dem zurückgenommenen Bescheid vom 9. Dezember 1991 erfolgt war (2.). Da jedoch die tatsächlichen Voraussetzungen für die Rückzahlungsverpflichtungen noch nicht geklärt sind, ist die Sache insofern nach § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO an das Verwaltungsgericht zurückzuverweisen (3.).

1. Das Urteil des Verwaltungsgerichts verletzt revisibles Recht im Sinne von § 137 Abs. 2 Nr. 2 VwGO, soweit es die Rücknahme der Nummer 1 des Tenors des Bescheides vom 16. Juli 2003 betrifft. Es beruht auf einer unrichtigen Anwendung der nach dem Wortlaut mit dem Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes übereinstimmenden Vorschrift von § 48 ThürVwVfG in der bei Erlass des angefochtenen Verwaltungsaktes gültigen Fassung der Bekanntmachung vom 27. November 1997 (GVBl 1997, 430). Mit dem angefochtenen Bescheid hat der Beklagte die Berechtigtenfeststellung in seinem Bescheid vom 9. Dezember 1991 zu Recht aufgehoben. Diese war rechtswidrig. Berechtigte im Sinne des Vermögensgesetzes sind nach § 2 Abs. 1 Satz 1 VermG Personen, deren Vermögenswerte von Maßnahmen gemäß § 1 VermG betroffen sind. Zu diesen gehört nach § 1 Abs. 1 Buchst. d VermG die Verstaatlichung privater Unternehmen auf der Grundlage des Beschlusses des Präsidiums des Ministerrats vom 9. Februar 1972 durch Überführung in das Eigentum des Volkes. Davon war im vorliegenden Fall der Betrieb mit staatlicher Beteiligung "Karl W. KG" betroffen gewesen. Zu Unrecht wurde aber nicht der Unternehmensträger, sondern der Kläger als Rechtsnachfolger der privaten Gesellschafter mit dem aufgehobenen Bescheid als Berechtigter festgestellt. Die Karl W. KG hat nach § 6 Abs. 1a Satz 2 VermG in der schon damals gültigen Fassung unter ihrer vor der Schädigung eingetragenen Firma als in Auflösung fortbestanden, weil ihre Gesellschafter, die mehr als 50 vom Hundert der Anteile auf sich vereinigt hatten, einen Antrag auf Rückgabe des Unternehmens gestellt haben. Der danach rechtswidrige Verwaltungsakt konnte gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 ThürVwVfG zurückgenommen werden, wobei jedoch die Rücknahme im besonderen Maße im Ermessen der Behörde stand (§ 48 Abs. 2 Satz 1 ThürVwVfG), weil der aufgehobene (Teil-)Bescheid die Grundlage für eine einmalige Geldleistung nach dem Entschädigungsgesetz geboten hatte (Urteil vom 31. August 2006 - BVerwG 7 C 16.05 - Buchholz 428 § 31 VermG Nr. 12). In einem solchen Falle darf ein Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden, wenn der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist.

Das Verwaltungsgericht hält dem Beklagten zu Unrecht vor, diese Vorschrift fehlerhaft angewandt zu haben. In die bei der Ausübung des Rücknahmeermessens vorzunehmende Abwägung sind vorrangig die Gesichtspunkte der materiellen Gerechtigkeit und der Rechtssicherheit einzustellen. Das Anliegen der materiellen Gerechtigkeit besteht in der Wahrung der Recht- und Gesetzmäßigkeit behördlichen Handelns und spricht somit für die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes. Dagegen kann für den Fortbestand des Verwaltungsaktes das Prinzip Rechtssicherheit streiten, das in seiner objektiv-rechtlichen Gestalt das öffentliche Interesse an Dauerhaftigkeit und Stetigkeit behördlicher Regelungen zur Geltung bringt. In seiner subjektiven Ausprägung beinhaltet es das des Vertrauensschutzes, durch welches der Erwartung des Bürgers in die Beständigkeit von Maßnahmen der Verwaltung entsprochen werden soll. Der Beklagte ist sich dieses Spannungsverhältnisses bei Erlass seines angefochtenen Bescheides bewusst gewesen. Er hat ausweislich der Begründung zu seinem Bescheid nicht nur erkannt, dass er in seine Ermessensentscheidung unterschiedliche Interessen einzustellen hatte, sondern auch die ermessenslenkende Vorgabe in § 48 Abs. 2 ThürVwVfG gesehen. Dass er dessen Reichweite nicht ausgeschöpft hat, lag nicht daran, dass er in Fällen vorliegender Art die Anwendbarkeit der Vorschrift bereits dem Grunde nach abgelehnt hat, sondern weil er ein schutzwürdiges Vertrauen des Klägers nicht hat feststellen können. Dem ist zuzustimmen. Es bedurfte keiner Erwähnung individueller Besonderheiten in der Begründung der Ermessensentscheidung, weil der Kläger insoweit keine (substantiierte) Darlegung gemacht hatte, die den Beklagten hätte veranlassen müssen, auf sie einzugehen. Zu der Mitteilung des Beklagten über die beabsichtigte Entscheidung, die gemäß § 32 Abs. 1 Satz 1 VermG vor Erlass des angefochtenen Verwaltungsaktes erfolgt war, hat der Kläger nicht Stellung genommen. Im Klageverfahren hat er Gründe, die für den Erhalt der Berechtigtenfeststellung sprechen könnten, nicht vorgebracht, so dass für den Beklagten auch kein Anlass bestanden hat, seine Ermessenserwägung noch im Klageverfahren gemäß § 114 Satz 2 VwGO zu ergänzen.

Das vom Kläger im Revisionsverfahren gegen die Rücknahme geltend gemachte Vertrauen dahin gehend, nicht mehr mit Zahlungsverpflichtungen in Anspruch genommen zu werden, bezieht sich auf die Nummer 2 des Tenors des angefochtenen Bescheides, die jedoch nicht Gegenstand des Revisionsverfahrens ist, und die Nummern 3 und 4 des Tenors dieses Bescheides. Da Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes, die auch ohne Darlegung in die Abwägung des Für und Wider hätten Eingang finden müssen, nicht erkennbar sind, ist es gerichtlicherseits nicht zu beanstanden, dass der Beklagte der Wahrung der Rechtssicherheit keinen Vorrang bei seiner Ermessensentscheidung eingeräumt hat. Die Kontrollbefugnis der Verwaltungsgerichte ist ohnehin nach § 114 Satz 1 VwGO begrenzt. Die Nachprüfung von Ermessensentscheidungen beschränkt sich darauf festzustellen, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist. Davon kann - wie gesagt - vorliegend keine Rede sein.

Die Rücknahme des Verwaltungsaktes ist auch nicht verspätet erfolgt. Nach § 48 Abs. 4 Satz 1 ThürVwVfG darf zwar ein rechtswidriger Verwaltungsakt nur innerhalb eines Jahres seit dem Zeitpunkt zurückgenommen werden, zu dem die Behörde Kenntnis von Tatsachen erhalten hat, welche die Rücknahme rechtfertigen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts beginnt diese Frist aber erst zu laufen, wenn die Behörde die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes nicht nur erkannt hat, sondern ihr auch die weiteren für die Rücknahmeentscheidung erheblichen Tatsachen vollständig bekannt sind (grundlegend Beschluss vom 19. Dezember 1984 - BVerwG GS 1 und 2.84 - BVerwGE 70, 356). Die Jahresfrist beginnt deshalb in Fällen vorliegender Art regelmäßig erst nach Abschluss des gemäß § 32 Abs. 1 Satz 1 VermG durchgeführten Anhörungsverfahrens (vgl. Urteil vom 20. September 2001 - BVerwG 7 C 6.01 - Buchholz 316 § 48 VwVfG Nr. 103). Sie begann hier nicht vor dem 3. Juni 2003. Unter dem Datum hatte der Beklagte die beabsichtigte Rücknahmeverfügung angekündigt.

2. a) Die unter Tenorpunkt 3 des angefochtenen Bescheides verfügte Verpflichtung des Klägers mit dem Inhalt, dass für die Löschung der staatlichen Beteiligung an die Beigeladene ein Betrag in Höhe von 25 308,95 € zu entrichten ist, hat das Verwaltungsgericht aus Gründen aufgehoben, die nicht tragfähig sind. Es hat die Auffassung vertreten, solange die Berechtigtenfeststellung vom 9. Dezember 1991 Bestand habe, sei die Frage des Ablösebetrages im vermögensrechtlichen Verfahren nicht zu berücksichtigen. Es hat zu Unrecht angenommen, das Vermögensgesetz habe in der damals geltenden Fassung keine entsprechende Ablöseregelung enthalten. Die damals geltende Fassung vom 18. April 1991 sah in § 6 Abs. 5c Satz 3 VermG die Rückzahlung der staatlichen Beteiligung vor.

b) Mit gleicher Begründung hat das Verwaltungsgericht die Verpflichtung des Klägers gemäß Tenorpunkt 4 des angefochtenen Bescheides aufgehoben, die dahin geht, die damals wegen des Verlustes beider Unternehmensbeteiligungen zugeflossenen Geldleistungen zurückzuzahlen. Zum einen kann der Ausgangsüberlegung des Verwaltungsgerichts nicht gefolgt werden, dass es auf die Rechtslage bei Feststellung der Berechtigung mit Bescheid vom 9. Dezember 1991 ankomme. Diese Rechtslage ist nach dem angefochtenen Bescheid nicht mehr erheblich. Zum anderen wäre sie auf die Rückzahlungsverpflichtung auch ohne Auswirkung geblieben. Zwar ist die fragliche Rechtsgrundlage (§ 6 Abs. 6a Satz 1 Halbs. 2 VermG) erst mit Art. 10 Nr. 2a des Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetzes vom 27. September 1994 (BGBl I 2624) in Kraft getreten. Sie erfasst aber auch bestandskräftig gewordene Berechtigtenfeststellungen aus der Zeit davor. Das Gesetz sieht zum einen keine Übergangsregelung vor und zum anderen war das Verfahren mit der Berechtigtenfeststellung noch nicht abgeschlossen. Der Gesetzgeber hat mit der Neuregelung verhindern wollen, dass über die Pflicht zur Rückzahlung eines bei Überführung in das Eigentum des Volkes erhaltenen Ausgleichs erst im Entschädigungsverfahren befunden wird (vgl. Urteil vom 25. August 2004 - BVerwG 8 C 19.03 - Buchholz 428 § 6 VermG Nr. 62).

3. Die Rückzahlungsverpflichtungen ersetzen die Forderungen aus dem insoweit aufgehobenen Bescheid vom 11. November 1996 und ergeben sich aus § 6 Abs. 5c Satz 3 und Abs. 6a Satz 1 Halbs. 2 VermG. Das Recht, sie geltend zu machen, ist entgegen dem Einwand des Klägers nicht verwirkt.

Die Verwirkung als Hauptanwendungsfall des venire contra factum propium (Verbot widersprüchlichen Verhaltens) bedeutet, dass ein Recht nicht mehr ausgeübt werden darf, wenn seit der Möglichkeit der Geltendmachung längere Zeit verstrichen ist und besondere Umstände hinzutreten, welche die verspätete Geltendmachung als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen. Das ist insbesondere der Fall, wenn der Bürger infolge eines bestimmten Verhaltens der Behörde darauf vertrauen durfte, dass diese das Recht nach so langer Zeit nicht mehr geltend machen wird (Vertrauensgrundlage), der Bürger ferner tatsächlich darauf vertraut hat, dass das Recht nicht mehr ausgeübt wird (Vertrauenstatbestand) und sich infolgedessen in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet hat, dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen wird (Urteile vom 7. Februar 1974 - BVerwG 3 C 115.71 - BVerwGE 44, 339 <343 f.> = Buchholz 427.3 § 342 LAG Nr. 11 und vom 9. Dezember 1998 - BVerwG 3 C 1.98 - BVerwGE 108, 93 <96> = Buchholz 451.512 MGVO Nr. 131). Diese Kriterien gelten auch im Bereich des Vermögensrechts ohne Einschränkung (Urteil vom 27. Juli 2005 - BVerwG 8 C 15.04 - Buchholz 428 § 36 VermG Nr. 9), sind vorliegend aber nicht erfüllt.

Zwar mag die Behörde den Eindruck vermittelt haben, dass sie mit ihrem Bescheid vom 3. August 1998 eine abschließende Regelung getroffen hat. Aber der reine Zeitablauf als solcher kann die Annahme einer Verwirkung nicht rechtfertigen (Beschluss vom 21. Januar 1999 - BVerwG 8 B 116.98 - Buchholz 428 § 37 VermG Nr. 19), und der Kläger hat sich auch in seinen Vorkehrungen oder Maßnahmen nicht derart eingerichtet, dass er allein wegen der späten Inanspruchnahme an Stelle der Gesellschaft, die er vertritt, Nachteile hat oder zu befürchten hat. Jedenfalls hat er dafür keine Anhaltspunkte aufgezeigt.

4. Den Zahlungsverpflichtungen liegen jedoch Berechnungen des Beklagten zugrunde, zu denen tatsächliche Feststellungen seitens des Verwaltungsgerichts fehlen und zu denen das Verwaltungsgericht dem Kläger noch keine Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat. Dazu bestand bisher kein Anlass, weil es nach Auffassung des Verwaltungsgerichts schon am Rechtsgrund fehlte. Der Kläger hat sich zu dem Zahlenwerk bisher nicht geäußert. Das angefochtene Urteil muss daher nach § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO aufgehoben und die Sache an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen werden, damit es die erforderliche Spruchreife herstellen kann.

Dabei wird das Verwaltungsgericht nicht den Fehler wiederholen dürfen, der der Behörde unterlaufen ist. Bei der Berechnung der zurückzuzahlenden staatlichen Beteiligung und der Geldleistung gemäß § 6 Abs. 5c Satz 3 und § 6 Abs. 6a Satz 1 Halbs. 2 VermG hat der Beklagte zu Unrecht den Gesamtwert der bereits zurückübertragenen Vermögenswerte jeweils als Obergrenze angesetzt. Dies hat zur Folge, dass der Kläger über den tatsächlichen Wert der zurückübertragenen Vermögenswerte hinaus mit Rückzahlungen belastet wird. Die Obergrenze für die vom Gesellschafter zu leistenden Rückzahlungen hat sich nach den genannten Vorschriften am jeweiligen Anteil der staatlichen Beteiligung und der des Gesellschafters an dem Unternehmen zu richten.

Beschluss

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren, das Beschwerdeverfahren unter Änderung des Beschlusses vom 12. April 2006 - BVerwG 8 B 114.05 - und das Klageverfahren unter Änderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Gera vom 31. August 2005 auf jeweils 75 797,05 € festgesetzt.

Gründe:

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47, 52 und § 63 Abs. 3 GKG.

Der Streitwert in Fällen einer Berechtigtenfeststellung nach dem Vermögensgesetz ist nach dem Interesse des Klägers festzusetzen (vgl. Beschluss vom 27. Januar 2006 - BVerwG 8 B 96.05 -). Da hierfür keine genügenden Anhaltspunkte bestehen, kommt gemäß § 52 Abs. 2 GKG ein Wert von 5 000 € in Ansatz. Der Streitwert im Übrigen ergibt sich aus der Höhe der geltend gemachten Forderungen: 25 308,95 € + 45 488,10 € (§ 52 Abs. 3 GKG).

Ende der Entscheidung

Zurück