Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 25.07.2000
Aktenzeichen: BVerwG 9 C 28.99
Rechtsgebiete: GG, AuslG


Vorschriften:

GG Art. 16 a Abs. 1
AuslG § 51 Abs. 1
Leitsätze:

1. Gehen staatliche Aufklärungsmaßnahmen zur Terrorismusbekämpfung, die ohne konkrete Verdachtsmomente zunächst nur an asylrechtliche Merkmale wie etwa die Volkszugehörigkeit anknüpfen, über das angemessene Maß hinaus, spricht eine Vermutung dafür, dass sie nicht nur der Terrorismusabwehr dienen, sondern auch den Einzelnen wegen seiner asylrechtlichen Merkmale treffen und deshalb politische Verfolgung darstellen (hier: Sri Lanka/LTTE).

2. Der Tatrichter muss daher zur Widerlegung der Vermutung sorgfältig prüfen, ob es besondere Gründe gibt, die es rechtfertigen, solche Eingriffe ausnahmsweise nicht als politische Verfolgung anzusehen.

Urteil des 9. Senats vom 25. Juli 2000 - BVerwG 9 C 28.99 -

I. VG Arnsberg vom 05.01.1996 - Az.: VG 11 K 3673/94.A - II. OVG Münster vom 02.10.1998 - Az.: OVG 21 A 645/96.A -


BUNDESVERWALTUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

BVerwG 9 C 28.99 OVG 21 A 645/96.A

Verkündet am 25. Juli 2000

Stoffenberger Justizsekretärin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 25. Juli 2000 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Paetow, die Richter am Bundesverwaltungsgericht Hund und Richter, die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Beck und den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Eichberger

für Recht erkannt:

Tenor:

Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 2. Oktober 1998 wird aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.

Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

Gründe:

I.

Der 1966 geborene Kläger ist sri-lankischer Staatsangehöriger tamilischer Volkszugehörigkeit. Er reiste 1994 nach Deutschland ein und beantragte Asyl. Zur Begründung trug er im Laufe des Verfahrens vor, er habe sich wegen der Auseinandersetzungen zwischen Militär und separatistischen Gruppen im Norden des Landes zur Ausreise entschlossen. Er sei politisch nicht aktiv gewesen und habe keine separatistische Gruppe unterstützt. Die tamilische Separatistenorganisation LTTE habe versucht, ihn zwangsweise zu rekrutieren. Auf dem Weg nach Colombo sei er in Vavuniya von Leuten, die mit sri-lankischen Sicherheitskräften zusammengearbeitet hätten, angehalten worden; er sei zwei Tage inhaftiert und dabei geschlagen worden. In Colombo habe ihn die Polizei bei einer Routinekontrolle als möglichen Anhänger der LTTE verhaftet und fünf Tage lang - z.T. in einer verdunkelten Einzelzelle - festgehalten. Er sei erneut geschlagen und mit brennenden Zigaretten misshandelt worden. Man habe ihn freigelassen, nachdem sein Schlepper ein Bestechungsgeld bezahlt habe.

Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (Bundesamt) lehnte den Asylantrag ab, stellte fest, dass weder die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG noch Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG vorliegen, und forderte den Kläger unter Androhung seiner Abschiebung nach Sri Lanka zur Ausreise auf. Auf die dagegen erhobene Klage verpflichtete das Verwaltungsgericht die Beklagte zu der Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen, und wies die Klage im Übrigen ab.

Auf die Berufung des Beteiligten hat das Oberverwaltungsgericht die Klage in vollem Umfang abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Kläger sei unverfolgt ausgereist. Die zwei Festnahmen, die als glaubhaft zugrunde gelegt werden könnten, hätten für die Frage der Vorverfolgung keine Bedeutung, da der Kläger bereits zuvor zur Ausreise entschlossen gewesen sei. Aber auch wenn die Festnahmen mitursächlich für die Ausreise gewesen seien, liege eine politische Vorverfolgung nicht vor. Die Festnahmen hätten im Zusammenhang mit der Bekämpfung der von der LTTE ausgehenden terroristischen Aktivitäten gestanden. Die körperlichen Misshandlungen, die der Kläger nach seinen Schilderungen erlitten habe, ließen die Festnahmen nicht in den Bereich politischer Verfolgung umschlagen. Denn derartige Verhörspraktiken seien in Sri Lanka auch bei der Verfolgung nichtpolitischer Straftaten vergleichbarer Gefährlichkeit allgemein üblich. Der Kläger könne sich auch nicht auf Nachfluchtgründe berufen. Ihm drohe bei einer Rückkehr nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung.

Mit seiner Revision wendet sich der Kläger gegen die seiner Auffassung nach unzutreffende Abgrenzung zwischen Terrorismusabwehr und politischer Verfolgung.

II.

Die Revision des Klägers ist begründet. Das Berufungsurteil verletzt Bundesrecht. Für eine abschließende Entscheidung des Senats in der Sache sind ausreichende tatsächliche Feststellungen nicht getroffen; das Verfahren muss daher an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist nicht mehr der Anspruch des Klägers auf Asylanerkennung nach Art. 16 a GG. Die Klage ist insoweit rechtskräftig abgewiesen.

Die Entscheidung des Berufungsgerichts, dass der Kläger Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG nicht beanspruchen kann, ist mit Bundesrecht nicht vereinbar. Das Berufungsgericht hat die Frage, ob der Kläger vor seiner Ausreise asylerheblich verfolgt worden ist, in zweifacher Hinsicht rechtsfehlerhaft beurteilt. Da der erkennende Senat die Frage der Vorverfolgung nicht abschließend klären kann, lässt sich auch nicht feststellen, ob das Berufungsgericht bei seiner Prognose, dem Kläger drohe bei seiner Rückkehr nach Sri Lanka nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung, den zutreffenden Maßstab angelegt hat.

Zu Unrecht hat das Berufungsgericht eine asylerhebliche individuelle Vorverfolgung bereits deshalb verneint, weil der Kläger schon vor den beiden Festnahmen zur Ausreise entschlossen gewesen sei und die Festnahmen deshalb nicht fluchtauslösend gewesen seien. Es trifft zwar zu, dass das auf dem Zufluchtgedanken beruhende Asylgrundrecht des Art. 16 a GG und - insoweit deckungsgleich - auch das Recht auf Abschiebungsschutz wegen politischer Verfolgung nach § 51 Abs. 1 AuslG jeweils grundsätzlich den Kausalzusammenhang Verfolgung-Flucht-Asyl voraussetzen. Dieser Kausalzusammenhang ist aber nicht schon dann ausgeschlossen, wenn der Asylsuchende vor dem Eintritt eines Verfolgungsgeschehens aus anderen als politischen Gründen im Sinne des Asylrechts zur Ausreise entschlossen war. Es kommt auch nicht darauf an, welche subjektiven Vorstellungen für ihn im Zeitpunkt der Ausreise mehr oder weniger bestimmend waren. Nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats ist insoweit allein entscheidend, dass die Ausreise sich bei objektiver Betrachtung nach ihrem äußeren Erscheinungsbild als eine unter dem Druck erlittener Verfolgung stattfindende Flucht darstellt. In dieser Hinsicht kommt der zwischen Verfolgung und Ausreise verstrichenen Zeit maßgebliche Bedeutung zu. Je länger der Ausländer nach erlittener Verfolgung in seinem Heimatstaat verbleibt, umso mehr verbraucht sich der objektive äußere Zusammenhang zwischen Verfolgung und Ausreise. Daher kann schon bloßer Zeitablauf dazu führen, dass eine Ausreise den Charakter einer unter dem Druck erlittener Verfolgung stehenden Flucht verliert. Ein Ausländer ist demnach regelmäßig nur dann als verfolgt ausgereist anzusehen, wenn er seinen Heimatstaat in nahem zeitlichen Zusammenhang mit der erlittenen Verfolgung verlässt (vgl. z.B. BVerwGE 87, 141 <147>). Da der Kläger unmittelbar nach seiner zweiten Freilassung in Colombo ausgereist ist, ist der erforderliche objektive äußere Zusammenhang zwischen (unterstellter) Verfolgung und Ausreise entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ohne weiteres anzunehmen.

Rechtlich nicht tragfähig ist auch die weitere Begründung, mit der das Berufungsgericht eine asylerhebliche individuelle Vorverfolgung des Klägers verneint hat. Das Berufungsgericht hat die vom Kläger geschilderten Ereignisse im Zusammenhang mit dessen beiden Festnahmen als wahr unterstellt. Es ist davon ausgegangen, dass es beim Kläger keine über allgemeine Merkmale hinausgehende objektivierbare Verdachtsmomente für eine Unterstützung terroristischer Aktivitäten der LTTE oder auch nur konkrete Anhaltspunkte für eine politische Nähe zur LTTE gegeben hat. Dass es den fraglichen Maßnahmen gleichwohl den Charakter politischer Verfolgung abgesprochen hat, beruht auf unzutreffenden rechtlichen Maßstäben und entsprechend unzureichenden tatsächlichen Feststellungen.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des erkennenden Senats ist eine Verfolgung dann eine politische, wenn sie dem Einzelnen in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale gezielt Rechtsverletzungen zufügt, die ihn ihrer Intensität nach aus der übergreifenden Friedensordnung der staatlichen Einheit ausgrenzen. Geht es dabei um Beeinträchtigungen der körperlichen Unversehrtheit, so stellt generell jede derartige nicht ganz unerhebliche Maßnahme staatlicher Stellen, die an asylerhebliche Merkmale, insbesondere die politische Überzeugung oder Betätigung eines Betroffenen anknüpft, politische Verfolgung dar, ohne dass es insoweit noch auf eine besondere Intensität oder Schwere des Eingriffs ankommt (vgl. zuletzt etwa BVerfG, Kammerbeschluss vom 15. Februar 2000 - 2 BvR 752/97 - InfAuslR 2000, 254 <257>; BVerwGE 87, 141 <144 f.>).

Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, dass der Kläger zweimal inhaftiert und misshandelt wurde, weil die Sicherheitskräfte ihn als jungen, männlichen Tamilen ohne festen Wohnsitz in Colombo erkannt und daher potenziell zum Täter- oder Unterstützerkreis der terroristischen LTTE gerechnet hatten. Die - als wahr unterstellten - Maßnahmen haben den Kläger danach in Anknüpfung an seine tamilische Volkszugehörigkeit, sein Alter und sein Geschlecht und somit an für ihn unverfügbare, asylerhebliche Merkmale getroffen. Da sie mit erheblichen Beeinträchtigungen der körperlichen Unversehrtheit verbunden waren, stellen sie politische Verfolgung im Sinne des Asylrechts dar, wenn sie - objektiv gesehen - auch zielgerichtet wegen dieser asylrelevanten Merkmale eingesetzt worden sind.

In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des erkennenden Senats ist freilich anerkannt, dass Maßnahmen trotz der Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale aus dem Bereich politischer Verfolgung herausfallen können, wenn sie der staatlichen Selbstverteidigung oder dem Schutz von Rechtsgütern dienen. Dies gilt insbesondere für Maßnahmen, die der Staat im Bereich der Terrorismusabwehr ergreift, wenn und soweit er sich dabei auf die Abwehr des Terrorismus beschränkt und nicht unter dem Deckmantel behaupteter Terrorismusbekämpfung politische Verfolgung betreibt. Derartige Maßnahmen können repressiver oder präventiver Natur sein. Sie müssen sich, um asylunerheblich zu sein, nicht notwendig gegen konkret Tatverdächtige richten, sondern können auch Unbeteiligte treffen, soweit sie terroristischen Aktivitäten vorbeugen oder diese aufklären sollen. Dies kann auch die Möglichkeit einschließen, Unbeteiligte kurzfristig in Haft zu nehmen, um z.B. ihre Identität zu überprüfen (vgl. BVerfGE 80, 315 <336 ff.>; BVerfG, Kammerbeschluss vom 15. Februar 2000, a.a.O. S. 257 f.; BVerwGE 87, 141 <146>). Welche Abwehrmaßnahmen im Einzelnen bei objektiver, wertender Betrachtung noch als "legitim" und dem Rechtsgüterschutz dienend anzuerkennen sind mit der Folge, dass sie nach ihrem äußeren Erscheinungsbild aus dem Bereich politischer Verfolgung herausfallen, entzieht sich einer abstrakten Festlegung. Diese Frage kann letztlich nur anhand der konkreten Umstände des Einzelfalles, vor allem unter Berücksichtigung der jeweiligen Sicherheitslage und der allgemeinen Verhältnisse in dem betreffenden Staat beurteilt werden. In jedem Fall bedarf es sorgfältiger tatrichterlicher Feststellungen zu denjenigen Umständen, die trotz Anknüpfung bestimmter Maßnahmen an asylerhebliche Merkmale wie Rasse, Religion, Ethnie oder politische Überzeugung ergeben sollen, dass diese Maßnahmen objektiv nur auf asylunerhebliche Ziele bezogen und gerichtet sind, ohne den Einzelnen zumindest auch wegen eines unverfügbaren Merkmals zu treffen und auszugrenzen. Hierbei ist auch die jeweilige Rechtslage und deren Beachtung in der Rechtswirklichkeit in den Blick zu nehmen. Maßnahmen zum Rechtsgüterschutz, die auch in einem Rechtsstaat zulässig und üblich sind, werden im Allgemeinen keine asylerhebliche Zielrichtung haben.

Geht man von diesen Grundsätzen aus, so lassen die vom Berufungsgericht festgestellten Umstände erkennen, dass die vom Kläger geschilderten Verfolgungsmaßnahmen tatsächlich im Ausgangspunkt der Abwehr des von der LTTE ausgehenden Terrors dienten. Das Oberverwaltungsgericht hat nämlich festgestellt, in der Zeit vor der Ausreise des Klägers sei die Situation in und um Colombo angespannt gewesen und die Sicherheitskräfte hätten mit weiteren Terroranschlägen bzw. Selbstmordkommandos der - vornehmlich von jüngeren männlichen Tamilen gebildeten - LTTE rechnen müssen (UA S. 14 f.). Die Inhaftierung des erst kurz zuvor in Colombo eingetroffenen Klägers habe nach ihrer erkennbaren Gerichtetheit auf die Aufklärung einer Verbindung zur LTTE und ihres unterstützenden Umfeldes oder auf die Erlangung von diesbezüglichen Informationen gezielt. Dieser Ausgangspunkt des angefochtenen Urteils ist grundsätzlich nicht zu beanstanden. Denn bei der beschriebenen prekären Sicherheitslage können auch derartige an asylerhebliche Merkmale anknüpfende "Rasterfahndungen" nach Terroristen und Unterstützern ohne konkrete individuelle Verdachtsmomente legitime staatliche Aufklärungsmaßnahmen zur Terrorismusabwehr sein.

Allerdings hat das Berufungsgericht nicht hinreichend die Tatsache beachtet, dass die den Kläger betreffenden Aufklärungsmaßnahmen nach seinen Angaben mit erheblichen körperlichen Misshandlungen während seiner Inhaftierungen verbunden waren. Denn auch Maßnahmen der Terrorismusbekämpfung können als asylerhebliche Verfolgung zu bewerten sein, wenn zusätzliche Umstände - z.B. eine gesteigerte Verfolgungsintensität in Form einer unüblichen oder vergleichsweise härteren Bestrafung oder Behandlung - darauf schließen lassen, dass der Betroffene jedenfalls auch wegen eines asylerheblichen Merkmals verfolgt wird. Nicht asylbegründend sind staatliche Maßnahmen also nur dann, wenn sie nach Art und Intensität Abwehrcharakter haben und den Bereich der Bekämpfung des Terrorismus und der damit zusammenhängenden Straftaten nicht verlassen. Wird darüber hinaus der politische Gegner - in Anknüpfung an ein asylerhebliches Merkmal - verfolgt, kommt den dabei eingesetzten staatlichen Maßnahmen asylbegründende Wirkung zu. So vermag die an sich legitime Bekämpfung des Terrorismus staatlichen Gegenterror nicht zu rechtfertigen, der etwa darauf gerichtet ist, die unbeteiligte zivile Bevölkerung in Erwiderung des Terrorismus unter den Druck brutaler staatlicher Gewalt zu setzen. Extralegale Maßnahmen und gravierende Menschenrechtsverletzungen werfen auch im Rahmen einer unnachsichtigen Bekämpfung des Terrors durch den Staat stets die Frage auf, ob damit nicht zumindest auch asylerhebliche Ziele verfolgt werden (vgl. BVerfGE 80, 315 <339 f.>; BVerfG, Kammerbeschluss vom 15. Februar 2000, a.a.O., S. 257 f.; BVerwGE 87, 152 <153 f.>).

Ein derartiges Umschlagen in eine asylerhebliche Verfolgung liegt dementsprechend dann nahe, wenn die staatlichen Maßnahmen das der reinen Terrorismusbekämpfung angemessene Maß überschreiten, insbesondere wenn sie mit erheblichen körperlichen Misshandlungen einhergehen; aber auch bei einer übermäßig langen Freiheitsentziehung kann dies anzunehmen sein. In diesen Fällen spricht eine Vermutung dafür, dass sie den Einzelnen zumindest auch wegen seiner asylerheblichen Merkmale treffen und deshalb politische Verfolgung darstellen. Wird Folter angewandt, gilt diese Vermutung in erhöhtem Maße. Der Tatrichter muss daher sorgfältig prüfen, ob es besondere Gründe gibt, die es erlauben, solche Eingriffe ausnahmsweise nicht als politische Verfolgung anzusehen, etwa weil es sich um "landesübliche", auch in vergleichbaren Fällen ohne jeden politischen Bezug eingesetzte und damit insoweit nicht auf asylerhebliche Merkmale zielende Maßnahmen handelt. Je gravierender die Maßnahme in Freiheit oder körperliche Unversehrtheit eingreift, desto gründlicher muss diese Prüfung erfolgen. Den Asylbewerber trifft hierfür keine Darlegungs- und Beweislast (vgl. auch BVerfG, Kammerbeschluss vom 15. Februar 2000, a.a.O., S. 259).

Diesen Grundsätzen wird das Berufungsurteil nicht gerecht. Insbesondere ist das Oberverwaltungsgericht nicht von der Vermutung einer asylerheblichen Verfolgung des Klägers ausgegangen, obwohl die Voraussetzungen hierfür angesichts des als wahr unterstellten Sachverhalts - Freiheitsentziehung unter Anwendung von Folter - gegeben sind. Dementsprechend hat es auch nicht ausreichend untersucht, ob diese Vermutung durch Gründe entkräftet wird, die es rechtfertigen, die (unterstellte) massiv menschenrechtswidrige Behandlung des Klägers trotz Anknüpfung an dessen tamilische Volkszugehörigkeit ausnahmsweise nicht als politische Verfolgung zu bewerten.

Die Annahme des Berufungsgerichts, die vom Kläger bekundeten Misshandlungen entsprächen auch bei der Verfolgung nichtpolitischer Straftaten vergleichbarer Gefährlichkeit den in Sri Lanka allgemein üblichen Verhörpraktiken der Sicherheitskräfte (UA S. 13 f. und 16), reicht zur Widerlegung der Vermutung politischer Verfolgung nicht aus. Die Feststellungen hierzu sind zu undifferenziert und nicht näher belegt. Insoweit hätte das Oberverwaltungsgericht im Einzelnen darlegen müssen, von welchen Vergleichsfällen im Bereich gewöhnlicher Straftaten es ausgeht und anhand welcher Erkenntnismittel es zu der Überzeugung gelangt ist, dass auch in diesen Vergleichsfällen inhaftierte Personen, gegen die keine konkreten Verdachtsmomente bestehen, ohne Rücksicht auf ihre Ethnie regelmäßig über mehrere Tage hinweg festgehalten und gefoltert werden. Nur wenn insoweit sichere Erkenntnisse gewonnen werden können, kann davon ausgegangen werden, dass die asylerheblichen Merkmale, die zunächst für die Inhaftierung des Klägers maßgebend waren, keinen Einfluss auf seine anschließende menschenrechtswidrige Behandlung hatten. Zu entsprechend differenzierten Feststellungen hätte auch deshalb Anlass bestanden, weil das Berufungsgericht an anderer Stelle angenommen hat, die weit überwiegende Mehrzahl der Tamilen, die bei Routinekontrollen in Colombo ohne konkrete Anhaltspunkte für eine Unterstützung der LTTE - meist wegen fehlender Ausweispapiere - inhaftiert und auf ihre Identität und den Zweck ihres Aufenthalts überprüft worden seien, sei innerhalb von zwei Tagen wieder freigelassen worden, ohne dass es während der Inhaftierung zu weiteren Rechtsgutverletzungen gekommen sei. Insbesondere gebe es keine Erkenntnisse, dass die kurzfristig Verhafteten gefoltert würden. Im Übrigen werde das Problem der Folter in Sri Lanka nach der Umsetzung der Konvention gegen Folter in nationales Recht seit 1994 anders als in den Jahren davor "angegangen"; Folter könne mit erheblicher Gefängnis- und Geldstrafe geahndet, die Verantwortlichen sollten zudem disziplinarisch belangt und mit Entschädigungsleistungen belastet werden. Falls die Haft länger dauere, als zur Identifizierung sowie zur Klärung des Aufenthaltszwecks erforderlich sei, lägen regelmäßig Verdachtsmomente im Hinblick auf eine Unterstützung der LTTE und damit Anknüpfungspunkte nach den Notstandsgesetzen vor (UA S. 13, 19 f., 25 und 28).

Das Berufungsurteil erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO). Da das Berufungsgericht angenommen hat, der Kläger sei unverfolgt ausgereist, hat es - folgerichtig - lediglich geprüft, ob die Gefahr politischer Verfolgung bei einer Rückkehr beachtlich wahrscheinlich ist. Dagegen lässt sich dem Berufungsurteil nicht entnehmen, ob der Kläger nach dem für Vorverfolgte zugrunde zu legenden sog. herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab hinreichend sicher vor künftigen Verfolgungsmaßnahmen in seinem Heimatstaat wäre.

Bei seiner erneuten Befassung mit der Sache wird sich das Berufungsgericht zunächst darüber schlüssig werden müssen, ob es das Vorbringen des Klägers zu seinen beiden Festnahmen und den dabei erlittenen körperlichen Misshandlungen für glaubhaft hält. Ist dies der Fall oder unterstellt es die Angaben wiederum als wahr, muss es anhand der oben aufgezeigten Grundsätze erneut beurteilen, ob die Inhaftierungen wegen der genannten Misshandlungen oder allein schon wegen ihrer Dauer politische Verfolgung wegen der Volkszugehörigkeit oder einer vermuteten politischen Überzeugung darstellen. Kommt es zu dem Ergebnis, dass politische Verfolgung vorliegt und der Kläger damit vorverfolgt ausgereist ist, ist zu prüfen, ob er bei der Rückkehr nach Sri Lanka vor erneuter Verfolgung hinreichend sicher ist. Für den Fall schließlich, dass das Berufungsgericht wiederum einen Anspruch auf Abschiebungsschutz wegen politischer Verfolgung nach § 51 Abs. 1 AuslG verneint, darf es die Klage nicht insgesamt abweisen, ohne zuvor zu prüfen, ob Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG vorliegen. Zu Unrecht hat das Berufungsgericht nämlich angenommen, dass die negative Feststellung des Bundesamts hierzu bestandskräftig geworden sei (vgl. zum Verhältnis der Klageanträge im Asylprozess BVerwGE 104, 260 <262 ff.>).

Auf die vom Kläger geltend gemachte und vom erkennenden Senat im Zulassungsbeschluss bejahte Gehörsverletzung kommt es nicht mehr entscheidend an.



Ende der Entscheidung

Zurück